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Matthias Quent über Klimarassismus „Wir müssen Umweltschutz und Antifaschismus zusammendenken“

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Mit Matthias Quent, Autor und Professor für Soziologie, haben wir zum Klimarassismus gesprochen. (Quelle: Sio Motion)

Hass auf grüne Politik, Klimawandelleugnung aus Wissenschaftsfeindlichkeit, Ökofaschismus als Neuauflage der Blut-und-Boden-Ideologie – das kennen Beobachter*innen der rechtsextremen Szene. Doch das neue Buch von Matthias Quent, Axel Salheiser und Christoph Richter beleuchtet menschenfeindliche Aspekte des Kampfes um den ökologischen Wandel weiter. Es heißt: „Klimarassismus. Der Kampf der Rechten um die ökologische Wende.“ Wir haben Matthias Quent interviewt, was sich dahinter verbirgt.

Matthias Quent ist Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Er gründete und leitete bis 2022 das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena. Quent forscht und lehrt unter anderem zu Rechtsradikalismus, Folgen der Digitalisierung, zu Demokratieförderung und zu gesellschaftspolitischen Fragen der ökologischen Transformation.  Sein Sachbuch „Deutschland rechts außen“ (Piper, 2019) stand auf der Spiegel-Bestsellerliste und wurde mit dem Preis „Das politische Buch 2020“ der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgezeichnet.

Belltower.News: Ihr beschäftigt Euch in Eurem neuen Buch nicht nur mit rechtsextremen, sondern mit den vielen verschiedenen Milieus, die den Klimawandel leugnen oder zumindest Maßnahmen zum Klimaschutz verhindern wollen – also etwa auch mit wirtschaftsorientierten oder libertären Argumentationen. Gibt es etwas, was all diese Gruppen gemeinsam haben?  

Matthias Quent: Gemeinsam ist diesen Milieus, dass sie Privilegien bewahren wollen – auf Kosten von fortgeführter Ungleichheit. Der Klimawandel wird von rechts in der Regel  nicht geleugnet, weil diese Menschen zu dumm oder ungebildet sind. Sondern es geht darum, Ungerechtigkeit zu verschleiern, Macht oder Reichtum nicht zu teilen und gleichwertigkeitsorientierte Politik zu verhindern. Der globale Norden hat durch die Industrialisierung  den Klimawandel entscheidend verursacht – aber vor allem der globale Süden muss die Konsequenzen tragen, ohne groß mitsprechen zu können. Auch arme Menschen, Migrant:innen und Frauen sind überproportional betroffen. Eine Gemeinsamkeit ist also die Entsolidarisierung mit besonders vulnerablen Menschen.

Dass Klimawandel-Leugnung ein Kampagnenthema ist, sehen wir in den gemischten Protestmilieus, die sich seit den Montagsmahnwachen 2014 über Pegida und Flüchtlingsfeindlichkeit bis zu den Pandemieleugner-Demos der letzten Jahre gebildet haben. Ihr schreibt aber jetzt vom Klimarassismus – warum?

Den Klimawandel erleiden alle Menschen auf der Erde, aber er hat nicht für alle Menschen die gleichen Auswirkungen und es sind nicht alle Menschen gleich stark dafür verantwortlich. Darauf weisen postkoloniale forschende Strukturen bereits seit Jahren hin – von deren Kritik haben wir viel gelernt. Die Bevölkerung im reichen, globalen Norden leidet unter den Folgen nicht so stark wie Menschen im armen, globalen Süden. Historisch weiße Industrienationen sind schuld am Klimawandel, können aber die Folgen durch Geld und Technologie besser abfedern – und wollen dies nicht mit dem globalen Süden teilen. Das ist eine Form von strukturellem Rassismus, der von rechts zur nationalisitischen Absicherung und Abschottung radikalisiert wird. Dann gibt es natürlich ökofaschistische Akteure, denen Antwort auf den Klimawandel ist, zu fordern, dass sich nicht etwa Industrienationen verändern müssten, sondern dass die Bevölkerungszahl im globalen Süden dezimiert werden müsste. Das ist auch Rassismus. Und in solchen Debatten geht es nicht nur um Realitäts- oder Wissenschaftsleugnung – es ist sind manipulative Narrative, die die Gesellschaft radikalisieren.

