„Kreative, ans Werk!“ –Mit dieser Aufforderung an das extrem rechte Internetspektrum beschließt der neurechte Publizist Nils Wegner seinen Beitrag in der extrem rechten Publikation Sezessionmit dem Titel „Meme: kognitive Biowaffen im Informationskrieg?“ Mit diesem Appell adressiert Wegner Nutzer*innen sozialer Medien als potenzielle Aktivist*innen eines extrem rechten Kulturkampfs. Sie sind nicht nur Empfangende, sondern auch Erschaffende politisch einschlägiger Inhalte, die in Form von Text-, Bild-und Ton-Arrangements eine möglichst große Zahl von Menschen erreichen oder dies zumindest sollen. Mittels Memes streut ein sich modernisierender Rechtsextremismus seine Erzählungen in politische Debatten und private Lebenswelten ein.
Im Sinne der sogenannten Metapolitik gerät der vermeintlich vorpolitische Raum ins Visier: Ziel ist es, durch das Setzen oder Besetzen von Begriffen und Bildern eine Deutungshoheit zu erlangen, der dann –so die Strategie –ein umfassender politischer Wandel folgt. Die vorliegende Veröffentlichung geht Memes als politischem Phänomen auf den Grund: Was genau sind eigentlich extrem rechte Memes? Wie werden sie zu einer Waffe im Meinungskampf? Welche Mechanismen und Wirkungsweisen lassen sich beobachten? Findet qua Memes kommunikative Vergemeinschaftung statt? Inwiefern sind sie ein Instrument der Ideologieverbreitung? Memes geben der von Rechtsaußen befeuerten „autoritären Revolte“ (Volker Weiß) einen bunten, popkulturellen Anschein. Doch Ungleichwertigkeit, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Volksgemeinschaftsfantasien bilden noch immer den Kern extrem rechter Politik. Diese Veröffentlichung versteht sich als Ressource für diejenigen, die über den antidemokratischen Kulturkampf aufklären und dessen strategisches Vorgehen durchkreuzen möchten.Die folgenden Ausführungen fußen auf den Erkenntnissen des BMBF-geförderten Verbundprojektes „Meme, Ideen, Strategien rechtsextremistischer Internetkommunikation“ (MISRIK). In dem interdisziplinären Vorhaben arbeiten Ethnolog*innen, Informatiker*innen, Philosoph*innen, Politikwissenschaftler*innen und Soziolog*innen. Weitere Informationen zum Forschungsprojekt findet Ihr auf www.misrik.de
Die Publikation finden Sie hier als PDF zum Download. Belltower.News veröffentlicht die Kapitel als einzelne Artikel in den nächsten Tagen.
Was sind extrem rechte Memes?
Extrem rechte Memes sind Memes, die extrem rechte Inhalte transportieren, sich extrem rechter Ausdrucksmittel bedienen oder für extrem rechte Zwecke eingesetzt werden. Unter „extrem rechts“ verstehen wir hier die Gesamtheit rassistischer, antisemitischer, queerfeindlicher, nationalistischer und völkischer ideologisch-politischer Ziele, Einstellungen, Inhalte, Ausdrucksformen, Symbole und Verhaltensweisen. Zum Begriff des “extrem Rechten” gehört außerdem, von einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft auszugeben, was sowohl zur Ablehnung der Gleichwertigkeit aller Menschen und als auch der freiheitlichen Demokratie führt. Zu den Einstellungen kann auch Gewalt als Mittel der Durchsetzung der Ideologie kommen. Extrem rechte Einstellungen können sich in geschlossenen Weltbildern ausdrücken, begegnen uns aber auch in Form ‚kleiner‘ Erzählungen, Ideen oder Forderungen, die sich teilweise als Kritik tarnen, aber zu übergeordneten extrem rechten Erzählmustern gehören. Diese Unterscheidung ist wichtig, um die spezifischen Eigenschaften extrem rechter Memesbeschreiben und verstehen zu können. Doch was sind Memes?
Internet Memes sind Kommunikationsakte, die sich spezifisch digitaler Mitteln bedienen und so über das Internet verbreitet werden – etwa auf sozialen Medien. Meistens begegnen uns Memes als humorvolle Text-Bild-Arrangements in einem typischen Grafikstil, die etwa ein aktuelles Thema verarbeiten und Positionen ironisieren.
