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Lüderitzallee, Samoastraße, Togoplatz Was wir von Black Lives Matter über Rassismus im Stadtbild lernen können

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Auf diesem Sockel in Bristol stand bis vor kurzem eine Statue von Edward Colston,einem Sklavenhändler, der mindestens 84.000 Menschen als Ware verkauft hat. Bei einer #BlackLivesMatter-Demo wurde die Statue demontiert und ins Hafenbecken geworfen. (Quelle: picture alliance / NurPhoto | Giulia Spadafora)

Nachdem Videos der Ermordung von George Floyd durch Polizeibeamte in Minneapolis die gesamte Welt erschütterten, haben sich nicht nur in den USA Protestbewegungen formiert, die ein Ende von rassistisch motivierter Polizeigewalt und strukturellem Rassismus fordern. Auch in europäischen Ländern und in Deutschland werden die Forderungen der Black-Lives-Matter-Bewegung aufgegriffen. 

Die Situation der schwarzen und indigenen Bevölkerung in den USA, die systematisch von einer hoch-militarisierten Polizei verfolgt wird, vom teilweise privatisierten Gefängnissystem überproportional schwer betroffen ist und häufig in Gegenden mit mangelnder infrastruktureller Versorgung lebt, ist eine andere als die, mit der sich schwarze Menschen in Deutschland und Europa konfrontiert sehen. Rassismus ist jedoch bei weitem kein US-amerikanisches Problem und die Konzentration auf die amerikanische Debatte verstellt den Weg für die Aufarbeitung der Fehlstellen im eigenen Land. Neben zahlreichen unzureichend aufgearbeiteten Mordfällen von schwarzen Menschen in Polizeigewalt oder dem Versagen der EU, ausreichend für die Menschenrechte von Geflüchteten einzutreten, die weiterhin auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer ertrinken, wird von Aktivist*innen zunehmend auch die koloniale Vergangenheit Europas thematisiert. 

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In Belgien entlädt sich diese Wut an Statuen von König Lepold II., dessen brutale Kolonialpolitik im Kongo zum ausgehenden 19. Jahrhundert nach Schätzungen von Historiker*innen bis zu zehn Millionen Kongoles*innen das Leben kostete. Auch in Bristol gewann die fehlende Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit erneut an Brisanz. Nachdem zahlreiche zivilgesellschaftliche Versuche, die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston zu entfernen, auf Widerstand gestoßen waren und selbst die Planung einer zusätzlichen Plakette, die auf seine Rolle hinweisen sollte, ins Stocken geraten war, wurde die Statue am 7. Juni 2020 von Demonstrierenden kurzerhand im Hafenbecken versenkt 

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Auch Deutschland hat eine koloniale Vergangenheit. Während die Aufarbeitung der unvergleichbaren Verbrechen Deutschlands zu Zeiten des Nationalsozialismus ein wichtiger Pfeiler der deutschen Erinnerungskultur geworden ist, erhalten die Verbrechen in den Kolonien des Deutschen Kaiserreichs bis heute unzureichende Aufmerksamkeit. Eines der vielen Beispiele der kolonialen Gewaltherrschaft fand zwischen 1904 und 1908 im heutigen Namibia statt, welches sich zwischen 1884 und 1915 als Deutsch-Südwestafrika im Besitz des deutschen Kaiserreichs befand. Die ethnischen Bevölkerungsgruppen der Herero und Nama, die unter der rassistischen Expansionspolitik litten, reagierten 1904 mit Aufständen, die durch die Reichsregierung gnadenlos niedergeschlagen wurden. Deutsche Truppen verjagten Teile der Bevölkerung in die Omaheke-Wüste, wo sie größtenteils verdursteten und internierten die Überlebenden der Aufstände in Konzentrationslagern, in denen aufgrund von Zwangsarbeit, fehlender Versorgung und Menschenversuchen Tausende starben. Die Niederschlagung der Aufstände durch den Kommandeur Lothar von Trotha gilt als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts und kostete nach Schätzungen 50.000 bis 70.000 Herero und Nama das Leben. 

