Die Amadeu Antonio Stiftung war mit zahlreichen Freundinnen und Freunden aus weiteren Initiativen gegen Rechtsextremismus am 13. Februar in Dresden, um den Neonazis in vielfältiger Form die Stirn zu bieten. Belltower.news wollte wissen, was sie persönlich erlebt haben.
* Ankunft in der Dresdner Neustadt. Zuerst stoßen wir auf die Blockade in der Hansastraße. Rund 1.500 Menschen blockieren eine mögliche Aufmarschroute der Rechtsextremen. Die Stimmung ist friedlich. Trommeln sind zu hören. Menschen tanzen. Aus einem Lautsprecherwagen dröhnt Musik. Plötzlich kippt die Stimmung – eine Gruppe linker Autonomer stürmt Richtung Lautsprecherwagen. Polizisten drängen sie zurück, laufen auf die Blockade zu. Steine fliegen, Böller werden gezündet. Auf der Straße ein umgestürztes Auto – für ein Auto mit einem Nazi-üblichen „Todesstrafe für Kinderschänder“-Aufkleber am Heck war das kein guter Parkplatz. Wir haben kein Bock auf Randale und gehen Richtung Albertplatz. (AAS/ngn)
* Am Albertplatz blockieren rund 1.500 Menschen die Naziroute. Auch hier ist die Stimmung friedlich. Und: hier bleibt sie es auch. Eine kleine Bühne ist aufgebaut. Von ihr klingt fröhliche Musik, Redebeiträge werden gehalten, Künstler treten auf. Die Moderatoren auf der Bühne verkünden die erfolgreichen Blockaden. Die Menschen feiern ihren Erfolg. Sie halten bis in den Abend durch. Gegen eine kleine Spende gibt es leckeres und vor allem warmes Essen. Auch warmer Tee wird verteilt. Die Blockierenden sind wirklich gut organisiert. Sie haben an alles gedacht. (AAS/ngn)
* Bei einer Blockade in Nähe des Bahnhofes: Eine rund 15-köpfige „Pink & Silver“-Sambagruppe in zauberhaften Kostümen tanzt ausgelassen auf der Straße, macht Musik, hüpft und springt, die Umstehenden machen mit. Da kommt die Polizei mit zwei Wasserwerfern, will durch. Die Sambagruppe spielt erst einmal weiter. Die Polizei hat an dieser Stelle keinen Sinn für Musik und reagiert krass: Männern und Frauen in pinkfarbenen Puschelkostümen wird auf der Stelle aus nächster Distanz Pfefferspray in die Augen gesprüht, dann werden sie unsanft bei Seite geschubst. Eine unverhältnismäßige und eine verstörende Situation, da bei einer Konfrontation kurz zuvor mit rund hundert knüppelnden Neonazis keine Polizei anwesend war. Dort hätte sie sein müssen (mgrg).“
* Viele Busse der Nazis waren aufgrund der massiven Blockaden gar nicht erst zum Ort ihrer Auftaktkundgebung gelangt. Ein erster Erfolg. Allerdings: Weil die Busse der Nazis nicht zum Neustädter Bahnhof gelangen konnten, wurden die Rechtsextremen in Gruppen zum Versammlungsort gebracht. Dabei kam es immer wieder zu Angriffen auf Gegendemonstranten. Auch auf uns: Bei einem Streifgang durch die Neustadt hören wir ?Nazis Raus? Rufe. Wir gehen mit. In einer Seitenstraße: fahnenschwenkende Neonazis. Die Polizei hat die Lage hier nicht unter Kontrolle. Um die Ecke kommt ein Block schwarz vermummter junger Menschen. Antifas? Nein, spätestens als sie brüllend auf uns zugestürmt kommen, ist uns klar, hier handelt es sich um Autonome Nationalisten. Wir müssen uns zurückziehen. Das gute Gefühl, dass Neonazis aus ganz Europa angereist waren, um letztendlich lediglich vier Stunden in der Kälte zu stehen, überwiegt allerdings die Angst bei weitem (AAS/ngn).
* Mit hat gut gefallen, dass mit der Friedensgebetprozession von Aktion Sühnezeichen, den Kirchen und der Amadeu Antonio Stiftung noch eine „dritte Gruppe“ sowohl gegen den Geschichtsrevisionismus als auch gegen den rechtsextremen Aufmarsch protestiert hat. Diese 1.500 Menschen haben deutlich gemacht, dass es sowohl um den deutlichen Protest in Seh- und Hörweite gehen muss, als auch um eine Auseinandersetzung mit den eigenen Verstrickungen in die Geschichte des Nationalsozialismus in Dresden. Ich fand es bemerkenswert, dass sich gerade dabei die Kirchen so engagieren. (AAS)
* Die Neonazi-Kundgebung an sich war eher langweilig. Wagner-Musik vom Band, Reden mit den altbekannten Hassparolen und der unvermeidliche Neonazi-Barde Frank Rennicke mit einem Live-Ständchen. Besonderes Highlight für mich: Mein Abstecher zur Nahrungsaufnahme in den mit mehreren hundert Neonazis gefüllten Neustädter Bahnhof. Nicht wenige davon nahmen ihr Mittagessen bei einer bekannten Burger-Kette aus den USA ein. Das nenn ich konsequent? (mj).
