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Marcel Goldhammer Vom VIP-Escort zum AfD-Direktkandidaten

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Mit dem Wahlspruch „schwarz, rot, Goldhammer“ kandidierte Marcel für den Bundestag, scheiterte aber mit 7,4 Prozent
Mit dem Wahlspruch „schwarz, rot, Goldhammer“ kandidierte Marcel für den Bundestag, scheiterte aber mit 7,4 Prozent (Quelle: Goldhammer/Glotzenoff Filmverleih)

Als Drehbuch wäre die Vita von Marcel Goldhammer fast zu unglaubwürdig: 1987 in Kaiserslautern geboren, in einem linken Haushalt in der westdeutschen Provinz aufgewachsen, evangelisch getauft, schwul. Ein Waldorfschüler mit einer Vorliebe für Modelling und Schauspielkunst. Der junge Goldhammer spielt in Krimiserien wie Tatort oder SOKO Kitzbühel mit, bestreitet seinen Lebensunterhalt aber vor allem als Escort und betreibt den Blog „Travel(b)logue of a Berlin Callboy“. Mit 18 konvertiert er zum Judentum, studiert in Berlin, Tokio und Peking. 2013 zieht er nach Israel, macht Alija, arbeitet während seines Wehrdienstes in der internationalen Pressestelle der israelischen Armee.

Politisch ist Goldhammer zunächst glühender Merkel-Fan, tritt der CDU bei, engagiert sich in der Jungen Union. Aber dann driftet er immer weiter nach rechts ab. Er gewinnt 2018 einen Jungautoren-Wettbewerb der rechtsnationalistischen Zeitung Junge Freiheit, schreibt für den rechtspopulistischen Blog „Philosophia Perennis“, berichtet für Breitbart News. Auf YouTube betreibt er den Kanal „Die rechte Ecke“, mit dem er Stimmung gegen die „linksgrün-versifften Mainstreammedien“ oder die „Maskenmafia“ des „Unions-Clans“ macht. Schlagwörter des rechten Rands.

Zur Bundestagswahl 2021 ist Goldhammer bei der AfD: Er landet auf Listenplatz 6 für Berlin, ist Direktkandidat in Neukölln – schafft es aber nicht in den Bundestag. Er wird Vorstandsmitglied der „Juden in der AfD“ und Pressesprecher der „Alternativen Homosexuellen“. Auf einem Plakat mit Goldhammers Gesicht lautet der Wahlspruch: „Berlin sicher machen für Juden und Schwule“. Sein Name erscheint darunter auch in hebräischer Schrift. Ein besseres Feigenblatt ist in der oft antisemitischen und homofeindlichen Partei wohl kaum zu finden. 2022 kündigt er auf Facebook sogar die Gründung einer neuen Partei an: die AfI – Alternative für Israel.

Sein schillernder Lebensweg hat es jetzt auf die Leinwand geschafft. Die Dokumentation feiert am 25. Januar beim Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken Premiere: „Goldhammer – The Retired Whore“, zu Deutsch: die Hure im Ruhestand. „Ein Millennial auf dem Weg zum rechten Populisten“, heißt es im Ankündigungstext: „Eine Biographie, die widersprüchlicher kaum sein könnte – und genau deshalb perfekt in unsere Zeit zu passen scheint.“ Der Trailer ist eine Collage aus Jetset-Leben, Kokainrausch, Analverkehr – und Wahlkampf mit Beatrix von Storch.

Scharf rechts abgebogen

Bereits 2017 beginnen Regisseure André Krummel und Pablo Ben Yakov mit den Dreharbeiten: Krummel und Goldhammer kennen sich seit 2009, die beiden seien gut befreundet gewesen, erklärt Ben Yakov im Gespräch mit Belltower.News. Damals ahnen die beiden Regisseure noch nicht, dass aus Goldhammer ein Posterboy der neuen Rechten wird. Er sei aus anderen Gründen ein interessanter Protagonist gewesen: als schwules CDU-Mitglied mit Escort-Vergangenheit. „Es war eigentlich auch diese Skurrilität, die uns interessiert hat“, sagt Ben Yakov. „Er hat zu diesem Zeitpunkt auch eine ziemlich starke Kokainsucht entwickelt und eine sehr außergewöhnliche Beziehung geführt.“

