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Landtagswahl Niedersachsen AfD versucht Chaos mit neuen Kandidat*innen zu überdecken

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Falls Sie jetzt denken: Den in der Mitte kenne ich aber doch! Das ist Leif-Erik Holm von der AfD MV, der steht auch nicht zur Wahl. Links von Holm: Stefan Marzischewski-Drewes, rechts von Holm: Frnak Rinck. (Quelle: Screenshot)

Die AfD Niedersachsen machte in der Vergangenheit selten mit Politik Schlagzeilen. Der AfD-Landesverband machte bisher vor allem mit extremen Thesen und Personalquerelen von sich reden und wird vom niedersächsischen Verfassungsschutz als Verdachtsobjekt beobachtet.

Zur Bundestagwahl 2017 war Armin-Paul Hampel Spitzenkandidat (Ex-Journalist, Vortragsredner bei rechtsextremem Verein), mit ihm zogen sieben niedersächsische AfD-Abgeordnete zogen in den Bundestag ein. Zur letzten Landtagswahl 2017 war die als gemäßigter geltende Dana Guth Spitzenkandidatin, 9 Sitze konnte die AfD gewinnen. 2022 ist von der Fraktion nicht mehr viel übrig: Guth trat zu Bernd Luckes  „Liberal-Konservativen Reformern“ über, die AfD-Landtagsfraktion zerbrach. Inzwischen ist Guth parteilos. Zuletzt machten Bestechungsvorwürfe die Runde, die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt gegen den Vize-Vorsitzenden der AfD in Niedersachsen, Ansgar Schledde, der bei der aktuellen Wahl auf Listenplatz 2 steht. Ein AfD-Aussteiger, der aktuell parteilose Landtagsabgeordnete Christopher Emden hatte berichtet, man könne bei der AfD  für 4.000 Euro Listenplätze erkaufen und urteilt: “Die AfD sei nicht etwa eine Alternative für Deutschland, sondern der „Abgrund für Deutschland“, ein „Sammelbecken für Versager, Gangster und Minderbemittelte“. (vgl. ZDF)

Neues, wenig bekanntes Spitzenpersonal

Zur Landtagswahl 2022 gibt es deshalb bei der AfD Niedersachsen zumindest auf den vordersten Plätzen neues Spitzenpersonal: Der neue Landesvorsitzende ist seit Mai 2022 Frank Rinck, Landwirt und Soldat. Er hat ein Faible für Agrar- und Umweltpolitik und ist aktuell AfD-Bundestagsabgeordenter.

Deshalb ist der Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2022 auch ein anderer:  Stefan Marzischewski-Drewes ist Radiologe, gilt als gemäßigt und ist in Partei und Land insgesamt eher unbekannt. Hier steuert die AfD Niedersachsen also zumindest personell ruhigere Gewässer an, die aber auch etwas blass klingen für einen Landtagswahlkampf. Die AfD Niedersachsen wird wegen Kontakten zu rechtsextremen Organisationen beobachtet, und der Spitzenkandidat will das gegenüber der tagesschau nicht abstreiten: „Sie verlangen von mir etwas auszuschließen, was ich nicht kann“, sagt er auf die Frage, ob er von Mitgliedern wisse, die der rechtsextremen Szene nahestehen. Marzischewski-Drewes selbst pflegt laut NDR Kontakte in die Querdenker-Szene, will dort auch Stimmen fangen von Menschen, die sonst nicht zur Wahl gingen. Er ist kein Pandemieleugner, aber einer, der Schutzmaßnahmen ablehnt. Montags geht er als AfD-Vertreter in Gifhorn zur „Mahnwache“ des Milieus.

Wahlkampf auf TikTok

Was sind Themen, mit denen Marzischewski-Drewes Menschen in Niedersachsen ansprechen möchte? Auf seinen Social-Media-Profilen gibt es zuletzt viele Aufrufe, zur Wahl zu gehen – „gegen Ampelmurks und CDU“. Ins Auge fällt ein Appell an Berufsschüler, natürlich nur in männlicher Form angesprochen: „Schockt Eure Lehrer – Wählt AfD!“ Mit dem Charme eines Verwaltungsbeamten rezitiert Marzischewski, die Berufsschüler würden ja schon arbeiten und zur Schule gehen und sich nicht „auf dem Asphalt festkleben“ wie die „grün-rote“ Jugend. Das klingt sehr altbacken, wird aber immerhin auch auf TikTok präsentiert, wo es zumindest mehr Berufsschüler*innen erreicht als auf Facebook. Interessanterweise ist der Clip auf TikTok allerdings nicht bei der AfD Niedersachsen zu finden – dort gibt es nur wenig zum Medium passende Querkant-Videos, von YouTube adaptiert – sondern auf dem TikTok-Kanal der AfD Gifhorn, Marzischwewski-Drewes‘ Heimatverband. Für dessen TikTok-Account filmt der Spitzenkandidat persönlich Wahlkampfaktionen oder wie er am Tag der Deutschen Einheit eine Maus freilässt, die er in seinem Keller gefangen hat. Warum? „Weil die AfD für Freiheit steht“. Aha. Das Berufsschüler-Video haben sich 36.000 Menschen angeguckt – die Maus 3.500. Es sind Zugriffszahlen, von denen die Grüne Jugend Niedersachsen nur träumt. Die ist aber immerhin auf TikTok. Die anderen demokratischen Parteien: Nicht.

