Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Medienstrategien rechts-alternativer Akteur*innen Die Grenzen des Sagbaren verschieben

Beispiele für die Medienstrategie: Die Grenzen des Sagbaren verschieben. (Quelle: Amadeu Antonio Stiftung: Alternative Wirklichkeiten.)

 

Einleitung: Welche rechtsextremen Medienstrategien?

Welche Inhalte werden nun von rechts-alternativen Akteur*innen verbreitet? Und wie führen entsprechende Erzählungen zu verzerrten Realitätswahrnehmungen? Die Online-Kommunikation der verschiedenen rechts-alternativen Szenen wird strategisch genutzt, um die Demokratie in Deutschland zu destabilisieren. In der Analyse legen wir den Schwerpunkt auf gezielte Medienstrategien, da sie als Erklärungsansatz dienen können für die vermeintliche Dominanz von Rechtspopulist*innen und Rechtsextremen online sowie für ihren scheinbar gefestigten Einfluss in den öffentlichen Debatten.

Es gibt Medienstrategien, die bewusst angewandt werden, und solche, bei denen unklar ist, ob sie gezielt eingesetzt oder unbewusst, aber häufig verwandt werden. Wichtig ist für die Analyse nicht die Intentionalität, sondern die Wirkung: also die Verzerrung der Wirklichkeitswahrnehmung und die beförderten toxischen Narrative, die Gefahren für demokratisch-emanzipatorische Werte bergen.

Die hier betrachteten Medienstrategien erscheinen besonders relevant für das Verständnis der rechts-alternativen Verzerrung der Realitätswahrnehmung. Es gibt eine Reihe von anderen Studien zu rechtspopulistischen und rechtsextremen Kommunikations- und Medienstrategien, die gemeinsam mit dieser ein vollständigeres Bild vermitteln.

Die nachfolgende Analyse stützt sich auf qualitative Einsichten aus dem Online-Monitoring des Projekts de:hate der Amadeu Antonio Stiftung. Dafür wurden Beiträge der größten oder meinungsführenden Akteur*innen der rechts-alternativen Online-Sphäre auf Sozialen Medien sowie ihre Publikationen in Magazinen, Zeitungen und Blogs ausgewertet. Durch kontinuierliches Monitoring wurden Diskussionen verfolgt und Kernthemen ausgemacht.

Als eines der Hauptziele von rechts-alternativen Akteur*innen lässt sich die Beeinflussung des gesellschaftlichen Diskurses im Sinne ihrer menschenfeindlichen Ideologie ausmachen. Um dies zu bewirken, werden Strategien der Provokation, Andeutungen, des abwertenden Humors und der Umwertung von Begriffen angewendet.

Strategie 1: Die Grenzen des Sagbaren verschieben

Die Meinungsfreiheit wird im deutschen Grundgesetz garantiert – was bedeutet, dass eine Zensur von Meinungsäußerungen durch den Staat nicht stattfinden darf. Trotzdem gibt es innerhalb dieses freien öffentlichen Diskurses auch Grenzen des Sagbaren. So versteht sich Deutschland als sogenannte streitbare oder wehrhafte Demokratie, in deren Rahmen die Bundesregierung befugt ist, die freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen verfassungsfeindliche Gruppen zu verteidigen. Auch stellt § 130 des Strafgesetzbuches Angriffe auf die Menschenwürde in Form von Beschimpfungen oder Verleumdung unter Strafandrohung. Gesellschaftliche Konventionen darüber, was im öffentlichen Diskurs akzeptabel ist, werden von gesellschaftlichen Gruppen unentwegt neu verhandelt.

Deshalb gibt es immer eine Grauzone von Begriffen, die zwar nicht strafbar sind, aber von der Gesellschaft im Allgemeinen abgelehnt werden. Rechts-alternative Akteur*innen möchten eine Ideologie verbreiten, die (noch) keine Mehrheitsmeinung ist und sich in Teilen auch abseits der demokratischen Grundwerte bewegt. Deshalb versuchen sie, die allgemein akzeptierten Grenzen des öffentlichen Diskurses durch ständige Tabubrüche zu verschieben. Dies geschieht strategisch, schrittweise und kontinuierlich.

Begriffe und Meinungen, die in der öffentlichen Debatte noch nicht akzeptiert sind, werden nicht sofort offen ausgesprochen. Stattdessen werden die Grenzen des Sagbaren jeweils nur leicht, also schrittweise, durch viele kleine, wiederholte Tabubrüche überschritten. In erster Instanz löst dies oft zuverlässig Empörung aus. Doch zum einen verhilft die Empörung den Aussagen zu einer größeren Reichweite, und zum anderen werden durch ständiges Wiederholen der Grenzüberschreitungen die Grenzen des Sagbaren kontinuierlich zum extrem rechten Rand verschoben. So wird rechtsradikale Gesinnungen salonfähiger gemacht und die sogenannte „Kulturrevolution“ der Rechts-Alternativen vorangetrieben.

Das Strategie-Handbuch der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ (IB) beschreibt dies explizit mit folgenden Worten: „Wir wollen uns aber nicht ausschließlich an den Mainstream wenden und dessen Ideen wiedergeben. Wir wollen dessen Meinungen durchsetzen, verschärfen und polarisieren. Unsere politische Kommunikation muss also knapp an der Grenze bleiben und das ‚Overton-Fenster‘ erweitern, also den Rahmen des im Mainstream Sagbaren“.

