Aus Rockerkneipen Demokratiezentren machen!
Denn egal ob Mafiosi, Nazis oder „Motorcycle-Clubs“, meist versuchen sie durch Einschüchterung und Gewalt den öffentlichen Raum zu dominieren und territoriale Dominanz herzustellen. Es können Angsträume entstehen, die nicht selten auch mit den ökonomischen Interessen multi-krimineller Netzwerke verbunden sind.
Die Rolle von Immobilien kann dabei entscheidend sein – auch um solche Angsträume zu durchbrechen. Die Umnutzung von Immobilien, die von Rechtsextremen oder Kriminellen genutzt werden, bietet eine Chance die soziale Dynamik vor Ort in eine neue Richtung zu lenken – hin zu Begegnungsstätten, Nachbarschaftsinitiativen oder Orten für Kultur und soziales Engagement. Besonders gut ließ sich das in Dortmund nachvollziehen: Dort gelang es 2015, anstelle des organisatorischen Zentrums des „Nationalen Widerstands“ ein Jugend- und Kulturcafé zu beheimaten. Die konkrete Immobilie war „die Symboladresse der Neonazis und Teil ihres Raumkampfes. Es war der Anker, den sie in die Stadtgesellschaft werfen wollten“, so der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau nach der Eröffnung des Cafés. Doch durch den gemeinsamen Einsatz von Bürger_innen und Kommunalvertreter_innen konnte den Neonazis dieser Ankerplatz genommen werden. (vgl. http://tinyurl.com/ju5uabz)
Mit solchen und darüber hinausgehenden Ansätzen beschäftigt sich seit Anfang 2015 das EU-geförderte Projekt „Creating Public Spaces – Öffentliche Räume für demokratische Kultur schaffen!“. „Das Projekt befasst sich konkret mit der Rolle von Gebäuden als Teil solcher Angsträume. Wenn es zu einer staatlichen Beschlagnahmung der Gebäude von kriminellen Organisationen oder Neonazis kommt, soll geprüft werden, ob diese nicht der lokalen Zivilgesellschaft für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung gestellt werden. So könnten Angsträume effektiver bekämpft werden“, erklärt Projektleiter Tobias Scholz von der Amadeu Antonio Stiftung. Dabei ist der Begriff des „Angstraumes“ von zentraler Bedeutung, da durch diesen die Perspektive der Betroffenen in den Fokus genommen wird.
Ausgangspunkt für das Projekt ist ein deutsch-italienischer Vergleich rechtlicher Grundlagen und Praxis in Bezug auf die Beschlagnahmung von Immobilien krimineller Vereinigungen. Im Zuge der Anti-Mafia-Gesetzgebung hat sich in Italien der Einzug von Vermögenswerten und Immobilien als Präventivmaßnahme bewährt. Auch in Deutschland ist im Vereinsgesetz das Einziehen von Vermögen im Falle des Verbotes einer Vereinigung oder Partei angelegt. Vormals von Neonazis oder Kriminellen genutzte Immobilien könnten dazu verwendet werden, die demokratische Kultur in ländlichen Gebieten genauso wie in städtischen Bezirken zu stärken. Die rechtliche Möglichkeit, eine Immobilie zu beschlagnahmen und ihre Nutzung zivilgesellschaftlichen Gruppen zur Verfügung zu stellen, wird in Deutschland jedoch selten genutzt.
Vom Bundeskabinett verabschiedet liegt derzeit ein Gesetzentwurf zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vor (BT Drucksache 18/9525), der bislang die in anderen Ländern erfolgreich praktizierte gemeinnützige Umnutzung eingezogener Güter nicht vorsieht. Die Amadeu Antonio Stiftung und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen haben dem Rechtsausschuss des Bundestags deshalb am 18. Oktober eine Stellungnahme zum Gesetzentwurf vorgelegt, die eine Ergänzung des geplanten Gesetzes empfiehlt: die gemeinnützige Umnutzung eingezogener Immobilien soll analog der bereits existierenden Regelungen im deutschen Vereinsgesetz festgeschrieben werden.
Positive Erfahrungen aus Italien und die Frage, wie sich diese auf andere Länder übertragen ließen, werden am Donnerstag, 10. November, in drei Workshops zur Diskussion gestellt. Darin werden länderspezifische Unterschiede der juristischen Rahmenbedingungen (Prof. Martin Heger, Humboldt Universität Berlin & Dott. Federico Alagna, Osservatorio sulla ’ndrangheta), soziologische Reflexionen über Sozialräume (Dr. Tobias Scholz, Amadeu Antonio Stiftung & Dr. Uta Döring), sowie konkrete kulturelle Praktiken demokratischer Umnutzung (Benno Plassmann, Echolot e.V. & LKJ Sachsen-Anhalt – Projekt „Dehnungsfuge“) detailliert erörtert.
Die Ergebnisse des Projektes „Creating Public Spaces“ und der Workshops werden auf der Abschlusskonferenz am Freitag, den 11. November, im Auditorium Maximum der Humboldt Universität Berlin, Unter den Linden 6, präsentiert und mit weiteren zivilgesellschaftlichen Akteur_innen und Politiker_innen aus beiden Ländern diskutiert. Es sprechen unter anderem Prof. Luca Ruzza (Università Roma III ‚La Sapienza‘); Johannes Fechner, MdB (SPD); Monika Lazar, MdB (Bündnis 90/Die Grünen); Timo Reinfrank (Amadeu Antonio Stiftung) und Heike Scharpff (Bundesverband Freier Darstellender Künste).
Die Konferenz wird in Kooperation mit den Projektpartnern Landesregierung Kalabrien, Osservatorio sulla ’ndrangheta (Reggio Calabria) und Echolot – Projekte für demokratische Kultur, gegen Mafien e.V., der Humboldt Universität Berlin (Lehrstuhl Prof. Martin Heger), sowie der Amadeu Antonio Stiftung veranstaltet. Sie richtet sich an zivilgesellschaftliche Akteure und andere Interessierte.
Arbeitskonferenz „Zivilgesellschaft stärken! Modelle demokratischer Umnutzung von Immobilien krimineller Gruppen“
am 10 und 11. November in BerlinAuditorium Maximum der Humboldt Universität Berlin, Unter den Linden 6Veranstaltet von der Amadeu Antonio Stiftung und der Humboldt-UniversitätTeil des EU-geförderten Projekts „Creating Public Spaces – Öffentliche Räume für demokratische Kultur schaffen!“
Auf Facebook: https://www.facebook.com/events/329698217390594/