Mit ihrem Wahlsong „Vi är på gång nu!“, „Wir sind jetzt in Gang gekommen!“ beschallt die Partei Sverigedemokraterna seit Monaten den Wahlkampf zu den Kommunal- und Parlamentswahlen am 19. September 2010. Übersetzt bedeutet der Name der Partei „Die Schwedendemokraten“. Wahlsongs von Parteien sind nichts Ungewöhnliches in Schweden. Selten haben sie allerdings solch einen Unterton wie dieser. Von einem angetretenen beschwerlichen Weg, dem Aufbegehren gegen wahnsinnige Politik ist darin die Rede, schließlich von der Rückeroberung des Landes. Es ist die schnulzige Ouvertüre für ein Stück, dessen letzten Akt noch niemand kennt. Seit Monaten zeichnet sich in den Umfragen bereits ab, dass die Partei die Vier-Prozenthürde des Schwedischen Riksdags überwinden könnte. Damit hätte die Partei erreicht, wovon ähnliche Gruppierungen in Schweden nur träumen können.
Nationalistisches Zünglein an der Waage
Die nächste schwedische Regierung wäre dann abhängig von den Schwedendemokraten, obwohl keine der etablierten Parteien mit ihr kooperieren möchte. Das nationalistische Programm, die Parteigeschichte und nicht zuletzt die Verstrickungen einiger Mitglieder in die Neonazi-Szene des Landes sind die Gründe dafür. Mit einschlägigen politischen Erfahrungen aus nationalsozialistischen Organisationen starteten 1988 die Gründer der Partei. Heute hat sie den Anstrich einer salonfähigen Partei. Konstant einwanderungsfeindlich ist die Haltung, mit der sie nach zwanzig Jahren allmählich erfolgreich wird.
Die Aufmerksamkeit in der schwedischen Öffentlichkeit verdankt die Partei der Spaltung des Schwedischen Parlaments. Dort stehen sich zwei ungefähr stimmgleiche Blöcke gegenüber, deren politische Positionen geschlossenes Auftreten gegenüber dem jeweils anderen verlangen. Weder die „Allianz für Schweden“ des amtierenden Ministerpräsidenten Frederik Reinfeldt, bestehend aus den eher bürgerlich-konservativen Parteien, noch der „Rot-Grüne Block“ haben allerdings gute Aussichten auf die einfache Mehrheit im Parlament. Bislang zeichnet sich in der Debatte um die künftige Regierungsbildung keine Lösung dieses Dilemmas ab. Sowohl Mona Sahlin, die Spitzenkandidatin der Sozialdemokraten als auch Reinfeldt, würden große Teile ihrer Wählerschaft verprellen, sollten sie ihre Regierungskoalitionen von Schwedendemokraten tolerieren lassen. Profitieren werden die Schwedendemokraten davon in jedem Fall.
Jung, dynamisch, rassistisch
Seit 2005 ist der (2010) 31-jährige Jimmie Åkesson Parteivorsitzender. Er ist die Personifikation des gewünschten neuen Images der Partei. Seit seinem 19. Lebensjahr sitzt Åkesson in seiner Heimatstadt Sölvesborg in Südschweden im Gemeinderat für die Schwedendemokraten. Dort gehörte er 1995 auch zu den Gründern der örtlichen Sektion des Jugendverbandes der Partei. Åkesson kann als maßgeblich verantwortlich für den Erfolg der Partei bezeichnet werden, da er seine Positionen geschickt mit einem Personenkult um sich selbst zu vermarkten weiß. Bestes Beispiel dafür ist seine Sommeransprache vor den Parteimitgliedern im diesjährigen Wahlkampf gewesen. Mitglieder der Jugendorganisation der Schwedendemokraten trugen zu der Veranstaltung die National- und Parteifarben blau-gelb, sangen seinen Namen und jubelten ihm zu. Dieses Paradebeispiel von Personenkult wurde ergänzt durch Schlüsselanhänger und Wasserflaschen mit seinem Porträt.
„Einwanderungskritisch“ ist das omnipräsente Stichwort in Åkessons Reden. Großes Vorbild ist die Dansk Folkeparti, die seit 2001 in Dänemark an der Regierung beteiligt ist und dort restriktive Einwanderungsgesetze erlassen konnte.
