Roter Teppich für Israelboykott
Mit dem Ausklingen der Corona-Schutzmaßnahmen und der Wiederaufnahme kultureller Veranstaltungen und Festivals meldet sich auch die antisemitische BDS-Kampagne („Boycott, Divestment, Sanctions“) zurück. Wieder im Fokus steht hierbei das Berliner Pop-Kultur-Festival. Der Stein des Anstoßes ist – wie vor der Pandemie – dass zu den Förderern des Festivals auch die israelische Botschaft gehört. Dabei geht es, schreibt die Berliner Zeitung, um eine „vergleichsweise niedrige“, ja beinahe „symbolische“ Summe, die sich zum Beispiel auf Reisekosten einzelner Projekte bezieht.
Dennoch: Die BDS-Kampagne tobt und trommelt mit einem extra angelegten Twitter-Account und einer Website für den Boykott des Festivals. Wie 2017 hat sie erneut Erfolg: Einige Künstler*innen haben ihre Teilnahme zurückgezogen. Die Pariser Künstlerin Lafawndah begründet ihre Absage auf Instagram mit dem Amnesty International-Bericht zum angeblichen Apartheidstaat Israel und der Initiative GG5.3 Weltoffenheit und spricht von einer „Atmosphäre der Zensur und Unterdrückung“.
Bühne für Antisemitismus
Antisemitische Vorfälle bleiben folgenlos. Sie sind kein Grund für eine Aufkündigung der Zusammenarbeit. Statt eines adäquaten Umgangs wird weggesehen, kleingeredet, abgewehrt oder unterstützt. Das zeigt sich zum Beispiel am Umgang mit der Gruppe Palästina spricht, die antiisraelische Demonstrationen im Mai/Juni 2021 wie 2022 in Berlin organisierte, auf denen es teils zu offenem Judenhass und zur Bedrohung von Journalist*innen als „Zionistenpresse“ kam. Konsequenzen hatte das keine.
Auf dem Fusion Festival war die Gruppe mit einem Workshop ebenso vertreten wie mit Redebeiträgen bei linksradikalen Demos wie der Revolutionären 1. Mai Demo oder der Internationalist Queer Pride in Berlin. Dass Antisemitismus eine Bühne bekommt, zeigt sich ganz konkret auf solchen Demonstrationen. Am 23. Juli 2022 fand in Berlin die Internationalist Queer Pride statt.
Eine Demonstration, die als politische Alternativ- oder auch Gegenveranstaltung zum „Mainstream-CSD“ verstanden wird. Wie im Vorjahr kam es auch dieses Mal wieder zu antisemitischen Vorfällen: In Redebeiträgen (u. a. von Palästina spricht) und Sprechchören waren Forderungen wie „From the river to the sea, Palestine will be free!“ zu hören, Israel wurde als „Apartheidstaat“ und „siedlerkoloniales Projekt“ bezeichnet. Hier wird Israel als koloniales Projekt verstanden, also als von außen kommende Invasionsmacht, die illegitimerweise in die Region eingedrungen sei. Damit wird nicht nur die jahrtausendealte Geschichte von Jüdinnen*Juden in der Region ignoriert, sondern auch das Bild vom dämonischen und die Welt unterjochenden „Juden“ herausbeschworen.
Die Forderung, dass zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer, also „From the river to the sea“ kein israelischer Staat, sondern ein „befreites Palästina“ existieren solle, findet sich nicht nur auf Demonstrationen in Deutschland, sondern auch als politische Forderung der Popular Front for the Liberation of Palestine (PFLP) sowie der islamistischen Terrororganisation Hamas. Die Parole spricht Israel in letzter Konsequenz das Existenzrecht ab und fordert damit die Auflösung des weltweit einzigen Landes, in dem jüdisches Leben in der Mehrheitsgesellschaft stattfinden kann. Die Queer Pride normalisiert israelbezogenen Antisemitismus und schließt an antisemitische Traditionen an. Antisemitische Denk-, Sprech- und Darstellungsweisen gehören schon seit jeher zum deutschen Mainstream. Dass Teile der radikalen Linken keine Alternativen anbieten können, zeigt, wie anschlussfähig Antisemitismus in allen politischen Spektren ist, eben auch in sich als progressiv verstehenden Milieus.
Auf einem prominent platzierten Banner war „queer as in Free Palestine“ zu lesen. Was das bedeuten soll, bleibt im Dunkeln. Es sind LGBTIQ+ Personen, die in den palästinensischen Gebieten Folter ausgesetzt sind und fliehen müssen. Ginge es um Menschenrechte im Nahen Osten, dann müsste es auch um diese Menschen gehen. Auf den Demonstrationen geht es aber offensichtlich mehr um „Anti-Israel“ als „Pro-Palestine“, sonst würde auch die prekäre Lage von LGBTIQ+ Personen in den palästinensischen Gebieten Thema sein.
