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Menschenfeindlichkeit September 2015 Internet und Social Media

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Erfolgreiches Nebenprodukt der "Aktion Arschloch": Der Senior_innen-Chor "Die Goldies" wird mit seinem hervorragenden Cover von "Schrei nach Liebe" von der Ärzten zu Recht zum Internet-Hit. (Quelle: Screenshot 09.10.2015)

Was?„Setzt die Unterkünfte in Brand. Anders kann man das nicht mehr vermeiden“Strafe?500 Euro und 4 Monate auf Bewährung (Landeszeitung)

Was?Es müsse jetzt eine Säuberung in Deutschland stattfinden, „lasst uns ihnen auch die Hälse abschneiden“Strafe?Job und Betriebsratsposten bei den  Erndtebrücker Eisenwerke verloren, zu Geldstrafe verurteilt (Siegener Zeitung III)

Was?„Syrerpack“Strafe?Einstellung des Verfahrens ohne Urteil gegen Zahlung von 1.000 Euro (Volksfreund)

Was?Mit vollem Namen postete der jetzt angeklagte Maschinenführer an alle „Kleinkarierten“, dass er „die Lügen und Geschehnisse über Auschwitz und den ganzen Müll“ nicht mehr hören könne. Und weiter: „Sieg heil, ich wäre darauf stolz gewesen!“Strafe?Zehn Monate Haft auf Bewährung (SWP)

Ermittlungen

Was?„Halt dein Maul, die Halle soll brennen und das ganze Viehzeug auch.“Anzeige wegen Volksverhetzung (BILD)

Was? Administrator der Facebook-Seite „Berlin wehrt sich“ postet ein Foto des ertrunkenen Flüchtlingjungen Ailan und kommentiert mit „Wir TRAUERN NICHT sondern wir FEIERN ES! Nur ein Flüchtling, ein Flüchtling ist zu wenig: Das Meer hat schon mehr Flüchtlinge geschluckt!”“. Einen Tag später stand die Berliner Polizei vor der Haustür: Computer beschlagnahmt, Volksverhetzung. So schnell hatte Facebook den Post noch nicht gelöscht. TagesspiegelB.Z..Seinen Job bei Hermes hat er auch verloren.

Es gibt übrigens auch viele Bild-„Witze“ mit dem toten Flüchtlingskind – die als „Humor“ auf Facebook alle nicht gelöscht werden (mimikama.at).

Was?Unwahre Behauptung, ein Asylsuchender habe ein Mädchen vergewaltigt und ihm ein Ohr abgeschnitten. Ermittlungen wegen Volksverhetzung

Soziale Konsequenzen

Was?Flüchtlinge seien „Dreckspack“, für das „in Auschwitz und Dachau ein paar Örtlichkeiten“ frei seien.Konsequenz?Neben-Job als Diskotürsteher verloren, Haupt-Job als Maler behaltenAugsburger Allgemeine

Darf man Mitarbeiter_innen für rassistsche Äußerungen fristlos kündigen? Im Betrieb ja, im Internet: kommt darauf an. Gute Chancen gibt es, wenn so der Ruf des Unternehmens in der Öffentlichkeit gefährdet wird (Focus).

Der „Deutsche Anwaltsverein“ warnt: Nach rassistischer Facebook-Hetze könne man das Umgangsrecht mit seinem Kind verlieren. Wir kennen gängige Praxis anders, freuen uns aber, das zumindest theoretisch zu hören (Die Welt)

Was tun gegen Hasskommentare?

Im September 2015 steht dieses unser Thema plötzlich ganz oben auf der politischen Agenda: Justizminister Heiko Maas (SPD) kanalisiert den wachsenden Unmut gegen Hasspostings und die mangelhafte Löschpraxis von Facebook und trifft sich mit dem Unternehmen, um mehr Maßnahmen einzufordern – etwa, dass er denkt, ein Hassposting müsste innerhalb von 24 Stunden nach Meldung zu löschen sein (Süddeutsche.de). Facebook verweist auf Rassismus als gesellschaftliches Problem, die mangelnde Definition von „Hate Speech“ (die sie noch mit „Flaming Speech“ unterscheiden wollen, vgl. Tagesspiegel) und betont den Ansatz von Counter Speech (der ist natürlich bequem für Unternehmen und leichter umzusetzen als die Einstellung vieler qualifizierter Mitarbeiter_innen etwa) und schieben den schwarzen Peter zur Justiz (NDR). Deren Vertreter_innen meinen ihrerseits auch: „Aber das können wir nicht alleine lösen!“ und „(vgl. Vice)

Langsam bricht sich damit die Erkenntnis Bahn, dass es wohl niemand allein lösen kann, weder die digitale Zivilgesellschaft noch die Unternehmen noch die Polizei und die Justiz – also müssen wir da wohl gemeinsam ran. Justizminister Maas ruft deshalb eine „Task Force gegen Hasskommentare“ ins Leben mit Vertreter_innen aus der Politik, den Unternehmen und der Zivilgesellschaft, die gute Maßnahmen erdenken soll und sich im September bereits das erste Mal trifft. Belltower.news ist daran beteiligt, darf deshalb nicht über Inhalte berichten, kann dafür aber versuchen, das Ergebnis bestmöglich zu beeinflussen (Frankfurter RundschauTazDeutschlandradio Kultur).

