Zwei Länder, zwei schwere Ausschreitungen gegen Corona-Maßnahmen: Es sind Bilder der Verwüstung, die am Wochenende aus den Niederlanden und Belgien kommen. Zunächst hat es am Freitagabend in Rotterdam wortwörtlich geknallt: Was als kleine unangemeldete Kundgebung in der Hafenstadt gegen schärfere Hygieneregeln der niederländischen Regierung begann, uferte schnell in hemmungslose Gewalt mit tausend rechtsextremen Hooligans aus. Es flogen Böller und Steine, Autos wurden angezündet, Straßenbarrikaden errichtet und Polizeiwagen attackiert. Daraufhin schlossen Behörden den Rotterdamer Hauptbahnhof, der Zugverkehr von und nach Rotterdam wurde bis Samstagmorgen eingestellt. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein und gab sogar „Warnschüsse“ mit scharfer Munition ab – die Demonstrierende trafen. Eine Stadt im Ausnahmezustand.
Der Rotterdamer Bürgermeister, Ahmed Aboutaleb, sprach von einer „Orgie der Gewalt“. Dutzende Polizist:innen wurden dabei verletzt, drei Demonstrant:innen sogar schwer und mussten im Krankenhaus behandelt werden. Mindestens zwei der Verletzten hätten Schusswunden erlitten, schrieb die Polizei Rotterdam auf Twitter. Nun folge eine Untersuchung der Staatsanwaltschaft, um unter anderem zu klären, ob die Demonstrierenden von Polizeikugeln getroffen waren. Gerüchte, dass ein Mann erschossen worden sei, dementierte die Polizei. Bislang seien 51 Personen festgenommen worden – rund die Hälfte unter 18 Jahre alt. Die Polizei werte noch Bilder und Videos aus, da viele Verdächtigen noch nicht identifiziert werden konnte, hieß es weiter.
Fred Westerbeke, Polizeichef in Rotterdam, glaubt, dass die Proteste in den sozialen Medien koordiniert wurden. So seien innerhalb kurzer Zeit gleichzeitig mehrere große Gruppen erschienen. „Es muss organisiert gewesen sein. Am Ende waren tausend Menschen dort. Und sie wollten nur eines: Gewalt“, sagte Westerbeke dem niederländischen Nachrichtensender Rijnmond. Zu den Randalier:innen zählten stadtbekannte Hooligans: Ein Foto in den sozialen Medien zeigt eine Gruppe in schwarz vermummter Männer vor einem brennenden Polizeiauto mit einer Flagge der RJK („Rotterdam Jongeren Kern“) – eine junge Hooligan-Gruppe der Feyenoord, deren Fans als besonders gewaltbereit gelten.
Am Samstag folgten weitere Ausschreitungen in Den Haag und Urk: Rund 30 Personen wurden bislang festgenommen. Vor allem Jugendliche haben Straßenschilder zerstört und Brände gelegt. In Den Haag traf ein Stein einen Krankenwagen, der einen Patienten transportierte (siehe Tagesspiegel). Videos in den einschlägigen Hooligan-Kanälen auf Telegram zeigen zudem ähnliche Szenen in Leeuwarden nach einem Spiel zwischen SC Cambuur und FC Utrecht: Aufgrund der aktuellen Corona-Regeln müssen Spiele ohne Fans im Stadion stattfinden. Hooligans zündeten nach dem Schlusspfiff Pyrotechnik an und attackierten die Polizei. Eine geplante Demonstration in Amsterdam gegen Corona-Maßnahmen am Samstag wurde nach der Gewalt am Freitag allerdings von den Organisator:innen abgesagt (siehe Guardian).
Anlass war eine Verschärfung der Corona-Politik im Land: Wegen rasant steigender Infektionszahlen führte die niederländische Regierung Anfang November die Maskenpflicht wieder ein, Mitte November folgte ein Teil-Lockdown mit Kontaktbeschränkungen, der drei Wochen dauern soll. Nun soll auch eine 2G-Regel eingeführt werden – dann dürfen nur Geimpfte und Genese Veranstaltungen, Restaurants oder Cafés besuchen. Aktuell liegt dort die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner:innen bei knapp 900.