Die Geschichte der Memetik
Aber es gab schon Meme vor dem Internet: Der Terminus „Meme“ (dt. auch: „Mem“) wird auf den britischen Evolutionsbiologen Richard Dawkins zurückgeführt, der ihn 1972 in seinem populärwissenschaftlichen Buch The Selfish Gene aufgriff, um in Analogie zu Genen kleine Einheiten kultureller Information zu charakterisieren. Seine Intuition war, dass sich Meme –an dieser Stelle bietet sich der deutsche Terminus in Unterscheidung zum Internet Meme an –als kleine Päckchen kultureller Phänomene durch Nachahmung von Gehirn zu Gehirn ausbreiten, etwa im Fall einer verfangenden Redewendung, die nach und nach in einer Sprachgemeinschaft durchsetzt, oder einer Melodie, die einfach „im Ohr“ liegt. Interessant ist, wie Dawkins populärwissenschaftliche Spekulation zur Genetik zum Vorbild für den Begriff des Internet-Memes wurde –schließlich war die digitale Revolution 1972 in ihrer Breite noch gar nicht absehbar. Bis Ende der 1990er Jahre entwickelte sich eine lebhafte Diskussion zur „Memetik“, die eine Wissenschaft „des Mems“ sein wollte. Dawkins‘ nur spekulativ gemeinter Begriff wurde zum zentralen Bezugspunkt gemacht, obwohl Dawkins das nicht beabsichtigt hatte: Im essayistischen Sammelband The Mind’s I (1981), der philosophische Beiträge zu Fragen des Geistes und des Selbst aufbot, zitierten die Autoren Douglas R. Hofstadter und Daniel C. Dennett Dawkinsso geschickt, dass es schien, dieser hätte eine „Theorie des Mems“ vorgeschlagen -was gar nicht der Fall war. Mit dem Erfolg des Sammelbands wurde die Dawkins zugeschriebene Idee des Mems damit selbst memetisch. Sie wurde zunächst populärwissenschaftlich, schließlich auch in eigens gegründeten Fachzeitschriften wie dem Journal of Memetics diskutiert und weiter ausgearbeitet. Die Wissenschaft des Mems blieb trotz aller Bemühungen eine Episode, die Anfang der 2000er Jahre endete, nachdem die Theoretiker*innen noch immer nicht zu einer geschlossenen Theorie gelangt waren.
“Viren des Geistes”, die “mit Ideen infizieren”
Wenn wir heute unter „Memes“ nur ein Internet-Phänomen verstehen wollen, dann übersehen wir also eine lange Diskussionslinie. Die Rede war aber auch damals schon von Memen als „Viren des Geistes“. Es geht dabei um die Vorstellung, Menschen ließen sich mittels „memetischer Kommunikation“ gezielt beeinflussen, quasi „mit Ideen infizieren“. Diese Auffassung entstammt dem Marketing, wo die Rede vom Mem auf fruchtbaren Boden fiel, um ältere Ideen zur Propaganda, aus der sich das Marketing entwickelt hatte, wieder aufzugreifen.
Die Vorstellung, Meme infizierten die Gedanken argloser Menschen unter Ausnutzung der menschlichen Lust an der Nachahmung, ist eine verführerische Metapher. Sie unterschlägt aber die Handlungs-und Entscheidungsfreiheit, mithin die Verantwortung des einzelnen Menschen. Ebenso konnte die Vorstellung geistes-und sozialwissenschaftlich nicht überzeugen, Meme bildeten kleinste kulturelle Einheiten: Für Forschungsfragen etablierter Forschungsfelder war der unterbestimmte Begriff schlicht nicht nötig. Es schien sich bei ihm vielmehr um einen verführerischen, aber bei genauerem Hinsehen leeren Begriff zu handeln, also um einenBegriff, der sich weder klar definieren noch empirischen eindeutig fundieren ließ und auch keine eigene Erklärungskraft entfaltete.
