Verurteilungen
Was? 12. August 2015: Kommentar auf Facebook zu Foto einer Roma-Familie auf der Flucht: „Guckt euch diese Horden an, die wollen nur unser Geld. Die können nur betteln und Kinder kriegen.“ 18. August 2015 über Kollegen, die für Geflüchtete sammeln: „Es macht mich fassungslos, von welch geistig beschränkten Mitarbeitern man hier umgeben ist. Auf die Idee für bedürftige Deutsche zu spenden, ist hier noch niemand gekommen.“ 21. September 2015: postet YouTube-Video mit dem Kommentar ,…der Holocaust ist die größte und nachhaltigste Lüge der Geschichte.’“ Wer? 48-jährigen Bahnbeamter aus der WilstermarschKostet? 5250 Euro Geldstrafe (75 Tagessätze à 70 Euro) – die Staatsanwaltschaft wollte wenigerQuelle? shz
Was? „Verbrennt das Gesocks ordentlich und gründlich.“ auf Facebook über deutschen Muslimen in der Gruppe „Zeig Flagge Deutschland“Wer? Horst P., 66, aus HaslohWarum? Er habe den Post nicht richtig gelesen. Er habe nichts gegen Muslime. Er sei erst am Tag vor der Verhandlung mit drei Muslimen unterwegs gewesen. Auf seinem Facebook-Profil: AfD-Werbung, Reichsflaggen.Kostet? 30 Tagessätze zu je zehn EuroQuelle? shz
Was? Facebook-Kommentars vom März 2016, der Schwule und Lesben verunglimpfteWer? Andreas Fabrizius, Gründer einer „Bürgerwehr“ in PforzheimKostet? 9.000 EuorQuelle? Beobachternews
Was? Der Rentner hatte vor einer Informationsveranstaltung in der Johanniskirche zur Unterbringung von Asylbewerbern im Dezember 2014 per E-Mail an die Stadtverwaltung Crimmitschau sinngemäß gefragt, ob man plane, Esel, Ziegen und Schafe für „die Kulturbereicherer“ (gemeint waren damit die Asylbewerber) zu beschaffen, um ihnen den Geschlechtsverkehr mit den Tieren zu ermöglichen. Andernfalls würde man sie ja diskriminieren, denn Sex mit Tieren sei unter ihnen schließlich gang und gäbe.Wer? Bertram S., Rentner aus Crimmitschau; trat am ersten Verhandlungstag mit Guy-Fawkes-Maske vor Gericht, zuvor verurteilt wegen HolocaustleugnungKostet? Urteil in 1. Instanz: 6 Monate Haft ohne Bewährung; 2. Instanz: 120 Tagessätze zu 12 Euro, Tatwerkzeug (= Laptop) bleibt eingezogen.Quelle? Freie Presse
Olivia Jones zeigt AfD-Politiker wegen Volksverhetzung an
Olivia Jones hat AfD-Politiker André Poggenburg wegen Volksverhetzung angezeigt. Wie Jones in einem offenen Brief auf ihrem Blog schreibt, hat sie André Poggenburg, Chef der Alternative für Deutschland (AfD) in Sachsen-Anhalt, wegen Volksverhetzung angezeigt. Grund für die Anzeige ist ein Facebook-Post der AfD-Fraktion Sachsen-Anhalt, in dem Homosexualität und Pädophilie auf eine Stufe gestellt werden (stern.de)
Justiz
Juristische Ideen aus Dresden gegen Hass im Netz
Selbst schwerste Beleidigungen werden von der Staatsanwaltschaft nicht verfolgt. Der Dresdner Oberstaatsanwalt Christian Averus sieht bei einer Podiumsdiskussion in der Landeszentrale für politische Bildung Reformbedarf in der Justiz (Freie Presse)
„Wir brauchen eine Gesetzesreform, nach der eine Beleidigung bei öffentlichem Interesse auch von der Staatsanwaltschaft selbst verfolgt werden kann.“Die Staatsanwaltschaft dürfe keinen Fall vor Gericht bringen, der nicht mindestens mit 51 Prozent Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung führe, erläuterte Avenarius. Und das sei schwierig – auch weil das Bundesverfassungsgericht hohe Hürden zum Schutz der Meinungsfreiheit aufgestellt habe.Allein 2015 habe es in Sachsen 300 Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung gegeben. „40 kamen vor Gericht.“
Verfassungsrechtler Ulf Buermeyer: „Was Facebook tut, unterliegt keiner demokratischen Kontrolle“
Der Verfassungsrechtler und Berliner Richter Ulf Buermeyer kritisiert, dass Facebook sich deutschen Strafverfolgungsbehörden entziehe. Er kritisiert auch, wenn das Bundesinnenministerium gegen „Meinungen“ twittert, die Hate Speech seien, und zwar, „egal ob strafbar oder nicht“, sieht dann die Intention aber doch als ehrenvoll an: „Im Kern allerdings, denke ich, hat das Innenministerium da durchaus einen Punkt, denn es gibt ja nicht nur unzulässige Äußerungen, wenn sie strafbar sind, sondern zum Beispiel auch Äußerungen, die in Persönlichkeitsrechte eingreifen, gegen die man sich dann zivilrechtlich wehren kann. Also, unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit gibt es einen durchaus breiten Bereich von Äußerungen, die gleichwohl nicht wiederholt werden dürfen – zum Beispiel, wenn jemand vor Gericht eine Unterlassungsverfügung erwirkt.“ Er wünscht sich mehr staatliche Kontrolle auf Facebook, und ganz konkret Kontakt-Hotlines und Emails für Strafverfolgung bei Facebook. Die gibt es allerdings auch schon. Man muss sie auch nutzen (Deutschlandradiokultur).
Grüne: Facebook soll Ansprechpartner für Ermittlungsbehörden stellen
Der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion und Mitglied des Digitalausschusses des Bundestages, Dieter Janecek, findet: „Fakt ist: Unser Rechtsstaat hat vor Facebook kapituliert und sich auf einen Scheindeal freiwilliger Vereinbarungen eingelassen, die schädlich für unser Zusammenleben sind.“ Er fordert die konsequente Durchsetzung von bestehendem Recht und von Facebook „ständige Ansprechpartner für die Ermittlungsbehörden und Kooperation bei Ermittlungsersuchen“ (all-in). Es wird ihn insofern sicherlich freuen, dass es solche Strukturen bei Facebook bereits gibt und das Unternehmen auch Schulungen für Ermittlungsbehörden anbieten, wie dieser Kontakt bestmöglich für beide Seiten aussieht.
Gegenstrategien und Gegenaktionen
Sommerkonferenz der „Task Force gegen Hassrede“
Bundesjustizminister Heiko Maas hatte angekündigt, dass er Forschritte von einer externen Organisation würde prüfen lassen.Das tat nun jugendschutz.net (Ergebnisse zusammenfasst hier).jugendschutz.net wählte 622 Postings aus, die eindeutig gegen deutsches Recht verstoßen, und meldete sie bei den Plattformen: erst als ganz normaler User, dann als so genannter „trusted flagger“ (YouTube und Twitter bieten diese Option) und in einem letzten Schritt per Mail direkt an die Support-Abteilung. Bilanz: Die Unternehmen machen Fortschritte, was die Menge und das Tempo angeht.Das Ziel, die „Mehrzahl“ der gemeldeten Postings binnen eines Tages zu löschen, also mehr als 50 Prozent, erreichte keines der Task-Force-Mitglieder.Am nächsten an die selbstgelegte Latte kam Facebook, das 46 Prozent der Inhalte, die Tester als normale User meldeten, im Testdurchlauf tatsächlich gelöscht hat – wenn auch nicht ganz klar wurde, wie schnell.Bei YouTube waren es nur noch zehn Prozent und bei Twitter gerade einmal ein Prozent.Erst als Mitarbeiter von jugendschutz.net die Inhalte später noch mal als sogenannte „trusted flagger“ meldeten oder eine Mail direkt an die Support-Abteilungen der Unternehmen schickten, kamen auch YouTube und Twitter auf gute Löschwerte: 98 beziehungsweise 82 Prozent.Facebook nannte eine Zahl: im vergangenen Monat habe man 100.000 Hasskommentare gelöscht.
Ausführlich z.B. Wired, ZEIT, Netzpolitik.org, MobileGeeks, Vorwärts, heise)
Was bringen Pranger gegen Hasskommentare im Internet?
