HipHop als explizit schwarze Musik sollte von Rechts besetzt werden um, auch in dieser Jugendkultur agitieren zu könnnen. Da allerdings der Rock Nord kaum politische Bedeutung in der Neonazibewegung zufällt, blieben diese Forderungen weitestgehend ungehört und auch 2005 lässt „Nazi-HipHop“ weiter auf sich warten. Allerdings ist dafür in der Szene eine rege Diskussion um HipHop im Speziellen und einen völkischen Kulturbegriff im Allgemeinen entbrannt. Hier stehen völkische Hardliner unversöhnlich „jugendbewegten Modernisierern“ gegenüber.
Zwischen diesen Stühlen agieren diverse Strategen und Führungskader, die für ihre Ziele und Mobilisierungen eine breite Basis brauchen und denen somit jedes Agitationsmittel recht ist.
Doch auch die Popkultur bleibt indes nicht auf der Stelle stehen. Haben Bands wie Mia, wenn auch in einer naiven Verklärtheit, sich unlängst die Renationalisierung der Pop- und Alltagskultur auf die Fahnen geschrieben und die Diskussion um Radioquoten für deutsche Popmusik zur Patriotenfrage erklärt, so schwappt bereits die nächste Welle in dieselbe Richtung.
Nationalistischer HipHop von Artists wie z.B. Fler greift diese nationalen Töne auf und verstärkt sie durch die im HipHop üblichen aggressiven Ausgrenzungsbestrebungen. Wird die Diskussion der Neonazis also von der Realität eingeholt, oder ensteht eine Art „neue Rechte“ in der Popmusik, die aus einer gefährlichen Mischung aus Naivität und Marketingerwägungen die nationale Karte spielt, um im Gespräch zu bleiben?
Neonazikultur bisher
Noch Anfang der 80er Jahre gab es kaum Diskussionen um einen rechten Kulturbegriff in der Neonaziszene. Damals war die Szene auch keine Jugendbewegung und statt Diskussionen um verschiedene Musikrichtungen und Kleidung wandte man sich der Politik zu. In Organisationen wie FAP, NF und der Wikingjugend ging es als Minimalziel um die Aufrechterhaltung und Festigung eines völkischen Weltbildes, und zwar durch und durch. Als Fernziel stand die Wiederzulassung der NSDAP als Massenbasis für die erneute völkische Revolution auf dem Programm. Unter Kultur verstand man unter diesen Vorzeichen alles originär Deutsche. Somit hatte von bündischer Lagerfeuerromantik über Volks- und Marschmusik bis hin zu Klassik à la Wagner alles seinen angestammten Platz. Nicht mehr und nicht weniger.
Erste Kratzer bekam diese überschaubare Einheitskultur durch das massenhafte Auftreten von Skinheads in der Szene. Denn mit den Skinheads kam die Rockmusik. Rockmusik, die ihre Wurzeln unter anderen im Jazz und im Rhythm & Blues hatte, also alles andere als „arisch“ war. Doch dieser Umstand war nur kurzzeitig ein ernstes Problem, denn man einigte sich schnell auf die Formel, dass die von den rechten Skinheads konsumierte Rockmusik mitnichten etwasmit ihrem amerikanischen Original gemein hätte, sondern eine völlige Neuerfindung von Ian Stuart Donaldson (Sänger der Neonaziband Skrewdriver) sei. Also durch und durch weiße Rockmusik als Gegenentwurf zum amerikanischen „One-World-Einheitsbrei „. Mit dieser Erklärung gab sich ein Großteil der Szene dankbar zufrieden, wohl auch, da niemand das erhebliche Personenpotenzial der rechten Skinheads für immer ausgrenzen wollte.
