Der Rahmen
Schon im Vorfeld war intensiv über den von Nazis geplanten „Gedenkmarsch“ in Magdeburg und die Gegenproteste spekuliert worden: Würde das wiederholte Scheitern der Aufzüge in Dresden dazu führen, dass vor allem die Freie Szene nach Magdeburg ausweicht? Wie schon in Dresden mutet auch in Magdeburg das vermeintliche Gedenken zynisch an: Kriegshandlungen werden aus ihrem Zusammenhang gerissen und verzahnt mit einem Szenario der aktuellen Unterdrückung einer „germanischen Volksgemeinschaft“, aus der es sich mit den Mitteln von Gewalt und Kampf zu befreien gilt.
Stadt- und Landespolitiker lehnten Blockaden als Mittel des Gegenprotests ab und kriminalisierten deren Einsatz. Zudem war die Aufmarschroute der Rechtsextremen bis lange in den Tag hinein nicht klar. Fest stand, dass die „Meile der Demokratie“ und verschiedene Demonstrationen die Innenstadt weitgehend in Beschlag nehmen würden.
Die Inszenierung beginnt
Der Tag ist grau. Gegen ein Uhr am Mittag ist schließlich abzusehen, dass die Demonstration auf der westlichen Elbseite Magdeburgs und zwar hauptsächlich in Alt Fermersleben stattfinden wird. Die Nazis befinden sich bereits in Zügen auf dem Weg dorthin.
Zur Sicherung des Marschs hat die Polizei an der südlichen Grenze der Innenstadt eine Linie errichtet und weist alle Personen ab, die nicht BerufspolitikerInnen, JournalistInnen oder AnwohnerInnen sind. Die kontrollierenden Einsatzbeamten wirken umgänglich, zeigen bei Diskussionen aber schnell Zeichen von Genervtheit. Im Nachgang des Tages wird vor allem das brutale Vorgehen einzelner Polizeieinheiten in der Innenstadt und die fehlende Möglichkeit des Gegenprotests in Hör- und Sichtweite der Nazidemonstration kritisiert werden.
Begleitet von Polizisten und Journalisten startet der Demonstrationszug so ohne Blockaden vom Bahnhof Magdeburg SKET. Die Route verläuft anfangs durch eine Gartensparte hindurch, den leicht ansteigenden Schanzenweg zum ersten Kundgebungsort hinauf. Wie ein schlangenförmiges Schwarzes Loch, dessen Ende blaue Lichter bilden, ziehen die Rechtsextremen auf. Beschallt wird der Zug durch einen Lautsprecherwagen, welcher Auszüge aus Wagners Götterdämmerung spielt. Die Intonation der Dauerschleife kommt martialisch daher und erinnert an die Melodie des Dunklen und Bösen in der Filmreihe Star Wars.
Brüllendes Erinnern und vermummte Trauergäste
Die erste Zwischenkundgebung folgt auf dem Fuße. Der kurze Redebeitrag wird eher brüllend denn bedächtig vorgetragen, die Stimme des Sprechenden überschlägt sich häufig.
Eine kleine Gruppe von Landtagsabgeordneten der Linken protestiert – und wird dabei vom Kunden des nahen Supermarkts unterstützt, der in seinem Auto ausdauernd auf die Hupe drückt.
Der Aufzug bleibt ruhig. Offensichtlich wurde „Gedenken“, Selbstbeherrschung und Disziplin verordnet – für die anwesende Presse wird die Arbeit so leichter, doch im folgenden wird man erfahren, dass es am Hauptbahnhof und dem Weg zum Veranstaltungsort zu Übergriffen auf Berichterstatter kam.
Der Großteil der Demonstrationsteilnehmer kleidet sich Schwarz. Von traditionellem Trauerflor kann allerdings nicht die Rede sein: Vielmehr präsentieren sich hauptsächlich junge Männer, deren sportliche Kleidung eher zu gewaltvollen Zusammenstößen als zu einer Gedenkveranstaltung passt. Sie tragen das Outfit der Autonomen Nationalisten. Wenige farbige Akzente liefern einige mitmarschierende Frauen mit grell gefärbten Haaren. Trotz der offensichtlich verordneten Ruhe versuchen einige Neonazis, Aggressivität auszustrahlen. Andere laufen einfach nur mit. Vor allen die Gesichter der jüngeren Teilnehmer wirken ausdruckslos. Mit Hilfe von Sonnenbrillen, Sturmhauben und Tüchern haben sich einige Rechtsextreme vermummt. Es wird ihnen nicht verboten.
Banger Blick zum Rockerclub
Nach dem kurzen Redebeitrag zieht der Tross an leerstehenden Industriegebäuden vorbei. Dazugehörige, unbewohnte Mietskasernen mit eingeworfenen Fenstern komplettieren das Bild eines Industrieviertels, dessen geschäftige Zeiten schon lange vorbei sind. Die leblosen Hüllen der Bauten vergangener Tage sind noch zu sehen, während von den Menschen nur Grabsteine geblieben sind – der Zug passiert einen Friedhof.
Wenig lebhaft ist die Szenerie auch am Magdeburger Bandidos-Clubhaus, welches auf der Route liegt. Das Verhältnis von Rockern und Rechtsextremen ist im Generellen wie in diesem Moment nicht klar. Trotz der zahlenmäßig hohen Überlegenheit sieht man den Nazis an, dass sie wissen, wessen Revier hier soeben durchzogen wird. Fast schon vorsichtig schauen sie zu den Bandidos, die den bangen Blick der Rechtsextremen mit vor der Brust verschränkten Armen erwidern.
