?Es fing damit an, dass sich unsere Kinder die Haare bunt färbten. Das kam in unserer Stadt nicht so gut an?, sagt Manuela Weis, eine der Begründerinnen des ?Bunten Bürgerforums für Demokratie? in Limbach-Oberfrohna, das für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie 2011 nominiert ist. Es ist eine Untertreibung, für das, was folgte: Die Jugendlichen wurden in der 25.000-Einwohnerstadt im Westen Sachsens über Jahre täglich von Mitgliedern der örtlichen rechtsextremen Szene angepöbelt und häufig angegriffen. Statt sich solidarisch mit den Opfern rechtsextremer Gewalt zu zeigen, brandmarkte die Stadtverwaltung die Angegriffenen als mindestens mitschuldig. Ihre Eltern wollten dem nicht tatenlos zusehen.
Die Situation
Wie geht es einem als Elternteil, wenn die eigenen Kinder angegriffen werden, sobald sie in die Stadt gehen? ?Beim ersten Mal dachte ich: Das sind irgendwelche aus der Schule, die die nicht mögen?, sagt Manuela Weis. Aber es folgten weitere Prügelattacken, so das klar wurde: Hier wollen Rechtsextreme mit Gewalt durchsetzen, wer wie leben darf in Limbach-Oberfrohna ? und wo sich jemand, der anders sein möchte, nicht mehr blicken lassen soll. Die Mutter erinnert sich, dass sie auch vor den Übergriffen rechtsextreme Graffitis in Limbach-Oberfrohna wahrgenommen hat, ?aber ich dachte: das hat nicht wirklich etwas zu bedeuten, das ist halt eine Schmiererei.? Als die Übergriffe nicht abnahmen, organisierten sich die Eltern der betroffenen Jugendlichen zunächst pragmatisch: ?Wir haben sie im Dunkeln nicht mehr allein draußen herumlaufen lassen, uns abgewechselt, um sie mit dem Auto abzuholen ? denn natürlich waren wir verängstigt.? Immer wieder kam es zu Prügel und Bedrohungen. Die rechtsextremen Täter wurden von den Eltern der Jugendlichen kontinuierlich angezeigt. Weis erinnert sich: ?Die Polizei zeigte auch Verständnis für uns; in der Stadtverwaltung war es schon schwieriger.?
Denn Limbach-Oberfrohna hat nicht nur eine vielfältige rechtsextreme Szene, zu der neben vielen Kameradschaften und freien rechtsextremen Gruppierungen auch Nazi-Infrastruktur mit Treffpunkten und sogar einem Fitnessstudio gehört. Limbach-Oberfrohna hat außerdem eine Stadtverwaltung, die das Problem des Rechtsextremismus dadurch ?bearbeiten? will, indem sie die Übergriffe auf die, die anders leben wollen, zunächst als ?Jugendbandenkriege? abtat und dann, als der politische Gehalt der Gewalt nicht mehr unter den Tisch zu kehren war, dazu überging, die angegriffenen Jugendlichen als ?Linksextreme? zu diffamieren.
2008 gründen die Jugendlichen ? trotz und wegen ihrer Erfahrungen in der Gemeinde ? den Verein ?Soziale und politische Bildungsvereinigung Limbach-Oberfrohna? und wollen einen eigenen Treffpunkt aufmachen. Sie mieteten dafür einen Laden auf der Einkaufsstraße von Limbach-Oberfrohna. ?Sie hatten so tolle Pläne?, sagt Manuela Weis, ?sie wollten Hausaufgabenhilfe anbieten, alten Leuten bei der Bewältigung des Alltags helfen, eine Suppenküche aufbauen. Leider haben sie dazu bis heute kaum Zeit gehabt.? Denn von Anfang an wird der Laden angegriffen, Rechtsextreme sammeln sich davor und werfen gemeinsam die Scheiben ein. Der Vermieter kündigt: Zu viele Sachchbeschädigungen. Die Jugendlichen suchten ein neues Domizil, kauften ein renovierungsbedürftiges Haus, begannen, es zu renovieren. Auf dieses wurde dann 2010 einen Brandanschlag verübt, bei dem nur glücklicherweise keine Menschen verletzt wurden.
Das Engagement
?Wir haben uns als fünf Familien zusammen geschlossen und gesagt: Wir Eltern müssen mehr unternehmen, als unseren Kindern beim Renovieren der Räume zu helfen und vor ihrem Laden ‚Streife‘ zu fahren?, sagt Manuela Weis, ?den Jugendlichen hört hier einfach keiner zu. Vielleicht können wir vermitteln, welches Potenzial in ihnen steckt. Dass sie sich für ein besseres Leben in der Gemeinde engagieren wollen und keine Krawallmacher sind.?
