?Bad Nenndorf ist bunt statt braun!? ist auf einem Transparent zu lesen, das quer über dem Bahnhofsvorplatz hängt. Der ganze Platz ist mit bunten Fahnen, Transparenten und Plakaten geschmückt, die sich gegen Neonazis richten. Eins wird hier sofort deutlich: Die Rechtsextremen sind hier nicht erwünscht. Aus den Zügen, die in der kleinen Stadt halten, steigen den ganzen Vormittag immer wieder Menschen aus. Sie wollen gegen den geplanten Aufmarsch der Rechtsextremen demonstrieren und tragen deshalb Fahnen und Transparente bei sich. In einer Seitenstraße sammeln sie sich zu einer Kundgebung. Die Stimmung ist hier fröhlich und friedlich.
Trauer auf Neonazistisch: ?Stelltse alle an die Wand? und ?Bomben fürs System?
Gut eine Stunde vor Beginn des ?Trauermarsches? haben sich in der Nähe des Bahnhofes zunächst nur wenige Neonazis versammelt. Sie gehören eher der Kategorie ?Schläger? an und stellen dies auch bald unter Beweis: Drei von ihnen bedrohen erst verbal die versammelten Journalisten und laufen dann plötzlich los. Ein Neonazi klettert über die Absperrung, fällt dann aber hin und kann vermutlich nur deswegen von der Polizei daran gehindert werden, einen Pressefotografen zu verprügeln. Für ihn ist der Tag damit beendet, er muss aus Bad Nenndorf abreisen. Auch die anderen ?Kameraden?, die im Laufe des Vormittags in dem kleinen Kurort bei Hannover eintreffen, tragen ihre Gewaltbereitschaft offen zur Schau: ?Stelltse alle anne Wand und Feuer frei!? ist beispielsweise auf einem T-Shirt zu lesen. Und auch der Träger dieses Kleidungsstücks droht offen den Journalisten: ?Ihr werdet auch alle an die Wand gestellt!?, sagt er zu zwei Pressevertretern. Auf einem Transparent der Neonazis steht ?Bomben fürs System?. Darauf ist ein Reichsadler im Angriffsflug mit einer schwarz-weiss-roten Bombe zwischen den Krallen zu sehen. Zur Erinnerung: Die Rechtsextremen geben vor in Bad Nenndorf ebenso wie in Dresden den Opfern von Gewalt, Folter und Bomben zu gedenken. Wohl auch, weil noch vor Beginn des ?Trauermarsches? einzelne Neonazis unter dem Applaus der ?Kameraden? auch noch ein Anti-Nazi-Plakat und eine Flagge zerstören, ermahnt der Mindener Aktivist Marcus Winter in einer ersten Ansprache, seine Gefolgsleute in scharfem Ton, sich während der Demonstration ?anständig? zu benehmen.
Partymeile Bahnhofstrasse
Dann nehmen die Neonazis Aufstellung für ihren ?Trauermarsch?. Wie durch Zufall beginnt genau in diesem Moment in der Nähe eine Alarmanlage an zu schrillen. Dies ist aber nur ein kleiner Vorgeschmack, auf das, was die Rechtsextremen noch erwartet. Nach nur wenigen Metern passiert der ?Trauermarsch? einen Vorgarten. Hier singen und tanzen ältere Menschen fröhlich zu lauter Musik. Sie überdröhnt sogar die martialischen Trommelschläge der rechtsextremen Demonstration. Wieder gehen die Neonazis ein paar Meter weiter und wieder müssen sie an einer singenden und tanzenden Menschenmenge vorbei. Diesmal ist es eine Feier der Jüdischen Gemeinde. Die Menschen schwenken kleine Israel-Flaggen und singen jüdische Lieder. Die Neonazis blicken irritiert und genervt. Eine Polizistin kann sich dagegen das freudige Grinsen nicht verkneifen. Die ganze Route des ?Trauermarsches? entlang haben die Bad Nenndorfer kleine private Feiern organisiert. Das ist ihre Protest-Strategie. Denn: Die Partys lassen sich schlecht verbieten. Und so dröhnt die ganze Zeit von beiden Straßenseiten Musik, Gesang und Jubel über die Bahnhofstraße, auf der die Neonazis marschieren. Ungestört sind die Rechtsextremen somit zu keinem Zeitpunkt. Auch nicht während ihrer Zwischenkundgebung vor dem Wincklerbad.
Trauer? Geschichtsrevisionismus, NS-Verherrlichung und Größenwahn
Dort formieren sich die Neonazis nun kreisförmig für ihr ?Gedenken?. Worum es ihnen dabei aber in Wirklichkeit geht, hatten die Neonazis schon in ihrem Aufruf geschrieben: ?Die Aussagen und Geständnisse, die in Folterlagern wie dem Wincklerbad in Bad Nenndorf erpresst wurden, sind noch immer ein Ausgangspunkt für sogenannte Wahrheiten der etablierten Geschichtsschreibung?, ist dort zu lesen. Natürlich ist hiermit auch die historische Forschung über den Holocaust gemeint. Dass sich dieser Geschichtsrevisionismus mit einer positiven Einstellung zum NS-Regime paart, zeigt dann eine Rede auf der Zwischenkundgebung vor dem Wincklerbad. Hier werden SA-Männer als ?standhafte und aufrechte Männer, die vorbildlich und ehrenhaft ihre Pflicht als Soldaten? getan hätten, verherrlicht. Aber auch der Größenwahn der Rechtsextremen wird in einem Redebeitrag offenbar: So behauptet der Aktivist Dieter Riefling, die Neonazis hätten mit ihren ?Massendemonstrationen die Wehrmachtsausstellung zu Fall gebracht?. Der Großteil der Reden und des ?Gedenkens? geht aber im Lärm des Protestes unter. Dann nehmen die Neonazis wieder Aufstellung für den Rückmarsch. Und wieder müssen sie über die mit Sprüchen wie ?Bunt statt braun? bemalten und mit zahlreichen Plakaten und Transparenten geschmückten Straßen von Bad Nenndorf ziehen. Vorbei an zahlreichen kleinen aber lauten privaten Feiern. Bad Nenndorf ist an diesem Tag wirklich ?bunt statt braun?. Und friedlich.
Erfolgreiche Blockade in Bielefeld
Ein Teil der Neonazis reist an diesem Abend noch weiter nach Bielefeld. Dort hat Marcus Winter eine weitere Demonstration gegen ein linkes Jugendzentrum angemeldet. Doch rund 500 Gegendemonstranten verhindern den Marsch der Rechtsextremen durch die ostwestfälische Universitätsstadt. Unverrichteter Dinge müssen die Neonazis wieder in den Zug steigen. Dabei liefern sie sich Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Aggression, die in Bad Nenndorf von Anfang an bei den Rechtsextremen vorhanden war, entlädt sich nun ein weiteres Mal.
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