Drei kommunikative Techniken, die beispielhaft und charakteristisch für extrem rechte Memes sind, sind (Re-)Framing, Personalisierung und Insinuation. Die Techniken lassen sich grundsätzlich auch in nichtrechten politischen Memes finden, doch sie lassen sich besonders leicht mit
extrem rechter Rhetorik und rechten Narrativen verknüpfen lassen. Dabei können unterschiedliche kommunikative Techniken in demselben Meme eingesetzt werden.
(Re-)Framing
Framing meint den Bedeutungsrahmen von Worten oder Ereignissen (bei der rassistischen „Flüchtlingswelle‟ denken wir etwa an bedrohliche Naturkatastrophen, bei „Schutzsuchenden“ eher an Menschen in Not). Reframing meint das Umdeuten von Worten oder Ereignissen, die schon einen Bedeutungsrahmen haben (so war die Bezeichnung von Geflüchteten als Goldstücke ursprünglich positiv gemeint und wurde von Rassist*innen als abwertende Dogwhistle umgedeutet). Das dargestellte Meme illustriert, wie extrem rechte Akteur*innen ein gleichberechtigtes Verhältnis von Männern und Frauen als Kulturkampf framen.
Das Meme entstammt dem Datensatz des aufgelösten Discord-Servers des extrem rechten Netzwerks Reconquista Germanica. Es nutzt das Gemälde „Die Heimkehr“ des Malers und nationalsozialistischen Kulturpolitikers Hans Adolf Bühler (1936). Dargestellt ist ein Mann in soldatischer Kleidung auf Knien, der seinen Kopf in den Schoß einer weiß gekleideten, übernatürlich wirkenden Frau sinken lässt. Die Szene erinnert an die katholische Bildsprache einer Pietà-Darstellung, bei der die ‚Schmerzensmutter‘ Maria Mitleid, Reinheit und Unschuld verkörpert. Den Macher*innen des Memes wird das Gemälde zum Sinnbild einer vertrauensvollen Paarbeziehung, in dem sogar der harte Krieger weich werden und Trost suchen darf bei der bedingungslos unterstützenden Frau. Der Text deutet also ein komplementäres, gleichzeitig binäres Geschlechterverhältnis an: Männer und Frauen seien verschieden, aber genau das sei natürlich und sich optimal ergänzend. Die zeitliche Ebene des Memes spielt auf ein (aus extrem rechter Sicht) besseres Gestern an, das einem von Geschlechterkämpfen geprägten Heute vorzuziehen sei. Dabei übersehen die Macher*innen ironischerweise, dass auf dem Gemälde nicht die Heimkehr eines Mannes zu seiner Frau dargestellt ist, sondern ein sterbender Krieger, der von der engelsgleichen Personifikation geleitet zu den Ahnen „heimkehrt‟ – was aber für die Rezeption des Memes nebensächlich ist.
An welche Frames, an welche Bedeutungsrahmen denken die Meme-Macher*innen? Wahrscheinlich an den in maskulinistischen Kreisen vermuteten Krieg der Geschlechter. Mit „juristischen“ Kämpfen sind möglicherweise Gerichtsprozesse gemeint, bei denen es nach Scheidungen um Geld, Eigentum oder Sorgerecht geht. Zu beiden Themen gibt es Narrative in misogynen Teilen der extrem rechten Szene, wie der Incel- und maskulinistischen Bewegung.
Die Narrative verbindet, dass sie antifeministisch sind und Frauen die Schuld an dem angeblich zerrütteten Verhältnis der (binär gedachten) Geschlechter geben. Das Streben von Frauen nach Emanzipation und Gleichberechtigung wird hier als Kulturkampf zwischen den Geschlechtern geframt: Würden sich Frauen nur weiter dem Patriarchat unterwerfen „wie früher“, gäbe es wieder Zusammenhalt statt Streit um Rechte, Pflichten und Geschlechterrollen.
Erreichen soll dieses Framing sowohl Gleichgesinnte, die so bestärkt werden, als auch politische Gegner*innen, denen so die Fehler ihrer Argumentation vor Augen geführt werden sollen. Framing wird von Akteur*innen aller politischen Parteien eingesetzt, funktioniert aber besonders gut in der Text-Bild-Kommunikation politischer Memes.
Personalisierung als Dichotomie: Heroisierung vs. Stigmatisierung
Rechtsextreme Memes verbinden die politischen Vorschläge ihrer Gegner*innen mit deren Vertreter*innen, oft Spitzenpolitiker*innen, wobei diese stigmatisiert und abgewertet werden. Diese Technik funktioniert jedoch auch als Heroisierung: Extrem rechte Memes knüpfen Narrative an Identifikationspersonen, wie dieses Beispiel mit Björn Höcke zeigt.
Das Meme der Reconquista Germanica (RG) feiert Höcke als Kriegsherren und Helden. Der AfD-Politiker kämpft in einem endzeitlichen Egoshooter-Szenario gegen die Europäische Union (EU). Der blutrote Hintergrund und die kriegerischen Symbole (Kampfkleidung, Waffe, Suchscheinwerfer) deuten das extrem rechte Narrativ des Bürgerkriegs und/oder Tag-X-Szenarios an. Höcke ist hier derjenige, dem offenbar nach dem Triumph über die EU die Aufgabe des Aufbaus einer neuen Gesellschaft zugetraut wird. Das Flugobjekt mit den Suchscheinwerfern
kann verschieden interpretiert werden: Symbolisiert es die vermeintliche Unterdrückung, als deren Opfer sich die Neue Rechte sieht? Oder zeigt es die Suche nach politischen Gegner*innen, die nach dem durch (Bürger-)Krieg herbeigeführten Umsturz ausgemerzt werden sollen? Der heroisierte Höcke personalisiert den extrem rechten Umsturzwunsch – und wird zugleich als (An-)Führer ins Spiel gebracht.
Das Beschwören personalisierter Feindbilder harmonisiert das neurechte Spektrum, dessen Akteur*innen sich in Strategie- und Ideologiefragen oft uneins sind. Auch Martin Sellner, führender Aktivist der digitalen Neuen Rechten, nutzt Personalisierungen als Strategie-Element: Das seiner Ansicht nach linksliberale „Multikulti“-Establishment kritisiert er als „sanften Totalitarismus“, dessen Vertreter*innen beiseite geschafft werden müssten: „Die entscheidenden Figuren, die den sanften Totalitarismus persönlich verkörpern, müssen identifiziert, personalisiert und isoliert werden. Ein harter Kern an Medienmachern, Moralinstanzen, Politikern und Personen des öffentlichen Lebens muß neben Merkel in einen ‚Kanon der Schande‘ aufgenommen werden und genau wie sie ‚weg‘. Ihr Rücktritt und ihre Absetzung müssen zentrale
Forderungen werden.“
Diese kommunikative Technik wirkt also durch das Schaffen von Repräsentationen (hier: Höcke = extrem rechter Umsturz). Hierbei werden einzelne Menschen heroisiert oder stigmatisiert.
Insinuation
Die kommunikative Technik der Insinuation, der Unterstellung, lässt sich mithilfe des folgenden Junge-Alternative-Memes illustrieren. Das Meme besteht aus einem weißen Hintergrund, auf dem ein dem Schriftsteller George Orwell zugeordnetes Zitat zu lesen ist: „Je weiter sich eine Gesellschaft von der Wahrheit entfernt, desto mehr wird sie jene hassen, die sie aussprechen.“ In ihrem Posting ergänzte die JA NRW das Mem um die Information, wer mit dem Meme gemeint ist: „@ARD, ZDF und Co.“ Orwell kritisierte in seinen Büchern Farm der Tiere und 1984 totalitäre Regime.
Diese Idee möchte das Meme auf die kritische Berichterstattung über die AfD anwenden. Im Meme insinuiert, die „Junge Alternative‟, die AfD und die JA seien Akteure, die angeblich die Wahrheit aussprächen – und dafür hasserfüllte Reaktionen ernteten. Sie nimmt die Opferrolle ein, der aber zugleich ein heroischer Aspekt innewohnt: Die extrem rechte Jugendorganisation möchte so dastehen, als lasse sie sich nicht einschüchtern und als kämpfe sie mutig für eine „Wahrheit“. Mithilfe der Opferrolle und des damit verbundenen Selbstlobs sowie der Abgrenzung von der angeblich wahrheitsfeindlichen „Gesellschaft“ möchte sich die JA aufwerten. Das Meme insinuiert, Deutschland entwickle sich dank ARD und ZDF in eine totalitäre Gesellschaft.
Mittels dieser Technik soll der Raum des Sagbaren erweitert werden, ohne exakt zu sagen, was eigentlich gemeint ist. Diese Technik ermöglicht Angriffe auf politische Gegner*innen, ohne eigene Risiken einzugehen: Insinuationen sind juristisch schwerer zu ahnden als beispielsweise Beleidigungen (§185 StGB), üble Nachrede (§186 StGB) oder volksverhetzende Inhalte (§130 StGB). Durch das Zitieren von Schriftsteller*innen werten sich neurechte Akteur*innen intellektuell auf. Besonders gern werden in Opfer-Täter-Umkehr Schriftsteller*innen oder Künstler*innen instrumentalisiert, die sich eigentlich gegen den Nationalsozialismus oder autoritäre Regime wenden, um so die „Nazi-Keule‟ gegen Demokrat*innen zu verwenden und sich selbst als „wahre Demokrat*innen‟ zu inszenieren. Die Insinuation, in Deutschland dominiere ein linker und/oder linksliberaler Totalitarismus, ist auch in Artikeln der rechtsextremen Sezession präsent. Häufig geht sie Hand in Hand mit der Selbstbeschreibung der Neurechten als wissende Außenseiter. Martin Sellner nutzt dafür etwa eine Anspielung auf den Widerstand beschreibenden Essay „Der Waldgang‟ des antidemokratischen Schriftsteller Ernst Jünger (1895-1998): „Wer bei seinem digitalen Waldgang weiter ungestört seine Schneise schlagen möchte, der kann sich hier bei Gab anmelden, einige bekannte Dissidenten sind schon im Boot.“
Hintergrund war das Deplatforming, dem extrem rechte Akteur*innen auf einigen Social-Media-Plattformen ausgesetzt sind, was Sellner als totalitären Akt betrachtet. In einem anderen Artikel verdeutlicht er seinen Standpunkt: „Meinungen, die aus dem Vertretbarkeitsrahmen fallen, drohen hingegen brutale Konsequenzen. Sie gelten als unsagbar, werden emotional mit ‚Unreinheit‘, ‚Krankheit‘ und moralischer Verwerflichkeit assoziiert. Die Vertreter dieser Meinung werden folglich sozialer Ausgrenzung, wirtschaftlichen Boykotten, Gewalt und Terror ausgesetzt.“
Inwiefern nutzt die Technik der Insinuation neurechten Akteur*innen? Mittels Insinuation können Neurechte ihre Narrative in aktuellen Debatten platzieren, ohne dass sie sofort von allen erkannt werden. Sie nutzen Popkultur (z. B. Serien, Filme, TikTok-Trends) und unterbreiten ihrem Umfeld ein Partizipationsangebot: Diejenigen, die die Insinuation verstehen, werden zu Eingeweihten, Wissenden. Outsider*innen bleiben außen vor, denn Insinuationen in Memes arbeiten mit dem Vorwissen der Betrachter*innen. Diese gewinnen den Eindruck, selbst zu interpretieren. Diese Interpretation des Insinuierten dient nicht der Aufklärung, sondern soll einen ‚Aha-Effekt‘ auslösen, der bereits bekannte Vorurteile verstärkt (beispielsweise die Annahme, Deutschland werde zu einer „woken“, „links-grün versifften“ Diktatur). Auf Outsider*innen kann der verschlüsselte Charakter der Insinuation aber auch aktivierend wirken, sich in die extrem rechten Bezüge einzuarbeiten, bis sie verstanden werden.
Radikalisierung der gesellschaftlichen Mitte
Die präsentierten Techniken zielen darauf ab, Betrachtende an extrem rechte Narrative heranzuführen, ohne sofort auf Abwehr zu stoßen. Eigene (Vor-)Urteile sollen ‚humoristisch‘ verstärkt werden, statt diese aufzulösen. In der Folge radikalisieren sich Betrachtende, obwohl sie sich selbst nicht unbedingt als rechtsoffen oder gar extrem rechts sehen. Die Radikalisierung der gesellschaftlichen Mitte ist so auch ohne die massenhafte Verbreitung extrem rechter Einstellungen möglich. Humor, der Abwertungen wie Rassismus und Antisemitismus oder Gewaltfantasien gegen Gruppen enthält, kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu: Denn wenn Menschen bereits über ein Meme gelacht haben, sind sie oft bereit, dessen Inhalte gegen Kritik zu verteidigen, selbst wenn sie diese in anderer Präsentationsform nicht unterstützt hätten – dann wird etwa Holocaust-Leugnung verteidigt, weil „Humor‟ angeblich so etwas erlaubt sein müsse. Die Ideologie sickert damit ein.
Neurechte Memes könnten in diesem Kontext als eine modernisierte Form der Propaganda beschrieben werden – und eben nicht als ‚harmloser‘ Diskussionsbeitrag zu einer demokratischen Öffentlichkeit. Der neurechte, metapolitische Kulturkampf ist also kein weiterer Diskurs, sondern der Versuch, demokratische Debatten zu imitieren, zu dominieren und letztlich zu überwinden.
Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre:
Amadeu Antonio Stiftung / MISRIK:
Kreative, ans Werk! Memes in extrem rechter Internetkommunikation
Berlin 2023