Die Fragen stellte Simone Rafael
Am Anfang hieß es, bei den Montagsdemonstrationen gehe es um Frieden. Jetzt hat man den Eindruck, es geht um ganz andere Dinge. Worum geht es wirklich? Und warum bekommen sie zunehmend einen rechten Anstrich?
In der DDR waren die „Montagsdemonstrationen“ der Protest gegen das herrschende System. Diesmal geht es vielen Teilnehmenden um den Frieden in der Welt. Sie sind besorgt über Entwicklungen, den Anfang nahm das angesichts des Konflikts in der Ukraine. Der wird allerdings als Symptom eines größeren Komplexes gesehen. Wenn etwas schief läuft, muss jemand Schuld sein. Für einige Teilnehmer*innen ist eine Quelle der negativen Entwicklungen in der Welt die Federal Reserve [FED, das Zentralbank-System der USA]. Mit der FED verbinden sie die Idee jüdischer Bänker, die die Strippen ziehen, ein altes antisemitisches Klischee. Viele wähnen sich als Teil eines Machtkampf, der zu einer „New World Order“ [NWO] führt, in der schließlich eine kleine, jüdische Elite die Macht über die ganze Welt in den Händen hält und einen totalitären Weltstaat errichten will. Das sind klare Verschwörungstheorien, und sie werden auf den Schildern der Montagsdemonstrationen explizit benannt, die gegen die FED oder gegen „die Rothschilds“ [noch so ein antisemitisches Klischeebild] hetzen. Zu den Friedensaktivisten und den Verschwörungstheoretikern kommen dann noch überzeugte Neonazis, die die Chance wittern, hier eine Querfront zu errichten, die nicht mehr zwischen rechts und links verläuft, sondern alle politischen Lager im Antisemitismus und Antiamerikanismus vereint.
Welche Arten von Verschwörungstheoretiker*innen kommen zu den Montagsdemonstrationen?
Zentrale Figuren sind derzeit der ehemalige rbb-Radiomoderator Ken Jebsen („KenFM“), und der Publizist Jürgen Elsässer, der ursprünglich in der linken Szene beheimatet war, allerdings in seinem „Compact“-Magazin schon seit Jahren die Querfront – also die Verbindung über Gemeinsamkeiten – mit der rechtsextremen Szene – sucht. Dazu kommen neben den „klassischen“ Verschwörungstheoretiker*innen, Menschen aus dem Umfeld der „Wissensmanufaktur“, ein pseudowissenschaftliches „Institut für Wirtschaftsforschung und Gesellschaftspolitik“. Und Menschen, die sich Infokrieger nennen – nach den „Infowars“ um Radiomoderator und Ikone der Verschwörungstheoretiker-Szene Alex Jones in den USA, die sich von den „Mainstream-Medien“ hinters Licht geführt und desinformiert sehen. Eine spannende Mischung.
Welche Argumentationen sind besonders anschlussfähig auf den Montagsdemonstrationen? Also, womit punkten die Verschwörungstheoretiker*innen bei den „normalen“ Teilnehmer*innen?
Allen gemeinsam ist, dass es ihnen längst nicht mehr um aktuelle Konflikte geht, sondern um das „große Ganze“, also um die Frage, warum vieles schief geht in der Welt: Wer manipuliert die Medien, die Politik, die Wirtschaft? Der Verdacht der Verschwörungstheoretiker*innen ist: Ob über Chemtrails oder lügende Medien: Menschen werden zu Zombies gemacht, willenlos und vergiftet und unfähig dazu, selbst zu denken und zu hinterfragen, was passiert. Verbreitet ist das „Die da oben“ gegen „wir da unten“-Denken, die Idee, dass es eine Clique von Verschwörern und Verschwörerinnen gibt, die alles lenken. Und das sind, wie schon in den „Protokollen der Weisen von Zion“ Ende des 19. Jahrhunderts, die jüdischen Bänker, die Finanzelite – antisemitische Stereotype, die jahrhundertealt sind. Übrigens erscheint das ja nicht neu auf den Montagsdemonstrationen – auch bei der Occupy-Bewegung waren solche antisemitischen Argumentationen schon ein wichtiges und umstrittenes Thema.