In der Folge schliefen wissenschaftliche Diskussionen zur Memetik in den frühen 2000er Jahren ein und hielten sich nur in der Populärwissenschaft wie im Bereich des Coachings und der Beratung. Es lässt sich aber auch zeigen, dass derartige Vorstellungen von Memen als Vehikel für Kultur und damit als Mittel der Beeinflussung in Teilen der rechten Szene weiter verfangen haben und den „memetischen“ Kommunikationsstrategien der rechten Szene zugrunde liegen. Reden wir also von extrem rechten Internet Memes, so meinen wir immer beides: lustige Text-Bild-Arrangements unddie Vorstellung, man könnte mit ihnen Menschen unbemerkt beeinflussen, um sie für eine (politische) Sache zu gewinnen.
Wie das Mem zum Internet-Meme wurde
Die Vorstellung einer Memetik als einer Weiterentwicklung von Kulturwissenschaft und Marketing/Propaganda lässt sich also in der Beschäftigung mit extrem rechten Internet Memes nicht endgültig zu den Akten legen. In den 1990er Jahren hatte der Begriff MemesDiskussionen um das sich damals auch unter Privatanwender*innen ausbreitende Internet inspiriert: Im englischsprachigen Raum war es wohl die Zeitschrift WIRED und im deutschsprachigen das Online-Magazin TELEPOLIS des Heise-Verlags, die den Begriff übernahmen und zur Beschreibung von Trends und Nachahmungsverhalten „im Internet“ vorschlugen, als Mitte der 1990er Jahre ein Begriff zur Beschreibung von Nachahmungsphänomene im neu entstehenden World Wide Web und anderen digitalen Internet-Diensten gesucht wurde.
Am bekanntesten ist vielleicht die 1993 von Achim Held erfundene Behauptung, die sich 1994 im Diskussionsdienst USENET verbreitete und zum running gagwurde: Die Stadt Bielefeld gäbe es nicht. Diese berühmte Bielefeld-Verschwörung darf als frühes Internet-Mem zählen, und es handelt sich um eine Erzählung, die immer wieder abgewandelt nachgeahmt wurde: Als bissige Bemerkungen auf Partys, als Kommentare im Internet, als überklebte Straßenschilder und sogar in Form eines Spielfilms, womit die spielerische Natur des Memens deutlich wird. Hier lassen sich die klassischen Eigenschaften von Memesnachzeichnen: Die kleinen kulturellen Einheiten in der Dawkins’ zugeschriebenen Auffassung aktualisieren sich in einerseits flüchtigen, oft schnell wandelnden Ausdrücken, deren „Grundgedanke“ aber über die Zeit „im Prinzip“ stabil bleibt. Ein sich langsam wandelndes Mem wird in Serien sich immer wieder wandelnder Ausdrücke dargestellt, zwischen denen die Lust an der Nachahmung vermittelt. Das Internet habe, so die Sicht der 1990er und frühen 2000er Jahre, die Verbreitung von Memen lediglich intensiviert und beschleunigt.
Diffizile Definitionen
Viele diese Vorstellungen liegen auch dem engeren Begriff des Internet-Memeszugrunde, der sich spätestens im Web 2.0 mit den sozialen Medien und ihrer „Share“ (Teilen)-Funktion auf Bilder zuspitzte. Daher ist auch oft statt von Memesvon Bild-Memen die Rede, also von den bereits genanntenText-Bild-Arrangements. Erst mit Diensten wie TikTok, auf denen kurze Videoschnipsel geteilt werden, hat das Memedas Bewegtbild zurückerobert. Memes sind zwar klar als Memes zu erkennen, aber notorisch schwer zu definieren. Deshalb wird der Begriff oft einfach durch Beispiele erklärt. Meme-Definitionen, von denen es nicht wenige gibt, lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: Für die einen ist das einzelne Bild ein Meme, und Serien ähnlicher Bilder, die z.B. den gleichen Stil oder die gleichen Gestaltungselemente aufgreifen, sind eben genau das: Serien von ähnlichen Memes. Für Beschreibungen heißt das: Wir können leichter auf einzelne Bilder eingehen, aber ihre Zusammenhänge sind schwerer zu beschreiben.