Kaum mehr zu halten war dieser Kulturbegriff, als spätestens ab Mitte der 90er in diversen anderen Jugendkulturen massive rechte Strömungen sichtbar wurden. So gab es mindestens im Darkwave und im Blackmetal kaum zu leugnende Personenpotenziale, die offen mit der neofaschistischen Szene liebäugelten. In der rechten Szene selbst gab es andererseits einen nicht zu verachtenden Anteil, der gerne von rechts besetzte Punk/Hardcore-Musik sähe. Wurde beim Darkwave, gerade durch die Herausbildung des antimodernen Neofolk, noch eine relativ große Übereinstimmung mit dem völkischen Kulturbegriff konstruiert, so gelang dies bei Blackmetal oder gar Hardcore nicht mehr. Nach langen Diskussionen und der schliesslichen Aufgabe der Blockadehaltung seitens der Skinheadszene einigte man sich schließlich auf einen Kompromiss, der einen absoluten Paradigmenwechsel bedeutete und zur Herausbildung der rechten Jugendbewegung führte, wie wir sie heute vorfinden. „Es soll keinen mehr interessieren zu welcher Szene man gehört, sondern was er für uns, unsere Art und unsere Heimat tut.“ (Der Ruf nach Freiheit, 4/2001, S.46) hieß die Konsensformel, die den Aufbruch in eine neue kulturelle Ära markierte. Anfangs wurde die Bedeutung dieses Kompromisses von der völkischen Hardliner-Fraktion, die vor allem durch die Skinheadszene schon an rechte Rockmusik gewöhnt war, absolut unterschätzt und nicht weiter torpediert. Erst als neben den verschiedenen Musikrichtungen auch diverse andere jugendkulturelle Merkmale wie Piercings, Tätowierungen und bunter Alternativlook in die Bewegung Einzug hielten, dämmerte es den ersten und leiser Protest erhob sich. Doch aufzuhalten war diese Entwicklung nicht mehr. Vor allem der Duldung durch damalige Führungskader wie Christian Worch und Thomas Wulff war es wohl geschuldet, dass diese zaghaften Proteste der völkischen Strategen meist ungehört blieben. Insbesondere Christian Worch hatte zwar auch immer wieder seinen Unmut über derartige Entwicklungen bekundet, aber keinerlei Konsequenzen für seine Politik daraus abgeleitet. Auch die NPD, die als Organisation am ehesten hätte Einfluss nehmen können, entschied sich für steigende Mitgliederzahlen. Zu verlockend war anscheinend das stark gestiegene Mobilisierungs- und Agitationspotenzial durch die Öffnung in der Kulturfrage. Es wurde nach dem Motto: „erstmal irgendwie integrieren und später auf Linie bringen“ verfahren. Der ungeheure Personenzuwachs und die Masse der somit durchzuführenden Aufmärsche schien ihnen Recht zu geben. Erst später setzte sich die Erkenntnis langsam durch, dass man so zwar eine breite Basis erreichen konnte, diese aber ideologisch mindestens ebenso so ausdifferenziert ist, wie kulturell.
Lediglich um Jugendkulturen, mit denen offensichtlich überhaupt keine Übereinstimmung zu einem völkischen Weltbild konstruiert werden konnte, wurde nach wie vor ein großer Bogen gemacht und Subkulturen wie HipHop und Reggae blieben als „schwarze“ Kulturen aussen vor.
Diskussion um HipHop
Unter der Oberfläche schien es aber zeitweise heftig zu brodeln. So veröffentlichte die Rock Nord bereits im Jahre 2001 einen aus vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Beitrag unter der Prämisse „HipHop wird schneller weiß als ihr denkt“. Zum einen bemerkenswert, da die Rock Nord als klassische Skinheadzeitung nicht gerade offen für andere Jugendkulturen schien und darüber hinaus auch nicht gerade als Speerspitze der politischen Avantgarde in der rechten Sezene galt. In dieser Veröffentlichung stellte die Rock Nord die Frage, ob HipHop nicht von Rechts zu besetzen sei und beschwor eine baldige Herausbildung von neonazistischem HipHop herauf, den es in Ländern wie Frankreich und den USA schon vereinzelt gab. Interessanterweise wurde aber schon zu dieser relativ frühen Zeit nicht einmal ansatzweise der Versuch unternommen, eine Übereinstimmung mit einem völkischen Kulturbegriff zu konstruieren. Ob dieses aus Nichtvorhandensein eines solchen oder aus politischem Kalkül geschah, darf hinterfragt werden.
Diese Diskussion wurde allerdings 2001 fast ausschliesslich von bürgerlichen bis antifaschistischen Medien rezipiert und fand, wohl auch aufgrund der geringen Bedeutung der Rock Nord für die politische Szene, in der extremen Rechten selbst kaum Beachtung.
