
Denkt man an den US-amerikanischen Rapper Macklemore, kommen einem sofort die erfolgreichen Party-Hits der 2010er Jahre, „Can’t Hold Us“ und „Thrift Shop“, in den Sinn. Bekannt für seinen unverwechselbaren Sound, ist Macklemore spätestens mit diesen beiden Liedern nicht mehr aus der Hip-Hop-Welt wegzudenken. Seine Musik begeistert Millionen von Hörer*innen weltweit. Neben den markanten Gute-Laune-Beats zeichnet sein musikalisches Schaffen auch die Kritik an gesellschaftlichen Missständen aus. Das Lied „Same Love“ etwa gilt als Hymne für die Ehe für alle, mit „White Privilege“ und „White Privilege II“ kritisierte er unter anderem Rassismus und Polizeigewalt.
So ehrenwert Macklemores gesellschaftspolitisches Engagement auch ist, fiel er in der Vergangenheit nicht immer positiv auf. Im Mai 2014, nicht einmal ein Jahr, nachdem er mit seinem Duo-Partner Ryan Lewis von den Vereinten Nationen als Botschafter für Gleichberechtigung ernannt worden war, sorgte er mit einem Auftritt in seiner Heimatstadt Seattle für Schlagzeilen. Um als Überraschungs-Act bei einer Ausstellungseröffnung unerkannt zu bleiben, betrat er die Bühne in Verkleidung. Das ging jedoch nach hinten los: Eine angeklebte Plastikhakennase, schwarze Perücke und Vollbart brachten ihm den Vorwurf ein, antisemitische Klischees zu bedienen. Nach anhaltender Kritik entschuldigte er sich schließlich mit den Worten, dass er mit dem Kostüm keinerlei Hintergedanken gehegt habe. Zudem respektiere er alle Kulturen und Menschen. Ob er wissentlich oder unwissentlich judenfeindliche Stereotype bediente, bleibt Spekulation, jedenfalls trat er mit derlei Entgleisungen nicht noch einmal in Erscheinung.
Nachdem die israelische Armee auf das Massaker der Terrororganisation Hamas vom 7. Oktober 2023 mit Luftschlägen und wenige Wochen später einer Bodenoffensive reagierte, war Macklemore (bürgerlich Ben Haggerty) immer wieder auf Anti-Israel-Kundgebungen zu sehen. Im November 2023 hielt er bei einer Demonstration in Washington selbst eine Rede. War der Nahostkonflikt in Macklemores Engagement und künstlerischem Wirken bis zum 7. Oktober kein Thema, nutzte er von nun an seine Reichweite, um auf das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung aufmerksam zu machen – und gegen Israel zu hetzen.
Die Hamas, die für die katastrophale Situation im Gazastreifen zu einem großen Teil verantwortlich ist, wird in den Forderungen nach Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit nicht benannt. Dass die Terrororganisation selbst alles andere als ein Verfechter von Menschenrechten ist, ignoriert Macklemore. Solange sie den Gazastreifen kontrolliert, wird es für die palästinensische Zivilbevölkerung jedoch keine Freiheit geben. Dass Macklemore dies im Kampf für die „gute Sache“ ausklammert, ist mindestens terrorverharmlosend.
Aktivismus in der Konzertarena
Er wirft seither mit den üblichen dämonisierenden Begriffen „Genocide“, „Apartheid“ oder „Colonizer“ um sich und erhebt – nunmehr auch auf Konzerten und Social Media –, den palästinensischen Freiheitskampf zur Schicksalsfrage: Die Menschheit könne erst dann wirklich frei sein, wenn Palästina frei ist. In diesem Kontext instrumentalisiert Macklemore gerne auch den Holocaust. Dessen einzige Lehre bestehe darin, Widerstand gegen die „israelische Apartheid“ und den „Genozid“ zu leisten und sich für ein freies Palästina einzusetzen. So geschehen etwa bei einem Konzert in Mönchengladbach im Juni 2024 vor 16.000 Zuschauer*innen: „There was the Holocaust. There will never be reparations for that. The only way that we can atone for our past is by today: standing up against apartheid, against occupation, against genocide, for a free Palestine. That’s the only way!”
Im Mai 2024 goss Macklemore seine Haltung dann erstmals in ein Lied und lieferte mit „Hind’s Hall“ den ersten von drei Protestsongs, die sich unter anderem mit dem angeblichen Genozid, Israel als vermeintlichem Kolonialstaat, der Rolle Amerikas im Nahostkonflikt und dem Leid der Palästinenser*innen beschäftigen. Der Titel des Songs bezieht sich auf die Hamilton Hall an der Columbia Universität, die im Zuge der antiisraelischen Campus-Proteste von Studierenden in „Hind’s Hall“ umbenannt wurde. Das palästinensische Mädchen Hind Rajab wurde bei einer Militäraktion im Januar 2024 im Gazastreifen getötet. Ihr Tod hatte weltweit Entsetzen ausgelöst.
