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Kreml-Propaganda goes Nahost Gnadenlose Israelis und umsichtige Russen

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(Quelle: Unsplash)

Seit dem brutalen Massaker, das Hamas-Terroristen am 7. Oktober an israelischen Zivilist*innen verübten, blickt die Welt auf Israel und Palästina. Erstmals seit dem 24. Februar 2022 steht somit ein anderer Krieg als Russlands Invasion der Ukraine im globalen Rampenlicht. Die Öffentlichkeit erörtert die Geschichte des Nahost-Konflikts und debattiert die Verhältnismäßigkeit der israelischen Großoffensive im Gazastreifen, nicht ohne mancherorts ins Antisemitische abzurutschen.

Russlands grenzübergreifende Desinformationsmaschine reagiert ebenfalls auf die veränderte Nachrichtenlage. Auch der deutsche Ableger des Kreml-Senders Russia Today (RT DE), reichweitenstarke Telegram-Kanäle wie jener der „Putin-Influencerin“ Alina Lipp und Thomas Röpers prorussischer Verschwörungsblog „Anti-Spiegel“ bemühen die Evergreens russischer Kriegspropaganda zur Ausdeutung der Situation im Nahen Osten. Aufrichtige Anteilnahme oder tiefgehende Analysen sucht man vergeblich, stattdessen gibt es Fake News und Verschwörungserzählungen. Das Ziel: „Den Westen“ diskreditieren und Russlands Krieg rechtfertigen. Die Mittel: Desinformation und die Dämonisierung Israels.

Westliche Provokationen

Prorussische Kanäle betonen an erster Stelle, die Regierungen im Westen seien im Nahost-Konflikt auf Eskalation bedacht. Putin selbst benennt in einer Rede, deren Übersetzung Röper am 30. Oktober veröffentlicht, die „herrschenden Eliten der USA und ihre Satelliten“ als „Hauptnutznießer der globalen Instabilität“. In Nahost wie in der Ukraine setze auch die Bundesregierung laut dem „Anti-Spiegel“ nicht auf Diplomatie, sondern auf die „parteiische Unterstützung einer Konfliktpartei.“

Screenshot von RT DE

Prorussische Akteur*innen parallelisieren somit beide Kriege. Gleichzeitig bemühen sie ein manichäisches Gut-Böse-Schema: Der blutrünstige, kriegstreiberische Westen stehe unversöhnlich einem friedliebenden Russland gegenüber, das sogar zu Verhandlungen mit der Hamas bereit sei.

Die antisemitischen Ausschreitungen in der russischen Teilrepublik Dagestan schreibt der Kreml folglich ebenfalls „westlichen Geheimdiensten“ zu. Als Beleg dient der Umstand, dass der Telegram-Kanal „Utro Dagestan“ – Ursprungsort der Pogromaufrufe – einst Ilja Ponomarjow nahestand. Ponomarjow ist eine dubiose Figur innerhalb der russischen Opposition. Er residiert in Kyiv und behauptet Kontakte zum rechtsextremen „Russischen Freiwilligenkorps“ und zu den Mörder*innen von Daria Dugina zu haben. Laut Kreml ist Ponomarjow somit Agent ukrainischer Kräfte, diese wiederum bloße Marionetten der USA.

Belegen lässt sich diese These mit Blick auf Dagestan indes nicht. Recherchen des unabhängigen Nachrichtenportals meduza zeigen, dass Ponomarjow seit mehr als einem Jahr nicht mehr in „Utro Dagestan“ involviert war. Hinter den Gewaltaufrufen in der Teilrepublik steht ein in Istanbul wohnhafter Admin, der dem Salafismus nahesteht. Ponomarjow rekrutierte ihn Anfang 2022 tatsächlich als Redakteur für den Kanal. Bereits seit Juli 2022 gehen der islamistische Admin und der russische Oppositionelle laut meduza indes getrennte Wege.

Ukrainische Waffen?

Unmittelbar nach den Anschlägen vom 7. Oktober 2023 behaupten kremlnahe Akteur*innen außerdem, die Hamas hätte Waffen aus der Ukraine genutzt. Sie teilen Videos, in denen vermeintliche Hamas-Terroristen Danksagungen nach Kyiv richten. Kurios: Bei einem dieser Videos räumt selbst Alina Lipp ein, dass es sich um eine Fälschung handle. Sie teilt dazu die vermeintliche Nachricht einer arabischsprachigen Leserin. Diese erklärt das stark fehlerhafte Arabisch des abgebildeten Kämpfers kurzerhand zum Beweis für eine israelische Inszenierung der Terrorangriffe.

Screenshot von Telegram

Solch kleinen Widersprüchlichkeit zum Trotz, bleibt man dem Narrativ von Waffen-Deals der Hamas mit Kyiv andernorts treu. Denn die Falschbehauptung diskreditiert nicht nur die Regierung von Präsident Selenskyj, sondern rückt vor allem westliche Staaten als die Lieferanten dieser Waffen in ein schlechtes Licht.

