Homosexualität und Rechtsextremismus
haben ein Hass-Verhältnis: Einerseits wettern Neonazis und Rechtspopulist_innen gegen Homo- oder Bisexualität, preisen die Mann-Frau-und-am-besten-Kinder-Ehe – andererseits sind nicht wenige Nazis schwul oder zumindest bisexuell veranlagt. Im Juli 2015 zeigte sich dies am Fall des sächsischen NPD-Landesvorsitzenden Holger Szymanski: Der trat nämlich von allen Ämtern zurück, weil die Polizei im Zuge von Ermittlungen ganz anderer Art seinen Computer beschlagnahmt hatte. Allerdings gab es auf der Festplatte offenbar auch „homoerotische Darstellungen“ zu sehen (Vice, LVZ, mdr) Pikant: Schon um Szymanskis Amtsvorgänger, Familienvater Holger Apfel, ranken sich homoerotische Rücktrittsgerüchte: Er hätte junge „Kameraden“ bei einer Party belästigt, so gingen die Gerüchte in der Szene. Dass damals allerdings gerade Holger Szymanski bestätigte, er halte den „jungen Kameraden für glaubwürdig“, erscheint nun in sehr glaubwürdigem Licht (vgl. Tagesspiegel vom 23.12.2013).
Der Bayerische Rundfunk macht zum Thema noch ein Hintergrund-Stück und fragt sich: „Was treibt Schwule in eine zutiefst schwulenfeindliche Szene?“ Der Autor Thies Marsen stellt fest: „Zugleich scheint der Nationalsozialismus aber auf manche Homosexuelle anziehend zu wirken: die Uniformen, das Männerbündlerische, das Schönheitsideal des muskelbepackten, blonden, blauäugigen Germanen, wie es etwa in Filmen von Leni Riefenstahl gefeiert wird – von Anfang an hatte die Bewegung eine gewisse homoerotische Komponente. Zahlreichen führenden Nazis wird nachgesagt, sie seien homosexuell gewesen: etwa SA-Führer Ernst Röhm, der Hitler-Vertraute Emil Maurice oder auch Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, den heute Neonazis besonders verehren.“ Auch nach 1945 gab es zahlreiche bekannte schwule Nazis, wie Bela Ewald Althans, Michael Kühnen oder Carsten S., der gerade im NSU-Prozess vor Gericht steht. Also, Marsens Antwort auf die Frage ist: „Dass sich manche Schwule zur Naziszene hingezogen fühlen, hat vermutlich auch viel mit Verdrängung, Abspaltung, Selbsthass zu tun, hat mithin individuelle, psychologische Gründe. Zugleich beweist die Tatsache, dass auch hohe Nazi-Kader regelmäßig als schwul geoutet werden – also diejenigen, die ideologisch am meisten gefestigt und am besten geschult sind – aber mal wieder eines: Die von den Nazis (und nicht nur von diesen) propagierte „natürliche Ordnung“, die ausschließlich heterosexuelle Beziehungen zur Nachwuchszeugung erlaubt, ist schlicht und einfach Schwachsinn.“ Genau.
Homophobie als Tatmotiv? Der Staat hat leider keine Ahnung
Denn in der Polizeistatistik werden homophob motivierte Straftaten nicht einzeln erfasst. Volker Beck, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, fordert jetzt eine Änderung. Auch das neue Gesetz zur Hasskriminalität, das am 01.08.2015 in Kraft tritt, geht ihm nicht weit genug. Aufgeführt werden homofeindliche Straf- und Gewalttaten nur in dem internen Kriminalpolizeilichen Meldedienst „Politisch motivierte Kriminalität“. Allerdings auch dort nicht gesondert, sondern zusammengefasst unter „Hasskriminalität“. Unterpunkt „Sexuelle Orientierung“. In dieser Kategorie habe das Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr bundesweit 184 Straftaten gelistet, teilte das Innenministerium Beck mit. Allerdings zählte Maneo, ein schwules Anti-Gewalt-Projekt in Berlin, im selben Zeitraum allein 225 Fälle in der Hauptstadt. Dabei erhöht es die Wachsamkeit von Polizei, Staatsanwaltschaften und Richtern, wenn homophobe Straftaten auch als solche benannt werden können und müssen. Ärgerlich aus dieser Perspektive: Im Gesetzentwurf zur „Hasskriminalität“ erscheint die Homofeindlichkeit nur unter „sonstigem“ – benannt wird nur Rassismus und „sonstige menschenverachtende“ Beweggründe. Hinter denen sich dann etwa antimuslimische, antisemitisch und homophobe Straftaten verbergen. Dabei wären klare Statistiken ein erster Schritt, um das Ausmaß an Hasskriminalität wirklich zu erkennen und zu begreifen (vgl. Tagesspiegel).
