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Kommentar Wunsch nach Wahrheit

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Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung (bis Ende März 2022); Foto: MUT

Wenn es etwas gab, das uns an die politische Kultur in Deutschland hat glauben lassen, dann war es der NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages. Die dort verkündete und vollzogene Ethik des gemeinsamen, überparteilichen Handelns im Sinne der Aufklärung und Rechtsstaatlichkeit war und ist ein Lichtblick unserer parlamentarischen Demokratie. Darüber hinaus verbinden wir mit der Arbeit des Untersuchungsausschusses verschiedene, richtig große Hoffnungen. Zu allererst ist es der Wunsch nach Wahrheit. Das bedeutet Aufklärung darüber, an welchen Stellen der Staat bei der Verfolgung der rechtsextremen Täter versagt hat und warum dies geschah. Als zweites ist es die Hoffnung darauf, dass Politik und Gesellschaft endlich verstehen, dass Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland wirklich große Probleme sind. Und drittens ist es die Aussicht, den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses endlich einen politischen Fahrplan entnehmen zu können, der eine Wiederholung dieser rechtsterroristischen und vor allem rassistischen Morde verhindert.

Wahrheit, Hoffnung und Ausblick für Politik und Gesellschaft zu erwarten – das ist in der Tat viel für einen einzigen Untersuchungsausschuss. Und dennoch könnte er erfüllen, was vielleicht zu groß erscheint. Ende August wird der Abschlussbericht des NSU Untersuchungsausschusses veröffentlicht. An dieser Stelle danken wir den Abgeordneten für ihre ausgezeichnete Arbeit, die vor allem auf ihrer Furchtlosigkeit, ihrer Hartnäckigkeit und ihrer Ethik beruht. Das allein ist Grund für Lob und Hoffnung. Doch nun sehen wir dem Abschlussbericht entgegen und dem, was er neben der gründlichen Analyse der Vorgänge auch an Schlussfolgerungen hervorbringt. Wird er empfehlen, Rassismus in Deutschland als Grundnahrungsmittel rechtsextremer Einstellungen ernstzunehmen? Wird er einen Prozess fordern, in dem alle staatlichen Stellen und die gesamte Verwaltung in Bund, Ländern und Kommunen aufgefordert werden, eine Selbstanalyse durchzuführen, um danach einen Maßnahmenkatalog zu entwickeln und umzusetzen, um mit dem NSU-Desaster vergleichbare Katastrophen in Zukunft zu verhindern? Wird der Bericht fordern, dass besonders in den ordnungspolitischen Bereichen von Polizei und anderen Behörden, rassistisches Vorgehen von Beamten besonders schnell und klar bestraft wird? Werden nachdrücklich Anstrengungen unternommen, hier einen Common Sense zu erreichen, dem sich analog zum Untersuchungsausschuss alle Parteien anschließen? Wird in den Forderungen des Abschlussberichts auch die Rolle der Zivilgesellschaft betont und ihre Arbeit hier respektiert und unterstützt?

Der Staat selbst muss dafür sorgen, dass Rassismus nicht vorkommt

Halt, an diese Stelle gehört ein Zwischenruf. Gewiss wird der Abschlussbericht die Zivilgesellschaft würdigen und verlangen, dass ihre Arbeitsbedingungen gegen Rechtsextremismus verbessert werden. Das ist selbstverständlich und für uns auch sehr wichtig. Doch wollen wir, die wir mit Projekten und Kampagnen gegen Rechtsextremismus und Rassismus arbeiten, nicht die Einzigen bleiben, auf denen die Verantwortung für die Situation im Lande ruht. Der Staat kann nicht strukturelle Fehler begehen und dann ein paar Euro springen lassen, damit die Zivilgesellschaft die schlimmsten Auswüchse von Rassismus wieder abschwächt. Und das noch unter den Bedingungen verschärften Misstrauens. Wir könnten weit mehr erreichen, wenn wir, die Initiativen als Fachleute stärker als bisher den Staat auch in strukturellen Fragen beraten würden. Der Staat selbst muss in seinen Gliederungen dafür sorgen, dass Rassismus nicht vorkommt. Dabei können wir helfen, doch muss die Politik das wollen. Darin muss sie investieren. Und nicht allein mit einigen Euro für Demokratieprogramme und ein paar Mal Schulterklopfen für solche Initiativen, die es besonders schwer haben. Dafür sind es viel zu wenige Mittel, gemessen an der Größe des Problems! Wir brauchen politische Fantasie, eine Partnerschaft, die diesen Namen auch verdient und ein Land, das bereit ist, sich nach dem NSU-Totalausfall, selbstkritisch und vor allem handelnd zu zeigen.

Wenn dies dem Abschlussbericht entnommen werden kann, dann – halleluja – gibt es für alle in Deutschland Grund zur Hoffnung!

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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