Doch rechts-alternative Akteur*innen wollen nicht nur die Grenzen des Sagbaren verschieben. Auch die Deutungsrahmen von Themen der politischen Debatte sollen dem Weltbild der Rechts-Alternativen angepasst werden. Je häufiger Begriffe miteinander in Verbindung gebracht werden, desto stärker wird die Assoziation zwischen ihnen. Dies machen sich alle möglichen Akteur*innen zu Nutze, ob in der Politik, im kommerziellen Raum, oder im Journalismus – und rechts-alternative Akteur*innen haben längst den Nutzen geschickten Framings für ihre Agenda erkannt.


Jedes Wort trägt zwangsweise einen Deutungsrahmen – sprachwissenschaftlich „Frame“ genannt –, der spezifische, geschichtlich bestimmte Gedankenverbindungen und Nebenbedeutungen beinhaltet. Wenn man beispielsweise aufgefordert wird, sich Fische vorzustellen, dann ist es wahrscheinlich, dass man das Bild von im Wasser schwimmenden Fischen im Kopf hat. Frames beschreiben also die Assoziationen und Konnotationen, die Worte mit sich bringen. Unser Verständnis der Wirklichkeit wird durch diese Frames sprachlich „umrahmt“. Während der Begriff des „Frames“ den Deutungsrahmen eines Wortes beschreibt, nennt man den Vorgang des Erstellens von neuen Gedankenverbindungen „Framing“. Wenn durch Framing Begriffe neu definiert werden, erklären sie die Wirklichkeit auf eine andere Weise. Entscheidend für den Erfolg von Framing ist dabei stetige Wiederholung.


Durch andauerndes Wiederholen des rassistischen und teilweise sexistischen Framings, dass Migranten kriminell oder gar mordlustig seien (der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmeier schreibt auf Twitter über „die todbringendendie ‚Messermigration‘“ [sic]) oder dass es sich bei Migranten um feindliche „Invasoren“ handle, festigen sich diese Assoziationen in den Köpfen der Öffentlichkeit.Dies ist ein Grund, warum rechts-alternative Meinungs-macher*innen ihre Schlüsselthemen auf ein paar eingängige, provokante Kernansichten reduzieren und diese dann häufig wiederholen. So weist das AfD-Strategie-Handbuch ausdrücklich darauf hin, dass für die Imagebildung der Partei „nur wenige, sorgfältig ausgewählte und kontinuierlich bespielte Themen von Bedeutung“ seien.

Im Handbuch der IB ist das Konzept des Framings explizit vorzufinden. Es gehe um einen „Kampf um die Deutung der Tatsachen“, denn die IB will „‚die Fragen‘ bestimmen, welche die Ereignisse und Tatsachen mit einer Erzählung ‚umrahmen‘“. Durch „Metapolitik“ will die „Identitäre Bewegung“ im vorpolitischen Raum über-zeugen – eine Strategie der Strömung der sogenannten „neuen“ Rechten, der auch die IB angehört. Die IB wähnt sich in einem „Informationskrieg“ mit dem gesellschaft-lichen Mainstream. Der „Infokrieg“ soll durch „Bilder, Parolen, Ideen und ‚Erzählungen‘“ die „Wahrnehmung der Realität in den Köpfen der Menschen“ ändern. Dabei nutzen rechts-alternative Akteur*innen nicht nur sprachliches Framing, sondern auch Abbildungen, um die gewünschten Assoziationen in den Köpfen des Publi-kums wachzurufen.Nationalistische und rassistische Darstellungen finden bisweilen den Weg in die öffentliche Debatte, die Normalisierung dieser Positionen wird damit stetig vorangetrieben. Auf „Spiegel Online“ erscheint 2017 die Schlagzeile: „Die Angst vor dem großen Austausch“. Dieser „große Austausch“, auch „Umvolkung“, ist die zentrale Verschwörungserzählung der „neuen Rechten“: Das „deutsche“ Volk solle durch Migration gegen ein „anderes“ Volk ausgetauscht werden, dass sich leichter regieren lasse. Doch Framing ist nicht die einzige Strategie in der Offensive gegen die pluralistische Gesellschaft

Medienstrategien rechts-alternativer Akteur*innen:

  1. Die Grenzen des Sagbaren verschieben
  2. Provokation
  3. Andeutungen/Dog Whistling
  4. Abwertender Humor
  5. Umwertung von Begriffen

 


Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre

Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.):
Alternative Wirklichkeiten. Monitoring rechts-alternativer Medienstrategien
Erscheinungsjahr: 2020

Titelbild der Broschüre: „Alternative Wirklichkeiten“ der Amadeu Antonio Stiftung

PDF zum Download: Monitoring_2020_web

Print-Exemplar bestellen: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/alternative-wirklichkeiten/

Alle Artikel aus der Broschüre auf Belltower.News:

https://www.belltower.news/lexikon/alternative-wirklichkeiten/

Monitoring rechts-alternativer Medienstrategien

Einordnung relevanter Social Media-Plattformen

Gegenstrategien

Erfahrungen aus der Arbeit gegen Rechtsextremismus und Hate Speech online

Weiterlesen

7272355466_54871a4fe1_k

März 2018 Internet, Social Media, Hate Speech

+++ So viel Hass gemeldet wie nie zuvor – Steigerung von Beschwerden wegen Rassismus um 120% +++ Betreiber der Internetseite „Migrantenschreck“ in Ungarn verhaftet +++ AfD-Kreisverband Mettmann muss für Volksverhetzung zahlen +++ „Ich war wütend und mein Account wurde gehackt“ – ja was denn nun? +++ Kriminologe: „Sichtbarkeit der Polizei in sozialen Medien bedeutet, dass das Gewaltmonopol greift“ +++ Mord an Keira (14): Wenn jede Wahrheit nur Lüge sein kann +++ Skandal um Datenhandel mit Cambridge Analytica: Facebook unter massivem Druck +++

Von|
Eine Plattform der