Erneut angestoßen wurde die Diskussion zwei bis drei Jahre später in diversen rechten Medien, vor allem im Internet. Diesmal waren es politische AktivistInnen, die die Diskussion erneut anheizten. Es brach ein offener Streit aus, in dem völkische Traditionalisten, Oldschool-Skinheads und scheinbare Modernisierer hart aufeinanderprallten. Die Diskussion erinnerte stark an die Diskussionen um die Integrierung der Skinheadkultur und des Black Metals in die Bewegung. Anders nur, dass die „Modernisiererfraktion „ähnlich der Rock Nord nicht die geringsten Anstrengungen mehr unternimmt, HipHop in ein völkisches Weltbild einzuordnen. Vielmehr wird konsumierte und gelebte Kultur getrennt; also HipHop hören und zu Volksmusik im Kameradenkreis tanzen. Ähnlich ist auch das Verhalten der politischen Kader in dieser Diskussion, sie ziehen sich erneut auf eine rein taktische Position zurück und begrüssen zwar nicht den Schritt hin in Richtung des gefürchteten Zeitgeists und der MTV-Kultur, sehen aber durchaus eine erneute Verbreiterung der Basis im Bereich des Möglichen. Auch wenn die Integration von Skinheadkultur und die Öffnung in Richtung der anderen Subkulturen schon mehrfach das Gegenteil bewiesen haben, glauben die Vertreter dieses Standpunktes immer noch an das nachträgliche Anerziehen von völkischen Kulturwerten. Doch auch wenn diese Diskussion mitlerweile an einem Punkt angekommen ist, wo man die Schaffung von Tatsachen erwarten dürfte, scheint es einfach keine neonazistischen HipHop-Bands zu geben, die diese Funktion übernehmen könnten und es muss sich so mit dem Hören von meist unpolitischem Mainstream-Rap begnügt werden. Diese Zeit nutzen völkische Gruppen massiv, um den endgültigen Untergang der deutschen Einheitskultur in der Szene heraufzubeschwören. In Zeitungen wie der „Jugendwacht“ und „Volk in Bewegung“ schwören sie ihre Anhänger auf deutsche Lebensweise und ihre Art der Leitkultur in endlos fortgesetzten Serien zu deutscher Kultur regelrecht ein. Im Verlaufe dieser Diskussion zeichnete sich schließlich ab, dass gerade die ursprünglichen Befürworter des HipHops mitlerweile eher zwischen den Stühlen zu stehen scheinen. Die meist jugendlichen Kameradschaftsaktivisten propagierten neonazistischen Rap nämlich nicht ausschließlich als taktisches Mittel im politischen Kampf, sondern sahen ihn vielmehr als integralen Bestandteil der eigenen Alltagskultur und Identität. Dabei konnten sie mit dem Widerspruch zwischen völkischem Weltbild und eigener subkultureller Verortung anscheinend sehr gut leben.
Identitätsentwicklung
Es scheint also, als würde dieser Teil der Neonaziszene keine Abkehr vom völkischen Weltbild und damit vom Hitlerismus der klassischen Neonazibewegung propagieren, sondern einfach mehrere Identitäten ausleben. Zum einen die Identität als Neonazi und zum anderen die Identität als urban geprägter Jugendlicher im Zeitalter von Markenfetischismus und MTV. Zwischen diesen Identitäten wird je nach Alltagssituation und momentaner Lebensweise hin- und hergewechselt, auch wenn sie zueinander offen im Widerspruch stehen. Dieses Phänomen bleibt dabei nicht auf die Neonaziszene beschränkt, sondern ist kennzeichnend für jugendliche Identitätskonstruktionen in der Postmoderne. Soziologen sprechen hier von Patchworkidentitäten. Die auftretenden Widersprüche zwischen diesen multiplen Identitäten werden für den Einzelnen nicht thematisiert, da sie Teil seiner gesamten Sozialisierung, also der gelebten Identität sind. Somit sind es auch nicht die einzelnen Subjekte, die sich ja der Widersprüche ihrer Identitäten durchaus bewusst sind, die über selbige diskutieren, sondern eine Bewegung, die auf Uniformität und Kollektivität als Grundpfeiler ihrer Ideologie angewiesen ist. Über HipHop diskutieren also nicht an vorderster Front diejenigen, die ihn einfach nur hören, sondern diejenigen, die ihn ablehnen und die, die ihn als politisches Werkzeug dulden würden. Die Frage ist also nicht, wie viele Widersprüche das einzelne Subjekt verträgt, sondern wieviel Individualisierung die gesamte Bewegung verträgt, in der diese Widersprüche offen und auffallend zu Tage treten.
