Im Krieg verlieren Menschen. Sie verlieren ihr Leben und ihre Menschlichkeit. Aktuell zeigt das die Terrorattacke der islamistischen Hamas auf Israel. Hamas-Kämpfer haben seit dem 7. Oktober 2023 Menschen in Israel überfallen, entführt, vergewaltigt, ermordet. Es handelt sich um Zivilist*innen, Besucher*innen eines Raves, Wohnbevölkerung, die nicht persönlich für politische Entscheidungen der israelischen Regierung verantwortlich sind. Vor allem sind es Frauen, Kinder und Senior*innen, denen Gewalt angetan wird, die ermordet werden. Über 1.200 Menschen sind tot, über 2.000 weitere verletzt.
Dem Terror ging eine sprachliche Rechtfertigung voraus: Die Hamas gab an, sie sehe eben in jedem Menschen auf israelischem Boden einen Verantwortlichen für die israelische Siedlungspolitik, und ergo hätten alle verdient, zu sterben. Eine menschenfeindliche Verallgemeinerung, die zu Gräueltaten führte, die mit nichts zu rechtfertigen sind. Der Terror gegen Frauen und Kinder, deren leblose Körper auch noch bespuckt oder im Triumph entblößt durch die Straßen gezerrt werden, ist kein „Freiheitskampf“, auch wenn er so geframt wird. Es ist islamistischer Terror gegen Unschuldige, auch ein misogyner Terror, der als tödliche Machtdemonstration auf dem Körper von Frauen ausgelebt und ausgestellt wird.
Warum fällt es in Deutschland so vielen Menschen schwer, dies so zu benennen?
Die Hamas steht nicht für alle Menschen in Palästina.
Die Hamas ist eine Terrororganisation.
Der Terror der Hamas ist kein Freiheitskampf. Die Ermordung von Frauen und Kindern ist kein Freiheitskampf.
Die Freiheit, die sich die Hamas für Palästina wünscht, ist nicht einmal eine Freiheit – jedenfalls nicht für alle Menschen. Ein Regime der Hamas würde keine Freiheit beinhalten für Frauen, nicht für LGBTIQ*, nicht für die sich nach Demokratie sehnenden Menschen und für Minderheiten, die von der Hamas als feindlich angesehen werden.
Deshalb ist es umso erstaunlicher, wenn Menschen, die sich selbst als demokratisch, als politisch links, als antirassistisch verorten, in „Free Palestine“-Rufe einstimmen, die mit dieser Freiheit von Palästina nicht die Freiheit für alle Menschen in der Region meinen, sondern die Vernichtung Israels und der Jüdinnen und Juden, die dort leben. „From the River to the Sea“ meint: Israel habe kein Existenzrecht, Israelis sollten ermordet oder zumindest vertrieben werden. Das hat mit Menschenrechten nichts zu tun und auch mit Dekolonialisierung nicht, wobei das für die Situation in Israel eh keine passende Einordnung ist, die aber Bündnisse in den Antirassismus ermöglicht.
Wer sich gegen die Unterdrückung von Menschen wendet, und dies nicht mit dem Ziel tut, ein gleichwertiges Leben aller Menschen in einer Region zu ermöglichen, sondern mit dem Ziel, neues Leid zu erreichen, tut nichts für Menschenrechte, sondern agiert aktiv dagegen. Der Hamas geht es nicht um die Menschen in Gaza oder um die Verbesserung ihrer Situation, sondern um eine Vernichtung und Vertreibung der Jüdinnen und Juden aus Israel. Wer die Hamas unterstützt, unterstützt auch den eliminatorischen Antisemitismus, den die Terrororganisation offen propagiert.
Dies wird nicht zuletzt darin sichtbar, dass sich der Terror der Hamas gegen die eigene Bevölkerung wendet, denn im Nahostkonflikt folgt auf Gewalt in der Regel Gewalt. Wegen der Terrorakte der Hamas werden in den palästinensischen Gebieten und Israel hunderte Menschen sterben. Israel hat gerade eine rechtskonservative bis rechtsextreme Regierung, die Teile der israelischen Bevölkerung entschieden ablehnen, wegen ihres Handelns gegenüber den Menschen in den palästinensischen Gebieten.
Die Reaktion der israelischen Regierung auf die Terrorakte ist ebenfalls brutal und verallgemeinernd: Gaza ist abgeriegelt, keine Lebensmittel, kein Strom, kein Gas mehr. Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant (Likud-Partei) schreibt auf X/Twitter: „Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln entsprechend.“ Das ist eine unangemessene und fürchterliche Entmenschlichung, deren Konsequenzen ebenfalls unbeteiligte Zivilist*innen treffen werden und die nichts zu einer Lösung des Konfliktes beitragen wird – viel aber zum Leid in der Region.
Die Solidarität mit Israel meint die Solidarität mit der israelischen Bevölkerung, jüdischen und nicht-jüdischen Menschen in Israel, die Opfer des Terrors werden oder fürchten, dies werden zu können.
Die Solidarität mit Israel meint das Existenzrecht Israels, das aus der Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus in Europa resultiert.
Diese Solidarität ist keine Rechtfertigung oder gar ein Gutheißen aller Entscheidungen israelischer Politik. Sie steht aber immer an der Seite der Opfer des Holocausts oder ihrer Nachfahren.
Die aktuelle Situation erfordert Ambiguitätstoleranz, also das Aushalten eines Nebeneinanders verschiedener Teile von Realität, die trotzdem alle valide sind.
Wir können uns für Menschenrechte und eine Verbesserung der Situation in Palästina einsetzen und trotzdem den Terror der Hamas gegen Zivilist*innen verurteilen und die Opfer betrauern.
Wir können für das Existenzrecht Israels eintreten und trotzdem die Siedlungspolitik und Militäraktionen gegen Palästina kritisieren.
Die Menschenrechte und ein gleichwertiges Leben für alle sollte dabei das Ziel allen Handelns sein, und Gewalt und religiöser oder politischer Extremismus keine unterstützenswerten Wege, um dieses Ziel zu erreichen.
Deshalb: Die Wirklichkeit ist komplex, aber Menschlichkeit, Mitgefühl und Menschenrechte geben einen guten Kompass ab, wenn wir sie unabhängig von parteipolitischen und ideologischen Rechtfertigungen anzuwenden in der Lage sind.
Das heißt übrigens auch für Deutschland, seine Medien und Politiker*innen:
- Keine Terrorakte als „Freiheitskampf“ oder „Verteidigungsschlag“ verharmlosen.
- Wirkliche Freiheit für Palästina heißt: Menschenrechte, nicht, Israel das Existenzrecht abzusprechen oder Zivilist*innen zu ermorden. Mit Menschen, die das nicht differenzieren können, kann es keine Allianzen geben.
- Jüdische Menschen oder Einrichtungen in Deutschland als „Stellvertreter*innen“ von Israel zu bedrohen ist Antisemitismus, kein „Freiheitskampf“ oder „Kollateralschaden“.
- Terrorakte der Hamas sind kein Grund, Muslim*innen in Deutschland mit Misstrauen zu begegnen oder in antimuslimischen Rassismus zu verfallen.
- Die Rechtfertigung oder Feier der Terrorakte in Deutschland ist ebenfalls kein Grund, allen Muslim*innen in Deutschland mit Misstrauen zu begegnen – aber denjenigen, die das feiern, schon. Hier ist ein Umgang gefragt, allerdings kein rassistisch-populistischer wie „alle abschieben“, sondern eine gesellschaftliche Auseinandersetzung und Ächtung der Position.