Inmitten des Chaos um falsche sächsische Wahllisten, Rücktritte in Nordrhein-Westfalen und interne Machtkämpfe wurde beim Kyffhäuser-Treffen der wachsende Einfluss des ultra-nationalistischen AfD „Flügels“ abermals deutlich. Um ihre Gallionsfigur Björn Höcke entwickelt sich zusehends ein „Führerkult“.
Die Rolle des „Flügels“ wird immer mehr zur Zerreißprobe für die gesamte Partei. Anfang des Jahres erklärte der Verfassungsschutz den „Flügel“ zum Verdachtsfall und bereits im Vorfeld des Treffens machte Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang klar, dass das Kyffhäuser-Treffen unter besonderer Beobachtung seiner Behörde stehe. Gemäßigter als üblich klingt beim Kyffhäuser-Treffen am 6. Juli jedoch nur Alexander Gauland.
Alexander Gauland wirkt wie ein Zaungast beim „Flügel“-Treffen
Gauland übernahm in Leinenfelde die Rolle eines mahnenden Onkels und betonte in seiner Rede, dass es auch für die AfD „rote Linien“ gebe, die nicht überschritten werden dürfen. Er bezog sich dabei auf Lars Steinke, ehemals niedersächsischer Landeschef der „Jungen Alternativen“ (JA), der Jugendorganisation der AfD. Steinke hatte den Hitler-Attentäter Graf von Stauffenberg als Verräter bezeichnet. Applaus bekam der Fraktionsvorsitzende dafür nur mäßig. Anders, als er von einem „mutmaßlichen“ Mord an Walter Lübcke sprach, den die „Kartellparteien“ nutzen würden, um die AfD auszugrenzen. Hier wieder das üblich Spiel der Täter-Opfer-Umkehr.
Wahrscheinlich auch mit Blick auf mögliche Koalitionen, sprach Gauland davon, dass man sich „auch mal auf die Lippe beißen“ kann und meint damit, dass die AfD kein Raum werden solle, in dem Rechtsextreme schalten und walten können. Flügel-Vertreter*innen möchten jedoch bei ihrer verbalen Radikalität bleiben. So entgegnete etwa Andreas Kalbitz auf offener Bühne: „Wir werden uns nicht prostituieren für kleinliche Machtverteilungen.“ Damit waren die Machtverhältnisse am Wochenende in Leinenfelde klar gesteckt.
Der Streit in der AfD eskaliert – Was passiert ist:
Einige Tage zuvor hatte sich der Streit zwischen Radikalen und Gemäßigten in der AfD bereits zugespitzt: Das AfD-Schiedsgericht des bayerischen Landesverbandes hatte den „Flügel“ zu einer eigenständigen Organisation erklärt, die mit der AfD konkurriere. Laut dem Beschluss sei es „nicht mehr zu verneinen“, dass der „Flügel“ um den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke in einem „Konkurrenzverhältnis“ zur AfD stehe.
Der Vorwurf: Der „Flügel“ unterwandert die Partei
Die Aufspaltung von moderaten und radikalen Kräften hat am Wochenende zudem den Landesvorstand in NRW zerrissen, den größten Landesverband der AfD. Es ging um Loyalitäts-Fragen, stehen die Abgeordneten eher hinter der Landespartei oder hinter dem „Flügel“? Am Samstag trat Helmut Seifen, Co-Vorsitzender der nordrhein-westfälischen AfD mit neun Personen des zwölfköpfigen Landesvorstands zurück. Geblieben sind drei „Flügel“-Vertreter. Zu Beginn des Parteitags warf Seifen den Anhänger*innen des „Flügels“ vor, die Partei in NRW und bundesweit zu unterwandern und zu spalten.
Der Streit um die völkisch-radikale Sayn-Wittgenstein
Eine Woche zuvor, wurde auch in Schleswig-Holstein ein neuer Landesvorstand gewählt. Ungeachtet ihres Ausschlusses aus der AfD-Landtagsfraktion und des vor dem Bundesschiedsgericht laufenden Parteiausschlussverfahrens wegen der Fördermitgliedschaft in einem rechtsextremen Verein, wurde Doris von Sayn-Wittgenstein erneut zur Landesvorsitzenden gewählt.