Hier hat die AfD Niedersachsen eine Influencerin ohne Scheu vor rechtsextremen Kontakten

Die Wahl wird vermutlich nicht auf Social Media entschieden, wenn aber doch, hat die AfD Niedersachsen dort noch eine Influencerin am Start: Marie-Thérèse Kaiser, online auch @hallofraukaiser, ist 25, sehr umtriebig auf Social Media – auf Twitter, Instagram, Telegram, dem rechtsalternativen Twitter-Klon Gettr und etwas auch auf YouTube und TikTok – und hat sich so einen Listenplatz für die Landtagswahl im Wahlkreis Rotenburg erpostet.

Beschreibung auf der Wahlkampf-Homepage von Marie-Thérèse Weber

Dabei steht sie dem Konzept der “gemäßigten” AfD diametral entgegen: Sie pflegt intensive Kontakte etwa zum rechtsextremen Compact-Magazin, dessen Inhalte sie auch gern verbreitet und teilt, und zur  sogenannten “Neuen Rechten” um Verleger Götz Kubitschek in Schnellroda. Intensiv ist der Kontakt mit der IB-nahen Organisation “Ein Prozent”. Mit “Ein Prozent” produziert sie auch eine Video-Serie namens “Wir klären das” als Replik auf Formate von funk aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Serie wird derzeit auf Hagen Grells rechtsalternativer Videoplattform “Frei3” veröffentlicht, aber weil sie dort kaum Reichweite bekommt, vor allem über Telegram gepusht. Kaiser engagiert sich, wie sie selbst in ihrer Vita schreibt, auch in der  rechtsextremen Fraueninitiatve “Lukreta”, in der vor allem Aktivist*innen der „Identitären Bewegung“ zusammenkommen. Marie-Thérèse Kaiser ist also zumindest offen rechtsradikal interessiert – dahingehen können wir Stefan Marzischewski-Drewes weiterhelfen. Weil sie selbst durch ihren Ehrgeiz bereits angeeckt ist, der nicht zum rechtsradikalen Frauenbild passt, präsentiert sie sich im Wahlkampf sehr traditionell.  Einsetzen will sie sich für „Stärkung des traditionellen Familienbildes zum Selbsterhalt des deutschen Volkes; natürliche Geschlechterunterschiede wertschätzen und individuell fördern; gesellschaftlichen Druck auf Hausfrauen beenden, Tätigkeit für die Familie wertschätzen…“, garniert mit Islamfeindlichkeit und Flüchtlingsfeindlichkeit.

Unbefangen im Kontakt mit Rechtsaußen: Marie-Thérése Kaiser als Moderatorin im „Ein Prozent“-Video-Format „Wir klären das“ – auf der rechtsalternativen Plattform „Frei3“

AfD-Wahlkampf: Patriotismustümelei und Querdenken-Kuscheln

Das wiederum passt zu den Wahlkampf-Narrativen der AfD Niedersachsen. Überraschende Ansätze sind in diesem Wahlkampf nicht zu erkennen. Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und Arbeitsplätze in der Autoindustrie, Entlastungen durch Steuersenkungen, dass nennen sie dann, ohne Begründung, „solide Geldpolitik“ – wobei es ja nicht so solide ist, wenn unklar ist, woher das Geld kommen soll. Später im Text offeriert: Man wolle weniger Zahlen für „für Sozialmigranten, öffentlich-rechtliche Medien und politische Extremisten“. Mit letzterem sind, wenn man der Illustration glauben schenken darf, Demokrat*innen gemeint. Kernkraft und Kohle erhalten, keine Lockdowns und keine Impfungen, in der Schule „keine Gender-Ideologie, Maskenpflicht oder Inklusion auf Zwang“ (sic), sondern „politische Neutralität“, aber „deutsche Leitkultur“ und Abschiebungen. Kurzum: Patriotismustümelei, Rassismus, Medienschelte und Querdenker-Kuscheln.

Prognosen sehen die AfD in Niedersachsen bei 9 Prozent, Spitzenkandidat Marzischewski-Drewes strebt 12 Prozent an (vgl. NDR).

Oder wie es ein Kommentar auf der Facebook-Seite von Stefan Marzischewski-Drewes empfiehlt:

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2021-02-08 14_37_12-Migration_ Segen oder Fluch_ _ Wir klären das! - YouTube

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Da kann das Grafik-Konzept noch so sweet sein, rechte Hetze und Nähe zu Identitären und AfD verbirgt es nicht. Der Kanal „Wir klären das“ verdeutlicht zweierlei: die Verbindungen zwischen AfD und der Identitären Bewegung bleiben eng und die sogenannten „neuen” Rechten stellen sich nach wie vor gerne harmlos und nahbar dar. 

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