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München Stadtrat als Bühne für NPD-Tarnliste

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Freitagabend im Münchner Stadtteil Isarvorstadt. Aus Lautsprechern auf einem mit Tarnfarben lackierten Kleinbus schnarrt eine Stimme, die nicht nur wegen ihrer süddeutschen Klangfarbe und der Megafon-Akustik so unzweideutig nach Adolf Hitler klingt, dass das kein Zufall sein kann.

Doch Diktion und Wortwahl passen nicht zusammen: „Liebe Freunde, Münchnerinnen und Münchner, seit langem bieten wir der Gegenseite die argumentative Auseinandersetzung an. Wir scheuen die Auseinandersetzung, die Argumente nicht.? Der Mann zur Stimme heißt Karl Richter und ist seit Anfang Mai 2008 Stadtrat der NPD-Tarnliste „Bürgerinitiative Ausländerstopp? (BIA) in der bayerischen Landeshauptstadt.

Der neue Star der NPD

Richter ist so etwas wie der neue Star der NPD. Auf dem NPD-Bundesparteitag wird Parteichef Udo Voigt nicht müde, Richter für seinen Einzug ins Rathaus der einstigen „Hauptstadt der Bewegung“ zu loben. Für Schlagzeilen sorgte Richter schon einmal 2004, als bekannt wurde, dass er als Komparse in Bernd Eichingers Film „Der Untergang? den Adjutanten von Generalfeldmarshall Keitel mimen durfte. Anschließend freute Richter sich öffentlich über die „authentische Atmosphäre? bei den Dreharbeiten.

Bei seinem Auftritt in der Isarvorstadt am 13.Juni 2008 richtet Karl Richter seine Ansprache immer wieder an die „lieben Münchnerinnen und Münchner?, obwohl die Adressaten ihn weder hören können und noch wollen. Links vom Lautsprecherwagen findet sich der Südfriedhof, vorne und hinten stehen hunderte lautstark rufende und pfeifende Gegendemonstranten. Und auch rechts aus den Fenstern und Hauseingängen eines Wohnblocks schallen Richter und seinen gerade mal 70 Mitstreitern, die sich zwischen den Absperrgittern der Polizei versammelt haben, wüste Beschimpfungen entgegen.

„Radaubrüder und Dumpfbacken“

Die Neonazis demonstrieren gegen eine Veranstaltung des a.i.d.a.-Archivs, das seit bald 20 Jahren über rechtsextreme Umtriebe in München informiert: Zum Beispiel über NPD-Aktivisten wie Karl Richter, der vom Lautsprecherwagen aus verkündet: „Wir sind nicht die, als die wir tagtäglich diffamiert werden. Wir sind keine Radaubrüder, keine Dumpfbacken.?

Nicht nur die Wortwahl und der Hitler-Tonfall passen nicht zusammen. Auch die Botschaft der Rede und die Realität klaffen weit auseinander. Nichts beschreibt die Ansammlung von Neonazis aus NPD und den sogenannten „Freien Nationalisten?, die sich um Richter scharen, besser als die Bezeichnungen „Radaubrüder“ und „Dumpfbacken“. Man könnte höchstens noch „kriminelle Schläger? hinzufügen.

Verurteilte Gewalttäter

Keine fünf Gehminuten vom Ort der Neonazi-Kundgebung entfernt liegt die Zenettistraße. Sieben Jahre ist es her, dass eine Gruppe Münchner Neonazis hier einen Griechen fast totprügelte. Er überlebte nur, weil ihm türkische Passanten zu Hilfe eilten. Unter den Folgen des Überfalls leidet er bis heute. Die Schläger von einst prägen noch immer die Münchner Neonaziszene.

Zum Beispiel Norman Bordin, mittlerweile NPD-Funktionär und Mitgründer der „Bürgerinitiative Ausländerstopp“. Er wurde nach dem Überfall in der Zenettistraße verhaftet, verprügelte in der Zelle einen unbeteiligten Mithäftling und wurde dafür zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt. Seinen Plan, als Mitarbeiter Karl Richters ins Münchner Rathaus einzuziehen, hat die Stadtratsmehrheit erst einmal vereitelt, indem sie die Geschäftsordnung änderte: Stadtratsmitarbeiter dürfen neuerdings keine erheblichen Vorstrafen mehr aufweisen.

Beim Aufmarsch in der Isarvorstadt darf Norman Bordin dagegen an der Seite Karl Richters stolzieren. Und er ist nicht der einzige Neonazischläger, der gekommen ist. Auch Karl-Heinz Statzberger ist da. Er war Mitglied der berüchtigten „Kameradschaft Süd“ um den Rechtsterroristen Martin Wiese. Wiese, Statzberger und Konsorten übten Wehrsport im Wald, bewaffneten sich und planten einen Anschlag auf die Baustelle des neuen jüdischen Zentrums in München, bevor ihre Pläne im Jahr 2003 aufflogen.

