Marko Scholz (*Name geändert) macht Bücher mit Kindern. Für den Verein Buchkinder verwandelt der 27-Jährige Fantasie in Geschichten. Gemeinsam schreiben sie, malen sie Umschläge und binden sie die Werke. An einem Nachmittag Ende November bekam Scholz ungebetenen Besuch.
Drei junge Männer betraten die kleine Werkstatt, zwei davon mit dunklen Kapuzen und Tüchern vermummt. Der dritte trat auf ihn zu, drängte ihn bis zur Wand und sagte: „Wenn bei uns noch mal der Zaun beschmiert wird, dann gehen hier die Scheiben zu Bruch, kapiert?“ Scholz fühlte sich bedroht, sagte schließlich ja, obwohl er nichts mit Schmierereien zu tun hatte. Daraufhin rückte das Kommando ab, Stühle stürzten dabei um, eine Tasse zersprang auf dem Boden. Nach der Drohung hat er Anzeige erstattet. Seither schließt er die Tür stets ab.
Jetzt sitzt Marko Scholz in seiner Werkstatt und erzählt von seinen unheimlichen, neuen Nachbarn in der Leipziger Odermannstraße. Die NPD hat hier am 15. November ein Büro eröffnet. Der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Winfried Petzold hat einen hohen grauen Zaun bauen lassen. Im Innenhof dahinter wurde ein Flachbau für Veranstaltungen errichtet, daran grenzt ein Bürogebäude.
Petzold nennt das massiv geschützte Anwesen „Bürgerbüro“, es stehe allen deutschen Menschen offen. Seit der Eröffnung allerdings berichten Anwohner von massiven Einschüchterungen und Bedrohungen. So wurde beispielsweise der Besucher einer WG in der Nacht vom 20. November von einem kurz geschorenen Mann auf der Straße als „Zecke“ und „Jude“ beschimpft. Bevor der Angreifer zuschlagen konnte, flüchtete der Attackierte zurück ins Haus. Als er mit Freunden zurückkam, wurden alle drei als „Juden“ beschimpft. Der Polizei liegt zu dem Vorfall eine Anzeige vor.
Droh-Besuche und Schlagstock-Patroullien
Der Droh-Besuch bei den Buchkindern ist einer von mehreren bemerkenswerten Vorgängen rund um das Leipziger NPD-Büro. Ein Anwohner hat beobachtet, wie drei Neonazis in der Odermannstraße mit einem Schlagstock patrouillierten und Passanten auf dem Gehweg bedrohten. Andere sahen, wie nachts Personen auf den Dächern rund um das NPD-Büro standen und Wache hielten. Es häufen sich Einschüchterung, Bedrohung und Schläger auf der Straße.
Eigentlich ist diese Art von Straßenkampf die Sache von rechtsextremen Kameradschaften und Autonomen Nationalisten. Sie versuchen, Alltagsmacht zu erobern und Missliebige aus dem öffentlichen Leben zu drängen. Dabei kommt es zwar zwischen gewaltbereiten Kameraden und NPD-Politikern immer wieder zum Streit über die richtige Taktik. Aber gleichzeitig gibt es zwischen ihnen seit Jahren eine gemeinsame Strategie zwischen Arbeitsteilung und Kooperation. Die NPD gibt sich bürgerlich und steht gleichzeitig rechten Schlägern nahe.
Das hat sich in Sachsen auch nach dem Einzug der NPD in den Dresdener Landtag keinesfalls geändert. Im Gegenteil. Ehemalige Kameradschaftler etwa der verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz erhielten Posten in der NPD. Rund um Mittweida sammelten Staatsschützer Belege dafür, dass Mitglieder der brutalen, mittlerweile verbotenen Kameradschaft Sturm 34 zeitweilig NPD-Mitglieder gewesen waren. Der ehemalige NPD-Kreisgeschäftsführer Harald N. hielt Kontakt zu der Bande. Nach Ermordung der kleinen Michelle demonstrierten NPD-Größen wie Holger Apfel und Jürgen Gansel in Leipzig Seite an Seite mit freien Kräften und forderten die „Todesstrafe für Kinderschänder“. Auch das sogenannte NPD-Bürgerbüro in Leipzig ist offenbar ein Ort, wo Fäden zusammenlaufen.
NPD stilisiert sich als Opfer
Die NPD hingegen versucht, sich in Leipzig als Opfer darzustellen. Der Abgeordnete Petzold wettert in einem „Bürgerbrief“ gegen „Rot-Front-Terror“ und das „infantile Protestgehabe linksradikaler Deutschenhasser“. Die Antifa protestierte mehrfach vor dem NPD-Büro. Über das „wie“ wird erbittert gestritten.
Während die Polizei zunächst mitteilte, 60 vermummte Angreifer hätten das NPD-Grundstück mit Steinen und Feuerwerkskörpern angegriffen, sagten Demonstranten gegenüber der Polizei aus, lediglich Protestlieder gesungen zu haben. Hinter dem Zaun wurden Steine gefunden, aber es gab keine Sachbeschädigung. „Im Moment steht Aussage gegen Aussage“, sagt ein Polizeisprecher. Der Ablauf werde geprüft. Die Anwohner leben derweil in einem Zustand permanenter Unsicherheit. „Eine alte Frau sagte mir, dass sie weder im Krieg noch auf der Flucht solche Angst hatte wie jetzt“, sagt Frank Kimmerle, Mitglied der Bürgerinitiative Miteinander Jetzt.
Die Vorfälle rund um das NPD-Büro zeigen, wie schwer sich der Rechtsstaat mit aggressiven Rechtsextremisten, deren Einschüchterungsversuchen und deren latenter Gewaltbereitschaft tut. Polizei-Sprecher Uwe Voigt bestätigt, dass mittlerweile diverse Anzeigen, unter anderem wegen Bedrohung und Körperverletzung vorliegen. Die Suche nach den Tätern kann allerdings dauern.
Dieser Text erschien am 19. Dezember in DIE ZEIT. Wir bedanken und für die freundliche Unterstützung.