Warum fällt es den nicht-rechten Demonstrationsteilnehmer*innen oder Veranstalter*innen so schwer, menschenfeindliches Gedankengut von ihren Veranstaltungen zu verweisen?
Die Grundausrichtung der Demonstrationen ist ja, nicht rechts und nicht links zu sein, sondern gemeinsam für eine wichtigen Sache zu kämpfen, eine Querfront zu bilden. Das ist zwar ein schöner Gedanke. Aber „der Sache willen“ zu ignorieren, wie jemand ansonsten politisch denkt, ob er zu Hass und Gewalt aufruft etwa oder ein Rassist ist, funktioniert nicht. Deshalb bekommt diese Positionierung oft einen manischen Charakter.
Wenn sich die Veranstalter einer Demonstration in der Theorie von Neonazis distanzieren, heißt es im Zweifelsfalle des praktischen Nazis auf der Demo oft: „Aber der ist doch gar kein Nazi“. Oder, im Sinne eines Verschwörungstheoretikers sehr überzeugend: „Wenn Sie den als Faschisten bezeichnen, sind Sie ja selbst Teil der Elite!“
Ein weiteres Problem ist, dass es vor allem um Antisemitismus geht – und den tragen viele Menschen mit, die nicht rechtsextrem sind. Antisemitische Aussagen werden von prominenten Personen wie Moderator Ken Jebsen oder Moderatorin Eva Hermann verbreitet und gelten vielerorts als salonfähig.
Zudem erdenken Verschwörungstheorien eine Komplexität der Argumente, die Gegenargumente oft schwierig machen. Verschwörungstheorien haben eine Hyperlogik, die der Realität klar überlegen ist. Ein Wust an unüberschaubaren Zusammenhängen und Scheinlogik wird kombiniert, bis aus den Terroranschlägen des 11. September 2001 ein „Inside Job“ der amerikanischen Regierung wird, weil die sich über den „War on terror“ angeblich die Rohstoffe des Nahen Ostens sichern wollten.
Wer glaubt an so was?
An solche Theorien glauben Unzufriedene, die sich als Verlierer*innen globaler Prozesse wahrnehmen. Die Menschen eint eine Grundskepsis, dass sie nicht von den Besten eines Landes regiert werden, sondern dass etwa die Wirtschaft zu großen Einfluss auf politische Prozesse hat – was teilweise ja auch stimmt. Sie folgen einer halbgaren Analyse der Weltlage, weil sie ermöglicht, jemand die Schuld dafür zu geben, dass so viele Dinge schief laufen. Im Kern geht es um die Frage: Warum passieren guten Menschen schlechte Dinge? Allerdings haben die Weltverschwörungstheorien einer „Neuen Weltordnung“ (NWO) den klaren Nachteil, dass man sich sehr viel Sorgen machen muss. Denn die NWO sind ja selbstherrliche Reiche, die alle anderen überwachen, kontrollieren und schließlich versklaven wollen. Das ist ein bedrohliches Szenario.
Haben Anhänger solche Ideen schon vor den Montagsdemonstrationen irgendwo einen Ausdruck gefunden?
Verschwörungstheoretiker*innen finden Futter für ihre Ideen vielfach im Internet. Wer etablierten Medien nicht oder nicht mehr glaubt, sucht sich andere Informationen – und die finden sich, scheinbar gleichwertig mit journalistisch recherchierten Texten, auf zahlreichen Blogs und Webseiten. Da die Online-Medienkompetenz bei vielen Menschen immer noch nicht verbreitet ist, fällt vielen Nutzer*innen nicht auf, wenn sie auf unseriöse Quellen stoßen, die etwa immer wieder alte Nachrichten hochholen, um die scheinbare Aktualität eines Themas zu belegen. Heutzutage ist es schwer, gerade in Konflikten den Überblick zu behalten, welchen Nachrichten getraut werden kann. Gewalttätige Konflikte wie der Nahostkonflikt werden von Propaganda-Schlachten im Internet begleitet, weil die Informationshoheit heute eine große Rolle spielt: Glaube ich, dass Israel im großen Stil Kinder ermordet (was andererseits schon ein uraltes antisemtisches Stereotyp ist)? Sind alle Palästinenser Terroristen? Oft ist es schwer, die „objektive“ Wahrheit herauszufinden, vor allem, weil man sich viel Zeit dafür nehmen müsste.
