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Kommentar zur Antidiskriminierungsklausel Es gibt kein Recht auf antisemitische Kunst

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Joe Chialo: Der Berliner Kultursenator
Joe Chialo: Der Berliner Kultursenator (Quelle: picture alliance/dpa/Britta Pedersen)

Dass so ein Stunk auf eine Antidiskriminierungsklausel folgt, weil sie sich auch gegen jede Form von Antisemitismus richtet, verrät schon einiges darüber, wo das eigentliche Problem liegt. Es ist der neuste Tiefpunkt einer Kulturbranche, die sich gerne als progressiv und aufgeklärt sieht, aber immer wieder einen blinden Fleck hat, wenn es um Antisemitismus geht. Die sich mehr Sorgen um die Verteilung staatlicher Kunstzuschüsse macht als um Judenhass selbst. Die Antisemitismus lieber wegdefinieren möchte, statt sich selbstkritisch mit dem Thema auseinanderzusetzen.

In einer Pressemitteilung vom 4. Januar kündigte der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) an, ab sofort alle Zuwendungen seiner Senatsverwaltung mit der besagten Klausel zu versehen. „Kunst ist frei! Aber nicht regellos“, sagt Chialo dazu. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland begrüßt die Klausel. Sie „setzt neue Maßstäbe und reagiert damit auch auf die Erfahrungen der letzten Jahre“, sagte er der Jüdischen Allgemeinen.

Doch schon laufen einige in Kunst und Kultur Sturm. Fast so, als könnte man ohne Antisemitismus schlicht keine Kunst mehr machen. Mit der Klausel müssen potenzielle Zuwendungsempfänger*innen sich „zu einer vielfältigen Gesellschaft und gegen jede Form von Antisemitismus“ bekennen. Als Grundlage dient die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance, kurz IHRA.

Wie diese Klausel aber in der Praxis umgesetzt werden kann, bleibt zunächst unklar. Geht es hier um schnelle Symbolpolitik nach dem 7. Oktober oder eine belastbare Strategie zur Bekämpfung von Antisemitismus in der Kunst? Es gibt einige Fragen. Selbst Chialo räumt ein: Es handele sich um einen „offenen Prozess“, um den „Beginn eines Dialogs“.

In einem offenen Brief protestieren „Berliner Kulturproduzenten*innen aller Sparten“ nun für die „Wahrung von Kunst- und Meinungsfreiheit“. Und gegen den „Bekenntniszwang zur umstrittenen IHRA-Definition von Antisemitismus als Voraussetzung für Kulturförderungen des Landes“. Sie fordern stattdessen die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus als Grundlage zu nehmen.

Knapp 5.000 Unterschriften hat der Brief bislang. Einige bekanntere Namen auf der Liste wie Deborah Feldman oder Candice Breitz sind schon wegen ihrer „Israelkritik“ aufgefallen und wurden selbst entsprechend kritisiert. Die überwiegende Mehrheit der Unterzeichnenden dürften aber eher unbekannte Künstler*innen sein. Und halten sich jetzt plötzlich für Antisemitismus-Expert*innen.

Tatsächlich ist die Antisemitismusdefinition der IHRA nicht „umstritten“, und das mantraartig zu wiederholen, macht die Behauptung nicht wahrer. Sie wurde bislang von 39 Staaten angenommen sowie unzähligen Regierungsorganisationen und NGOs. Und sie wird von der überwiegenden Mehrheit jüdischer Organisationen weltweit verwendet. Ein wichtiges Werkzeug im Kampf gegen Judenhass.

Die IHRA leistet wichtige Bildungsarbeit zur Erinnerung um die Shoah. Und ihre Definition, an der sich jetzt so viele zu stören scheinen, müsste in einer liberalen Demokratie unstrittig sein: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

Dazu liefert die IHRA elf aktuelle Beispiele. Es geht um Holocaust-Leugnung, um die Verwendung von klassischen antisemitischen Symbolen und Bildern, um Vergleiche der israelischen Politik mit der der Nazis. Und es geht um die Anwendung von doppelten Standards gegen Israel, um das Aberkennen des Rechts auf jüdische Selbstbestimmung und das kollektive Verantwortlichmachen von Jüdinnen*Juden für die Handlungen Israels. Kritiker*innen der IHRA tun sich oft schwer damit, konkret zu benennen, mit welchem der elf Beispielen sie ein Problem haben. Die Definition gilt ihnen offenbar als zu konkret und zu vage zugleich: zu konkret, wenn es um Israel geht, und zu vage, um jede einzelne Form des Antisemitismus abzudecken.

