Für seinen ?Pommerschen Buchdienst?, den Alexander Wendt, Wahlkreismitarbeiter des NPD-Landtagsabgeordneten Michael Andrejewski, gemeinsam mit dem ostvorpommerschen NPD-Kreisvorsitzenden Enrico Hamisch in Rostock betreibt, bleibt momentan wenig Zeit. Im Auftrag der rechtsextremen Landtagsfraktion tourt Wendt durch die vorpommerschen Lande. Und es läuft nicht schlecht für das fünfköpfige Team ? gemessen am mäßigen zivilgesellschaftlichen Protest.
Nach einer ersten Station auf der Ferieninsel Usedom hielt der braune Troß in der altehrwürdigen Hanse- und Universitätsstadt Greifswald. Schon Stunden bevor die Kameraden ihren Info-Tisch aufbauten, sicherten Ordnungshüter der Landespolizei in Uniform und Zivil den kleinen Marktplatz. Später gesellten sich zu den Ordnungshüter noch Beamte der Bundespolizei. Etwa eine Stunde, nachdem der Info-Tisch aufgebaut war und die ersten, vornehmlich älteren Herren sich mit Propagandamaterial eingedeckt hatten, regte sich zaghafter Protest. Mit einem Transparent ?Nazis machen keinen Spasz!?, bewegte sich eine 15-köpfige Gruppe, deren Teilnehmer sich mehrheitlich aus dem studentischen Milieu rekrutierten, über den Platz.
Doch kaum in der Nähe des NPD-Standes, stürmten uniformierte Beamte auf die friedlichen Protestler zu, nahmen deren Personalien auf und erteilten Platzverweise. Nachdem der letzte Platzverweis ausgesprochen war, kam es kurzzeitig zum lautstarken Protest durch einen der Abgewiesenen. Mehrfach rief er in Richtung der NPD-Kader: ?Ohne Verfassungsschutz wärd Ihr nicht hier!?. Dem Info-Stand durften sich die Demonstranten fortan nur bis zur Begrenzung des Marktes nähern. Wendt und seine Entourage quittierten das Eingreifen der Staatsmacht, hatten sie doch jetzt die alleinige Hoheit über den Marktplatz, mit einem süffisanten Lächeln.
Während Polizeibeamte, die ihr Quartier in einem Dezernentenbüro des Rathauses bezogen hatten, die verbannten Protestler aus dem Büro heraus immer wieder fotografierten, konnte Wendt noch in aller Ruhe den ein oder anderen älteren Herren mit einem ?Na, was suchen Sie denn!? begrüßen und die Taschen mit Kugelschreiber und Propagandamaterial füllen.
Der unsichtbare Protest
Die Hoheit über den Marktplatz hatten wenige Tage zuvor auch etwa 215 aus Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig- Holstein und Niedersachsen angereiste Neonazis in Stralsund. Hier hatte der örtliche Kreisverband mit so genannten freien Kräften zu einem Trauermarsch unter dem Motto ?Kein Vergeben und Vergessen den alliierten Kriegsverbrechen? aufgerufen. Die Sundstadt war am 6. Oktober 1944 Ziel eines alliierten Bombenangriffs. Mit dem Marsch wollten die Rechtsextremisten ?der Opfer des alliierten Bombenholocausts?, wie es auf der Homepage des NPD-Landesverbandes hieß, „gedenken“.
Während der Ex-HDJler und NPD-Landtagsabgeordnete Tino Müller an einem Bahnhofskiosk noch ?einen Kaffe? orderte, die von der Linksjugend organisierte Gegendemo bereits beendet war, protestierten etwa 150 Stralsunder, fernab der Öffentlichkeit, hinter dicken Kirchenmauern mit einem Friedensgebet gegen den NPD-Aufmarsch.
Einen CDU-Bürgerschaftsabgeordneten zog es allerdings zum Treffpunkt der Rechtsextremen. Gegenüber einem Reporter der Lokalzeitung äußerte er angesichts des großen Polizeiaufgebots, ?die sind doch nur wegen der Chaoten hier?. Mit den Chaoten meinte der CDU-Mann, daran ließ er keinen Zweifel, etwaige Gegendemonstranten. Sein Tipp an den Zeitungsmann, ?die muss man einfach laufen lassen und nicht beachten?.
NPD-Kreisverbandschef Dirk Ahrend, der die Auflagen zur Demo verlas und die ?Volksgenossen? aufforderte sich dem Demonstrationszug anzuschließen, mahnte vor Beginn des Marsches durch die Sundstadt noch, sich nicht provozieren zu lassen. Die Sorge des braunen Funktionärs war jedoch unbegründet. Bis auf ein junges Mädchen, welches auf den Demonstrationszug zustürmte, konnten die Neonazis ungehindert unter den Klängen von Chopins Trauermarsch, der von den Trommlern um den ehemaligen HDJ-Aktivisten Ragnar Dam intoniert wurde, zum Kundgebungsplatz auf dem ?Neuen Markt? marschieren. Erst hier verkündete ein an der Nordseite des Platzes angebrachtes Transparent, dass in der 775 -jährigen Stadt kein Platz für Rechtsextremismus sei.
Als der Chef der NPD-Landtagsfraktion, Udo Pastörs, seine Rede begann, waren es lediglich vier ältere Damen, welche sich lautstark mit ihrem Protest bemerkbar machten und die Hasstiraden des ehemaligen Uhren- und Schmuckhändlers gegen das ?israelische Gesindel? und seine Geschichtsfälschung über den Beginn des II. Weltkrieges zu übertönen suchten. Zwei Frauen, dem Dialekt nach aus dem süddeutschen Raum stammend, zeigten sich ob des scheinbar geringen Protestes irritiert. ?Bei uns wäre mehr los?, ließ eine der Beiden verlauten.
NPD-Politiker als Vorbild
Aber in Mecklenburg ticken die Uhren eben anders. Dies wusste angeblich schon Bismarck, der, so jedenfalls die Legende, gesagt haben soll, dass, wenn die Welt untergehen würde, es ihn nach Mecklenburg zöge, da dort alles 100 Jahre später geschehen würde. Wie die Uhren anders ticken, zeigt sich auch am Beispiel der Rostocker Bürgerschaftspräsidentin Karina Jens (CDU). Nachdem nach einer Trunkenheitsfahrt der jugendpolitische Sprecher der NPD-Landtagsfraktion und Bürgerschaftsabgeordnete Birger Lüssow von der Polizei sprichwörtlich aus dem Verkehr gezogen wurde, zitierte die örtliche Ostsee-Zeitung die Lokalpolitikerin; ?Wenn Mitglieder der Bürgerschaft ihrer Vorbildfunktion nicht nachkommen, ist das bedenklich?. Rechtsextremisten mit Vorbildfunktion, darauf kommt man wohl nur Mecklenburg-Vorpommern.
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