Christlich motivierte Aufklärungsfeindlichkeit hat eine lange Tradition. In einigen Regionen, wie dem Südwesten der Vereinigten Staaten, schränkt christlicher Fundamentalismus nach wie vor konkret das Leben von Frauen und queeren Menschen ein, beispielsweise durch Gesetze gegen Schwangerschaftsabbrüche oder geschlechtsangleichende Maßnahmen bei trans Personen.
Auch im deutschsprachigen Raum gibt es eine nicht zu unterschätzende Szene an christlichen Fundamentalist:innen, die beispielsweise durch Belästigung ungewollt Schwangerer vor Beratungszentren und die antifeministischen „Märsche für das Leben“ versuchen, ihre reaktionäre Ideologie zu verbreiten. Mit Personen wie der CDU-Politikerin Birgit Kelle oder Nathanael Liminski, ein enger Berater des ehemaligen CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet, gibt es zudem enge Verbindungen zwischen fundamentalistischen Christ:innen in die bürgerliche Politik.
Es ist also nicht verwunderlich, dass der rechte Rand des Christentums sich auch in der Querdenken-Szene wiederfindet und sogar einige sehr prominente Vertreter:innen dort hat. Die Wissenschaftsfeindlichkeit, der Antimodernismus, der in der Szene prävalente Hass gegen queere Menschen, Feminismus und „Kulturmarxismus“ – Gemeinsamkeiten finden sich ohnehin zur Genüge. Bekanntester unter ihnen ist wohl der Sänger Xavier Naidoo. Dieser Artikel soll ein paar seiner weniger prominenten Geistesbrüder beleuchten.
Klagemauer TV
Der selbsternannte Sender für „Die anderen Nachrichten“ „Klagemauer TV“ ist ein Propaganda-Outlet der christlich fundamentalistischen Sekte „Organische Christus Generation“ (OCG). Die in der Schweiz ansässige Gruppierung geriet 2019 ins Licht der Öffentlichkeit, als der Sohn des Sektenführers Ivo Sasek seinen Ausstieg verkündete und Einblicke in den Alltag der OCG gab. Nicht nur werden dort antisemitische Verschwörungsnarrative wie die Erzählung der „Protokolle der Weisen von Zion“ reproduziert, auch psychische Gewalt gegenüber den Mitgliedern, körperliche Züchtigung von Kindern und die Sekten inhärente autoritäre Struktur sind in der OCG an der Tagesordnung.
Seit Beginn der Corona-Pandemie nutzt Sasek sein reichweitenstarkes Medienimperium, um Falschnachrichten über das Virus und den Impfstoff zu verbreiten. Auf Telegram (55.000 Abonnent:innen), YouTube (120.000 Abonnent:innen) und der eigenen Homepage veröffentlicht die Sekte mindestens einmal pro Woche Videos zur „Plandemie“ und zu „Bill Gates‘ globalistisch-diktatorischer Impf-Agenda“. Viele Videos sind strukturell bis offen antisemitisch, außerdem dominieren gegen Einzelpersonen gerichtete Kampagnen und auf Unwahrheiten basierende Panikmache wie „Tausende sterben nach Corona-Impfung!“ das Programm. Des Weiteren bietet „KlaTV“ Querdenker:innen wie dem Mahnwachen-Rapper Kilez More oder Wolfgang Wodarg eine Plattform.
Matthäus Westfal
Auch Matthäus Westfal, der unter dem Künstlernamen „Aktivist Mann“ agiert, ist Aktivist der „Organische Christus Generation“, wie Übermedien berichtete. Er erlangte größere Bekanntheit, als er ein Video des Angriffes von Querdenken-Demonstrant:innen auf den Reichstag filmte und sich gemeinsam mit dem Holocaust-Leugner Nikolai Nehrling in Begeisterung darüber ergoss. Zu Nehrling scheint Westfal übrigens eine Freundschaft zu pflegen, zumindest gibt es mehrere gemeinsame Fotos, und Westfal war Teil eines von Nehrling initiierten Projekts namens „Volkskraftwochen“ – ein anderer Teilnehmer der „Volkskraftwochen“ war der Verschwörungserzähler Hagen Grell.
Westphal kooperiert sowohl mit Corona-Leugner:innen wie Elijah Tee, als auch der extremen Rechten; so lässt er sich mit dem „Volkslehrer“ und der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck ablichten und gratuliert Martin Sellner zur Geburt dessen Kindes. Außerdem kooperiert er regelmäßig mit der AfD. Auch christlich-fundamentalistische Propaganda kommt auf seinem über 35.000 Abonnent:innen starken Kanal nicht zu kurz. Westfal teilt die Videos seiner Sekte und eine 50 Minuten andauernde antisemitische Kampfansage gegen den jüdischen Rapper Sun Diego. In zahlreichen weiteren Postings rekurriert „Aktivist Mann“ auf Gott und wettert gegen Homosexualität oder Abtreibung. Oftmals geht sein Glauben mit Verschwörungsnarrativen einher: Er trifft sich beispielsweise mit einem Flacherdler, einer Person, die denkt die Erde sei eine Scheibe, um über seine Gottesvorstellungen zu diskutieren. Immer wieder legt Westfal seinen Antisemitismus offen und schürt Panik vor „Globalisten“ und der „NWO“. Westfal ist übrigens selbst fest davon überzeugt, gar kein Antisemit zu sein: als ihn die Amadeu Antonio Stiftung 2020 als solchen bezeichnete, fühlte er sich zutiefst angegriffen und verletzt – und bewies seine Unschuld in einer antisemitischen Schimpftirade.
