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Kreative, ans Werk! Was machen rechtsextreme Memes?

Ein Beispiel für eine Meme-Kampange diesen Jahres war der #stolzmonat als Verächtlichmachung des #pridemonth. (Quelle: Screenshots / Collage: Amadeu Antonio Stiftung)

Zwei Aspekte helfen, die Frage zu klären, was rechtsextreme Memes bewirken. Einerseits haben die Memes selbst diskursive, narrative oder kommunikative Wirk- und Funktionsweisen und (mehr oder weniger versteckte) Botschaften. Damit Memes aber zu einer politischen “Waffe” werden können, müssen sie viral gehen, also große Gruppen noch unbekannter Öffentlichkeiten erreichen – was als Möglichkeit in jedem Meme vorhanden ist.

Der Begriff der Viralität ist aber zumindest teilweise irreführend. Memes verbreiten sich eben nicht wie ein Virus, selbstständig und unkontrollierbar. Es sind Menschen, die die memetische Praxis des Variierens, Multiplizierens und Teilens praktizieren, als soziale Handlung, in der soziale oder ethnische Zugehörigkeit ausgedrückt wird. Der zweite Aspekt betrachtet Memes daher als Teil digitaler Kommunikationspraxis und fragt: Was machen Akteur*innen mit Memes? Wie setzen sie sie ein? Welche soziale Funktion haben Memes? Welche Rolle spielen Memes für die gemeinschaftsstiftende Kommunikation? Wer memet für wen und warum? Diese Fragen lassen sich nicht mit Blick auf Memes als vereinzelte Artefakte untersuchen. Die scheinbar banale Frage “Was macht ein Meme zu einem extrem rechten Meme?” lässt sich nicht ohne den Blick auf das Umfeld beantworten: Von wem wird das Meme wo auf welche Art und Weise eingesetzt und zu welchem Zweck?

Memepraxis

Es gibt vier verschiedene Techniken oder Praktiken des Memeings: Lauern, sammeln, teilnehmen und produzieren [1].

Die erste und am wenigsten sichtbare Form der Beteiligung ist das Lauern. Insbesondere digitale Orte, die stark von Anonymität bei gleichzeitiger Offenheit geprägt sind, eignen sich zum Lauern, also der passiven und unsichtbar bleibenden Beobachtung. 4chan und andere Imageboards, reddit, lachschon und TikTok laden dazu ein, viel Zeit dort zu verbringen, sich durch algorithmische Schneeballprinzipien leiten zu lassen, ohne je selbst aktiv werden zu müssen, zum Teil sogar, ohne sich auch nur einen Account erstellen zu müssen. Dabei verstehen Betrachter*innen die Funktionsweise des in den jeweiligen Gruppen oder Netzwerken vorherrschenden Humors im Laufe der Zeit immer besser. Sie beginnen, Insiderwitze zu verstehen und sich als Teil der jeweiligen Gruppe zu fühlen, ohne dass sie für diese überhaupt in Erscheinung getreten sind.

Die zweite, eng mit dem Lauern verbundene Praxis ist das Sammeln von Memes. Es ist eine im Wesentlichen unsichtbare, konsumierende Praxis, die es nicht notwendig macht, mit anderen Akteur*innen in Kontakt zu treten. Für viele Memetiker*innen ist das Sammeln von Memes der erste Schritt in die eigene Memepraxis.

Der dritte Schritt ist das Partizipieren an dem, was ein Meme überhaupt erst zum Meme macht: das Verteilen und der gezielte Einsatz von Memes in digitaler Kommunikation. Dies kann das Betreiben eines Memekanals auf Telegram, Instagram oder Twitter sein, oder die Bespielung eines Meme-Fadens auf Discord. Dort teilen Menschen dann mit der eigenen Followerschaft oder Community Memes, die sie besonders gelungen finden.

Ein nicht unwesentlicher Aspekt dabei ist das Kuratieren von Memes, also zu entscheiden, für welches potenzielle Publikum welches Meme geeignet ist. Ist es ein Meme für „öffentlichere“ digitalen Räumen wie Twitter, oder soll es nur in geschlossenen Gruppen oder auf eher internen Foren oder Discord-Servern geteilt werden? In welchen thematischen Strang oder welches Subforum gehört das Meme? Das Kuratieren zeigt ein praktisches Wissen über die Grenzen des Humors und der Akzeptanz in unterschiedlichen Adressatenkreisen, sowie ein Wissen um das memetische Vorfeld eines bestimmten Memes oder Symbols oder Texts. Wofür Accounts bei Twitter gesperrt werden (oder vor der X-Übernahme wurden), findet anderswo vielleicht Anerkennung. Was in einem allgemeinen Memekanal untergeht und keinerlei Reaktion hervorruft, wird in einem spezifischen Kanal als gelungener Witz gefeiert. Wenn dieses Kuratieren erfolgreich ist, dann wird es mit Reaktionen „belohnt“, die je nach sozialem Medium unterschiedlich ausfallen können (von Likes und Retweets bis zu Emoticons oder Gifs oder Meme-Varianten).