Für die anderen sind die Serien selbst das nun ziemlich abstrakt verstandene Meme und die einzelnen Bilder sind bloß Verkörperungen. Hier wird recht abstrakt angenommen, dass die Serien irgendwie schon vor den Einzelbildern existieren. In der Beschreibung lassen sich dann Variationen und Mutationen der Memes leichter beschreiben, aber dafür werden auch die Abgrenzungen der Serien zueinander unklar.
Was also ist ein Meme? Für uns ist im Folgenden ein Meme das einzelne Bild und wenn wir von ähnlichen Memes, die zusammengehören, sprechen, sagen wir: Serien von Memes. Es reicht dennoch nicht aus, sich auf die einzelne Bilddatei zu beschränken, um das Phänomen der Internet-Memes zu erfassen –sonst wären auch Schnappschüsse aus dem Urlaub, Screenshots von Pressemeldungen oder die Fotografie eigenes Mittagessen bereits ein Meme. Internet-Memes sind über Ähnlichkeiten und Wiederholungen in kontinuierlich variierten Serien einzuordnende Text-Bild-Arrangements, die im Rückgriff auf pop-und netzkulturelle Themen, Symbole und andere Darstellungsmittel insbesondere politische und alltägliche Sachverhalte ironisch, humorvoll, mitunter aber auch verächtlich oder aggressiv, stets jedoch pointiert aufs Korn nehmen. Sie können als Bewegtbild auftreten (z.B. auf TikTok), sind meistens jedoch statische Bilder. Sie können aus feststehenden Bildern (z.B. aus einem Katalog wie auf imgflip.com/memegenerator) bestehen, aber auch mehrere Bilder wie in einer Collage zusammensetzen.
Sie haben keine starken formalen Gestaltungskriterien. Es gibt auch Memes ohne Text und sogar Memes ohne Bilder. Memes sind dabei stets gleichzeitig über-und unterbestimmt: Sie sind überbestimmt, da die von ihnen verwendeten Bildelemente selbst über komplexe Bedeutungszusammenhänge verfügen, etwa im Fall von Screenshots aus bekannten Filmen, sodass die Geschichte des Films immer mitgemeint wird. Dieser Bedeutungsüberschuss liefert neben Hintergrundwissen ein Reservoir für die Deutung eines Memes. Sie sind jedoch auch unterbestimmt, da sie stets interpretationsbedürftig und hiermit meist mehrdeutig bleiben, sodass eine Betrachter*in sich die Deutung eines Memes stets selbst „zusammenbasteln“ muss. In der Folge eigenen sich Memes gut zur Verbreitung ideologischer Inhalte: Die korrekte Deutung scheint nicht vorgeben, sondern wird von der Betrachter*in selbst gefunden, die damit ihre eigenen, schon bestehenden Auffassungen wiederholt.
Exkurs: Meme-Generatoren
Meme-Generatoren liefern eine Auswahl an Bildern, die leicht mit eigenen Texten versehen werden können. Das entlastet davon, selbst mit Grafikprogrammen zu arbeiten, sorgt aber auch für eine Vereinheitlichung der Memes. In diesem populären Beispiel liefert das Bild eine kleine Geschichte: Der Freund schaut einer anderen Frau hinterher, während er seine Freundin an der Hand hält, die empört neben ihm steht. Die Beschriftung gibt lediglich an, wie wir die Rollen der Geschichte gedanklich zu besetzen haben.
Was heißt das für extrem rechte Memes?
Extrem rechte Memes locken eher bestehende, etwa queerfeindliche und rassistische, Ressentiments hervor, als dass sie diese neu verbreiten. Anders formuliert: Memes sind nicht informativ, sondern betreffen eher Werthaltungen und markieren gerade im Fall extrem rechter Memes, wie die Betrachter*innen aus der Sicht der Ersteller*innen etwas verstehen und einschätzen sollen. Damit ähneln sie tatsächlich in vielen Aspekten Werbebotschaften, die ebenfalls immer wieder in Variationen wiederholt werden, um das Publikum für ein Produkt zu interessieren. Die extreme Rechte spricht hier freilich martialischer von “Bio-Waffen” und greift auch die Metapher von den Viren des Geistes wieder auf. Kurz: Sie ist offenbar von den Vorstellungen der untergegangenen Memetik überzeugt und will diese als Mittel der Metapolitik einsetzen.