Die Demonstration bewegt sich weiter, nun säumen auch einzelne AnwohnerInnen die Route. Ein Jugendlicher kauft sich bei „Dirks Kiosk“ ein schnelles Bier und leert dieses am Straßenrand, während der Protestzug an ihm vorbeizieht. Sein Bekannter nimmt alles mit dem Handy auf. Beide verschwinden kurze Zeit später in einem Wohnhaus, bei dem man nicht weiß, ob das Wetter oder der schwarze Demozug die Farbe des Hauses zu einem abgeschmierten Grau-Grün verlaufen lässt.
Kleinere Störungen können die Horde nicht stoppen
Ein kleines Mädchen führt ihre Mutter, der sichtlich unbehaglich ist, an der Hand den Straßenrand entlang. Sie erzählt ihr von der aufziehenden „Horde Menschen“. In ihren Worten spiegelt sich die ganze Ambivalenz der Inszenierung. Die TeilnehmerInnen des Demonstrationszuges sind individuelle Personen, lassen sich aufgrund der von ihnen vertretenen Inhalte aber nur als dunkle Kollektivmasse wahrnehmen. Einzig die eingesetzten Ordner heben sich ein wenig ab, indem sie weiße Armbinden tragen. Ihnen ist es gestattet, aus dem gleichförmigen Marsch auszubrechen, um immer wieder Kameras zuzuhalten und den JournalistInnen mit „Hausbesuchen“ zu drohen.
Vor dem linken Hausprojekt „Libertäres Zentrum“ (Liz) haben die Organisatoren die zweite Zwischenkundgebung angemeldet. Auch das wird ihnen nicht verboten. Die Bewohner des Hauses und zehn weitere Gegendemonstranten versuchen, die Beiträge mit Hilfe von Küchengeschirr und Trompeten zu stören, was nur mäßig gelingt. Die Bilder einer Polizeieinheit, welche auf Ausschreitungen wartet, um dann das Haus zu räumen, prägen im Nachgang die Berichterstattung. Außerdem müssen die Vorträge in Folge eines mutmaßlichen Steinwurfs unterbrochen werden.
Bis zur Abschlusskundgebung passiert der Naziaufmarsch zwei kleinere Sitzblockaden von jeweils etwa 20 Gegendemonstranten und zwei grölende, betrunkene Anwohner, die es nicht mehr zum „Gedenkmarsch“ geschafft haben. Eine erfolgreiche Blockade der Demo bleibt aus.
„Wir sind im Krieg, Volkskameraden“
Das „Abschlussgedenken“ findet am Bahnhofsvorplatz Magdeburg-Salbke statt. Aufgrund dessen geringer Größe muss die Hälfte der Demonstrationsteilnehmer unter einer Gleisbrücke „gedenken“. Kälte und modernde Feuchtigkeit stehen in der Luft. Brennende Fackeln werden gezückt. Wenige Anwohner des anliegenden Wohnhauses öffnen ihre Fenster, um dem Spuk nachzugehen, schließen diese aber schnell wieder und ziehen die Gardinen zu.
In den letzten Redebeiträgen wird für die Teilnahme am Aufmarsch gedankt. In der kleinen Senke schallt es: „Wir sind im Krieg, Volkskameraden“. Die Demonstrierenden sollten sich weiterhin für die „Volksgemeinschaft“ einsetzen, Andersdenkende besuchen und „überzeugen“ und sich in das jeweilige Stadt- und Landleben einbringen. Man müsse zudem „europäisch zusammenstehen“. Nur so wäre es möglich, der eigenen Volksgemeinschaft zu alter Blüte zu verhelfen.
Von Europa ist in dem Aufzug bis auf eine rot leuchtende, norwegische Flagge nichts zu sehen. Die sich beteiligenden Gruppierungen – hauptsächlich Kameradschaften – sind fast ausschließlich aus den neuen Bundesländern angereist. Von ihrer Herkunft zeugen die oftmals altdeutschen Schriftzüge der jeweiligen Transparente.
Wie zum letzten Gefecht bereit droht der Abschlussredner den Regierenden mit Worten Theodor Körners und erhobener Faust: Deren von Außen gelenkte Verschwörung werde bald enden und das Volk sie richten. Diese „Vision“ beendet den als Gedenkmarsch angemeldeten Aufzug.
Die Nachlese
Die Teilnehmerzahlen des „Gedenkmarschs“ schwanken zwischen 800 und 1.000. Die „Freien Kräfte“ konnten somit ihren Ansprüchen entsprechend nicht mobilisieren und liefen in einem peripheren Stadtgebiet ohne viel Aufmerksamkeit. Das kann weder nach außen noch nach innen als Erfolg vermittelt werden.
In der Rekapitulation des Tages kann man sich von dem Aufzug und den daran Teilnehmenden nur schwer lösen. Man wirft ihnen Fehlgeleitetheit vor und weiß, dass sie dasselbe über jeden Nicht-Rechten denken. Die menschenfeindliche Natur der nationalsozialistischen Ideologie ist der Faktor, der Ignoranz und Toleranz in dieser Richtung verbietet – gerade in einer Stadt, in der in den letzten 20 Jahren mindestens vier Menschen durch Rechtsextreme ermordet wurden.
Auf dem Weg zurück in die Stadt kann man beobachten, wie sich die Szenerie gewandelt hat. Das Industrieviertel ist wieder im Winterschlaf versunken, keine Anwohner mehr auf den Straßen. Alt Fermersleben hat seinen Frieden zurück. Der Zug fährt dort hin, woher er gekommen ist.
Am Ende ist da Leere.
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