Seit 2021 ist es in der Bezirkszentralbibliothek Tempelhof-Schöneberg immer wieder zu gezielten Beschädigung von Büchern gekommen, die sich kritisch mit Rechtsextremismus auseinandersetzen oder linke Theorie thematisieren. Einige Bücher wurden zerschnitten, andere entwendet oder versteckt. Außerdem wurden wiederholt unerlaubt Broschüren und Flyer von rechten Organisationen in den Räumlichkeiten ausgelegt.
Das Bestreben von Rechtsextremen um Hegemonie im Kultur- und Bildungsbereich wird immer deutlicher. Auf verschiedenen Ebenen versuchen sie die Deutungshoheit zu erlangen. Es ist ein Kulturkampf von rechts. Dieser hat nun auch die Bibliotheken erreicht. Eigentlich Orte des Wissens, des Lernens und des kulturellen Austauschs, werden sie jetzt verstärkt zum Schlachtfeld, auf dem diese Kämpfe ausgetragen werden.
Wie Belltower.News berichtete, wurde am 12. August 2023 ein Brandanschlag auf die Gedenkstätte „Gleis 17“ verübt. Eine zur Bücherbox umgebaute ehemalige Telefonzelle ging in der Nacht in Flammen auf. Das Mahnmal am Bahnhof Grunewald erinnert an über 50.000 Jüdinnen*Juden, die von 1941 bis 1945 von dort mit Zügen der Deutschen Reichsbahn in Konzentrationslager deportiert und dort größtenteils ermordet wurden. Die Bücher, die in der Telefonzelle zum Lesen bereitstanden und die allesamt die Zeit des Nationalsozialismus zum Thema hatten, wurden fast vollständig zerstört, teilte die Polizei Berlin mit.
Die „Mobile Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus“ Berlin (MBR) hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Anfragen von Vertreter*innen aus Kunst- und Kultureinrichtungen, Museen und Gedenkstätten erhalten, wie sie im Umgang mit dem Kulturkampf von rechts umgehen sollen.
Kulturkampf von rechts: Tatort Bibliothek
Mitarbeiter*innen von Bibliotheken und auch die Bibliothek als Institution selbst stehen in einem Spannungsverhältnis. Einerseits müssen sie öffentlich zugängliche Orte für alle sein, die Bildung ermöglichen und Dialog und Austausch unterstützen. Andererseits müssen sie menschenverachtende Inhalte ächten und dabei eine eigene Haltung erarbeiteten, präsentieren und bewahren. Dies muss inmitten einer zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung vollzogen werden.
Was also tun, wenn Rechtsextreme drohen, eine geplante Lesung zu stören? Wie umgehen mit rechten Medien und Verlagen? Wie reagieren, wenn Bücher gezielt zerstört werden? Was tun, wenn Rechtsextreme versuchen, Räumlichkeiten für Veranstaltungen zu mieten?
„Alles nur leere Worte?“
Diese Fragen und weitere sollen in der neuen Handreichung der „MBR“ „Alles nur leere Worte? Zum Umgang mit dem Kulturkampf von rechts in Bibliotheken“ beantwortet werden. Nach den beiden Broschüren „Nur Schnee von gestern?“ für Museen und Gedenkstätten und „Alles nur Theater?“ für eben solche, erarbeitete die AG „Medien an den Rändern“ nun auch einen Input, der öffentliche Bibliotheken adressiert. Die Handreichung stellt Anregungen, Tipps und Praxisbeispiele vor, die dabei helfen sollen, eigenen Handlungsstrategien zu entwickeln.
Gemeinsam mit Cansel Kiziltempe, der Senatorin für Arbeit, Soziales und Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung des Landes Berlin, mit Dr. Tom Becker, dem Direktor der Staatsbibliothek Hannover und Dr. Boryano Rickum, Leiter der Staatsbibliothek Tempelhof-Schöneberg, stellte Bianca Klose, Projektleitung der MBR, am Montag die neue Handreichung im Simon-Bolivar-Saal vor.
Senatorin Cansel Kiziltepe unterstrich: „Rechtsextremistisches Gedankengut nimmt nicht nur im Internet immer mehr Raum ein. Auch in Bibliotheken, Schulen und Kultureinrichtungen versuchen rechtsextreme Kräfte, ihre Ideologien und menschenfeindlichen Ideen zu verbreiten und immer häufiger bekommen sie dafür Unterstützung und Beifall. Doch gerade diese Räume sind gelebte Orte der Demokratie. Es ist deshalb unabdingbar, dass wir sie wehrhaft machen gegen jede Art von Hass und Gewalt und sie fördern und erhalten als Orte der Toleranz und der politischen Bildung. Umso wichtiger ist heute die professionelle und engagierte Arbeit der Menschen in der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin, die uns seit mehr als 20 Jahren unermüdlich zeigen, wie wir uns dagegen wehren können, um Demokratie, kulturelle Vielfalt und Offenheit zu erhalten.“
„Bibliotheken sind keine wertneutralen Orte zur Aufbewahrung und Ausgabe von Büchern“
„Bibliotheken sind keine wertneutralen Orte zur Aufbewahrung und Ausgabe von Büchern. Sie verstehen sich als Orte der Aufklärung, der Begegnung und des Miteinanders und sind wie alle demokratischen Errungenschaften keineswegs selbstverständlich. Daher gilt es, sie zu schützen. Allein die Aufgabe, ein Ort der Öffentlichkeit zu sein, fordert von den Bibliotheken, sich in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Polarisierung zu verorten und sich mit einer klaren Haltung und dem notwendigen Rüstzeug dem Kulturkampf von rechts entgegenzustellen“, so Bianca Klose.
Dr. Tom Becker, Direktor der Stadtbibliothek Hannover und über das bibliotheksinterne Netzwerk „Medien an den Rändern“ an der Konzeption der Broschüre beteiligt, ergänzte: „Lange habe ich in dieser Debatte den Begriff des ‚Kulturkampfes‘ vermieden, aber die unterschiedlichsten Angriffe gegen Fakten, Redefreiheit und auch gegen die im Grundgesetz verbürgte unantastbare ‚Würde des Menschen‘, das zunehmend intendierte Verschieben von Grenzen des Sagbaren und die unverhohlenen Angriffe gegen Vielfalt und Pluralismus, gegen Informations- und Meinungsfreiheit verlangen auch von uns Bibliotheken eine deutliche Positionierung: parteipolitisch neutral, demokratiepolitisch mit wehrhafter Haltung!“
Selbst betroffen von Buchzerstörungen war die Stadtbibliothek Tempelhof-Schöneberg, deren Leiter Dr. Boryano Rickum berichtete: „Wir haben gezeigt, wie Bibliotheken und Stadtgesellschaft sich deutlich gegen demokratiefeindliche Aktionen positionieren können. Durch die Veranstaltungsreihe STARKE SEITEN, Lesungen aus den zerstörten Werken und weiteren Formaten haben wir das Gegenteil der mutmaßlichen Intention der Buchzerstörungen erreicht: Themen wie Rechtsextremismus, Verschwörungserzählungen oder Hate Speech wurden breit und offensiv in den öffentlichen Diskurs gebracht. Die Taten publik zu machen, war eine bewusste Entscheidung, weil sie gegen alles stehen, wofür wir als Bibliothek eintreten. Mit der Zerstörung von Büchern, wohl wissend um die symbolische Bedeutung, wurde eine Grenze überschritten, bei der wir nicht untätig bleiben konnten.“