Die „Proud Boys“ sind für ihre Straßenkämpfe inzwischen weltweit bekannt. Die selbsternannten „westlichen Chauvinisten“ sind in der Tat eine rechtsextreme Schlägertruppe, die die körperliche Auseinandersetzung mit ihrem Lieblingsfeindbild, „der Antifa“, sucht. President Trumps Worte bei einer Wahlkampfdebatte im September 2020 sorgten weltweit für Schlagzeilen: „Haltet euch zurück und haltet euch bereit“, sagte der Ex-Commander-in-Chief den „Proud Boys“. Bei der Erstürmung des Kapitols war es dann soweit: Die „Proud Boys“ zogen bewaffnet in den Krieg und griffen den US-amerikanischen Kongress an. Sie spielten eine wichtige strategische Rolle beim Aufruhr, wie zahlreiche Videos des Tages belegen.
Die „Proud Boys“ go to Washington
Nach Trumps Wahlniederlage fanden mehrere „Million MAGA March“-Demos in Washington, DC statt. „Proud Boys“ aus den ganzen USA reisten an, um an diesen Protesten teilzunehmen. Und wo die „Proud Boys“ auftreten, folgen oft Straßenkämpfe. Washington war insofern keine Ausnahme. Am 6. Januar 2021 waren ungefähr 100 Menschen mit Verbindungen zu den „Proud Boys“ in der US-amerikanischen Hauptstadt vor Ort. Der Chef der Gruppe, Enrique Tarrio, dementierte später, dass seine „stolzen Jungs“, das Kapitol stürmen wollten. Doch bereits am 3. Januar fragte er auf seinem Telegram-Kanal: „What if we invade it?“ – was wäre, wenn wir dort einmarschieren? Welches Ziel er genau meinte, wollte Tarrio nicht näher erläutern. Am Ende durfte Tarrio die Demonstration nicht besuchen, da er vorläufig festgenommen wurde – aber mehr dazu später.
The Wallstreet Journal hat mittlerweile zahlreiche Videos von den „Proud Boys“ am besagten Tag ausgewertet. Die Gruppe trug größtenteils nicht die gold-schwarzen „Fred Perry“-Poloshirts, für die sie mittlerweile bekannt sind, womöglich um nicht als Mitglieder identifiziert zu werden. Stattdessen trugen sie knallorangene Mützen und Armbinden. So weit, so unauffällig. Doch so klandestin waren sie am Ende aus einem anderen Grund nicht: Ironischerweise haben sie per Livestream ihre ganzen Aktivitäten online in Echtzeit übertragen.
Die Videos zeigen: Die „Proud Boys“ versammelten sich schon vor der Demonstration auf der anderen Seite des Kapitols. Die Polohemden fehlten, doch viele trugen Schutzwesten und Fahnen, waren mit Pfefferspray und Baseballschlägern ausgerüstet. Die Anführer der Gruppe hatten sogar Funkgeräte mit Kopfhörern bei sich. Da DC strenge Waffengesetze hat, waren keine Schusswaffen zu sehen. Als der „Proud Boy“-Mob sich in Bewegung setzte, rief ein Mitglied: „Let’s take the fucking Capitol“ – lasst uns das verdammte Kapitol einnehmen. Ein anderer, offenbar vorsichtigerer „Proud Boy“ sagte ihm, er solle nicht so schreien.
Die „Proud Boys“ gehörten zu den ersten, die die Polizeiabsperrungen vor dem Kapitol durchbrachen. Vor dem Kapitol-Gebäude kämpften sie mit Beamt*innen der Capitol Police. Sie ermutigten dann andere Demonstrant*innen, in das Gebäude einzudringen, das Kapitol zu stürmen. Der „Proud Boy“ Robert Gieswein besprühte die Polizei mit einer Flüssigkeit, wahrscheinlich Pfefferspray. Ein anderer, Dominic Pezzola, benutzte ein Polizeischild, um ein Fenster einzuschlagen und sich Zugang zum Gebäude zu verschaffen. Viele „Proud Boys“ drangen in das Kapitol hinein, wie in den Videos zu sehen ist.