Die vierte Praxis des Memeings ist dann das Produzieren eigener Memes. Bereits das erfolgreiche Teilen und Kuratieren von Memes wird mit einem positiven Gefühl verbunden, mit dem Erleben von Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Das Teilen von Memes, ob selbst gebaut oder kuratiert, ist ein auf Gemeinschaft abzielender Akt. Der kreative Prozess des Meme-Bastelns ist eher ein vereinzelter Prozess, der durch einen kreativen Impuls ausgelöst wird. Das folgende Zitat, und alle weiteren wörtlichen Zitate, stammen aus Interviews mit Memetiker*innen und extrem rechten Trollen im Zuge der Untersuchung.

„Ich bekomm halt beim Anblick eines Bildes oder dem Lesen eines Satzes eine witzige Idee, die mich zum Lachen bringt und die wird dann umgesetzt. Unter Umständen während des Erstellens dann noch erweitert, ergänzt oder auch manchmal komplett überarbeitet.” 

In selteneren Fällen sei dieser Impuls ein Variationsimpuls,

„also, dass man ein Meme sieht und denkt… nee, das wär noch lustiger mit anderen Farben, oder wenn der Text so und so abgeändert wäre.“

Und auch wenn in vereinzelten Fällen gemeinschaftlich gememet wird, ist die tatsächliche Produktion eines Memes eine individuelle kreative Arbeit, wenn auch mit einer starken sozialen Komponente.

„Ich benutze das Wort „Meme“ ja auch meist in Anführungsstrichen, weil ja erst die Community es zum Meme macht“.

Die Adressat*innen von Memes

Memes als Teil rechtsextremer digitaler Praxis richten sich sowohl nach außen, als metapolitisches Werkzeug, als auch nach innen. Dabei helfen unterschiedliche kommunikative Mechanismen, extrem rechte Narrative zu verbreiten – oft sogar, ohne offen rechtsextrem aufzutreten.

“Ein Meme kann teilweise die komplexesten Alltagssituationen mit minimalsten Grafiken und Worten visualisieren. Es werden auf komprimierteste Art Tausende von Sinnzusammenhängen abgerufen. So unmittelbar und eindrücklich, dass wir es sofort verstehen, worum es geht, ohne großartig darüber nachdenken zu müssen. […] Bei humorvollen Redpill-Memes ist das genauso. Wobei dieses intuitive Verständnis keineswegs ‘primitiv’ sein muss. Ich denke, dass unsere Intuition oftmals viel reichhaltiger und adäquater ist, als wenn man anfängt, die Sachverhalte zu ‘zerdenken’.”

Einerseits sind Memes, Symbole oder sprachliche Codes ganz zentral für das Entstehen und den Zusammenhalt einer subkulturellen Gemeinschaft. Wer sich als marginalisierte Gruppe begreift, als die Ausgestoßenen oder Unterdrückten der Gesellschaft, für den ist Anonymität eine wichtige Ressource –  und so muss über andere Marker Zugehörigkeit und Gruppenidentität hergestellt werden. Andererseits gibt es das erklärte metapolitische Ziel, den sogenannten „Normie“ zu erreichen und langfristig gesellschaftliche Mehrheiten für die heute noch als deviant geltenden Positionen zu erlangen. Metapolitisch erfolgreich ist ein Meme, wenn ihm beides gelingt: sowohl nach innen als auch nach außen zu kommunizieren. Memes ermöglichen genau diese Doppelkommunikationsstrategie und werden deshalb auch von politische Aktivist*innen genutzt.