Als Sexarbeiter führte Goldhammer ein Jetset-Leben (Quelle: Goldhammer/Glotzenoff Filmverleih)

Über die 90 Minuten des Films ist Goldhammer tatsächlich im Dauerrausch. Und die außergewöhnliche Beziehung, die Ben Yakov meint, ist mit einem Chinesen, der im Film nur als „L.“ identifiziert wird: ein ehemaliger Freier, der Goldhammers koksgetriebenes Luxusleben zwischen Berlin, Tel Aviv und Zürich finanziert, damit er nicht mehr als Escort arbeiten muss. In Goldhammers Worten: Sein „Pretty-Woman-Moment“. Aber wie so vieles in seinem Leben droht auch diese Beziehung zu scheitern.

Der Film ist vor allem die Geschichte eines Selbstdarstellers: Goldhammer erklärt den Zuschauer*innen, wie eine Analdusche funktioniert, wie man Kokain am besten trocknet, wie man 20.000 Dollar durch den Zoll schmuggelt. Er präsentiert sich als erfolgreicher Könner, als vielfliegender VIP. Aber hinter der Fassade steckt ein einsamer, manchmal weinender Mensch, der kaum Freund*innen hat und Geburtstage und Silvester alleine feiert. Auch einige biografische Details sind lediglich Teil seiner Inszenierung: So heißt der jüdisch-klingende Goldhammer tatsächlich Goldammer, nach der Vogelart. In den Israel Defense Forces soll er laut Film nur einige Wochen gedient haben.

Aus der Entzugsklinik in den Bundestag

Die rechte Radikalisierung kommt offenbar in einem Krisenmoment: Als Goldhammer auf Entzug in einem sonnigen Klinikresort mit Pool ist, nimmt er am besagten Wettbewerb der Jungen Freiheit teil. Er holt mit seinem Artikel „Von der Waldorfschule zur israelischen Armee“ den zweiten Platz und gewinnt eine Führung durch den Bundestag. Nun hat Goldhammer einen neuen Traum, er will in die Politik. Und sein Aufstieg in der AfD ist ein schneller.

2020 arbeitet er für die Bundestagsfraktion im Social-Media-Team, filmt „Querdenken“-Proteste und posiert mit „Make America Great Again“-Basecaps. Er wird Parteimitglied und tritt zur Bundestagswahl 2021 an: „Großartige Neuigkeiten: Ich bin jetzt Politiker!“, sagt er in die Kamera, als wäre seine politische Karriere Rechtsaußen einfach eine neue Rolle, die er spielt. Auf dem Berliner Landesparteitag im Juni 2021 stellt er sich mit Kippa vor, die er zuvor selten trägt: „Shalom, guten Tag. Ich bin der jüdische Direktkandidat im Kalifat Neukölln.“ Er sei ausgebildeter Fitnesstrainer und ehemaliger Schauspieler. Über andere Teile seiner Vergangenheit schweigt er.

Wahlkampf in Neukölln: Mit provokativen Plakaten will Goldhammer 2021 in den Bundestag (Quelle: Goldhammer/Glotzenoff Filmverleih)

Es dauert nicht lange, bis Goldhammer mit Parteigröße Beatrix von Storch zusammen Wahlkampf machen darf: Die beiden verhüllen eine Marxstatue mit Müllsäcken, nennen den Vater des Kommunismus „Rassist“ und „Antisemit“. Goldhammer ist endgültig am rechten Rand angekommen: In Reden zitiert er Gauland, wettert gegen „Globalisten“, „Gendergaga“ und „Geburten-Jihad“. Zu Weihnachten machen sich seine Eltern aufgrund seiner rechtsradikalen Äußerungen Sorgen.