Die Analyse extrem rechter Memes ist herausfordernder als die Untersuchung klassischer Bildmakro-Memes, die Schema folgen. Bildmakro-Memes bestehen immer aus einem Bild oder weniger Bilder, die in der Regel aus einer überschaubaren Menge meist lustiger Schnappschüsse ausgewählt werden, und aus Text, der die eigentliche Botschaft beinhaltet. Das Bild hat einen hohen Wiedererkennungswert und dient dazu, uns zu informieren, wie wir den Text lesen und verstehen sollen, ob er uns etwa traurig machen oder amüsieren soll. Bild und Text teilen sich dabei meist die Rollen von Setup und Punchline der klassischen Struktur von Witzen. Der Text wird in einer bestimmten Schriftart (Impact) in Großbuchstaben in Weiß mit einem schwarzen Rand gesetzt. Bei aller Kreativität sind Bildmakro-Memes formal-ästhetisch also sehr streng definiert und daher auch leicht zu analysieren. Sie bilden aber nur einen bestimmten Typ, der im Fall der extrem rechten Internet-Memes zudem nur sehr selten anzutreffen ist.
Extrem rechte Memes sind fast immer komplexer und beinhalten – oft auch ohne Text – kleine Geschichten und Botschaften, die sich nur entschlüsseln lassen, wenn man sich zumindest in Ansätzen in der extrem rechten Gedankenwelt auskennt. Hieran zeigt sich, dass extrem rechte Memes nicht nur nach außen kommunizieren, also extrem rechte Inhalte dem*der Betrachter*in quasi einimpfen sollen. Sie sollen auch nach innen hineinwirken in die extrem rechte Szene. In dieser Szene werden Memes auch gemeinsam erstellt, diskutiert und geteilt. Als besonders gelungen gelten dabei Memes, die beide Funktionen vereinen: Die Themen der Szene nach außen tragen und in die Szene hineinwirken. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn Memes mehrdeutig sind und auf mehrere Weisen verstanden werden können.
Die Doppelbödigkeit extrem rechter Memes lässt sich nur greifen, wenn wir sie als Sprache auffassen, die sich mit bildlichen Mitteln ausdrückt. Sie sind eine Sprache, insoweit sie eine Menge an Symbolen mithilfe einer überschaubaren Menge von Mustern verknüpfen – kurz: eine Grammatik aufweisen, die sich beschreiben lässt. Diese Grammatik extrem rechter Memes ist noch Gegenstand der Forschung.
Symbole in extrem rechten Memes
Ein verbreitetes, aber naives Verständnis von extrem rechten Memes zielt nicht auf ihre Grammatik, sondern fragt in erster Linie nach den verwendeten Symbolen. Tatsächlichen finden sich viele extrem rechte Memes, die Symbole verwenden, etwa „Pepe, den Frosch“ oder die „schwarze Sonne“ – ein aus drei gedreht übereinander gelegten Hakenkreuzen gebildetes Symbol aus der NS-Zeit. Die Szene erfindet aber auch permanent neue Symbole, sodass es auch für ihre Aktivist*innen selbst oft nicht leicht ist, Schritt zu halten. Andere extrem rechte Memes verwenden bewusst keine auffälligen Symbole, sondern transportieren extrem rechte Erzählungen, etwa bestimmte Verschwörungserzählungen, rassistische Tropen oder ein starkes, markierendes Freund-Feind-Denken.
Neben den Inhalten und Verweisen auf extrem rechte Symbole lassen sich typische Muster ausmachen, die eine Art Grammatik der extrem rechten Memes darstellen und mit denen sich diese ebenfalls erkennen lassen. So gibt es typische Darstellungsmuster, wenn Ungleichheit oder Ungleichwertigkeit von Menschen zum Ausdruck gebracht werden soll: Bildteile, die gleichgesetzt werden sollen, berühren sich. Wenn sie hingegen als ungleich ausgewiesen werden sollen, berühren sich Bildteile in den von uns untersuchten Datensätzen praktisch nie. Gerade dieses Element der Bildsprache extrem rechter Memes ist für die Codierung von Ungleichheitsideologien, wie sie für die extreme Rechte typisch sind, von großer Bedeutung.