Unmittelbar vor der ersten „Task Force“-Sitzung kommt es noch zu einer überraschenden Begegnung: Angela Merkl trifft bei einer Uno-Veranstaltung Facebook-Chef Mark Zuckerberg und fordert ihn auf, gegen Hassparolen zu handeln. Und weil das Tischmikrofon an war, weiß die Öffentlichkeit nun: Facebook-Chef Zuckerberg will tatsächlich gegen Hasskommentare in seinem Netzwerk vorgehen. Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat Bundeskanzlerin Angela Merkel zugesagt, sich um Maßnahmen gegen Hassparolen in dem Online-Netzwerk zu kümmern. „Ich denke, wir müssen daran arbeiten“, sagte Zuckerberg zu Merkel bei einer Uno-Veranstaltung. Als Merkel nachfragte, ob er die Situation verbessern wolle, antwortete er mit „Ja“. (Spiegel OnlineJüdische Allgemeine)

Andere Menschen haben aber auch berichtenswerte Ideen: So fordert etwa die Polizeigewerkschaft Führerschein-Entzug statt Geldstrafe bei Facebook-Hetze – das treffe die Leute mehr (BILD)

Die Grünen im Europaparlament fordern eine europäische „Facebook-Polizei“. „Wir brauchen dringend eine eigene Abteilung bei der europäischen Polizeibehörde Europol, die in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden die Foren und sozialen Netzwerke systematisch durchsucht und wirksame Strafverfolgung auch über Grenzen hinweg organisiert“, sagte der innen- und justizpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Jan Philipp Albrecht, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Eine solche neuartige Polizeiabteilung könne an das bestehende europäische Anti-Cyberkriminalitätszentrum in Den Haag angegliedert werden. Zugleich forderte Albrecht einheitliche Vorgaben für soziale Netzwerke. „Wir brauchen dringend EU-weit einheitliche klare Regeln zu der Frage, was auf Plattformen wie Facebook eine Grenzüberschreitung ist und was nicht.“ Die vielen unterschiedlichen Gesetze machten es Facebook einfach, sich aus der Verantwortung zu stehlen, warnte Albrecht (Die Welt, Siehe auch: Spiegel Online).

Interessant auch eine Idee für eine technische Lösung, diskutiert auf Wired.de: ein EU-weites System für die Meldung von rechtswidrigen Online-Inhalten ein, welches die Straftatbestände gleich an die dafür zuständigen Stellen weiterleitet und Dubletten vermeidet. „Die technischen Hürden dafür sind nicht besonders hoch, denn solche Systeme gehören beispielsweise in der Softwareentwicklung zum Alltagsgeschäft.“

Aber warum ermittelt eigentlich die Justiz so wenig? Für das Medienmagazin „Zapp“ analysiert das Medienrechtler Prof. Dr. Schertz: Das Internet erschien selbt der Justiz lange Zeit wie eine Art rechtsfreier Raum, in dem Verbrechen wenig Folgen zu haben schienen – also gegenüber anderen Kriminalitätsformen eher unwichtig. Es wurde also gnadenlos unterschätzt. Und zu wenig Personal gibt es natürlich auch. Der Spiegel findet zudem: Die Sicherheitsbehörden seien mit dem Hass im Internet komplett überfordert.

Doch das muss sich jetzt ändern – denn in der Aufmerksamkeit der Bevölkerung ändert sich das auch: Aus Sachsen gibt es hierzu Zahlen. Dort erfassten die Ermittler im Jahr 2012 erst 77 Fälle, 2014 waren es bereits 182. Bis Juli dieses Jahres sind es allein 169 Straftaten. Wie LKA-Sprecherin Kathlen Zink berichtet, liege der thematische Schwerpunkt bei der Verherrlichung des Nationalsozialismus, wobei sich dieser zu fremdenfeindlichen Inhalten verlagere. „Auch die Asylthematik rückte in den Vordergrund“, sagt sie. (FP)

Hetze aktuell

Dessen allen ungeachtet wird weiter auf Facebook & Co. gegen Flüchtlinge gehetzt: Besonders beliebt sind rassistische Gerüchte, die den Anschein machen, sie könnten in der Realität verhaftet sein. Deshalb ist es besonders wichtig und hilfreich, wenn sich betroffene Unternehmen oder Gemeinden zu Wort melden, wie das etwa die Warenhauskette „Real“ tat, die deutlich klarstellte, dass Flüchtlinge keinen „Freischein“ für Ladendiebstähle und Pöbeleien hätten – mehr noch, es gab die Vorfälle gar nicht (OTZ).