Vor knapp einem Jahr antwortete die Bild-Zeitung auf Hass-Kommentare im Internet mit einem groß angelegten Online-Pranger, veröffentlichte also Fotos und Klarnamen der Kommentatoren. Medienwissenschaftler haben nun die Wirkung des sogenannten „Prangers der Schande“ untersucht. Ihr Befund: Die öffentliche Bloßstellung von Hetzern ist kein adäquates Mittel. Das Ergebnis der Inhaltsanalyse von Katharina Neumann und Florian Arndt von der Ludwig-Maximilian Universität in München: Die Zahl der Hasskommentare ging zwei Tage nach der Veröffentlichung des Bild-Prangers zwar auf 5,6 Prozent aller abgegebenen Kommentare auf der Bild-Facebookseite zurück. Gleichzeitig nahmen aber auch die Kommentare zu, die zwar nicht als Hatespeech zu werten sind, jedoch eine sehr kritische Haltung zum Ausdruck bringen („Das Boot ist voll – keine weitere Aufnahme“ oder „Mittlerweile habe ich nur noch Angst“). Sie stiegen um 5,6 Prozentpunkte auf 78,3 Prozent. Mit der Zeit verflüchtigten sich all diese Effekte wieder. Die Medienwissenschaftler Neumann und Arendt erklären die vorübergehende Zunahme der negativen Kommentare damit, dass der Bild-Pranger ein Gefühl der Bedrohung der individuellen Meinungsfreiheit ausgelöst habe. Dieses Gefühl, so die Annahme der beiden Forscher, könne Flüchtlingsgegner und Skeptiker erst recht dazu ermuntert haben, ihre Meinung offen zu äußern (politik-digital.de).
Hass-Kommentare: Organisationen testen Facebook-Anzeigen für Rassisten
Werbung extra für Rassisten: Im Einsatz gegen Hass auf Facebookseiten testen Organisationen inzwischen die Ausspielung an Zielgruppen. Wer in der nächsten Woche ein Bild von einem Missgeschick als Anzeige auf Facebook sieht, ist vermutlich schon als „Gutmensch“ beschimpft worden. Eine Woche später gehen solche Bilder eher an potenzielle Rassisten: Die Amadeu-Antonio-Stiftung ( u.a. „netz-gegen-nazis.de“) testet mit verschiedenen Motiven und dem Spruch „Kein Grund, Rassist zu werden“ derzeit die Ansprache bestimmter Zielgruppen. Mögliche Hetzer erhalten künftig per Facebook-Anzeige gezielt Inhalte, die sie zum Nachdenken bringen sollen (Berliner Morgenpost).
#NichtEgal oder Hass von allen Seiten
Wenn einmal jemand untersuchen oder dokumentieren möchte, warum es so wenig Counter Speech im Internet gibt, der muss sich nur einmal den Verlauf der Kampagne #NichtEgal ansehen.
Erst heißt es: Die Social Media-Unternehmen haben eine Verantwortung, sie müssen etwas tun.Dann tun Google/YouTube etwas: Rufen den Wettbewerb #nichtegal gegen Hassrede ins Leben, bleiben dabei auch nicht nur online, sondern bieten auch kostenlose Medienkompetenz-Workshops für Schulen an (mehr vgl. Com-Magazin).Dazu gibt es Statement-Clips von prominenten YouTuber_innen, die bei der Zielgruppe gut ankommen.Ziel: Eine gesellschaftliche Debatte anstoßen, besserer Umgang miteinander online.
Dann folgt der Hass:
Wenn Google in Schulen ginge, sei das nur Werbung. Geradezu verwerflich (z.B. Welt)Falsche Absender, die YouTuber_innen seien doch selbst Hater (z.B. Bayerischer Rundfunk)Alles zu oberflächlich, laut, undurchdacht, gegen die Meinungsfreiheit usw., ein „Video-Pranger“ (Com-Magazin, DerWesten)Besonders die Partnerschaft zwischen zivilem Unternehmen und Staat (via „Bundeszentrale für politische Bildung“) wird kritisiert.Kein Wunder, dass sich viele Menschen – und Unternehmen – mehrfach überlegen, ob sie sich engagieren.
Übrigens hat Youtube in Amerika noch eine „Meinungsfreiheits“-Diskussion unter Blogger_innen: Weil Youtube (seit 2012) Videos Werbung verweigert, die „umstrittene und heikle Themen und Ereignisse“, „Unangemessen Ausdrücke“ und „sexuell anzügliche Inhalte“ verbreiten, sehen viele nun ihre Meinungsfreiheit in Gefahr. Tatsächlich klingen die Kategorien denn auch recht diffus. Wired schreibt: „Wie alle sozialen Netzwerke steht YouTube vor einer fast unlösbaren Aufgabe: Maximale Meinungsfreiheit zu garantieren und gleichzeitig Missbrauch wie etwa Hate Speech zu bekämpfen – und dann auch noch ihre Werbekunden glücklich zu machen. Ob bestimmte Inhalte gelöscht – oder wie in diesem Fall entmonetarisiert – werden sollten, ist oft eine Gratwanderung. Was die Empörung aber zeigt: Die Angst vor Zensur ist genauso präsent wie die Forderung, „Safe Spaces“ im Netz zu schaffen. Eine Lösung, die allen Seiten gerecht wird, ist nicht in Sicht.“ (Wired)
Polizei Hamburg gegen Hate Speech
Eine ähnliche Erfahrung machte die Polizei Hamburg: Sie wollte nur für den Umgang mit Hate Speech sensibilisieren und musste sich sofort als „Sprachpolizei“ usw. beschimpfen lassen. Dabei sind die Postings richtig gut! Es gibt bisher Trolle, Hate-Speaker, Stalker, falsche Polizeibeamte, Cyber-Mobbing.
Bayerns Lehrer wollen gegen Hatespeech einschreiten
Der bayerische Lehrerverband fordert Lehrkräfte auf, „Haltung“ gegen hasserfüllte Sprache zu zeigen. Dabei gelte es auch, gegen Schüler einzuschreiten. Im Manifest heißt es dazu: „Wir erleben eine Aggressivität, eine Sprache des Hasses, der Geringschätzung und Diskriminierung, persönliche Beleidigungen, bewusste Kränkungen und Ausgrenzung in Wort und Handeln.“ (vgl. Tagesspiegel, Spiegel; das Manifest gibt es hier)
Von Hoax, Hassreden und Filterblasen – ein Buch von mimikama.at
Seit gut zwei Wochen ist das Buch »Die Fake-Jäger – Wie Gerüchte im Internet entstehen und wie man sich schützen kann« auf dem Markt, das André Wolf zusammen mit seinem Kollegen Tom Wannenmacher geschrieben hat. Und darin berichtet der 39-Jährige von dem, was er täglich macht – Falschmeldungen im Internet nachgehen und für deren Richtigstellung sorgen (haller-kreisblatt.de)
Info
Exclusion und Flaming: Digitale Demütigung
Mit einem eindringlichen Anti-Mobbing Video verarbeitet der Schüler Benjamin Fokken aus Ostfriesland seine persönlichen Erfahrungen und berührt damit Millionen Menschen in den sozialen Medien. Mit handgeschriebenen Zetteln, die er in seinem schwarz-weißen Videoclip in die Kamera hält, macht er anderen Opfern Mut, beschreibt Mobbing-Attacken und stellt die Frage „Wie würdest Du dich dabei fühlen?“ Sein Appell: Nur gemeinsam können wir etwas bewegen! Wie wichtig es ist, bei digitalen Demütigungen im Netz nicht einfach zuzuschauen, erklären wir im dritten Teil des #NichtEgal-Cybermobbing-Lexikons. Was die Begriffe Exclusion und Flaming bedeuten (ZEIT).
Mehr Menschenfeindlichkeit aktuell, September 2016:
| Menschenfeindlichkeit September 2016: Rassismus und Feindlichkeit gegen Flüchtlinge| Menschenfeindlichkeit September 2016: Antisemitismus| Menschenfeindlichkeit September 2016: Homofeindlichkeit und Sexismus| Menschenfeindlichkeit September 2016: Islamfeindlichkeit| Menschenfeindlichkeit September 2016: Rechtspopulismus – AfD, Pegida und Neue Rechte| Menschenfeindlichkeit September 2016: Internet
Alle Artikel auf BTN zu
InternetSoziale NetzwerkeStrategien im Web 2.0MonitoringHate SpeechGegenstrategien im Internet