Wieder einmal Im Song fällt kein Wort zum Massaker der Hamas oder den jüdischen Opfern, dafür dürfen die typischen israelfeindlichen Kampfbegriffe oder das Geraune von einer mächtigen „Israellobby“ in den USA nicht fehlen. Da sich Macklemore nach seinem misslungenen Auftritt im Jahr 2014 mit Antisemitismusvorwürfen auskennt, immunisiert er sich in dem Song gleich gegen mögliche Anschuldigungen und beansprucht die Definitionsmacht über den Begriff: „We see the lies in ‚em / Clamin‘ it’s antisemitic to be anti-Zionist / I’ve seen Jewish brothers and sisters out there and ridin‘ in / Solidarity and screamin‘, ‘Free Palestine‘ with them“.
Protestsongs müssen keinesfalls ausgewogen sein; Zuspitzungen oder Verallgemeinerungen gehören dazu. Der berühmten Protestsong „Fuck Tha Police“ der Hip-Hop-Gruppe N.W.A. kommt in den Sinn. Mit Zeilen wie „History been repeating for the last seventy-five / The Nakba never ended, the colonizer lied” nutzt Macklemore jedoch eine Erzählung, in der Israel stets Aggressor ist und klammert relevante Aspekte der hochkomplexen Historie des Nahostkonflikts aus. Der Rapper will auf Leid und Unrecht aufmerksam machen, erzeugt mit seiner eindimensionalen und verzerrten Sichtweise jedoch ein dämonisierendes Bild, das dem jüdischen Staat die Rolle des Täters, Unterdrückers und alleinigen Aggressors zuweist, während Palästina die Position des Opfers zugeschrieben wird. Es scheint längst nicht mehr um Verständigung oder die friedliche Beilegung des Konflikts zu gehen.
Verkürzte Kritik
Im September 2024 folgte mit „Hind’s Hall 2“ dann die Fortsetzung. Dieses Mal lässt Macklemore nicht nur palästinensische Sänger zu Wort kommen, sondern setzt auch einen palästinensischen Kinderchor ein. Arbeitete „Hind’s Hall“ noch eher mit den charakteristischen, empowernden Party-Beats, ist der zweite Song schon wesentlich schwermütiger und nicht zuletzt durch den Kinderchor und Klavier-Samples erkennbar emotionaler.
Der palästinensische Rapper Anees singt in der ersten Strophe von mehreren Massakern an der palästinensischen Bevölkerung und davon, dass jede*r palästinensische Geflüchtete einen Schlüssel mit sich trage. Dieser steht symbolisch für die Vertreibung der Palästinenser*innen aus ihren Häusern während der Gründung des Staates Israels. Während der sogenannten Nakba (zu Deutsch: „Katastrophe“) mussten etwa 700.000 Palästinenser*innen ihre Heimat verlassen. Zum Teil geschah das freiwillig, zum Teil wurde von der israelischen Armee Gewalt eingesetzt. Anees erwähnt nicht, dass Palästinenser*innen die einzige Gruppe auf der ganzen Welt sind, die den Flüchtlingsstatus vererben. Aus den 700.000 Vertriebenen sind so mittlerweile über fünf Millionen Geflüchtete geworden. Das bedeutet, würden alle zurückkehren – was unter anderem auch zu den Kernforderungen der antisemitischen Boykottkampagne BDS gehört –, würde es keinen jüdischen Staat mehr geben.
Bevor Macklemore die dritte Strophe beginnt, brüllt eine Person „From the river to the sea“ und eine Menge antwortet „Palestine will be free“. Nach diesem aggressiv wirkenden Part fährt der Song mit dem typischen Macklemore-Partysound fort und der Rapper beginnt mit seiner Strophe. Er spricht von Kolonialisierung, Kindermord und dem Boykott von Geschäften.
Im Februar 2025 erscheint dann der dritte Protestsong „fucked up“, der nicht nur auf den „Freiheitskampf“ Palästinas Bezug nimmt, sondern ebenso Elon Musks Hitlergruß, Donald Trumps Politik und die Zustände im Sudan und Kongo behandelt. Erneut wirft Macklemore Israel Genozid vor. Nach Trumps Äußerungen im Februar, aus Gaza eine „Riviera“ des Nahen Ostens zu machen, sieht er sich darin bestätigt: „What we said was gonna happen is happenin‘ right now“.