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Dennoch tragen in Deutschland weiterhin Straßen die Namen von Adolf Lüderitz, Lothar von Trotha, Hermann von Wissmann, Carl Peters, Joachim Nettelbeck und zahlreicher anderer Männer, die während der Kolonial- und NS-Zeit als Volkshelden verehrt wurden und deren Verbrechen bis heute nicht im gesellschaftlichen Bewusstsein angekommen sind. Eine nach Städten aufgeschlüsselte Übersicht ist hier zu finden (http://www.freedom-roads.de/frrd/staedte.htm). Die Straßennamen gedenken nicht der Opfer, die ermordet wurden, sondern würdigen die Täter bis heute. Auch eine historische Einordnung durch ein zusätzliches Hinweisschild fehlt zumeist, sodass selbst Anwohner*innen häufig nicht wissen, dass ihre Anschrift den Namen eines Kolonialherren trägt. Dieses fehlende Bewusstsein zieht jedoch weitaus größere Kreise: Selbst der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel bescheinigte Deutschland im Januar 2020, nie Kolonialmacht gewesen zu sein.

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Vertreter*innen der Herero, Nama sowie zahlreicher anderer ethnischer Gruppen, der Vorfahren unter deutscher Kolonialherrschaft ermordet und ausgebeutet wurden, fordern seit Jahren eine Anerkennung der historischen Verantwortung Deutschlands sowie die Rückgabe von Schädeln, Gebeinen und Kunstwerken, die zur Kolonialzeit nach Deutschland verschifft wurden und sich noch heute in den Archiven zahlreicher Museen, darunter auch dem Berliner Humboldt-Forum befinden. Zwar wurden einzelne Objekte an die jeweiligen Herkunftsländer restituiert, weitestgehend verstecken die Institutionen sich jedoch hinter ihrer Provenienzforschung, um auf Zeit zu spielen. 

Auf Regierungsebene fehlt eine offizielle Entschuldigung für diese Verbrechen weiterhin. Zu groß ist die Angst davor, dass eine Anerkennung der kolonialen Verantwortung mit Reparationszahlung einhergehen könnte. Als Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), damalige Entwicklungsministerin, bei einem Namibia-Besuch 2004 äußerte: „Wir Deutsche bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben“,ruderte die deutsche Regierung zurück und sagte, dass Wieczorek-Zeul als Privatperson gesprochen habe. Anfang Juni 2020 verkündete der Präsident Namibias Hage Geingob jedoch, dass sich Deutschland erstmalig bereit erklärt habe, den Völkermord auch als solchen anzuerkennen und plane sich auf offizieller Ebene dafür zu entschuldigen (). Von deutscher Seite fehlt bisher eine diesbezügliche Stellungnahme. 

Aufgrund der Versäumnisse auf Bundesebene haben sich in den vergangenen Jahren in vielen Städten Deutschlands zivilgesellschaftliche Initiativen gegründet, die eine regionale Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit fordern (eine unvollständige Auflistung am Ende des Artikels). Eines ihrer Ziele ist die Umbenennung dieser Straßennamen und es ist ihnen zu verdanken, dass die Namen vieler Täter zunehmend durch Namen von Widerstandskämpfer*innen ersetzt werden.

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Gleichzeitig stoßen die Aktivist*innen immer wieder auf Widerstand. Die Initiative Berlin Postkolonial wird deshalb voraussichtlich im August 2020 den inzwischen siebten Jahrestag der symbolischen Umbenennung der „Mohrenstraße“ feiern. Sie fordern bisher vergeblich, die Straße in Anton-W.-Amo-Straße umzubenennen, um an den Philosophen und ersten schwarzen Akademiker Europas zu erinnern. Dieser wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts als Kind aus dem heutigen Ghana in die Niederlande verschleppt und schließlich an den Hof Braunschweig-Wolfenbüttel „verschenkt“. Er promovierte 1734 in Wittenberg in Philosophie. Dass der rassistische Straßenname auch im Rahmen der Black-Lives-Matter-Bewegung thematisiert wird, zeigt eine spontane Umwidmung zum Gedenken an George Floyd.