„Ich bin mal ehrlich. Die roten Pillen sind ziemlich groß und tun weh beim Runterschlucken. Memes lockern alles auf. Ich will nicht in der Ecke sitzen und weinen, weil „DIE LINKEN“ TM und ((( ))) soviel scheiße bauen. Ich will herzhaft lachen über diesen Müll. Gemeinsam mit ein paar anderen lustigen Leuten. Deswegen bin ich [hier] […]. Die Memes enthalten schlicht Wahrheiten, die du begreifst, wenn du tief im Kaninchenbau bist und sind dadurch nochmal lustiger. Memes sind wie Mathematik. Ich kann mit Leuten sprechen, die meine Sprache nicht kennen, aber wir wissen trotzdem beide was gemeint ist.“

Memes erscheinen hier als eine Art Schmerzmittel, das diese Konsequenzen der wahrgenommenen Übermacht der Gegner*innen abmildern kann. Und die Formulierung „ich will herzhaft lachen über diesen Müll. Gemeinsam mit ein paar anderen lustigen Leuten“ verdeutlicht, wie zentral Memes für das Herstellen einer „Gemeinschaft der Ausgestoßenen” sind. Die darin enthaltenen Wahrheiten begreife nur, wer schon „tief drin sei“ im Kaninchenbau. Sie dienen also auch der Selbstbestätigung. Dies wird auch durch die Verwendung memetischer Sprache in Rabats Wortbeitrag deutlich. Sowohl das „TM“ hinter dem in Kapitälchen geschriebenen „Die Linken“ als auch die drei Klammern, lassen sich als para-memetische Sprache fassen. Das TM steht für trademark und firmiert im genutzten Zusammenhang als Postfix, um zu kennzeichnen, dass „die Linken“ heutzutage sozusagen ein inhalts- und substanzloser Markenname sei. Die drei Klammern fingieren als antisemitische Chiffre für „die Juden*Jüdinnen“. Sie wurden auf 4chan um Namen gesetzt, um die Träger als jüdisch bzw. „jüdische Interessen” vertretend zu kennzeichnen. Durch die Nutzung dieser Chiffren oder Codes wird hier nicht vordergründig die fragende Forscherin adressiert, sondern die anderen Nutzer*innen des Discord-Servers. Einerseits lotet der Post aus, inwieweit die Sprachsymbolik der rechten Trollszene bekannt ist und ob eine bzw. welche Reaktion darauf folgt, andererseits nutzt er die para-memetische Sprache als „Insider-Mathematik“ (um in seinem Sprachbild zu bleiben) für Gleichgesinnte.

Extrem rechte Memepraxis ist also einerseits spaßiges Mittel des Gemeinschaft-Erlebens und andererseits metapolitische Waffe. Während Memes nach innen gemeinschaftsbildende Funktion haben, sollen sie nach außen auf vermeintlich harmlose Weise (“ist doch nur Spaß”) auf etwas hinweisen, was innerhalb der extrem rechten Szene als „Problem“ wahrgenommen wird (etwa Einwanderung aka „Massenmigration“), also als potenzielle “Red Pills” eingesetzt werden [2].

Digitale Vergemeinschaftung durch gemeinsames memetisches Sprechen

Insbesondere in der gemeinschaftsstiftenden Kommunikation nach innen werden Memes als eine Form des gemeinsamen Sprechens eingesetzt. Hierbei werden selten klassische Bild-Memes eingesetzt und eher sprachliche Verkürzungen, Codes, Emojis oder andere para-memetische Formen des Sprechens. Charakteristisch ist dabei die Schnelllebigkeit dieser Form der Insiderkommunikation, die ganz stark auf Eingeweihte abzielt. Dies zeigt sich etwa in den Livechats bei Streams, aber auch auf Discord, in den Kommentaren von YouTube-Videos und überall dort, wo (flüchtige) digitale Gemeinschaften entstehen.

Ein prominentes Beispiel dafür wären Verballhornungen des Fränkischen (“meddl”, “Loide”, “Nadsi”), wie sie im sogenannten “Drachengame” verbreitet sind und sich in andere, insbesondere extrem rechte digitale Subkulturen verbreiten.  Ähnlich weit verbreitet ist die verächtliche Verwendung von “ens” als genderneutrales Pronomen oder als genderneutrale Wortendung. Beide verweisen auf Lann Hornscheidt, Professor*in für Sprachwissenschaften. Hornscheidts Beitrag zu genderneutralem Sprechen in der Tagesschau ist zu einem extrem rechten Meme geworden.

Ein anderes Beispiel wären neurechte Begriffssetzungen wie “Remigration” statt “Abschiebung” oder populärkulturelle Referenzen, wie die Red Pill oder der Kaninchenbau. Der Gebrauch von Memes, von Emojis, die ironische Aneignung von diffamierend gemeinten Begriffen des politischen Gegners (Hetzende, Hasssprecher, Kaggnadsis) und der ironische Gebrauch von gendersensibler und rassismussensibler Sprache (die damit als lächerlich markiert wird) sind unterschiedliche Formen des gemeinschaftsstiftenden Sprechens in der extrem rechten Digitalszene.