Rassistischer Anti-Rassismus
Irgendwo zwischen nationalkonservativen Denken und Sozialdemokratie verorten sich die Schwedendemokraten dabei selbst. Jüngst verstehen sie sich sogar als engagiert gegen Rassismus. Zumindest gegen den angeblich weitverbreiteten Rassismus der Einwanderer, der auf die schwedische Bevölkerung abziele, dessen Opfer sie sei und der die schwedische Gesellschaft bedrohe. Wodurch Menschen Teil dieser „Schwedischen Gesellschaft“ sind oder werden könnten, steht dabei nicht als Frage im Raum. Die Partei drückt sich um eine Antwort auf diese Frage. Die schwedische Staatsbürgerschaft ist es vermutlich nicht. Integration gilt im Programm der Schwedendemokraten als Ausnahmefall. Dem schwedenfeindlichen Rassismus im eigenen Land soll stattdessen die Abschottung des Landes ein Ende setzen.
Das sei auch nötig, tritt dieser Rassismus doch in letzter Zeit immer häufiger gewaltsam in Erscheinung. Zumindest suggeriert das die Darstellung der Partei. Alle von Menschen mit Migrationshintergrund begangenen Straftaten werden als Beweis dafür herangezogen und ihnen eine rassistische Motivation unterstellt. Dass auch ohne Migrationshintergrund Verbrechen in Schweden verübt werden, blendet die Partei aus.
Kriminalgeschichten
Einige dieser Verbrechen verüben immer wieder die eigenen Mitglieder. Dokumentiert wird das von der antirassistischen Zeitschrift Expo. In den Händen der Redaktion befindet sich das größte Archiv zum Thema Neonazis in den Skandinavischen Ländern. Es enthält zahlreiche Einträge zu den Schwedendemokraten. Bei den letzten Wahlen im Jahr 2006 wies Expo einigen führenden Kandidierenden der Partei Verurteilungen für Gewaltverbrechen nach. Alf Johansson beispielsweise war vor seiner Kandidatur bereits fünfmal verurteilt, u.a. wegen der Misshandlung zweier Frauen. Die Kandidatin, Madelene Larsson, war vorbestraft wegen gewaltsamen Widerstandes gegen die Staatsgewalt, rassistischer Beleidigung sowie Misshandlung einer Frau auf offener Straße. Das Opfer wurde aufgrund ihrer russischen Herkunft angegriffen. Insgesamt 12 und damit die meisten Vorstrafen hatte Jens Falck. Darunter waren mehrfach Diebstahl, Schmuggel und illegaler Waffenbesitz.
Der im November 2004 verstorbene langjährige Redakteur und Gründer der Zeitschrift Expo, Stieg Larsson, schrieb bereits 1991 ein Sachbuch über die Partei und zeigte die dahinter stehende Ideologie auf. 2001 erschien dann von Larsson und anderen: „Die Schwedendemokraten: Die Nationale Bewegung“. Larsson verfolgt darin die ideologischen Wurzeln der Partei bis zur nazistischen Bewegung „Nysvenska Rörelsen“ in den 30er Jahren zurück. Bis zu seinem Tod war Larsson der führende Experte über die Schwedendemokraten. Das damit verbundene Wissen über Hassverbrechen verarbeitete er auch in seinen Bestsellern der „Millennium-Trilogie“.
Rechtsruck in Europa
Die beiden Expo-Redakteure Mikael Ekman und Daniel Poohl ergänzten mit ihrem Buch „Ut ur Skuggan“, „Aus dem Schatten heraus“ dieses Jahr die bisherige Betrachtung der Partei um eine Analyse der Wählerschaft. Ihr Resumee: Im Schatten des multikulturellen Schweden, hat sich ein zweites, für rassistische Ideen empfängliches Schweden entwickelt. Die allgemeine wirtschaftliche Rezession und der Abbau des Sozialstaates trifft sie beide. Das zweite Schweden gibt allerdings Ersterem die Schuld. Eine Theorie, die auch auf viele andere Europäischen Staaten wie der Schweiz, Belgien und den Niederlanden zu treffen könnte und die Konjunktur des Rechtspopulismus in jüngster Zeit erklären würde.
Philipp Wagner
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).