Auf der Straße und im Internet
Schon im Februar 2022, anlässlich des Jahrestags der rechtsterroristischen Morde in Hanau, wurde in Berlin das Gedenken für den eigenen Hass auf Israel instrumentalisiert. Zu hören war zum Beispiel die Parole „Von Hanau bis nach Gaza – Yallah Intifada“, es waren Flaggen der Organisation Samidoun zu sehen. Die Organisation ist Teil des Auslandsnetzwerks der Terrororganisation PFLP und kümmert sich vorgeblich um die Rechte von inhaftierten Palästinenser*innen. Auf manchen Demonstrationen sprachen zudem BDS-nahe Akteur*innen. Diese Instrumentalisierung des Hanau-Gedenkens ist besonders perfide, denn sie schließt an die Ideologie des Täters an. Dieser forderte in seinem Manifest, dass Israel vernichtet werden solle.
Dass Antisemitismus, insbesondere in Form des israelbezogenen Antisemitsmus, wieder en vogue ist und eine Bühne bekommt, zeigt auch ein Blick in die Sozialen Netzwerke. Sowohl die Terroranschläge im Frühjahr 2022 als auch die Tötung des Führers des Islamischen Dschihad in Gaza durch die israelische Armee im August 2022 bieten Gelegenheitsstrukturen zur Verbreitung antisemitisch geprägter Sichtweisen des Konflikts. Pro-palästinensische Kräfte gingen gegen Israel auf die Straße. Flankiert wurden die Proteste durch eine israelfeindliche Stimmung in den Sozialen Netzwerken.
Diese Anlässe treffen auf eine antiisraelische Grundstimmung, bei der Palästina immer eher als Opfer, Israel dagegen als Aggressor angesehen wird. Diese Grundstimmung verschärfte sich, als nach der Eskalation im Mai 2021 massenhaft israelbezogener Antisemitismus verbreitet wurde. Und auch der Amnesty International-Report war in dieser Hinsicht ein wichtiger Meilenstein, der im vergangenen Jahr zu einer weiteren Normalisierung des Antisemitismus in sich als progressiv verstehenden Milieus beigetragen hat.
Ganz neu ist der Israelhass vieler Linker nicht. Er hat eine lange Tradition. Die DDR war nicht nur antifaschistisch, sondern auch antizionistisch. Die westdeutsche Linke ist spätestens nach dem Sechstagekrieg 1967 in weiten Teilen antiisraelisch eingestellt. Linksradikale Terrorgruppen machten zum Teil in den 1970er-Jahren mit palästinensischen Gruppen gemeinsame Sache. Die Olympia-Attentäter wollten auch Ulrike Meinhof und Andreas Baader freipressen.
Antisemitismus ist also insgesamt auf dem Vormarsch: Die AfD, eine rechtsextreme Partei, sitzt in zahlreichen Landes- und Kommunalparlamenten und im Bundestag, Verschwörungsmythen im Kontext der Corona-Pandemie haben verschiedene Milieus und tausende Menschen auf der Straße vereint. Die Grenzen des Sagbaren haben sich verschoben, die Konsequenzen spüren Jüdinnen*Juden sehr konkret in ihrem Alltag. Dass progressive Milieus keine Ausnahme bilden, ist nicht überraschend, aber umso wirkmächtiger, weil es die Debatten bestimmt. Kein Wunder, dass der Antisemitismus, der sich auf Israel bezieht, zum Streitfall erklärt wird. Die Debatten und der Umgang mit Antisemitismus in Deutschland der letzten Jahre haben Folgen.
Dieser Artikel erschien zuerst im Lagebild Antisemitismus 2022 der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung.
Aktionwochen gegen Antisemitismus
Das Programm der Bildungs- und Aktionswochen 2022 finden sie hier:
Das „Lagebild Antisemitismus“ können Sie hier als PDF herunterladen oder als Print bestellen:
Artikel aus dem Lagebild Antisemitismus auf Belltower.News
- Interview Nathan Sznaider: „Vorher waren es Rechte, die antisemitisch waren, jetzt Teile des linken Milieus“
- Aktionswochen gegen Antisemitismus starten mit zivilgesellschaftlichem Lagebild
- Krisen mit antisemitischen Bauplänen
- Progressiv und judenfeindlich?
- Shoah-Gedenken vs. Antisemitismusbekämpfung?
- Jews don’t count? Jüdische Stimmen werden überhört