Dass Lobbygruppen und Nutznießer*innen der Klimawandelleugnung Interesse daran haben, um die ökologische Wende zu kämpfen, scheint logisch – aber was ist das Interesse der rechtspopulistischen oder rechtsextremen Akteur*innen?

Wenn es ein begrenztes CO2-Budget gibt, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, und die Industrienationen darum kämpfen, besonders viel davon verbrauchen zu dürfen, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse des globalen Südens, dann ist eine extreme Form von Ungleichheit, die begründet werden muss. Warum dürfen wir in Deutschland pro Kopf im Durchschnitt das neunfache an CO2 emittieren als auf dem afrikanischen Kontinent? Und je reicher, desto höher ist der C02-Ausstoß in der Regel noch über diesen Durchschnitt hinaus. Wodurch ist das gerechtfertigt? Jedenfalls nicht durch die demokratische Versprechen auf Gleichwertigkeit und Chancengleichheit. Dieser ungerechte Zustand ist das Ergebnis von über Jahrhunderten gewachsenen rassistischen Strukturen in der Welt.  Es geht bei der Leugnung des Klimawandels und der Hauptverantwortung des globalen Nordens  darum auch um den Erhalt des Status Quo einer Vormachtstellung, mit der man sich mehr Rechte und Wohlstand herausnimmt, als man anderen Menschengruppen zugesteht. Wir haben das unter anderem  unter Trumps rechter “Amerika first”-Politik gesehen, dass die Trump-Regierung aus ihrer ökologischen Verantwortung und konkret dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen ist: Da geht es auch gegen Bestrebungen für mehr  globale Gerechtigkeit, die wir brauchen, um die globale  Bedrohung der Erderhitzung gemeinsam zu bewältigen. Es geht aber auch gegen die Emanzipation der besonders Betroffenen, des globalen Südens, dem man nicht die gleichen Rechte zugestehen möchte wie sich selbst. Denn die noch verfügbaren CO₂-Ressourcen reichen gar nicht dafür aus, dass alle Menschen auf der Welt so leben können wie etwa in Deutschland.  Akteur*innen der radikalen Rechten kämpfen besonders aggressiv dagegen, dass die eigene Lebensweise, die weiße Vorherrschaft und die eigenen Privilegien infrage gestellt werden. Das ist auch in der rechtslibertären Szene der Fall, wo immer das Motto ist: Der Staat und globale Akteure sollen sich raushalten oder abgeschafft werden. Ihre ‘Alternative’ zu Demokratie und Gerechtigkeit ist Survival of the Fittest bzw. Survival of the Richest; Hauptsache, für mich geht es gut aus. Daraus resultiert eine selbstbezogene Abschottungspolitik, die mit demokratischen Idealen wie Solidarität, globaler Gerechtigkeit oder „racial justice“ nicht vereinbar sind.

Bei den Pandemieleugner-Mobilisierungen war irgendwann klar: Der Coronavirus ist nur ein thematisches Vehikel, eigentlich agierten die Aktivist*innen hier gegen den demokratischen Staat, in dem sie sich zum Wohle aller auch an Regel halten müssen. Ist Klimaleugnung auch antidemokratisch ausgerichtet? 

Der Kampf gegen die ökologische Wende führt zur Verletzung zentraler demokratischer Werte. Er verstärkt tödliche Klimakastophen und verhindert die Chance auf Gleichberechtigung. Der Klimawandel gefährdet BIPoC, arme Menschen, Migrant:innen, Frauen, kranke und alte Menschen besonders stark – auch hierzulande. Die Gleichwertigkeit aller Menschen ist zentral in Artikel 1 des Grundgesetzes festgehalten. Die Lebenschancen und die demokratische Freiheit junger Menschen und künftiger Generationen sind massiv bedroht, weil wir heute ohne Rücksicht auf die Zukunft wirtschaften. Auch das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass zu geringer Klimaschutz die Grundrechte junger Menschen und künftiger Generationen gefährdet. Mit zunehmenden Verteilungskämpfe um das immer kleiner werdende verbleibende CO₂-Budget werden Egoismen, Verrohung und Abwertungen weiter zunehmen. Immer häufiger greifen rechtslibertäre Akteure auch hierzulande das Prinzip der Verfassungsprinzip der Sozialstaatlichkeit an. Diese zentralen demokratischen Prinzipien will sowohl die völkisch-nationalistische als auch die rechtslibertäre Szene besser heute als morgen über Bord werfen. Und wenn wir an den letzten Bundestagswahlkampf denken: Viele Angriffe auf die Grünen und Annalena Baerbock waren voller Misogynie, arbeiteten mit Entmenschlichungen, Bedrohungen, Verschwörungserzählungen – das ist dann kein parteipolitischer Ideenmarkt mehr, hier sollen Positionen, aber auch Menschen und wissenschaftliche Befunde vernichtet werden. Das ist jenseits aller Spielregeln des politischen Diskurses.