* Ich war beeindruckt von der Freundlichkeit und Gelassenheit der Polizei. Wo ich war, waren die Polizisten und Polizistinnen die ganze Zeit entspannt, hatten bei den Blockaden ein Schmunzeln auf den Lippen, und auch bei den Nazis blieben sie gelassen als die anfingen zu revoltieren. Sie blieben einfach souverän stehen, holten keine Verstärkung, blickten die Nazis an, als wollten sie sagen: „Euer Zampano ist uns doch egal“. Das hat bestimmt deeskalierend gewirkt. Gut fand ich auch die Durchsagen an die Nazis, angesichts von 7.000 Polizisten in der Stadt: „Wir können die Strecke leider nicht räumen“. Großartig war auch das Demo-Radio, dass nicht nur sehr informativ war, sondern auch immer an den gemeinsamen, friedlichen Aktionskonsens erinnert hat und damit zur Entspannung auf Seite der Blockierenden beigetragen hat (AZ).
* Unter den Journalisten am Bahnhof Neustadt wird es langsam unruhig – nicht nur wegen der Kälte. Noch eine halbe Stunde, dann ist 17 Uhr – dann dürfen die hier seit Stunden versammelten, rund 5.000 Neonazis sicher nicht mehr laufen! Die Nazis formieren sich immer wieder zu „Aufmarschblöcken“. „Fahnenträger nach vorne“ tönt es von der Bühne. Nach der Polizeidurchsage, es könne immer noch nicht für die Sicherheit des Zuges garantiert und der Zug daher nicht gestattet werden. Aus der Nazimasse werden aggressive Sprechchöre angestimmt. Plötzlich ist alle preussische Ordnung vorbei, die größtenteils schwarzgewandeten Neonazis drücken und drängen brüllend gegen den Zaun und die umgebende Polizeikette. Beklommen fragt man sich, ob das genug Polizisten sind, wenn diese Masse wirklich herauswollte. Da fangen Nazi-Ordner an, mit ihren eigenen „Kameraden“ zu rangeln, um sie am Durchbrechen zu hindern. Am Nazi-Megaphon heißt es: „Liebe Trauernde! Es sind auch Frauen, Kinder und ältere Menschen hier!“ Die Lage beruhigt sich. Es bleibt das ungute Gefühl, auf Nazi-Ordner angewiesen zu sein, um unversehrt hier heraus zu kommen. (ngn)
* Auf dem Rückweg zu unserem Auto treffen wir den Grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele. Wir sprechen ihn an, freuen uns, dass auch er aus Berlin angereist ist. Als wir ihn auf sein ?Markenzeichen?, sein Fahrrad, das er diesmal nicht dabei hat, ansprechen, reagiert er etwas irritiert. ?Warum sprechen mich heute eigentlich alle auf mein Fahrrad an??, fragt er. Dann verspricht er uns lachend: ?Das nächste Mal bringe ich es einfach mit nach Dresden? (AAS/ngn).
* Der Nazi-Aufmarsch ist vorbei. Auf dem Albertplatz feiern und tanzen glückliche Blockiererinnen und Blockierer – es ist vollbracht. Mit einigen von ihnen laufe ich über die Marienbrücke, auf die Dresdner Altstadt zu. Wie friedlich das wirkt, nach Stunden voller Nazis! Am Ende der Brücke steht noch eine Polizeisperre, die jetzt nichts mehr zu tun hat. Ein junger Radfahrer fährt durch die aufkommende Dämmerung. Der Polizist winkt ihm: „He! Sie da auf dem Rad.“ Der Radfahrer guckt überrascht, fährt hin. Der Polizist, streng: „Sie haben ja gar kein Licht an!“ Prioritätensetzung bei einem Polizeieinsatz mit 7.000 Polizisten. (ngn)
* Auf der Hinfahrt sind rund 400 Nazis mit ihren Bussen bis Pirna gefahren und haben von dort die S-Bahn nach Dresden genommen. Auf dem Rückweg kehren sie entsprechend wütend zurück. Als wilde, chaotische, grölende, randalierende Meute ziehen die Nazis durch die Innenstadt und verbreiten unter den Bürgern Angst und Schrecken. Ein Passant wird niedergeschlagen. Dann werfen die Nazis die Glasfront des Hauses mit Plastersteinen ein, in dem das SPD-Bürgerbüros und die Aktion Zivilcourage Pirna sitzen. Danach bekommt die Polizei die Situation unter Kontrolle, verhaftet die Täter. Damit haben die Rechtsextremen deutlich ihr wahres Gesicht gezeigt und die „Trauermaske“ abgezogen! (AZ)
* Ich bin ein bisschen beeindruckt, wie der erfolgreiche Protest von allen Seiten jetzt vereinnahmt wird. Als ich nach Hause kam und Presse, Internet und Fernsehen verfolgte, hatte plötzlich jeder den Naziaufmarsch verhindert und schrieb sich dies auf die Fahnen. Dabei hat gerade die Kombination aus den vielfältigen Aktionen und Blockaden der Antifaschisten aus ganz Deutschland, dem Engagement der Stadt mit der Menschenkette in der Altstadt und der Friedensprozession der Kirchen erfolgreich verhindert, dass die Neonazis durch die Innenstadt von Dresden marschieren konnten. Ein wichtiger Meilenstein war 2010 das Engagement der Oberbürgermeisterin, die sich erstmals so deutlich von den Neonazis abgegrenzt hat. Seit dem rassistischen Mord an der Muslimin Marwa El-Sherbini 2009 reagiert die Stadt deutlich sensibler auf den starken Rechtsextremismus in Dresden. Deutlich ist aber auch geworden, dass ohne den starken zivilgesellschaftlichen Protest die angestrebten Verbote der Landesregierung nichts gegen die rechtsextremen Aufmärsche hätten ausrichten können. Auch im Verhalten der Polizei war dieses zu bemerken, die sich weitestgehend bemüht hat, die Gewalt nicht eskalieren zu lassen und den Neonazis im Rahmen der gesetzlichen Grenzen keinerlei Raum zu überlassen.“ (AAS)
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