Im Februar 2002 zogen Neonazis aus ganz Deutschland unter dem Motto «Die Rechten gegen das Schächten» durch die Innenstadt. Im April 2005 herrschte wieder Ausnahmezustand, weil die NPD die örtliche Stadthalle für die Feier zum 40-jährigen Bestehen der Bundespartei angemietet hatte.
Ein gefundener Anlass
Am 5. April 2008 gab es einen neonazistischen Aufmarsch, nachdem am Vortag ein 19-Jähriger aus Eschweiler von einem 18-Jährigen Bekannten auf offener Straße mit Messerstichen tödlich verletzt worden war. Obwohl schnell ermittelt wurde, dass die Tat auf eine persönliche Fehde zurückzuführen war und auch die Eltern des Getöteten sich öffentlich und vehement gegen eine Vereinnahmung ihres Sohnes durch die rechte Propaganda wehrten, wurde der Mordfall zum Anlass genommen, in den folgenden Wochen mehrere Demonstrationszüge durch das von jeweils mehr als 1500 Polizisten abgeriegelte Stolberg abzuhalten.
Der rassistische Hass entlud sich dabei auf der ersten, noch spontan abgehaltenen Demonstration der nordrhein-westfälischen Neonaziszene am 05. April 2008 in der 60.000-Einwohner-Stadt. Dabei kam es insbesondere in Ortsteilen mit hohem Anteil migrantischer Bevölkerung bereits zu unverhohlenen Drohungen. So skandierten die Nazis etwa Parolen wie: ?Kein Vergeben, kein Vergessen, Türken haben Namen und Adressen?. Am 12. April hieß es: ?Autonom – Militant – Nationaler Widerstand?. Diesmal waren rund 800 Neonazis aufmarschiert.
Versuch der Mythenbildung
Auch in diesem Jahr instrumentalisiert die rechtsextreme Szene erneut den Mordfall. Inzwischen hat sich auch die NPD in die Organisation des Marsches eingeschaltet und mobilisiert massiv im Internet. Das Ziel der Nazis ist damit offenbar geworden. Es wird die Schaffung eines ?deutschen Opfermythos? angestrebt, welcher sich auf die ständige ?Verfolgung der Deutschen? durch Migranten und Migrantinnen, durch Linke und die bundesdeutschen Medien gründet. Die Mythologisierung des Toten ist entgegen aller Beteuerungen der Eltern und der gegenteiligen Ermittlungsergebnisse der Polizei bereits vollzogen. Längst gilt er der bundesdeutschen Neonazi-Szene als ?Held, der für Deutschland fiel?, als ?Soldat, im Kampf ermordet?, als ?Märtyrer für die national(sozialistisch)e Sache?. Was die Neonazi-Szene gerade versucht, ist, ein symbolisches Datum, ein Großereignis zu konstruieren, mit dem bundesweit, wenn nicht gar europaweit ein Aufmarschanlass geschaffen werden kann, ähnlich wie es seit mehreren Jahren auch mit dem neonazistischen Missbrauch des Gedenkens an die Opfer der alliierten Bombenangriffe in Dresden geschieht. Dazu passend ist inzwischen bekannt geworden, dass auch für die kommenden zehn Jahre bereits Anmeldungen für Demonstrationen an diesem Datum seitens der rechten Szene vorliegen.
Die Stadt wehrt sich
Zunächst aber wollen die Neonazis am kommenden Samstag, den 04.04.2009, abermals zum ?Gedenken? an das Opfer aufmarschieren. Durch die Stolberger Innenstadt ziehen werden sie diesmal allerdings nicht, denn ein breites gesellschaftliches Bündnis wird zwischen 10 und 18 Uhr aus Protest gegen den braunen Spuk zahlreiche Veranstaltungen und Kundgebungen abhalten. Unter anderem haben sich die Kölner Lokalmatadoren Rolly Brings & Bänd sowie „Klaus der Geiger? angesagt, um die Demokraten zu unterstützen. Außerdem gibt es am 4. April 2009 ab 10 Uhr eine groß angelegte Demonstration der Demokraten in der gesamten Stolberger Innenstadt, und zwar von Oberstolberg bis zur Mühle. Ansonsten haben die Gegenaktivitäten viele kreative Kräfte der Region vereint. Es gibt eine Menschenkette aus farbigen Tüchern, ein Streetsoccer- und ein Basketball-Turnier, Button-Aktionen und Luftballon-Wettbewerb, die Herstellung von Blättern für einen Baum der Toleranz, ein Spielmobil für die Kleinen, ein Motorrad-Gespann wird auffahren und ein Volkslauf findet statt ? und dazu gibt es jede Menge Musik und Tanz, Essen und Getränke.
Vorbildlich dabei: Stolberg hat die Dringlichkeit der Situation erkannt. Die demokratischen Kräfte formieren sich deshalb geschlossen: Die Stadträte aller Parteien (außer den dreien der NPD), die Kirchen, die türkische Gemeinde, Vereine, Verbände und Wirtschaftsunternehmen unterstützen den Aufruf und beteiligen sich an den Aktionen.
Wem gehört der Freitag?
Weil die Polizei die ursprüngliche Anmeldung und Wegstrecke der NPD für den 4. April nicht anerkannt hatte, sind die Neonazis nun gezwungen an den Stadtrand auszuweichen. Der «Trauermarsch» der Rechtsradikalen wird deshalb lediglich vom Euregiobahn-Haltepunkt Schneidmühle an der Eisenbahnstraße über die Europastraße zum Birkengang ziehen und von dort nach einer Zwischenkundgebung über die Eschweiler- und die Nikolausstraße den Rückweg antreten. Aus diesem Grund ist für dieses Jahr darüber hinaus für den Abend des 03.04.2009 ein Fackelmarsch in der Stolberger Innenstadt durch die NPD angemeldet worden. Zu diesem werden laut Polizei nur etwa 50 Rechtsextreme aus der lokalen Szene erwartet, welche zwischen 20 und 22 Uhr durch Stolberg marschieren werden. Allerdings sind vielen Stolbergern die Szenen aus dem Letzten Jahr noch gut in Erinnerung, als die Neonazis wüste Beschimpfungen und Drohungen grölend durch Teile der Stadt ziehen konnten.
«Lassen sie uns auch an diesem Abend ein Zeichen setzen», fordert der Bürgermeister dehalb, wenngleich er diesen Appell nicht als Aufruf zu einer Gegendemonstration verstanden wissen soll. Aus diesem Grund hofft er auch für den Freitag auf möglichst viele Gästen und Sympatisanten rund um den Mühlener Markt, welche mit ihrer Präsenz die Solidarität unter den Stolbergern zum Ausdruck bringen.
Das komplette Programm der Gegenaktivitäten und aktuelle Informationen gibt es unter:
| www.stolberg.de/Buendnis/buendnis08.htm