Gemeint sind Taten wie diese:
München: Kritik an Polizei nach homophober Attacke
In München wurde ein 18-Jähriger am Christopher Street Day (CSD) verprügelt, weil er ein Frauenkleid trug und geschminkt war. Eine Gruppe von etwa fünf jungen Männern hatte den Chef der Grünen Jugend München und dessen 28-jährigen Freund am Samstagabend am Ostbahnhof angepöbelt. Sprüche wie „Seid ihr schwul oder was?“ seien gefallen. Dann habe ihm ein Mann aus der Gruppe einen Faustschlag ins Gesicht versetzt. Rohrlacks Wunde musste im Krankenhaus genäht werden. Die Täter sind bisher nicht aufgegriffen worden, die Polizei ermittelt gegen Unbekannt. Allerdings zeigt sich das homosexuelle Paar auch verwundert über das Verhalten der Polizei. Zunächst seien die Angegriffenen befragt, die Personalien aufgenommen und ein Alkoholtest verlangt worden. Das habe viel Zeit gekostet, erst dann hätten sich die Beamten der Verfolgung der Täter gewidmet (Merkur, Hintergrund in der Süddeutschen Zeitung).
#merkelstreichelt: Wenn Bundeskanzerlin Merkel mit Schüler_innen spricht, ist es entlarvend
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Mittwoch im Rahmen des von ihr ausgerufenen „Bürgerdialogs“ das Schulzentrum Paul Friedrich Scheel in Rostock besucht und sich dem Dialog mit rund 30 Schüler_innen gestellt. Die waren offenbar nicht handzahm genug, so dass Merkel bei einigen ihr offenbar unangenehmen Themen ins Straucheln geriet: Und zwar nicht nur bei ihrer Antwort an die junge geflüchtete Palästinenserin Reem Sahwil, die sich ein Bleiberecht für sich und ihre Familie wünschte, sondern auch im Umgang mit einem homosexuellen Schüler, der Homophobie in Deutschland beklagte. Der 17-Jährige fragte die Kanzlerin auch nach Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben. Die antwortete herumdrucksend: „Wir haben ja sehr lange, und für mich ist das persönlich nach wie vor so, gesagt: Die Ehe, das ist die Verbindung aus Mann und Frau.“ Diese bekämen dann irgendwann Kinder. „Das war viele Jahrzehnte unbestritten die klassische Vorstellung von Ehe. Und dann hat man gesehen, dass die Gesellschaft gottseidank, glücklicherweise offener geworden ist und dass man heute darüber sehr offen reden kann, sagen kann: Ich bin homosexuell, ich bin schwul, ich bin lesbisch.“ Es gebe die Eingetragene Lebenspartnerschaft, aber unter anderem kein Adoptionsrecht, führte Merkel aus. „Jetzt gibt es dazu gespaltene Meinungen. Und ich sage: Man muss einfach auch sehr bedachtsam an die Sache herangehen.“ Die Ehe-Frage werfe weitere auf: Es gebe ja auch andere Partnerschaften, die ein Leben lang zusammenleben wollten. Sie persönlich sehe die Ehe als Verbindung von Mann und Frau. Es sei eben eine „Überzeugungsfrage“. Aber gegen „böse Angriffe“ will sie vorgehen. Queer.de, Video der Diskussion
AfD gegen „Homopropaganda“
Die nach der Spaltung übriggebliebene AfD möchte wohl keine Zweifel daran lassen, dass sie die rechtspopulistischste unter den deutschen Rechtsaußen-Parteien ist, und wählt dafür als erstes Thema einen Klassiker, nämlich den Kampf gegen „Gender Mainstreaming“ und Aufklärung über sexuelle Vielfalt. In Baden-Württemberg wurde einstimmig ein „Gender-Antrag“ angenommen, der quasi jegliche Erwähnung der Existenz sexueller Vielfalt als „Propaganda“ verbieten möchte – offenbar, weil die AfD Angst davor hat, dass Menschen allein durch das Wissen darum, dass es auch etwas anderes als zweigeschlechtliche Liebe gibt, sofort homosexuell werden: „Die Alternative für Deutschland lehnt jegliche staatliche Propaganda – in Schulen, den Massenmedien oder im öffentlichen Raum – für bestimmte sexuelle Orientierungen oder Verhaltensweisen strikt ab. Die Förderung der klassischen Familie ist davon ausgenommen.“. Also sollten sie vielleicht lieber nicht so viel von sexuellen Orientierungen sprechen, oder, AfD? (vgl. Vice, Queer.de) Was in den Köpfen entsprechend homophob denkender Menschen vorgeht, zeigt auch die Hamburger „Elterninitiative“ namens „Wir wollen lernen“: Die setzen die Aufklärung über Homosexualität mit Kindesmissbrauch gleich (Queer.de).
Sexismus
Kindergärtner und Atomphysikerinnen
Geschlechtergerechte Sprache ermöglicht es Kindern, stereotype Rollenzuschreibungen zu überwinden, hat die Studie „Yes I can“ aus den Niederlanden herausgefunden. Werden für typische Männerberufe auch die weiblichen Bezeichnungen verwendet, können mehr Mädchen sich vorstellen, diesen Beruf zu ergreifen. Bei Jungen ist es mit typischen Frauenberufen auch so, sobald die männliche Form verwendet wird. Also dann: Her mit der Kindergärtnern und Kindergärtnerinnen, Atomphysikern und Atomphysikerinnen! Denn die traurige Seite der Studie ist: Wird nur stereotype Sprache verwendet, erscheint es etwa Mädchen weit weniger vorstellbar, dass sie einen Beruf auch ergreifen könnten (vgl. Tagesspiegel) Auch interessant: Andere Forscher fanden heraus, dass Frauen von Google bei der Suche in den Werbeanzeigen weit weniger Coachings für hoch dotierte Jobs angezeigt bekommen als Männer – was ebenfalls den Gender Gap in der Arbeitwelt fördert (Futurezone).
Du bist so sexistisch – also spielst Du auch ziemlich schlecht!
Ein großartig argumentativ verwertbares Forschungsergebnis aus den USA: Sexistisch gegenüber Mitspielerinnen äußern sich vor allem schlechte Computerspieler. Also, männliche Mitmenschen: Bevor ihr das nächste Mal gegenüber Mitspielerinnen ausfällig werdet, fragt Euch mal, was das über Euer spielerisches Können aussagt. Gute Spieler haben Herabwürdigungen nicht nötig.PC-GamesGolem.de
Sommerzeit: Hot-Pants-Verbots-Zeit
Ach, Schulen in Baden-Württemberg und Brandenburg: Ihr habt vermutlich etwas Gutes gewollt, irgend etwas Richtung „Anstand“, aber wenn ihr androht, dass Mädchen, die bauchfreie T-Shirts oder zu kurze Shorts in der Schule tragen, mit übergroßen Shame-T-Shirts verkleidet werden, tut ihr Euch selbst und anderen keinen Gefallen. Denn wenn ihr „auch die Jungen meint“, wie dann hinterhergeschoben wurde, als die Sexismus-Debatte schon im Gange war: Dann erwähnt sie doch einfach auch. Nicht vergessen. Und dass es offenbar nicht nur für demokratische Prinzipien an der Schule, sondern auch für besseres PR eine gute Idee wäre (Stichwort #hotpantsverbot), solche Themen mit den Schüler_innen zu besprechen und eine gemeinsame Regelung zu finden, statt sie von oben zu beschämen – na, das ist inzwischen hoffentlich auch klar, oder? (vgl. Handelsblatt, Schwarzwälder Bote, kluger Kommentar einer Schülerin auf Oberhessen-live.de)
Und sei Du selbst – Tipp 100 nach 99 Verbiege-Regeln
Und noch ein Thema im Teenie-Bereich: Die Bravo erntete einen Shitstorm für sexistische Flirt-Tipps unter dem Titel „100 Tipps für eine Hammer-Ausstrahlung“ – der Spott in den Sozialen Netzwerken für das überaus rückständige Frauenbild, das darin vermittelt wird, war riesig #flirtennachbravo (vgl. n24, fem.com, Spiegel Online; sehr schön: Vice.com hat die Flirttipps nach Gruseligkeit sortiert. Ob sie recht haben, kann man an diesem Video von „Vegas Films“ überprüfen – die haben alle Tipps umgesetzt.
Deine Mudda trägt Hosenanzüge im Aufsichtsrat
Und dann gab es noch eine unterirdische BILD-Kolumne von Franz-Josef Wagner, in der Frauen vorgeworfen wurde, sie wären schuld an der sinkenden Geburtenrate in Deutschland. Aber nicht sie allein, sondern auch Hosenanzüge, Smoothies, Fitnesscenter und Aufsichtsräte, in denen sie säßen – statt daheim am Bett ihres Kindes. Aber das Internet wäre nicht das Internet, wenn seinen Bewohner_innen dazu nicht ein paar gute Repliken einfielen – einige gibt es gesammelt bei familieberlin.de; vgl. auch Süddeutsche Zeitung
Gender Equality: Neue Icons bei Facebook
Und manchmal ist es so einfach: Beim Bildsymbol für Freundschaftsanfragen war bei Facebook bisher ein großer männlicher Umriss und dahinter eine kleinerer weiblicher Umriss zu sehen. Nun fragte sich eine Facebook-Designerin: Warum eigentlich? Jetzt sind Frau und Mann im Bildsymbol gleich groß – und es gibt sogar noch einen geschlechtsneutralen Umriss. Well done (vgl. Wired).
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