Es waren nicht die ersten Krawalle in den Niederlanden während der Pandemie: Im Januar 2021 gab es fast überall im Land Krawalle mit Plünderungen, Brandsätzen und Angriffen gegen Polizei (siehe Saarländischer Rundfunk). Auch damals kamen Wasserwerfer in Rotterdam zum Einsatz. Auslöser der Proteste waren die nächtlichen Ausgangssperren.
Am Samstag kam es ebenfalls in Brüssel zu gewalttätigen Protesten gegen eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen. Auch dort wurden Polizist:innen mit Feuerwerkskörpern und Steinen beworfen. Ein Video, das in Hooligan-Kreisen kursiert, zeigt ein gewalttätiger Mob, der Polizeiautos demoliert: Mit Straßenschildern und Metallstangen zerbrechen sie Fenster und zünden Böller. In einem Telegram-Kanal heißt es: „Many hools and football guys leading the way. 1312“ – mit Faustemoji. Barrikaden wurden gebaut und in Brand gesetzt. Die Polizei antwortete mit Wasserwerfern und Tränengas.
Die Krawalle in der belgischen Hauptstadt begannen zunächst als friedliche Demonstration gegen die Hygienemaßnahmen, an der laut Polizei rund 35.0000 Menschen teilnahmen. Ziel des Demozugs war die EU-Zentrale: Auf dem Weg dorthin riefen Demonstrierende „Freiheit“ und sangen die italienische Partisanenhymne „Bella Ciao“. Der Nachrichtenagentur AP News zufolge waren Symbole rechtsextremer Organisationen sowie Regenbogen-Flaggen auf der Demonstration zu sehen.
Aktuell liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in Belgien bei mehr als 830 Neuinfektionen. Daher sollen künftig auch dort Ungeimpfte keine Restaurants und Bars mehr besuchen. Arbeitnehmer:innen müssen zudem – wo möglich – mindestens vier Tage pro Woche von Zuhause aus arbeiten.
Nach den Krawallen in Belgien und den Niederlanden jubelt die extreme Rechte in Deutschland. Der bekannte Thüringer Neonazi Tommy Frenck schreibt auf Telegram: „Unterstützt überall die Proteste!“. In einem Beitrag für das rechtsextreme Verschwörungsblatt Compact schlagzeilte Chefredakteur Jürgen Elsässer: „Aufstand gegen Impf-Diktatur: Österreich, Niederlande, Belgien gehen voran“ – auch in Bezug auf die Demonstration in Wien (siehe Belltower.News). Elsässer schreibt von einem „Impf-Apartheid“ und ruft zu „Abendspaziergängen“ in Sachsen am heutigen Montagabend auf, wo nun eine Ausgangssperre für Ungeimpfte gilt. Andere Rechtsextreme vergleichen auf Telegram die Ausschreitungen mit dem Sturm auf die Bastille in Frankreich. Die Niederlande werden auch als „Zufluchtsort“ empfohlen: „Die Holländer haben Eier!“, schreibt etwa ein Kanal-Betreiber aus der Verschwörungsblase.
Vor allem die Schüsse der Polizei auf Demonstant:innen in Rotterdam werden immer wieder thematisiert: „So etwas hat sich nicht einmal die Stasi getraut“, schreibt ein User unter einem Artikel der rechtspopulistischen Epoch Times. „Friedlich demonstrierende Menschen werden niedergeschossen“, während gegen „die Antifa“ kaum etwas unternommen werde – so formuliert es ein knapp 25.000-Mitglieder starker QAnon-naher Telegram-Kanal aus dem SHAEF-Kosmos (siehe Belltower.News).
Der Trend ist alarmierend: Neben der Demonstration in Wien werden Rechtsaußen auch die schweren Ausschreitungen in den Niederlanden und Belgien als Erfolg gefeiert. Das könnte Verbündete in anderen Ländern, auch in Deutschland, dazu animieren, selbst auf die Straße gegen die Verschärfung von Corona-Maßnahmen zu gehen. Gleichzeitig fühlen sich viele in der Szene bestätigt, dass ihre Regierungen autoritäre Gesundheitsdiktaturen seien, gegen die gewalttätiger Protest legitim und gerechtfertigt sei. Eine brandgefährliche Entwicklung angesichts der europaweit in die Höhe schnellenden Infektionszahlen: So droht Europa diesen Winter nicht nur ein Corona-Hochrisikogebiet zu sein, sondern auch ein Krawall-Hotspot.