 

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Doch welche Gründe gibt es für das Scheitern der Umbenennung von Straßennamen überhaupt? Die Umbenennung des Maerckerwegs in Berlin Lankwitz (benannt nach Georg Maercker, der als Major Feldzüge gegen Herero und Nama führte) wurde Anfang 2020 vertagt, bis eine Bürger*innenbefragung und eine Kostenschätzung vorliegen. In Düsseldorf wurde zu Beginn 2020 zwar die Umbenennung einiger Straßennamen beschlossen, andere Namensgeber, wie der Gouverneur der Kolonien Kamerun und Deutsch-Ostafrika, Julius von Soden, wurden jedoch als historisch unbelastet eingestuft. In der Diskussion um die Umbenennung der Lüderitzstraße in Bremen argumentierte Beiratssprecherin Barbara Wulff (SPD) mit den Kosten, die auf Anwohner*innen durch die Adressänderung zukämen gegen eine Umbenennung. 

In einer wöchentlichen Kolumne in der B.Z. diskutieren  die ehemaligen Bürgermeister Berlins Eberhard Diepgen (CDU) und Walter Momper (SPD) Fragen rund um Berliner Politik. Im Januar 2020 lautet das tendenziöse Thema: “Müssen Straßennamen in Berlin dem heutigen Zeitgeist genügen?”. Zu einer Diskussion zwischen den beiden kommt es ohnehin nicht, denn die Männer sind sich einig. Diepgen glaubt, dass “keine und keiner der großen und verehrungswürdigen Frauen und Männer der Vergangenheit […] ohne jeden Fehl und Tadel“ seien und Momper betont, Straßennamen seien Zeugen einer Geschichte, aus der jede*r lernen könne. Aufgrund des fehlenden Wissens über die koloniale Vergangenheit Deutschlands stellt sich aber die berechtigte Frage, wie diese Lernprozesse genau ablaufen sollen und ob Zusatztafeln dieser Thematik tatsächlich gerecht werden können? 

In einer Broschüre für die Eine Welt Stadt Berlin entgegnet Joshua Kwesi Aikins, Menschenrechtsaktivist und Politikwissenschaftler an der Uni Kassel, der Beibehaltung von Straßennamen aus der Kolonialzeit mit folgenden Worten: 

„[…] hier geht es um die Frage der Anerkennung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit – diese lässt sich schwerlich unter einen Mehrheitsvorbehalt stellen oder in einer ‘Kompromisslösung’ umsetzen. So werden Debatten um Straßenumbenennungen zu einer Chance, das in gelebter Demokratie grundlegende Verständnis für die Grenzen einer (vermeintlichen) Mehrheitsmeinung auf den Stadtraum Berlins anzuwenden.“

Eine positive Entwicklung ist das in Berlin im Januar 2020 und auf fünf Jahre angelegte Modellprojekt „Postkoloniales Erinnern in der Stadt“, das sich kritisch mit der Rolle der Stadt im Kolonialismus und seinen Spuren und Nachwirkungen auseinandersetzt (). Es ist jedoch höchste Zeit, die koloniale Vergangenheit Deutschlands ganz offiziell auf Regierungsebene einzugestehen, tiefgreifender aufzuarbeiten und die Spuren aufzudecken, die diese Verbrechen bis heute in unserer Gesellschaft hinterlassen. Solange die Nachfahren der Betroffenen und die Menschen, deren Leben auch heute noch von Rassismus geprägt ist, dabei nicht an Entscheidungsprozessen beteiligt werden, hat Deutschland nichts aus den Protesten in den USA gelernt.

Einige zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands auseinandersetzen:

AugsburgBambergBielefeldBonnBraunschweigBremenDortmundDresdenDüsseldorfErfurtEssenFrankfurtFreiburgHalleHamburgHannoverHeidelbergJenaKasselKölnLeipzigMünchenPotsdamTübingen 

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Kurz erklärt “Rassismus gegen Weiße” gibt es nicht

Unter dem Hashtag #MeTwo teilten von Rassismus Betroffene ihre Diskriminierungserfahrungen. Statt zuzuhören und zu reflektieren, wurde die Debatte von Nichtbetroffenen in eine ganz andere Richtung gelenkt. Plötzlich ging es um den angeblich grassierenden “Rassismus gegen Weiße”.

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