Und wer hetzt da? Aussteiger Felix Benneckenstein analysiert: „Internetaktivist – früher war das ein Schimpfwort in der Szene für all jene, die sich nix trauen. Aber heute ist allen klar: Im Netz können auch Leute aktiv sein, die nicht ihr Gesicht herzeigen können, etwa Leute in Spitzenjobs“, sagt Felix Benneckenstein, ein ehemaliger Neonazi, der heute für den Verein „Exit“ rechtsradikale Aussteiger berät. Viele von ihnen wurden online erst so richtig indoktriniert. Neonazis lesen auf den Anti-Asylseiten mit. Fällt ihnen ein User als fremdenfeindlich auf, wird er kontaktiert, in Diskussionen verwickelt, ihm „Infomaterial“ angeboten. Das Ziel: rechtsextreme Ansichten massentauglich zu machen und Nachwuchs für die eigene Bewegung zu finden. „Vor der Flüchtlingsdebatte war die Neonazi-Szene ziemlich schwach: Oft gab es zu wenig Menschen, um Demos abzuhalten. Das hat sich in den letzten Monaten massiv geändert. Auf vielen rechten Aufmärschen sieht man derzeit neue Gesichter“, sagt Benneckenstein (Profil.at)

Nette Social Media Aktion: Aktion Arschloch

Musiklehrer Gerhard Torges nimmt eine Idee auf, die sein Freund Roland auf Google+ gepostet hatte, baut eine Website und postet in den bekannten Sozialen Netzwerken: Können wir nicht alle den Song „Schrei nach Liebe“ der Ärzte aus dem Jahr 1993 als Single oder online kaufen und ihn so wieder in die Charts und ins Radio bringen, als Zeichen gegen Rassismus und Rechtsextremismus? Torges nennt das „Aktion Arschloch“, die Band hat damit nichts zu tun, begrüßt die Aktion allerdings und kündigt an, sämtliche Erlöse aus dem Verkauf an Amnesty International zu spenden. Zwölf Tage später steht „Schrei nach Liebe“ auf Platz 1 der Onlinecharts, in zahlreichen Flashmobs wird der Song überall in Deutschland gesungen.Website der Aktion: www.aktion-arschloch.deWeitere Nebenwirkung: „Alles muss man Dir erklären, weil Du wirklich gar nichts weißt. Höchstwahrscheinlich nicht einmal, was Attitüde heißt.“ Seit „Schrei nach Liebe“ von Die Ärzte durch die „#AktionArschloch“ wieder in den Charts ist, wird Attitüde so viel gegoogelt wie selten zuvor. Hahaha (noz.de).

Katzen gegen Glatzen: Student veralbert Nazis mit Katzenbildern

Was tun gegen rassistische Kommentare auf Facebook? Mit den Verfassern zu diskutieren, sei sinnlos, meint ein Student aus Baden-Württemberg. Er macht sich lieber lustig über sie: mit süßen Katzenbildern. Wenn es nach Facebook geht, werden fremdenfeindliche Kommentare auf seinen Seiten in der Regel nicht gelöscht. Stattdessen sollen die Nutzer mit den Verfassern diskutieren. Counter Speech nennt Facebook das. Der 27-jährige Student Philipp aus Pforzheim in Baden-Württemberg hält nichts davon. „Wir sollten mit Rassisten nicht reden“, sagt Philipp. „Es ist sinnlos.“ Philipp will die Hass-Kommentare aber auch nicht umkommentiert lassen. Er macht sich deshalb über die Verfasser lustig – mit sogenannten Memes: Er nimmt einen rassistischen Kommentar, ergänzt ihn um ein Katzenbild und legt dem Tier etwas in den Mund. Zum Beispiel: „Der Nazi nennt sich Patriot und ist so schlau wie Roggenbrot.“ Oder: „So ein bisschen doof ist ja niedlich … aber du bist einfach zu süß.“HAZ

Counter Speech – das machen wir

Und werden deshalb auch empfohlen:

„Counter Speech“: Argumente gegen Rechts (Tagesschau.de).

und interviewt:

„Die rote Linie genau bestimmen“ (Deutschlandradiokultur)Wie ich versuchte, einen Hasskommentar löschen zu lassen (stern.de)“Mit überzeugten Ideologen ist eine Diskussion kaum möglich” (Ruhrbarone)

Im Tagesspiegel gibt es auch eine nette Zusammenfassung an Möglichkeiten: Candy Storms, sachlich argumentieren, Ironie.

 

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