Warum gehen auch „klassische“ Rechtsextreme zu den Montagsdemonstrationen? Gibt es Schnittmengen zwischen Verschwörungsszene und Neonazis?
Nazis sehen hier ein Tor zur breiten Öffentlichkeit. Eine Veranstaltung, die nicht als rechtsextrem gelabelt ist, wo sie eine Bühne bekommen, Menschen ihnen zuhören, wenn sie Skepsis vor Medien und Staat schüren. Sie bemühen sich um eine Querfront in nicht-rechtsextreme Teile der Gesellschaft, und der Antisemitismus ist eine gute Grundlage. Außerdem fühlen sie sich willkommen. Nur eine Gruppe wird bisher relativ konsequent der Montagsdemonstrationen verwiesen: so genannte „Reichsbürger“, die verbreiten, dass es den deutschen Staat gar nicht gibt – das ist selbst den Veranstaltern oft zu wirr. Neonazis dagegen können sich hier wohlfühlen, weil viele die Argumentation teilen, das „Label“ „rechtsextrem“ würde als Totschlagargument verwendet, um „alternative Meinungen“ mundtot zu machen. Oft kommt es auch zum Schulterschluss, weil die Teilnehmer*innen meinen, die Medien würden nur über die Neonazis auf dem Demonstrationen berichten, um diese Engagement an sich zu diskreditieren und ihre Form der Wahrheit zu unterdrücken. Man versucht dann durch öffentliche Distanzierungen sich des Problems zu entledigen.
Welche Folgen kann eine solche Querfront-Bildung haben, wie die Montagsdemonstrationen sie aktuell zulassen?
Argumentativ kommt es zu Absurditäten wie der Aussage, wenn man sich gegen alle Menschenfeindlichkeiten stelle, müsse man ja auch gegen die Ausgrenzung von Nazis demonstrieren. A la: „Ich verachte ihre Meinung, aber ich würde dafür sterben, dass sie sie sagen dürfen“. Das ist im Fall von NS-Ideologie und Aufrufen zu Hass und Gewalt allerdings völlig am angeblichen Ideal vorbeigedacht. Es ist nur eine bequeme Lösung, um sich nicht mit der inhaltlichen Ebene auseinandersetzen zu müssen. Menschenverachtung nicht entgegen zu treten, widerspricht dem Ideal einer besseren Welt, dass ja angeblich vertreten wird.
Wie geht es mit den Montagsdemonstrationen weiter?
Wenn es die Organisator*innen und Teilnehmer*innen nicht schaffen, sich von Antisemitismus und Rechtsextremismus in den eigenen Reihen loszusagen, haben sie keine Chance, wirklich etwas zu bewegen. Teilweise sind die Organisatoren aber selbst Teil des Problems und leere Distanzierungen bringen nicht. Dann bleiben sie, wie bisher, eine Bühne für Populist*innen. Leider passiert das Bewegungen, die sich gegen Missstände aussprechen, immer wieder, dass sie von Populisten und Demokratiefeinden gekapert werden – etwas auch Occupy oder der einer großen Anonymus-Seite auf Facebook. Aktuell gehen die Teilnehmerzahlen zurück. Vielleicht hat sich der Spuk schon bald von selbst erledigt.
Mehr im Internet:Gute Watchblogs zu Montagsdemonstrationen sind| GenFM auf Facebook| Grilluminaten auf Twitter| Friedensdemo-Watch auf Facebook
„Richtigstellung
In einer Vorversion unseres Beitrages „Montagsdemonstration für den Frieden – warum klappt hier die Querfront so gut?“ haben wir mit einem Interview verbreitet, der Radiomoderator Ken Jebsen sei vom rbb in Berlin wegen antisemitischer Äußerungen in seiner Sendung „KenFM“ entlassen worden.
Diese Behauptung ist falsch. Richtig ist, dass Herr Jebsen vom rbb in Berlin nicht wegen antisemitischer Äußerung in seiner Sendung „KenFM“ entlassen worden ist.
Die Redaktion.“