Dr. Lothar Gassmann
Ein weiterer christlicher Fundamentalist, der inzwischen versucht, das Wort Gottes mit Verschwörungserzählungen zur Corona-Pandemie zu verknüpfen, ist der Pfarrer Dr. Lothar Gassmann. Gassmann steht der AfD, als auch der rechtsoffenen „Werteunion“ nahe und teilt auf seinem 5.200 Abonnent:innen starken Telegram-Kanal regelmäßig Inhalte von Politiker:innen wie Beatrix Storch, Tino Chupralla und Max Otte. Der Evangelikale, der seine Doktorwürde in der Theologie mit einer Arbeit über „Das anthroposophische Bibelverständnis“ erlangte, ist Gründer des Vereins „Christlicher Gemeinde-Dienst“ und hat über 100 Bücher zu allerlei theologischen Themen publiziert. Inzwischen schreibt er primär über die Bedrohung durch Corona-Maßnahmen, Impfungen und den „Great Reset“ . Seine aktuellen Bücher behandeln beispielsweise „DAS GRÜNE UMERZIEHUNGS-PROGRAMM“ (Feminismus, Kulturmarxismus, Gender-Umerziehung) oder „EU-Superstaat, Vatikan und die Neue Weltordnung – Bringt die Europäische Union das Ende der Freiheit?“. Auch sein Telegram-Kanal ist eine Mischung aus christlichen Predigten und Verschwörungsnarrativen, die auch hier regelmäßig offen antisemitisch sind. Gassmann teilt ein Video über die „Zinswirtschaft“ als Instrument jüdisch konnotierter Eliten gegen die hart arbeitende Bevölkerung, behauptet, die „Globalisten“ seien treibende Kraft hinter dem Angriffskrieg auf die Ukraine und fabuliert von einem „antichristlichen Weltstaat“. Untermalt wird diese Behauptung von einem Mann im Anzug, der einen Menschen als Marionette führt – ein klassisches antisemitisches Bild des jüdischen Strippenziehers. Zudem betreibt Gassmann auf Telegram ein fundamentalistisches „Christen Wiki“ und organisiert in seinem Heimatort Pforzheim, wo er eine christliche Gemeinde leitet, Veranstaltungen wie den „Trauermarsch für die Opfer der Corona-Maßnahmen“. Zudem ist er begeisterter Unterstützer von Demonstrationen gegen das Recht auf Abtreibung und setzt sich dafür ein, maskenfreie Gottesdienste durchführen zu dürfen. Momentan richtet er seinen Aktivismus übrigens gegen eine in Pforzheim gastierende Show namens „Zirkus des Horrors“, für ihn eine satanistische Sündenshow. Wie er auf Telegram dokumentiert, steht Gassmann vor dem Zirkuszelt und belästigt Besucher:innen und Schausteller:innen, alles im Namen Gottes.
Christen gegen Impfpflicht
Viele Anhänger:innen von Gassmann finden sich in der knapp 1.900 Mitglieder starken Telegram-Gruppe „Christen gegen Impfpflicht“. Die seit Dezember 2021 bestehende Gruppe begründet ihre Impfstoff-Verweigerung mit dem Glauben an Gott, denn der wird’s schon richten, wenn der Mensch an Corona erkrankt ist. Dieses blinde Gottvertrauen geht mit einem menschenfeindlicher Sozialchauvinismus einher: wenn (vor allem vorerkrankte oder ältere) Menschen sterben, dann war das nun einmal in Gottes Sinne, so glauben sie. Regelmäßig wird die eigene Ideologie anhand wortwörtlich ausgelegter Bibelzitaten begründet, die als Richtlinie für sämtliche Aspekte des Lebens gelten. Eine kritische Textexegese findet nicht statt, stattdessen Corona-Leugnung und Aufklärungsfeindlichkeit. Für die „Christen gegen Impfpflicht“ ist die Impfung eine Sünde, denn: „sie manipuliert das Immunsystem und wird auf der Basis von Zelllinien aus abgetrieben Föten hergestellt“ – dass es sich dabei um unwissenschaftliche Halbwahrheiten handelt, wird natürlich ignoriert. In einem weiteren Post wird der Impfstoff als goldenes Kalb dargestellt: ein Götze, der fälschlicherweise anstatt dem einzig wahren Herrn angebetet wird. Auch bei den „Christen gegen Impfpflicht“ findet eine Verbindung zwischen christlichem Antijudaismus und modernem Antisemitismus statt, in diesem Falle besonders durch das Narrativ des Juden als „Giftmischer“, der früher das Volk über die Brunnenvergiftung, und nun das Gift „Impfstoff“ in den Untergang treibt. Gottesfreundlicher scheint den User:innen die Verwendung des Pferdeentwurmungsmittels Ivermectin zu sein, über dessen Benutzung sie sich untereinander austauschen. Auch andere Verschwörungsideologien werden verbreitet, wie beispielsweise dass Digitalisierung die Gehirnkontrolle von Menschen als Ziel hätte.
Was sich wie ein roter Faden durch sämtliche Vertreter:innen dieses christlichen Fundamentalismus zieht, ist die Verknüpfung zwischen christlicher Judenfeindlichkeit und antisemitischen Verschwörungsnarrativen. Antisemitismus ist historisch aus antijudaistischen Stereotypen entwachsen, die vor allem durch Martin Luther innerhalb des Christentums an Bedeutung gewonnen haben. Bei Menschen wie Sasek, Westfal oder Gassmann ist es also naheliegend, dass sie in ihrer ideologisch aufgeladenen Welterklärung letztendlich immer Jüdinnen und Juden als Feindbild ausmachen. Auch wenn sie versuchen, ihren Antisemitismus hinter Chiffren zu verstecken, ist dieser in ihren Worten und Taten omnipräsent.