Tritt jetzt also zehn Jahre nach ihren Verboten das Fehlen von Wiking-Jugend und Co. offen zu Tage? Wurde das gemeinsame Erleben einer Sozialisierung nach völkischem Muster durch den langen Atem von MTV und „One-World-Einheitsbrei“ ersetzt? Einiges spricht dafür, dass der Zeitgeist auch die Neonazis eingeholt hat. Besonders deutlich werden diese Widersprüchlichkeiten am Beispiel der kürzlich verbotenen Berliner Kameradschaft Tor und ihrer Mädelgruppe. Diese Gruppierungen symbolisieren in der Neonaziszene nach außen wie kaum eine andere Gruppierung die Modernisierungsbestrebungen und das Anpassen an eben diesen Zeitgeist. Sie treten in modernem Outfit auf, spielen aktuelle Popmusik auf ihren Demonstrationen und haben sich vor Ort in Berlin dem Ausgestalten von erlebnisorientierter Alltagskultur verschrieben. Doch wer hier eine Art „Popnazi-Strömung“ wähnt, betrachtet nur eine Seite der Medaille. So offensichtlich ihr Auftreten in Berlin in diese Richtung geht, so sehr überraschten sie spätestens in Wunsiedel 2004. Ist das Auftreten der KS-Tor in Berlin auf grafittiähnliche Aufkleber mit englischen Parolen beschränkt, liefen die selben Personen getreu dem historischen Vorbild der SA in Wunsiedel in weißen Hemden und Kniebundhosen auf. Gab sich die Mädelgruppe auf der Straße modern und gleichberechtigt, so zeugten die Texte auf ihrer Homepage vom krassen Gegenteil. Hier fand man vor allem das klassische völkische Rollenbild wieder und nichts von dem modernisierten Frauenbild, was offensichtlich gelebt wurde. Wurden sie von außerhalb Berlins wegen dieser Widersprüche oft angefeindet, konnten sie anscheinend gut damit leben und haben sie für sich nicht weiter thematisiert. Es bestand kein Widerspruch zwischen donnerstäglichem Volkstanz und „abhotten“ zu Ärzten und Juli auf Aufmärschen in Berlin.
Fazit
Die Frage, wie viele Widersprüche eine Bewegung vertragen kann, lässt sich an dieser Stelle schwer beantworten, da die Frage, wie sich die Kaderstruktur auf lange Sicht verhalten wird, noch nicht endgültig beantwortet ist. Wird sie zugunsten einer Massenbewegung weiter die „Modernisierer“ tolerieren, droht keine wirkliche Spaltung der Szene. Höchstens eine weitere Isolation der streng völkischen Kräfte steht in Aussicht. Dieses würde aber die Bewegung höchstens eines weiteren Fragments ihrer gemeinsamen Identität berauben, aber nicht zu einer generellen Schwächung führen, da diese Kräfte politisch einfach zu unbedeutend sind. Sollten sich die Führungskader doch noch auf die andere Seite schlagen, besteht allerdings die ernsthafte Option auf eine Spaltung zwischen „Realpolitikern“ und „Fundies“, da es für einen Großteil der Szene schwer werden dürfte, ein Hauptmoment ihrer Sozialisierung und ihres kulturellen Alltags über Bord zu werfen. Auch eine Beibehaltung des Status Quo ist denkbar. In einer Szene die größtenteils zutiefst antiintellektuell ist, gibt es natürlich auch nur eine sehr geringe Motivation, sich über einen Kulturbegriff auf dieser Ebene auseinanderzusetzen.
Bei der Betrachtung dieses Phänomens spielt auch die Herkunft der Protagonisten eine erhebliche Rolle. So mag eine Diskussion um urbane Erlebniskulturen für Großstadtjugendliche eine Rolle spielen. Für ländlich geprägte Jugendliche hat diese Diskussion mangels Angebot keine praktische Relevanz. So entpuppt sich dann vielleicht auch manch scheinbarer völkischer Vorkämpfer als „bodenständiger“ Verteidiger der Dorfgemeinschaft.
Sollte dieser Diskurs jemals ein Ende finden, in welche Richtung auch immer, so werden weitere derartige Diskurse folgen. Denn nach wie vor muss die Neonazibewegung einen ganz extremen Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit vollziehen. Gerade eine Bewegung, deren Kernpunkt die Erschaffung eines komplett neuen Menschenbildes ist, wird von ihren Anhängern natürlich auch an diesem Menschenbild gemessen. Dieser Zwickmühle entkam man in der Vergangenheit damit, dass man junge Menschen bereits in der Frühzeit ihrer Entwicklungsphase abholte und das Wertesystem des Nationasozialismus überstülpte. Da derartige Organisationen heute nicht mehr auf breiter Basis existieren, muss sich die Neonazibewegung natürlich mit dem zufrieden geben, was agitierbar ist. Und genau dieses Potenzial ist meist in einem Alter, in dem ein Teil seiner Identität bereits ausgebildet ist und es lassen sich höchstens noch gewisse Erweiterungen vornehmen.
Dieser Text wurde uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Antifaschistischen Infoblatt (AIB) ?Erscheinungsdatum Sommer 2005 Heft Nummer 68