Während das ?Bunte Bürgerforum für Demokratie? in der Stadtverwaltung auf taube Ohren stößt, findet es Unterstützung bei der Opferberatungsstelle der RAA Sachsen, beim Kulturbüro Sachsen und schließlich beim örtlichen Kirchenbezirkssozialarbeiter. Gemeinsam gewinnen sie mehr engagierte Erwachsenen ? heute gehören zum ?Bunten Bürgerforum? Menschen von 19 bis 75 Jahren, vom Maschinenarbeiter bis zum Arzt, quer durch Parteien und Gesellschaftsstrukturen.
Aktiv werden
Aber was tut man in einer Stadt, in der die Jugendlichen die Polizei rufen, weil sie von einem Nazi-Mob bedroht werden, und als die Polizei eintrifft, verfolgt sie nicht etwa die Angreifer, sondern macht eine Hausdurchsuchung bei den Opfern und präsentiert anschließend eine Probe schwarzen Sandes als ?Schwarzpulver? und die Jugendlichen als ?Bombenbauer?? Das geschah 2011. Die offizielle Rehabilitation, dass es sich lediglich um Sand handelte, erfolgte erst ein Vierteljahr später. Die Eltern setzten derweil auf Sensibilisierung und Aufklärung. ?Eine Aktion war, dass wir Flyer gedruckt haben ? unterstützt von einem Mitglied des Bürgerforums, der einen Online-Shop betreibt ? in dem wir die Graffitis in Limbach erklärt haben. Wir haben die Codes und Symbole gezeigt und erklärt, was die Nazis mit dem meinen, was sie da geschrieben haben?, sagt Manuela Weis. Die Flyer verteilten die Mitglieder des Bürgerforums in ?fast alle Briefkästen von Limbach?. Darauf gab es viele positive Reaktionen: ?Es ging ja vielen so wie uns zuerst auch. Die haben gesagt: Ich wusste ja gar nicht, dass das so eine Bedeutung hat!?
Gemeinsam mit der Diakonie und dem Pfarrer hat das Bunte Bürgerforum eine Gedenkveranstaltung am Todestag Dietrich Bonhoeffers organisiert, der im KZ Flossenburg, dass eine Außenstelle in Wolkenburg bei Limbach hatte, von den Nazis ermordet wurde,. ?Das ist bei den Leuten vom Heimatverein Wolkenburg gut angekommen?, sagt Manuela Weis, ?obwohl die Kirchenmitarbeiterin auch erst gezögert hat, ob sie die Jugendlichen mit den bunten Haaren in die Kirche lässt.?
Und jetzt?
Bei der Stadtverwaltung unter Bürgermeister gelten inzwischen auch die Eltern als ?linksextrem?, sie ignoriert das Engagement. ?Aber immerhin werden wir inzwischen in der Presse und in der Stadt gehört?, sagt Manuela Weis, ?und das Rechtsextremismus-Problem in Limbach kann nicht mehr totgeschwiegen werden.? Der rechtsextreme 20-jährige, der 2010 den Brandanschlag verübt hat, ist im September zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Auch dies, meint Manuela Weis, hat dazu beigetragen, dass es aktuell ruhig in Limbach-Oberfrohna ist. Das gibt den Jugendlichen wie ihren erwachsenen Unterstützern Gelegenheit, sich stärker auf ihre inhaltliche Arbeit für Demokratie zu konzentrieren ? und auf ihr eigentliches Leben, denn alle, Eltern wie Jugendliche, gehen zur Schule, arbeiten oder studieren. ?Ich wünsche mir, dass hier eines Tages die Vernunft regiert?, sagt Manuela Weis, ?dass es die übliche Reaktion wird, zu sagen ‚Du spinnst wohl! Überdenk mal Deine Ansichten!‘, wenn jemand rechtsextremes Gedankengut äußert.? Bis dahin, sagt sie, müsse aber noch einige Vermittlungsarbeit geleistet werden: ?Mein Eindruck ist, dass hier viele Jugendliche Kontakt zu Nazi-Strukturen hat ? und das als normal wahrgenommen wird.?
* Dr. Dorothee Freudenberg ist Fachärztin für Psychiatrie, gehört zum Kuratorium der Freudenberg Stiftung. Sie sitzt in der Jury des Sächsischen Förderpreises für Demokratie.
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| Buntes Bürgerforum für Demokratie
| Soziale und politische Bildungvereinigung Limbach-Oberfrohna
| Sächsischer Förderpreis für Demokratie
| Amadeu Antonio Stiftung
MDR-Bericht über Limbach-Oberfrohna aus dem Juli: