Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Medienstrategien rechts-alternativer Akteur*innen Abwertender Humor

Ausschnitt des Titelbildes der Broschüre: "Alternative Wirklichkeiten" der Amadeu Antonio Stiftung (Quelle: Amadeu Antonio Stiftung)

Humor als rechts-alternative Medienstrategie kann zwei Funktionen haben: zum einen lassen sich öffentlich unvertretbare Inhalte unter dem Deckmantel von Witzen und Memes verbreiten, zum anderen können provokante Aussagen nachträglich, in Reaktion auf Kritik als scherzhaft gemeint präsentiert werden. Dabei wird oftmals auf die vermeintliche Humorlosigkeit der politischen Opposition und Kritiker*innen – und der politischen Korrektheit im Allgemeinen – hingewiesen. Dies dreht den Spieß um, nutzt also Angriff als Verteidigung, um von der Kritik abzulenken.


Laut dem Sozialpsychologen Thomas E. Ford greift abwertender Humor Vorurteile auf, bettet sie in „Spaß“ ein und führt auf diese Weise zu ihrer Reproduktion. Damit kann selbst Rassistisches, Antisemitisches oder Sexistisches als akzeptabel, belanglos oder unverfänglich präsentiert werden – schließlich seien die Aussagen ja nicht ernst gemeint. Problematisch ist hierbei, dass die Abwertung in Humorform ebenso wirkt wie die ohne. Studien deuten darauf hin, dass sexistischer Humor bei sexistischen Männern das Äußern von Vorurteilen gegenüber Frauen befördern kann – sie können also im Humor eigentlich nicht Akzeptables äußern und fühlen sich dadurch bestärkt, dass ihr Sexismus doch eine Berechtigung habe und geteilt werde. Andere Studien zeigen Ahnliches für rassistischen Humor. Gesellschaftliche Gruppen, die viel von Diskriminierung betroffen sind (z.B. Frauen, Homosexuelle, Muslim*innen), sind verwundbarer durch abwertenden Humor, der Diskriminierung und soziale Ungerechtigkeit verfestigt und vorantreibt


Ein klassisches Beispiel rechts-alternativen „Humors“ war die Aschermittwochsrede 2018 des ehemaligen Vorsitzenden der AfD Sachsen-Anhalt, André Poggenburg. Er nutzte im Schutze des Karne-vals die Gelegenheit, die türkische Gemeinde in Deutschland zu verunglimpfen. Diese bezeichnete er als „Kümmelhändler“, „vaterlandsloses Gesindel“ und „Kameltreiber“, welche sich „weit, weit, weit, hinter den Bosporus, zu ihren Lehmhütten und Vielweibern“ scheren sollen, denn „hier haben sie nichts zu suchen und zu melden“. Als Antwort auf die vorhersehbare empörte Kritik verwies Poggenburg darauf, dass „in einer Aschermittwochsrede Polemik, Verallgemeinerungen und auch verbale Angriffe zugelassen sind, die im sonstigen politischen Diskurs natürlich völlig unangemessen wären“. Mit anderen Worten, als Witz müssten seine inakzeptablen Aussagen akzeptabel sein. Tatsächlich trieb Poggenburg die Abwertung weiter, indem er die türkische Gemeinde aufforderte, „das Ganze mit einer ganzen Ecke mehr Humor aufzunehmen“. Damit negierte er den Deutungsrahmen seiner Aussagen ebenso wie die größere Verwundbarkeit der türkischen Gemeinde in Deutschland für abwertenden Humor. Ein einmaliger Fehltritt oder ein stra-tegisches Muster? Im Jahr 2017 wurden interne Chatverläufe einer Whats-App-Gruppe von AfD-Mitgliedern veröffentlicht.

In dieser Gruppe schrieb Poggenburg die besonders bei der NPD beliebte Parole „Deutschland den Deutschen“. Er verteidigte diese Äußerung unter Verweis auf den direkten Wortlaut („Selbstverständlich sollte ein Land denen ‚gehören‘, die dort lange ansässig sind.“) und ignorierte damit den eigentlichen Kritikpunkt, der sich auf die rassistische Konnotation der Parole bezieht. Als Poggenburg 2019 seine AfD-Ämter niederlegte, gründete er die Partei „Aufbruch deutscher Patrioten“ und wählte als Parteisymbol die blaue Kornblume – ein von österreichischen Nationalsozialisten in den 1930er Jahren verwendetes Erkennungszeichens (siehe auch Andeutungen und Umwertung von Begriffen).

In den USA heben Wissenschaftler*innen die Rolle von Ironie und witzelnder Internetkultur für die amerikanische „Alt-Right“ hervor. Die „Alt-Right“ erreicht junge Männer, die „politische Korrektheit“ zunächst aus Provokation ablehnen, durch Satire und Memes – und verbreitet dabei unter ihnen das Gedankengut der „White Supremacy“, also einer „Weißen Vorherrschaft“. Anstößiger Humor verschaffe rechts-alternativen Online-Aktivist*innen bei Bedarf eine ironische Distanz zum Gesagten, die Schutz vor Vorwürfen des Rassismus biete. Aus beiden Gründen setzen „Alt-Right“-Online-Aktivisten auf „memetische Kriegsführung“ („Memetic Warfare“) – also Kriegsführung mithilfe von Internet-Memes.


Medienforscher William Merrin definiert „memetische Kriegsführung“ als eine Art „fortwährender, kontinuierlicher, und politischer psychologischer Kriegsführung“. Der Begriff „Memetic Warfare“ sei ein reales Phänomen, das Debatten über psychologische Kriegsführung entnommen wurde. Laut Merrin mache die „Alt-Right“ spätestens seit dem US-Wahlkampf 2016 Gebrauch von solchen Internet-Troll-Taktiken, die sich im vorangegangenen Jahrzehnt maßgeblich auf dem Imageboard 4chan entwickelt haben.


Auch im deutschen Raum wird das Radikalisierungspotenzial der Internet-Troll-Kultur von rechts-alternativen Akteur*innen erkannt. Schon 2017 nannte das „Handbuch für Medienguerillas“ der Webseite „D-Generation“ explizit memetische Kriegsführung als Mittel zur Beeinflussung des öffentlichen Diskurses online. „Wi r a l le verarschen gerne Opfer im Internet“, steht dort, „[a]ber wenn Deine Trollerei etwas bedeuten soll, such Dir die richtigen Gegner.“ Accounts und Foren von „allen Par-teien“, „bekannten Feministinnen“ oder „sämtlicher Propaganda-Regierungspresse“ sollten geliked und damit unterwandert werden. Man solle „bei Diskussionen im Internet nicht Deinen Gegner überzeugen“ – stattdessen ginge es „um das Publikum. Und es geht hier nicht darum wer Recht hat, sondern wer vom Publikum Recht erhält“. Hierbei lehnt sich das Handbuch stark an das US-Vorbild an: „Mit Bildern kann man hervorragend memetische Kriegsführung betreiben und sein Narrativ unters Volk bringen“, schließlich sei Hillary Clinton „im Prinzip von einem Comic-Frosch besiegt“ worden. Gemeint ist die in der „Alt-Right“ beliebte Figur von „Pepe dem Frosch“. Für das Handbuch steht fest: „Es gibt keine größere Demütigung.“ Nur wenige Monate nach der Veröffentlichung des „D-Generation“-Handbuchs wurde das netzaktivistische Projekt „Reconquista Germanica“ ins Leben gerufen, das mithilfe der Gaming-Kommunikationsplattform „Discord“ digitale Überraschungsangriffe koordinierte, um rechts-alternative Propaganda zu verbreiten. Innerhalb weniger Woche zog das Netzwerk mehrere tausend Mitglieder aus Sympathisanten der AfD, der IB und Neonazis an. Auch diese Gruppierung machte hauptsächlich Gebrauch von Internet-Memes und ver-suchte sich hinter Ironie zu verstecken. „Reconquista Germanica“ behauptet in seiner Selbstdarstellung, es sei nur ein „satirisches Internet-Projekt ohne Bezug zur realen Welt“.

 

Medienstrategien rechts-alternativer Akteur*innen:

  1. Die Grenzen des Sagbaren verschieben
  2. Provokation
  3. Andeutungen/Dog Whistling
  4. Abwertender Humor
  5. Umwertung von Begriffen

Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre

Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.):
Alternative Wirklichkeiten. Monitoring rechts-alternativer Medienstrategien
Erscheinungsjahr: 2020

Titelbild der Broschüre: „Alternative Wirklichkeiten“ der Amadeu Antonio Stiftung

PDF zum Download: Monitoring_2020_web

Print-Exemplar bestellen: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/alternative-wirklichkeiten/

Alle Artikel aus der Broschüre auf Belltower.News:

https://www.belltower.news/lexikon/alternative-wirklichkeiten/

Monitoring rechts-alternativer Medienstrategien

Einordnung relevanter Social Media-Plattformen

Gegenstrategien

Erfahrungen aus der Arbeit gegen Rechtsextremismus und Hate Speech online

Weiterlesen

Demonstrationsverbot in Berlin -Versammlung

Querdenken Brutal und hemmungslos durch Berlin

Trotz Verbot sind am Sonntag mindestens 5.000 „Querdenker:innen“ durch die Hauptstadt gezogen. Dabei kam es zu brutalen Übergriffen auf Journalist:innen und auch auf die Polizei.

Von|
Aus dem Bruderland: Vertragsarbeiter in einem Eberswalder Wasswerk 1980.

Angolanische Vertragsarbeiter in der DDR Die ausgebeuteten Brüder

Bis zur Wende wohnten 90.000 ausländische Vertragsarbeiter*innen in der DDR. Sie wurden als Arbeitskräfte aus sozialistischen „Bruderländern“ rekrutiert. Rund 6.000 von ihnen kamen aus Angola – wie Amadeu Antonio. Ihnen wurden gute Ausbildungen und ordentlich bezahlte Jobs versprochen. Doch die Realität sah häufig anders aus. Bis heute kämpfen viele um ihre Löhne von damals.

Von|
anettamut

Kommentar Zumindest ein Anfang

Das, was derzeit an Europas Außengrenzen geschieht führt uns die ganze Tragödie und Ungerechtigkeit unseres Lebens vor Augen. Vom sinnlosen…

Von|
Eine Plattform der