Ein Vorteil, die Grammatik von extrem rechten Memes zu untersuchen, liegt darin, dass sich diese offenbar sehr viel langsamer ändert als die verwendeten Symbole und Anspielungen, die etwa oft aus gerade aktuellen Filmen oder Computerspielen stammen
Weitere Stil-Elemente
Weitere typische Gestaltungselemente extrem rechter Memes sind die Dekoration von Bildinhalten durch wertende Symbole, stilistische Verfremdungen oder Texte, die die Betrachter*in darüber informieren sollen, wie ein Bildelement zu verstehen ist. Besonders auffällig sind die stilistischen Verfremdungen, etwa diejenige, die unter dem Namen „Fashwave“ bekannt geworden ist und die für extrem rechte Memes typisch geworden ist. Der Grafikstil eines Memes kann bereits erste Hinweise geben, ob es sich um ein extrem rechtes Meme handelt. Da aber extrem rechte Memes stilistisch heterogen sind und auch Stile harmloser Memes übernehmen, muss ein solcher Verdacht noch mit Blick auf Symbole, Narrative oder typische Darstellungsmuster bestätigt werden.
Hinzu kommt aber noch: extrem rechte Memes sind manchmal auch historische Fotografien, die ohne jede erkennbare Bearbeitung und ohne Text wiedergegeben werden, sowie harmlos anmutenden Fotografien, etwa von picknickenden Familien. Bei den historischen Fotografien handelt es sich fast immer um Aufnahmen, die in irgendeiner Weise auf den Faschismus, meist in Gestalt des deutschen Nationalsozialismus, verweisen. Es ist dann der para-memetische Kontext, der darüber entscheidet, ob eine solche Fotografie dazu dient, über die Geschichte zu informieren, oder aber der memetischen Propaganda dient. Es macht etwa einen Unterschied, ob eine Fotografie des Eingangstors des Konzentrationslagers Auschwitz über einem Artikel zur deutschen Geschichte steht oder ob mit ihm auf ein Posting auf sozialen Medien
geantwortet wird.
Ganz ähnlich ist der Fall der Darstellungen von Führungspersonen des Nationalsozialismus wie Hitler oder Goebbels, von denen in extrem rechten Kreisen gerne historische Propaganda-Aufnahmen verwendet werden. In diesem Fall werden die Bilder durch ihren Verwen-
dungszweck oder ihre Verwendungsweise zu Memes, die sich allerdings nur aus ihrem Kontext heraus verstehen lassen. Auch hier kann man von Para-Memetik sprechen („para‟ bedeutet „neben‟): Nicht alles, was zum Meme gehört, lässt sich auch im digitalen Artefakt der Bild-Datei finden, sondern auch Verbreitungsdynamiken, -kontext, Wiederholungsmuster, Praktiken und begleitende Kommentare sind für das Verständnis von Memes entscheidend.
Subtiler ist der Fall der Memes der sogenannten „Tradwife“-Bewegung: Deren Anhänger*innen posten wohl arrangierte „Schnappschüsse“ von vermeintlich traditionellem Familienleben – darunter sowohl inszenierte Fotos in Instagram-Filter-Ästhetik als auch historische NS- oder Fünfziger-Jahre-Familienporträts. Es fällt jedoch auf: Stets sind weiße, blonde Familien zu sehen, die eine traditionelle Rollenverteilung zeigen. Gern arbeitet etwa die Tochter mit der Mutter in der Küche, während sich Vater und Sohn mit Autos beschäftigen oder Holz hacken. So ein traditionelles Familienbild ist natürlich nicht extrem rechts, aber die memetische Verwendung solcher Bilder ist für Teile des extremen Rechten typisch, die durch die Verwendung Normen setzen und Abwertungen ausdrücken wollen.
Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre:
Amadeu Antonio Stiftung / MISRIK:
Kreative, ans Werk! Memes in extrem rechter Internetkommunikation
Berlin 2023
Mehr Texte aus der Broschüre auf belltower.news:
- Was sind extrem rechte Memes?
- Was machen extrem rechte Memes?
- Memes als metapolitisches Mittel des extrem rechten Kulturkampfes
- Kommunikative Techniken in extrem rechten Memes
- Handlungsempfehlungen zum Umgang mit extrem rechten Memes