Wie groß ist das verschwörungsideologische Potenzial der Szene? 

Es ist sehr groß. Denken wir etwa daran, wie die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal durch die AfD instrumentalisiert wurde. Da hat ein führender AfD-Abgeordneter suggeriert, verantwortlich am Hochwasser sei nicht etwa die Erderwärmung, sondern Windräder, die so viel Wind zusammengetrieben hätten, dass es dadurch zu Starkregen gekommen sei.

Verschwörungserzählungen werden gern verwendet, um Rechtfertigungen zu erfinden für die eigene Position, die Verweigerung von Veränderung oder gar dafür, Privilegien abzugeben , um sich herauszureden – und um Ängste zu schüren und Feindbilder aufzustellen. Dazu kommen die antisemitisch hinterlegten Verschwörungserzählungen, wie dass eine geheime Weltelite nicht nur Corona, sondern auch den Klimawandel erfunden hätte, um die Wirtschaft zu zerstören, die Völker zu unterjochen und einen Ökosozialismus einzuführen. Dazu werden häufig die „üblichen Verdächtigen“ genannt, Familie Rothschild, George Soros, die “Globalisten”.

Wie schätzt Du die Anschlussfähigkeit in die Gesamtgesellschaft ein? 

Ich fürchte, diese Positionen sind ziemlich anschlussfähig. Sobald es um notwendige Veränderungen der Wirtschaft geht, aber auch wenn es um persönliche Veränderungen oder gar um Verzicht geht. Dies betrifft besonders die Bereiche, wo die Verantwortung für den Klimawandel unverhältnismäßig groß ist: also bei der Wirtschaft und bei den Reicheren.  Wenn Menschen Angst haben, dass ihr persönlicher Wohlstand oder das Wirtschaftswachstum ihrer Region bedroht sein könnten, sind sie schnell bereit, demokratische Prinzipien und Werte wie Solidarität aufzugeben. Das sehen wir auch derzeit in der Energiekrise. Dazu kommt, dass wir etwa noch nicht wissen, ob es so etwas wie „grünes Wachstum“, auf das Politik und Wirtschaft setzen, überhaupt geben kann. Oder ob wirtschaftliches Wachstum immer dazu führt, dass wir unsere Lebensgrundlagen vernichten, und wir deshalb neue Wege von Wirtschaft jenseits des Wachstumskapitalismus gehen werden, die keinen suizidalen Kurs für die Menschheit bedeuten. Schon entsprechende Gedanken stoßen auf extreme Abwehr.

Das klingt nicht gerade beruhigend. Was könnten gute Gegenstrategien sein, um diese Effekte abzumildern?

Meine Hoffnung liegt vor allem in den globalen Bewegungen für Klimagerechtigkeit. Ich plädiere sehr dafür, Klimaschutz, Antirassismus, Antifaschismus und andere Aspekte von Antidiskriminierung und Demokratieförderung zusammen zu denken, zu thematisieren und zu praktizieren. Diese Themen sind nicht zu trennen, wie wir im Buch aufzeigen. Die Akteure dieser Handlungsfelder können voneinander viel lernen und durch mehr Vernetzung schlagkräftiger werden.

 

Mehr erfahren? Heute erscheint das Buch:

Matthias Quent, Christoph Richter, Axel Salheiser:
Klimarassismus.
Der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende.
Piper Verlag, 01.09.2022,
288 Seiten, 20 Euro

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