Nach viereinhalb Jahren Haft ist Statzberger gerade eben aus dem Gefängnis entlassen worden, jetzt lauscht er Karl Richter. Der frischgebackene Stadtrat fordert zum Abschluss seiner Rede „ein friedliches, solidarisches und deutsches München.“ Dann übergibt er das Mikrofon an den nächsten vorbestraften Schläger: Philipp Hasselbach, Führungskader der „Freien Nationalisten“ in München. Hasselbach lobt Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß als „Friedensflieger?, zitiert Adolf Hitler und droht, seinen Gegnern „die Finger aufzubrechen?.

Neonazi-Aktivisten wie Bordin, Statzberger und Hasselbach sind die Basis Karl Richters und seiner „Bürgerinitiative Ausländerstopp?, die vor nicht einmal einem Jahr gegründet wurde ? laut Eigendarstellung in einem Bierzelt des Oktoberfests. Richter, der zwar aus München stammt, aber seit dem Einzug der NPD in den sächsischen Landtag als Chef des parlamentarischen Beraterstabs der NPD-Landtagsfraktion in Dresden tätig war, wurde dafür von der NPD-Führung eigens nach München zurückbeordert.

1,4 Prozent der Stimmen und ein Sitz im Stadtparlament

Um zu verstehen, wie es Karl Richter überhaupt in den Münchner Stadtrat geschafft hat, muss man sich an die Wahlkampagnen von Roland Koch (CDU) in Hessen und der CSU in Bayern erinnern. Der hessische Ministerpräsident Koch hatte nach einem brutalen Überfall in der Münchner U-Bahn das Thema „Ausländerkriminalität? auf die Tagesordnung gesetzt, um im hessischen Landtagswahlkampf zu punkten. Die Münchner CSU, damals ebenfalls im Wahlkampf, nahm den Ball auf. Bekanntlich erlitten sowohl Koch als auch die Münchner CSU trotz ? oder wegen – ihrer Anti-Ausländer-Kampagne bei den Wahlen erhebliche Verluste.

Profitiert haben die Rechtsextremisten. Vor der Kampagne hatte die BIA in München größte Mühe, die nötigen Unterschriften für eine Wahlteilnahme zusammenzubringen. Als das Thema „Ausländerkriminalität? die Schlagzeilen beherrschte, liefen ihr die empörten Bürger scharenweise zu. Die BIA erhielt bei der Wahl schließlich 1,4 Prozent der Stimmen. Das reicht für einen Sitz im Rathaus.

Stadtrat als Bühne zur Provokation

„Wir werden dieses Mandat dazu benützen ein Pfahl im Fleisch der anderen zu sein?, feiert Richter seinen Erfolg. Was das konkret heißt, demonstriert er schon in der ersten Sitzung des neuen Stadtrats. Bei seiner Vereidigung auf das Grundgesetz reckt er den Arm so nach oben, dass man den Schwur problemlos auch als Hitler-Gruß deuten kann ? und das im Alten Münchner Rathaussaal, wo im November 1938 Goebbels den Befehl zur Reichspogromnacht erteilte, der Auftakt zu Plünderung und Mord an Juden im ganzen Deutschen Reich.

Die CSU-Fraktion stellte nach der Vereidigung Strafanzeige gegen Richter. Die demokratischen Parteien haben sich darauf geeinigt, dem NPD-Mann das Leben so schwer wie möglich zu machen und ihn ansonsten zu ignorieren. Der neue Stadtrat beschließt gleich in seiner ersten Sitzung, die Aufwandspauschale für Einzelstadträte zu halbieren und ihnen kein Büro mehr im Rathaus zur Verfügung zu stellen. Richter will den Hamburger Neonazianwalt Jürgen Rieger einschalten und gegen die neue Regelung klagen. Zur ersten Sitzung reicht er ein ganzes Konvolut von 25 teils unverhohlen rassistischen Anfragen ein. So spekuliert er etwa über angeblich unterschiedliche „Liegezeiten? auf Münchner Friedhöfen für Christen, Muslime und Juden.

Weitere Karriere in der NPD

In seiner zweiten Stadtratsitzung gibt sich Richter zurückhaltender. Im beigen Anzug mit blauer Krawatte sitzt er in der letzten Reihe. Er meldet sich nur einmal zu Wort ? um kurz gegen die Integrationspolitik der Stadt zu hetzen. Die anderen Stadträte nehmen es hin, ohne zu reagieren. Im weiteren Verlauf stimmt er mal mit der einen, mal mit der anderen Partei. Anträge stellt er keine. Vermutlich liegt es daran, dass diesmal keine Neonazis auf den Zuhörerbänken sitzen. Doch zweifellos wird Richter den Stadtrat demnächst wieder als Bühne für seine Provokationen nutzen. Als zugkräftiger Demagoge freilich taugt er kaum.

Und auch wenn Richter, der jahrelang das Neonazi-Strategieorgan „Nation & Europa? verantwortete, als rechtsextremer Vorzeigeintellektueller gilt, wirft das weniger ein gutes Licht auf ihn, als ein schlechtes auf die extrem rechte Szene. Seine Artikel sind dürftig, seine Reden miserabel. Offensichtlich ist das kein Hindernis für eine Karriere in der NPD. Seit Anfang Juni ist Karl Richter auch noch stellvertretender Chefredakteur der Parteizeitung „Deutsche Stimme?.

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