Mit Rechten reden

Nicht zum ersten Mal werfen Pablo Ben Yakov und André Krummel ein Licht auf einen problematischen Protagonisten: Mit ihrem umstrittenen Film „Lord of the Toys“ 2019 dokumentieren sie einen abgehängten Freundeskreis in Dresden rund um den YouTuber Max Herzberg, der als Adlersson bekannt ist. Darin fallen rechtsextreme Parolen wie „Sieg Heil“. In einer Szene kommt es zu einer rassistisch motivierten Schlägerei auf dem Oktoberfest. Zu verharmlosend und unkritisch sei der Film, beklagen Kritiker*innen. Die Leipziger Cinématèque, eine offizielle Festivalspielstätte der „Dok-Tage“, wo der Film gleich zwei Preise gewann, distanzierte sich sogar.

Bieten sie mit ihrem neuen Film „Goldhammer“ nicht schon wieder rechtsradikalem Gedankengut eine Bühne? „Eine ekelhafte Eigenschaft der Rechten ist, dass sie andere ausschließen“, sagt Regisseur Ben Yakov dazu. Das will er selber nicht tun, mit Rechten zu reden ist für ihn also kein Problem. „Aber natürlich zeigt und reproduziert der Film Marcels Thesen. Und ich verstehe, dass das problematisch sein kann“, fährt er fort. Als film- und kunstaffine Menschen sollte das Publikum allerdings imstande sein, sich mit solchen Inhalten auseinanderzusetzen, ohne ihnen anheimzufallen, so Ben Yakov weiter: „Wir müssen das aushalten, denn diese Thesen könnten gar nicht schwächer sein. Vor ihnen Angst zu haben und sie nicht betrachten zu wollen, gibt ihnen überhaupt erst eine Kraft, die sie nicht verdient haben.“

Insofern entlarvt der Film „Goldhammer“ nicht nur die Widersprüche des Protagonisten selbst, sondern auch die der rechtsradikalen Ideologie, der er anhängt: „Marcel lebt nicht wie ein Rechter“, betont Ben Yakov. „Wenn das, was Marcel als seine politische Überzeugung vorgibt, tatsächlich in der Welt Status quo wäre, dann könnte Marcel nicht mehr so leben, wie er lebt.“ So könne sich Ben Yakov kaum vorstellen, dass Goldhammer tatsächlich von seinen eigenen Thesen überzeugt sei. Vielmehr wolle er provozieren und Aufmerksamkeit erregen. „Mein Gefühl während des Wahlkampfs war, dass er keine echte politische Ambition hatte, er wollte nicht wirklich im Bundestag sein.“ Und dennoch: seine Worte sind gefährlich, seine Hetze real. „Das, was er in seinen Reden während des Wahlkampfs geäußert hat, war stramm rechts und unter aller Sau“, so Ben Yakov weiter.

Sternstunde der Politik

Was der Film für Goldhammers weitere politische Karriere Rechtsaußen bedeutet, bleibt offen. Philip Stein, Chef des rechtsextremen Verlags „Jungeuropa“ und Leiter der rassistischen Kampagnenagentur „EinProzent“, teilte den Link zum Trailer auf Twitter und adressiert in einem offenbar sarkastischen Kommentar von Storch, die im Film neben Goldhammer mehrmals vorkommt: „Ihr Wirken wird Geschichtsbücher füllen. So oder so. Vielen Dank für diese Sternstunde der Politik.“ Der rechtspopulistische Blog „Philosophia Perennis“, für den Goldhammer geschrieben hat, schlagzeilt „Ein Skandal, der keiner ist“ und schreibt: „Nur wer die Partei für ein unschuldiges Mädchenpensionat hält, wird wirklich erschüttert sein.“

Aber ganz vorbei ist Goldhammers politische Karriere vielleicht sowieso noch nicht. Denn der Bundestag hat im November 2022 entschieden, dass die Wahl von 2021 in knapp 20 Prozent der Berliner Wahlbezirke wiederholt werden muss. Gegen diese Entscheidung wurde bereits geklagt, ein Termin steht also noch nicht fest. Goldhammer wird aber vermutlich auf den Wahlzetteln stehen und hat also womöglich eine neue Chance in der Bundespolitik.

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