Trouble in Paradise
Der „Proud Boys“-Vorsitzende Enrique Tarrio wurde bereits zwei Tage vor den Ereignisse in Washington verhaftet. Der Grund: Er soll ein „Black Lives Matter“-Transparent vor einer afroamerikanischen Kirche verbrannt haben. Er wurde auch wegen illegalen Besitzes von Schusswaffenmagazinen angeklagt. Tarrio wurde freigelassen, durfte aber nicht nach Washington fahren. Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass Tarrio im Visier der Behörden steht. Ende Januar wurde bekannt, dass der „Proud Boys“-Chef ab dem Jahr 2012 ein aktiver FBI-Informant in Miami war, wo er vor allem im Bereich der Drogenkriminalität als V-Mann fungierte.
In den Tagen nach dem Sturm auf das Kapitol wurden etliche andere „Proud Boys“ festgenommen. Nach Angaben des US-Justizministeriums wurden zwei Mitglieder wegen Verschwörung zur Behinderung der Strafverfolgung angeklagt. Die zwei Männer – Dominic Pezzola, der das Fenster mit einem Polizeischild zerschlug, und William Pepe – müssen außerdem mit weiteren Anklagen rechnen. Als die Ermittler*innen das Haus von Pezzola durchsuchten, fanden sie mehrere Anleitungen zum Bombenbau auf einem USB-Stick. Joe Biggs, ein Anführer der Gruppe, wurde ebenfalls verhaftet. Biggs arbeitete früher für Alex Jones bei seiner verschwörungsideologischen Sendung „Inforwars“. Zwei weitere Mitglieder, Nicholas Ochs, Chef der „Proud Boys“ in Hawaii, und Nicholas DeCarlo, werden angeklagt, weil sie geplant haben sollen, den Kongress an der Bestätigung der Wahl zu hindern. Auch Ethan Nordean aus Seattle, ebenfalls ein Anführer der Gruppe, wurde nach dem Aufruhr verhaftet. Er soll vor dem 6. Januar online nach Spenden für Schutzausrüstung gefragt haben. Robert Gieswein, der einen chemischen Reizstoff auf die Polizei sprühte, wurde ebenfalls festgenommen und bleibt bis zum Prozess in Untersuchungshaft.
Auch die Gruppe als ganze ist in Schwierigkeiten geraten – gelinde gesagt. Am 3. Februar 2021 stufte die kanadische Regierung die „Proud Boys“ als terroristische Vereinigung ein – neben anderen Gruppen wie die „Atomwaffen Division“, „The Base“ und mehreren „ISIS“- und „Al-Qaida“-nahen Organisationen – und beschreibt sie als „neofaschistisch“. In Kanada ist es nun illegal, die Gruppe in irgendeiner Weise zu unterstützen. Kanadische Banken müssen beispielsweise sämtliche mit der Gruppe verbundenen Konten einfrieren. „Proud Boys“-Gründer Gavin McInnes ist zwar Kanadier, lebt aber inzwischen in den USA.
Da Trump nicht mehr im Amt ist und wichtigen Figuren der Gruppe Gerichtsverfahren drohen, steht die Zukunft der „Proud Boys“ auf der Kippe. In ihrem Telegram-Kanal distanzieren die „Proud Boys“ sich nun von ihrem Idol Trump und der republikanischen Partei. Beide seien in den Augen der „Proud Boys“ nicht mehr proud, sondern schwach. Nach den Trump-Jahren sind die „Proud Boys“ mit Parlamentarismus offenbar desillusioniert: „There is no political solution“, schreiben sie – es gebe keine politische Lösung. Ein Spruch, der auch bei rechtsextremen Akzelerationist*innen beliebt ist und als Aufruf zur Gewalt fungiert. Die „Proud Boys“ stecken in der Krise, ihre Zukunft ist ungewiss. Doch ihre Jungs sind weiterhin radikalisiert und brandgefährlich.
Die Fotos von Elvert Barnes und Anthony Crider wurde unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY 2.0 bzw. CC BY-SA 2.0 veröffentlicht.