Man könnte all diese Formen des Sprechens als “memetisches Sprechen” zusammenfassen: Durch Insiderwitze oder Dogwhistles (also Andeutungen) entsteht eine Gemeinschaft, die sich vor allem auf Abgrenzung von einem als Gegner oder Feind markierten Anderen definiert. Ein nicht unwesentlicher Faktor ist dabei die Selbstwahrnehmung und -darstellung als deviante, ausgegrenzte Gruppe, als die rebellischen “Schmuddelkinder”, mit denen niemand “spielen” will.

Das erfolgreiche “Benutzen” oder Einsetzen von Memes oder memetischem Sprechen lässt eine Gemeinschaft durch Partizipation entstehen. Durch die Nutzung der gleichen memetischen Sprache werde ich Teil einer Gruppe, ohne dass jemand zustimmen muss und ohne dass ich die anderen kenne. Dadurch entstehen digitale, fluide Gemeinschaften, die je stärker affizierend wirken, desto stärker ich mich einbringe – eine Art “Mitmachfaschismus.”


Mitmachfaschismus

Ein Beispiel dafür, wie Memes als niedrigschwelliges partizipatives Mittel eingesetzt werden, ist eine der jüngsten “Erfolgskampagnen” der deutschsprachigen extrem rechten Szene. Die queerfeindlich-nationalistische Kampagne arbeitete sich an den Regenbogen-Flaggen des Pride-Monats ab und nutzte den Hashtag #stolzmonat, dazu Profil- und weitere Bilder mit einer Deutschlandflagge, die nach dem Vorbild der Pride-Flagge einen Farbverlauf zeigt. Es beteiligten sich rechtsalternative Trolle, extrem rechte Politstrateg*innen und Influencer*innen, Afd-Funktionär*innen, Mitglieder der Jungen Alternative und andere Akteur*innen, die dem Umfeld der selbsternannten “neuen Rechten” zuzuordnen sind. Sie feuerten zahlreiche Tweets, Memes und Kommentare ab und erschienen in der ersten Juniwoche 2023 über mehrere Tage in den X (Twitter)-Trends. Die Botschaft war: Mach mit. Wir sind viele. Du kannst Teil einer coolen, rebellischen, lustigen Gegenbewegung sein.

Scheinbar nebenbei diente die Aktion der Vernetzung einer bis dato häufig nur lose verbundenen rechtsalternativen Szene auf X (früher Twitter). Viele kleinere Accounts konnten ihre Followerzahlen verdoppeln oder verdreifachen. Bereits reichweitenstarke Accounts wuchsen zu großen Vernetzungsaccounts an. Der #stolzmonat war zu einem gewissen Grad koordiniert. Es entstanden Meme-Repositorien (Sammlungen) auf Discord und Telegram, mit der Einladung an alle, sich fleißig daran zu bedienen, und begleitet von dem Aufruf, kreativ mitzumischen. Im Verlauf der Aktion entstanden eine Reihe von explizit spielhaften und kompetitiven Elementen, wie etwa die #Stolzmonatherausforderung. Unfreiwillige “Mitspieler*innen” im “Stolzmonat” war auch die “Gegenseite”, deren – idealerweise – empörte Reaktion von Anfang an Teil der Gleichung war und bewusst hervorgerufen wurde: Etwa durch “Stolz”-Kommentare und Memes unter Beiträgen zum Pride-Monat, gern auch mit veränderten gegnerischen Memes, bei denen die Pride-Farben durch “Stolzmonat”-Farben ersetzt wurden. Einer der Initiatoren der Kampagne bezeichnete den “Stolzmonat” auf X (Twitter) ironisch als „gruppendynamische Prozesse“ und griff damit einen Ausdruck auf, mit dem rassismussensible Berichterstattung in den Medien vermeintliche gewaltvolle Entgleisungen etwa in der Berliner Silvesternacht 2022 umschrieben hatte. Es sind präzise die spielerischen, kompetitiven, und „spaßigen“ Momente des memetischen Faschismus, die diesen kennzeichnen und erfolgreich machen.

 

Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre:

Amadeu Antonio Stiftung / MISRIK:

Kreative, ans Werk! Memes in extrem rechter Internetkommunikation

Berlin 2023

PDF zum Download hier.

 

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