Ideologie und Feindbilder:
In der Ideologie des Nationalsozialismus flossen geistige und soziale Strömungen zusammen, deren Gedankengut weite Kreise über die eigentliche deutsch-völkische Bewegung hinaus erfasste: auf Expansion gerichteter Nationalismus, der eine Weltmachtstellung für ein Mitteleuropa beherrschendes Deutschland forderte; Bestrebungen, die Nation durch innere soziale Versöhnung des deutschen Volkes über die Klassengegensätze hinweg unter Ablehnung des internationalen „marxistischen“ Sozialismus zur Machtpolitik nach außen zu befähigen; auf Volkstums- und Rassentheorien gründende antisemitische Feindbilder, die bei sozial verunsicherten kleinbürgerlichen und bäuerlichen Bevölkerungsgruppen politischen Rückhalt fanden.
Die tief greifenden Erschütterungen, die der Erste Weltkrieg bewirkte, verliehen dem zunächst noch wenig zielgerichteten Ideenkonglomerat des Nationalsozialismus in der labilen, durch Umsturz, wirtschaftliche Not, die Bedingungen des Versailler Vertrages und mangelnde demokratische Substanz belasteten Weimarer Republik erhebliche Sprengwirkung: In den „Sündenböcken“ KPD und SPD machte man konkrete Feinde aus, und besonders der Antisemitismus bot ein Deutungsmuster für Niederlage und Umsturz (angebliches Weltmachtstreben des Judentums, verkörpert in den marxistischen Parteien und im „internationalen Kapitalismus“), das von Gruppen, die den alten Machteliten nahestanden (Alldeutsche, DNVP) oder sozialen Abstieg befürchteten, propagandistisch gezielt verbreitet wurde. Aus einer der irrationalen und extremistischen Protestgruppen, die auf diesem Boden emporwucherten, ging die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) hervor.
Hitler und die NSDAP:
Als eigentliches Programm des Nationalsozialismus muss die einfache politische Gesamtkonzeption gelten, die Adolf Hitler (seit 29. 7. 1921 Vorsitzender der NSDAP) seit 1920/21 propagierte. In der Grundposition, dass sich das deutsche Volk gegen den konzentrierten Angriff des Judentums wehren und zu neuer, seinem Elitecharakter angemessener Großmachtstärke aufsteigen müsse, besaßen Hitler und die Propaganda des Nationalsozialismus ein auf ein eingängiges Freund-Feind-Schema reduziertes politisches Erklärungsmodell. Überzeugt von der fast unbegrenzten Manipulierbarkeit des Menschen, sah Hitler seine zentrale Aufgabe und die der NSDAP darin, die Willenskraft und Tatbereitschaft der Massen auf das Ziel zu lenken, eines Tages gewaltsam die Träger der 1918 angeblich über Deutschland hereingebrochenen „Judenherrschaft“ zu beseitigen. Nationalsozialistische Weltanschauung: Die nationalsozialistische Weltanschauung, die Hitler v. a. in „Mein Kampf“ (1924/25) und in seinem „Zweiten Buch“ (1928) darlegte, ist keine im Einzelnen ausgearbeitete, von Widersprüchen freie „Lehre“. Im Zentrum stehen ein radikaler, universaler, rassisch begründeter Antisemitismus (der den Kampf gegen Marxismus, Bolschewismus, Pazifismus, Liberalismus, Demokratie als angeblich jüdische Existenzweisen einschließt) und die Lebensraumdoktrin. Ausgangspunkt ist die Auffassung von Geschichte als einem stetigen Kampf der Völker um Selbsterhaltung und um Sicherung und Vermehrung des dazu notwendigen Lebensraums. Siegreich bleibt jeweils das Stärkere, das heißt „rassisch Wertvollere“; als Endziel der Geschichte propagierte Hitler die Herrschaft eines „Herrenvolkes“. Im Rahmen dieses rassistischen, die Ebenbürtigkeit aller Menschen verneinenden Denkschemas bildet sich – gleichsam als Unterfaktor – die „rassisch wertvolle“ Persönlichkeit aus, die einen Führungsanspruch gegenüber der sich unterordnenden „Volksgemeinschaft“ erheben darf (Führerprinzip). Im jüdischen Volk sah Hitler den Gegner dieser „Naturgesetze“; für das „rassisch hoch stehende“, zahlenmäßig zunehmende deutsche Volk leitete er daher die zentrale Aufgabe ab, die Juden kollektiv zu bekämpfen und neuen Lebensraum zu erobern. Der Krieg galt dabei als ein legitimes Mittel; programmatische Einzelforderungen wurden in erster Linie unter dem Gesichtspunkt ihrer agitatorischen Verwendbarkeit und Integrationskraft betrachtet.