Die Jerusalem Declaration hingegen, eine nicht besonders weit verbreitete „alternative“ Definition, die lediglich von 350 Wissenschaftler*innen und Autor*innen unterschrieben wurde, viele von ihnen keine Antisemitismus-Expert*innen, ist weitaus schwammiger. Sie ist in vielen Punkten mit der IHRA-Definition einig, enthält aber auch fünf Beispiele, die nicht „per se“ antisemitisch seien – vor allem doppelte Standards gegen Israel oder Unterstützung der antiisraelischen Boykott-Bewegung BDS, die die IHRA nicht direkt erwähnt.

Von den Kritiker*innen der IHRA-Definition hört man oft: Israel dürfte man jetzt gar nicht mehr kritisieren. Doch direkt unter der Arbeitsdefinition der IHRA stehen die Worte: „Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.“ Dass viele sogenannte Israelkritiker*innen an dieser eigentlich durchaus zumutbaren Hürde scheitern, spricht Bände. Sie würden lieber eine andere Definition finden, eine, nach der sie keine Antisemit*innen mehr seien.

Denn ihre Kritik ist keine sachliche, und sie ist nicht vergleichbar mit der gegen andere Länder. Es geht ums Ganze: Israel wird vorgeworfen, einen neuen Holocaust zu verüben, Apartheid zu betreiben – sprich: für die schlimmsten Verbrechen gegen die Menschheit verantwortlich zu sein. Jüdische Läden in der ganzen Welt werden zur Zielscheibe. Israelische Politiker*innen werden als dämonische Gestalten mit Hakennasen dargestellt. Dem jüdischen Staat wird dasselbe vorgeworfen, wie Jüdinnen*Juden seit Jahrhunderten: Hinterlist, Rachsucht, Blutdurst und Trickserei. Der übermächtige Endgegner schlechthin.

Aber es gibt eine Grenze zwischen Kunst und Propaganda, die zum Beispiel 2022 auf der documenta fifteen in Kassel mehrfach überschritten wurde. In antisemitischen Karikaturen und terroristischen Propaganda-Clips. Auch nach der Jerusalem Declaration, wie es im Abschlussbericht des Expertengremiums zur Kunstschau heißt.

Anlässe in Kunst und Kultur gab es in den vergangenen Jahren reichlich, um nun konsequenter gegen Antisemitismus in der Branche vorzugehen. Wer das Gegenteil behauptet, will das Problem einfach nicht sehen. Aus welchem Motiv heraus, bleibt Spekulation – aber es gibt einschlägige Indizien, woran das liegen könnte.

Und so landen wir wieder beim Thema „Kunstfreiheit“ statt beim eigentlichen Problem: Antisemitismus. Als wöge das Recht, Israel um jeden Preis kritisieren zu dürfen, mehr als die Sicherheit von Jüdinnen*Juden ausgerechnet im Land ihrer industriellen Massenvernichtung durch die Nazis.

Dabei geht es nicht mal um Kunstfreiheit an sich, sondern um staatliche Zuwendungen, für die es zu Recht demokratische Kriterien zur Vergabe gibt. Verboten wird hier nichts. Aber es gibt kein Recht auf antisemitische Kunst im Gewand des Israelhasses auf Staatskosten, finanziert von uns allen.

Bitter bleibt, dass die Israelkritiker*innen der Kunstszene erheblich mehr Energie dafür aufbringen, die Antidiskriminierungsklausel oder die IHRA-Definition zu bekämpfen, als den Antisemitismus in ihren eigenen Reihen – auch nach der von ihnen angeblich so geschätzten Jerusalem Declaration.

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