Der Einfluss des „Flügels“ wächst
Der Streit zwischen Radikalen und verhältnismäßig Gemäßigten spitzt sich in der AfD immer mehr zu. Der Einfluss des „Flügels“ ist nicht mehr nur im Osten groß, sondern auch in westlichen Landesverbänden. Dreh und Angelpunkt ist dabei Björn Höcke. Innerhalb der Partei wird der Einfluss des Strippenziehers Andreas Kalbitz aus Brandenburg mittlerweile zwar als deutlich größer eingeschätzt als der von Höcke. Doch die unangefochtene Gallionsfigur des „Flügels“ ist nach wie vor Höcke. Mittlerweile ist es nicht mehr nur ein Personenkult um den Thüringer Politiker, es ist ein ziemlich unangenehmer Führerkult. Und der wurde am Wochenende auf dem Kyffhäuser-Treffen besonders deutlich. Der Auftritt von Höcke, Haupt- und Schlussredner, war eine große Inszenierung.
Führerkult um Björn Höcke
Als die große Höcke-Show beginnt, wird zu Beginn „der Mensch Björn Höcke“ vorgestellt – in einem Imagevideo. Wir sehen Höcke beim tief durchatmen in sportlicher Kleidung, nachdenklich mit der Hand am Kinn vor einer Brücke, total freundlich beim Händeschütteln mit ganz normalen Leuten, wie er auf der Bühne energisch mit den Armen fuchtelt, wie er süße Schafe füttert und wie er ganz agil und in slow motion durch einen Wald joggt. Unterlegt ist dieses persönliche Werbevideo mit Lobpreisungen anderer „Flügel“-Vertreter*innen. Im Anschluss wird pathetische Musik gespielt, das Publikum wird aufgerufen aufzustehen und die mitgebrachten Deutschland-Fahnen zu schwenken. Dann betritt Höcke den Saal. Er schreitet durch die jubelnde Menge und schüttelt kumpelhaft Hände. Als er dann irgendwann auf der Bühne ankommt, verleiht er erstmal einen eigens erdachten Orden, die „Bismarck-Medaille“, an den Berliner Abgeordneten Thorsten Weiß.
Höcke kündigt an für den AfD-Bundesvorstand zu kandidieren
Bevor es um Inhalte geht, bespricht Höcke lieber erstmal Interna und hetzt gegen seine Widersacher*innen, allerdings ohne Namen zu nennen. Er greift den Bundesvorstand an, weil dieser nur Machtpolitik betreibe. Er empfiehlt die Schiedsgerichte auszutauschen.
Für die Zukunft kündigt er an, selbst für den Vorstand kandidieren zu wollen – sollte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) im Herbst abgewählt werden und die AfD „Geschichte schreiben“. Die Chancen stehen gut, dass die AfD bei der Wahl tatsächlich ein hohes Ergebnis erreicht.. So oder so könne er versichern, dass der aktuelle Bundesvorstand nicht wiedergewählt werde, sagt Höcke unter tosendem Applaus und Standing ovations in Leinefelde. Die Rechtsradikalen in der Partei lieben Höcke einfach.
Der rechtsextreme Einfluss der „neuen“ Rechten auf den Flügel
Schon jeher ist es ein offenes Geheimnis, dass zentrale Akteur*innen der sogenannten „neuen“ Rechten massiven Einfluss auf den „Flügel“ haben. Laut der Spiegel-Journalistin Melanie Amann war der neurechte pseudo-intellektuelle Verleger Götz Kubitschek maßgeblicher Ideengeber der „Erfurter Resolution“ aus der 2015 der „Flügel“ hervorging. Damals wurde eine Parteimitgliedschaft von Kubitschek und seiner Frau Ellen Kositza durch den damaligen Gründer der Partei, Bernd Lucke, wegen rechtsextremer Tendenzen unterbunden.
Dass am Wochenende mit Ellen Kositza erstmals ein Nicht-Parteimitglied auf dem Kyffhäuser-Treffen sprach, muss als das Zeichen gewertet werden, das es ist: Der rechts-nationale „Flügel“ ist nicht zu trennen von der rechtsextremen „neuen“ Rechten. Zum ersten Mal hat die neurechte „Denkfabrik“ des „Instituts für Staatspolitik“ von Kubitschek öffentlich Einfluss auf den „Flügel“ genommen. Wie der interne Machtkampf weitergeht bleibt abzuwarten, zumal die Co-Vorsitzende Alice Weidel für die „Sommerakademie“ des „Instituts für Staatspolitik“ von Kubitschek und Kositza angekündigt ist.