 „Doppelstandards“

Auch beim Thema Nahost kommen die deutschsprachigen Kreml-Apologet*innen nicht ohne den Topos „westlicher Doppelstandards“ aus. Sie behaupten, USA und EU hätten Israel einen Blankocheck für Gräueltaten ausgestellt. Lipp zitiert die Hamas und vergleicht die Bombardierung Gazas mit dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima. RT DE unterstellt Israel „grenzenlose Brutalität“, „die Zionisten“ würden absichtsvoll auf Zivilist*innen zielen. Das Vorgehen der IDF bezeichnete der Sender als „ethnische Säuberung des Gazastreifens.“ Hinter der kalkulierten Dämonisierung Israels steckt eine klare Botschaft: Der Westen schaue in Gaza weg, doch Russland unterstelle er fälschlich Kriegsverbrechen.

Röper referiert veröffentlichte Zahlen getöteter Zivilist*innen. Er vergleicht Gaza mit Mariupol, das russische Truppen im Frühjahr 2022 nach brutaler Bombardierung einnahmen. Seine zweifelhafte These: Israel habe in einem Monat mehr Zivilist*innen umgebracht als Russland in fast zwei Jahren. Nur: Das Gesundheitsministerium der Hamas unterscheidet bei seinen Opferzahlen nicht zwischen Kämpfern und Unbeteiligten und auch die Zahl von 9.800 getöteten Zivilist*innen in der Ukraine ist sehr vorläufig (Stand 8. Oktober 2023). Sie umfasst nur jene, deren Tod die UN bestätigen konnte, was in den von Russland besetzten Gebieten kein leichtes Unterfangen ist. Allein für Mariupol zirkulieren Schätzungen von 22.000 bis 75.000 Getöteten. Israels behauptete Inhumanität ausgerechnet mit Russlands „ausgesprochen umsichtigem“ Vorgehen in Mariupol zu kontrastieren, ist somit mehr als zynisch.

Ob die IDF bei ihrem Feldzug gegen die Hamas tatsächlich Kriegsverbrechen begeht, wird Jurist*innen die kommenden Jahre beschäftigen. Das ändert indes wenig an der Situation in der Ukraine: Anders als die Hamas nutzt Kyivs Armee Zivilist*innen nicht als Schutzschilde. Trotzdem griff Russlands Militär im Winter 2022 gezielt die ukrainische Energieinfrastruktur an. Aus besetzten Gebieten häufen sich Berichte über systematische Folterungen und die Verschleppung von Kindern.

Freilich haben wir es hier mit Kanälen zu tun, die auch das Massaker von Butscha als bloße Inszenierung abtaten. Stattdessen bemühen Lipp und Röper momentan alte Falschbehauptungen über einen vermeintlichen Genozid, den ukrainische Truppen seit 2014 an der russischsprachigen Bevölkerung der Ostukraine verübt hätten:  „Warum spricht der Westen Russland das Recht ab, Russen zu verteidigen, die angegriffen und bombardiert werden, wenn der Westen Israel das Recht einräumt, Israelis zu verteidigen?“ , schreibt Röper Mitte Oktober. Lipp wundert sich demgegenüber, dass alle über die Toten in Gaza sprechen, während die Weltgemeinschaft über den Donbas schweige.

Antisemitische Täter-Opfer-Umkehr

Empörung über den globalen Anstieg antisemitischer Vorfälle bleibt seitens deutschsprachiger Propagandist*innen indes weitestgehend aus. Röper bemüht wenigstens die rassistische Erzählung vom importierten Antisemitismus. Menschen wie Wirtschaftsminister Robert Habeck hätten „das Problem des wachsenden Antisemitismus also ganz persönlich mitzuverantworten, denn er gehörte zu denen, die ab 2015 jeden, der auf diese Gefahr hingewiesen hat, als ‘Rechtsextremen’ beschimpft haben.“

Viel eher müsse man laut „Anti-Spiegel“ und RT DE fragen, ob der proisraelische Kurs westlicher Staaten den Antisemitismus nicht sogar befördere. Bei Putins Auslandssender glaubt man, „dass israelische und US-amerikanische Politiker alles in ihrer Macht Stehende tun, um eine regelrechte Explosion des Judenhasses zu erreichen.“ Laut dem Telegram-Kanal „InfoDefenseDEUTSCH“ tue auch der „Jüdische Rat“ in Deutschland alles, „um dem Antisemitismus mehr Nahrung zu geben.“ „Nazi-Verbrechen rechtfertigen keine neuen Verbrechen“ heißt es noch bei RT DE. Diesen Rat hat man in Moskau selbst wohl nicht allzu ernst genommen.

Diese Zuschaustellung antisemitischer Täter-Opfer-Umkehr überrascht indes nur wenig. Schließlich rezipieren in Deutschland primär Rechtsradikale, Verschwörungsgläubige und antiimperialistische Altlinke prorussische Kanäle und auch der Kreml schreckt weder vor Antisemitismus noch anderen Ressentiments zurück.

 

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