Die Debatte um den Rücktritt von Mesut Özil zeigt erneut, wie groß das Rassimusproblem in Deutschland ist. Özil hatte den Verantwortlichen des DFB Rassismus vorgeworfen und unfaire Reaktionen der Medien auf sein Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdo?an beklagt. Dass man die Unterstützung für einen autokratischen Machthaber kritisieren muss, aber gleichzeitig auch Rassismus verurteilen kann, war in der öffentlichen Diskussion selten bemerkbar. Özil wurden seine Rassismuserfahrungen abgesprochen, während er zum Posterboy des Erdo?an-Regimes hochstilisiert wurde.
Das problematische Verhältnis der FIFA zu autoritären Regimen ist dabei keiner Rede Wert. Die andauernden Menschenrechtsverletzungen in Russland, dem Gastgeberland der gerade zu Ende gegangenen WM? Die tausenden Toten auf den WM-Baustellen in Katar, wo die nächste Weltmeisterschaft stattfinden soll? Kein Thema.
Auch das Verhältnis europäischer Politiker zu Erdo?ans Türkei ist nicht mehr wichtig. Im Mittelpunkt steht der Schnappschuss von Özil und dem Präsidenten. Das Foto erscheint wie ein gelungener Anlass, endlich ungestraft dem eigenen Rassismus zu frönen. Vom in Deutschland geborenen Nationalspieler, wird Özil zum schlechtintegrierten Türken. Wenn Özil diesen Rassismus benennt – den im Übrigen auch andere Spieler anprangern – werden ihm seine Erfahrungen abgesprochen. In Deutschland bestimmt nämlich immer noch die Mehrheitsgesellschaft – und damit die weißen Deutschen – was Rassismus ist und was nicht. Die Stimmen von Betroffenen verhallen dabei.
Ein neuer Hashtag will dem etwas entgegen setzen. Unter #MeTwo twittern Menschen über ihre Erfahrungen mit dem alltäglichen Rassismus in Deutschland. Die Idee dazu hatte Ali Can.
Ali Can kämpft als Gründer der »Hotline für besorgte Bürger« gegen Vorurteile und Alltagsrassismus. Nun steht er hinter einem neuen Hashtag gegen die Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund: #MeTwo@alicanglobal pic.twitter.com/PjDw6ZJ9qp
— Perspective Daily (@PDmedien) 24. Juli 2018
Can ist Aktivist und Autor. 2016 rief er die „Hotline für besorgte Bürger“ ins Leben. Er stellte seine Handynummer ins Internet und wurde Ansprechpartner für ängstliche Deutsche, darüber hat er mittlerweile auch ein Buch geschrieben. Can kam mit zwei Jahren aus der Türkei nach Deutschland und hat Rassismus am eigenen Leib erlebt. Angelehnt an #MeToo, den Hashtag unter dem Frauen über sexuelle Übergriffe berichten, beschreibt Can, warum „two“, also zwei, im Hashtag vorkommt: „Ich fühle mich in Deutschland zu Hause, habe hier Freunde, gehe hier arbeiten. Gleichzeitig kann ich mich mit einer anderen Kultur oder mit einem anderen Land verbunden fühlen. Weil das Land mich beispielsweise geprägt hat, meine Eltern dort geboren sind oder ich die Sprache mag. Die zwei Seiten verschmelzen. Sie stehen nicht im Widerspruch.“
Unter dem Hashtag sammeln sich Berichte über Rassimuserfahrungen in Schulen, am Arbeitsplatz, auf der Straße, im Alltag.
Meine Mutter, die während einer Geschäftsreise in einem Hotel auf dem Flur steht und die Frau, die zu ihr kommt und sagt „sie können mein Zimmer jetzt gerne machen“ #MeTwo
— Mahret Ifeoma Kupka (@modekoerper) 26. Juli 2018
Goldberg Variationen gespielt. Großen Erfolg gehabt. Nach dem Konzert ein Ehepaar beim Signieren: „Das war so schön, und das obwohl sie ihrer geistigen und sonstigen Herkunft nach ja eigentlich keinen direkten Zugang zu Bach und seiner Musik haben können.“ #metwo
— Igor Levit (@igorpianist) 26. Juli 2018
Jahrelang als Kind Angst haben, abgeschoben zu werden und seine Freunde, seine Welt zu verlieren. #MeTwo
— Hasnain Kazim (@HasnainKazim) 26. Juli 2018
#metwo als meine ex ihrer Mutter ein Foto von mir zeigte und diese sagte: „die ist aber Ausländerin, oder? Pass bloß auf mit AIDS und so.“
— Ihro Fuchsgeist (@LiMingRichter) 26. Juli 2018
Meine Mutter ist jeden Tag früh aufgestanden um mir etwas besonderes für die Schule zu kochen und ich hab es nie übers Herz gebracht ihr zu sagen, wie sehr ich deswegen gehänselt wurde, weil ich nichts „deutsches“ dabei hatte, sondern immer was vietnamesisches #MeTwo
— An (@missanphan) 26. Juli 2018
Schweigeminute für 9/11. Klassenkamerad sagt,ich brauch nicht mitmachen,meine Leute sind ja daran schuld.Später schreibt er mir, er wünschte Hitler wäre noch am Leben, um mich und meine Familie zu töten. Wenn ich das petze, droht er, meiner kleinen Schwester was anzutun. #metwo
— Melisa Erkurt (@MelisaErkurt) 26. Juli 2018
Politikunterricht 9. KlasseLehrer zieht über Erdogan herIch, so ziemlich einziger Kanacke in der Klasse“Oh Maryem bei dir müssen wir ja darauf achten, was wir so über Erdogan erzählen“…Herr Schmitz ich stamme aus Pakistan“Ja trotzdem “ #MeTwo
— UndercoverHoe (@mary005111) 26. Juli 2018
Die vielen Geschichte, die hier erzählt werden können Eindruck hinterlassen, weil sie zeigen, wie alltäglich Rassismuserfahrungen für viele Menschen sind und das in allen möglichen Situationen. Vielleicht können sie auch dazu anregen, das eigene Verhalten zu überdenken, zu erkennen wie tief verankert Rassismus in der Gesellschaft ist. Oder aber auch nicht.
„Menschen haben mich angespuckt weil ich Ausländer bin““Schlimm. Ich habe auch Erfahrungen mit Rassismus gemacht. Mich hat zum Beispiel letztens jemand im Internet als ‚Alman‘ bezeichnet.“#MeTwo
— Shahak Shapira (@ShahakShapira) 26. Juli 2018
„Rassismus gegen Deutsche“ wird gerne beklagt, Menschen werden als undankbar oder überempfindlich bezeichnet. Betroffenen wird nahegelegt, doch einfach das Land zu verlassen. Und natürlich wird auch bereits versucht, den Hashtag von rechtsaußen zu kapern.
Martin Semlitsch, der unter dem Pseudonym Martin Lichtmesz, für „neurechte“ Publikationen wie Sezession schreibt, ruft „Menschen ohne Migrationshintergrund“ zur Gegenwehr auf.
#MeTwo ist der Versuch öffentlich zu machen, was vielen Menschen regelmäßig passiert. Die Geschichten unter dem Hashtag, aber auch die Reaktionen darauf machen klar, wie wenig Bewusstsein für Diskriminierungen und Abwertungen tatsächlich in Deutschland herrscht und wieviel zu tun bleibt.