Der Vorwurf oder vielmehr die Angst vor einer ethnischen Säuberung ist in diesem Falle durchaus berechtigt. Konkret hatte Trump die wahnwitzige Idee, die Bevölkerung Gazas in umliegende arabische Staaten zwangsumzusiedeln und den Küstenstreifen in ein Hotelressort zu verwandeln. Ein Wiederaufbau würde Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte dauern. Ob die Bewohner*innen des Gazastreifens jemals zurückkehren dürfen, ist mitnichten garantiert. Die Äußerungen Trumps nun jedoch als Beleg anzuführen, dass Israel im Gazastreifen einen Genozid an der Bevölkerung verübe, ist trotzdem zu kurz gegriffen. Erneut ignoriert Macklemore den Kontext, erneut findet das verheerende Massaker der Hamas nicht statt. Wieder einmal raunt Macklemore von den „Colonizers“, wieder einmal beklagt er eine angebliche Meinungsdiktatur bzw. Zensur, wenn es um den antiisraelischen Protest geht.
Performativer Widerstand
Wer weiß, vielleicht hilft es der Bewegung und möglicherweise gibt es Menschen, die sich von ihm gehört und repräsentiert fühlen. Doch entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet ein weltbekannter, weißer, männlich gelesener US-amerikanischer Musiker – berühmt geworden durch Schwarze Musik – sich mit Millionen von Follower*innen im Rücken und milliardenfach auf Spotify, Apple Music und YouTube gestreamt, das Leid der Palästinenser*innen aneignet und in Opferposition begibt, nur um sich dann als Messias des Widerstands zu inszenieren. Die Funktion wurde ihm nicht übertragen, er hat sie sich genommen – Macklemore arbeitet unermüdlich daran, dieses Bild zu perpetuieren und bisweilen ins Absurde zu steigern.
Der Rapper ist kein Einzelfall. Das reflexhafte Festhalten an Genozidvorwürfen, Apartheidserzählungen oder die Unterstützung des Israelboykotts ist in der Popkultur längst keine Seltenheit mehr. Bereits vor dem 7. Oktober nutzten Musiker*innen ihre Reichweite, um antisemitische Hetze zu verbreiten. Roger Waters ist das beste Beispiel. Die Boykottkampgange BDS ruft seit etwa zwei Jahrzehnten zum Boykott von Veranstaltungen mit Israel-Bezug auf, und setzt dabei auch jüdische oder israelische Künstler*innen unter Druck.
Seit dem 7. Oktober scheint der Positionierungsdruck jedoch ein neues Ausmaß erreicht zu haben. So wurde die Sängerin Sophie Ellis-Bextor allein für das Tragen eines blauen Lidschattens als Genozidbefürworterin diffamiert. Beim Eurovision Songcontest (ESC) im letzten Jahr in Schweden erhielt die israelische Sängerin Eden Golan Morddrohungen, einige Musiker*innen riefen zum Boykott des Musikwettbewerbs auf, falls Israel nicht von der Teilnahme ausgeschlossen würde. Die Kampagne gegen Golan wurde so gefährlich, dass sie ihr Hotelzimmer in Malmö nur unter Polizeischutz verlassen und an öffentlichen Empfängen nicht teilnehmen konnte.
Ob aus Positionierungsdruck oder eigener Überzeugung: Kaum ein anderer Musiker hat das Anliegen der Palästinenser*innen so geschickt vereinnahmt und zu seinen Zwecken instrumentalisiert wie Macklemore. Diese sind nicht einmal finanzieller Natur – schließlich spendete Macklemore nach eigenen Angaben die Einnahmen aus „Hind’s Hall“ bereits an das Flüchtlingswerk UNRWA. Wenn man sich die Entwicklung der drei beschriebenen Songs anschaut, könnte man spätestens bei „fucked up“ interpretieren, dass Macklemore sich nun nicht nur mehr als Sprachrohr gegen einen vermeintlichen Genozid sieht. Die Zeile „If you still haven’t said shit about the genocide Know your grandkids one day are gonna ask you, ‘Why?‘“ ist für Macklemore nicht nur Rhetorik: Der Rapper ist der personifizierte Widerstand für die westliche Gesellschaft, eine Möglichkeit ganz einfach Stellung zu beziehen, aller Komplexität zum Trotz. Den passenden Sound für den Anti-Israel-Protest hat er jedenfalls bereits produziert. Eines kann sich Macklemore sicher sein: Wenn seine Enkelkinder ihn fragen werden, wo er damals war, als in Gaza ein „Genozid“ an den Palästinenser*innen stattfand, kann er sich entspannt in seiner Villa zurücklehnen und sagen, im performativen Widerstand.
Maria Kanitz und Lukas Geck sind die Herausgeber*innen des Bandes „Klaviatur des Hasses – Antisemitismus in der Musik“, der 2022 im Nomos-Verlag erschienen ist. Zurzeit arbeiten sie an einem Buch über Antisemitismus in der Popmusik und die Entwicklungen in der Musikwelt nach dem 7. Oktober, das im Herbst 2025 erscheinen wird.