Führerstaat:
Grundlegend für den Erfolg des Nationalsozialismus in Deutschland vor und nach 1933 war, dass er einer breiten ideologischen, politisch wirksamen Strömung in der tief greifenden sozialen Krise einer (sich im Vergleich zu anderen Großmächten) verspätet ausgebildeten bürgerlich-industriellen Gesellschaft mit seiner Propaganda und mit seinem gewalttätigen Aktivismus vielfältige Möglichkeiten zur Identifikation und zur Aggressionsentladung eröffnete.
Machtergreifung:
Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. 1. 1933 leitete den 18-monatigen Prozess der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ ein; der „Tag von Potsdam“ (21. 3. 1933, Staatsakt zur ersten Sitzung des neuen Reichstages) sollte das Bündnis des kaiserlichen Deutschlands mit dem neuen „tausendjährigen“ Reich zur Schau stellen. Gestützt auf die weitgehende (zum Teil durch Terror bedingte) Loyalität von Bürokratie und Militär geschah der Machtwechsel durch die Eroberung machtpolitisch entscheidender Positionen (Länderregierungen, Eindringen der Gauleiter in die regionalen staatlichen Führungsämter, Geheime Staatspolizei, Errichtung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda), durch die zwangsweise, zum Teil offen terroristische Ausschaltung politischer Gegner und ihrer Organisationen (Reichstagsbrand, Ermächtigungsgesetz, Parteien- und Gewerkschaftsverbot, Konzentrationslager); daneben erfolgte die Beseitigung rechtsstaatlicher Sicherungen sowie die „Gleichschaltung“ und Lähmung politischer und gesellschaftlicher Institutionen (Parlamente, Länder, Presse, Berufsverbände) sowie die Einschüchterung potenziellen Widerstands. Nach Hindenburgs Tod am 2. 8. 1934 vereinigte Hitler die Ämter des Regierungschefs und Reichspräsidenten als „Führer und Reichskanzler“ auf sich; auf den Ebenen unterhalb des „Führers“ entstand keine eindeutige Aufgabenverteilung zwischen staatlichen und Parteiinstanzen. Der Nationalsozialismus beanspruchte, die „monolithische Einheit“ des politischen Willens geschaffen und organisiert zu haben, die er zuvor gegen Demokratie, Parlamentarismus und den Pluralismus politischer und gesellschaftlicher Gruppen gefordert hatte. Rascher gewaltsamer Übergriff auf politische Gegner (Kommunisten, Sozialdemokraten), Repressalien gegen Juden (ab 1935/38 forciert; Holocaust, Judenverfolgungen, Kristallnacht) u. a. „unerwünschte“ Minderheiten (Euthanasie, Zigeuner, Zwangssterilisation) sowie gegen Kirchen (Kirchenkampf), ferner Vertreibungsmaßnahmen erhöhten die gewünschte psychologische Wirkung (z. B. Angst vor Denunziation, Gestapo u. a.) propagandistischer Agitation (v. a. durch Massenkundgebungen).
Sozialer Wandel:
Auch nach dem Abschluss der Machtergreifungsphase blieb das Spannungsfeld von Parteidienststellen und Staatsapparat erhalten; Fraktionen innerhalb derselben Organisation (v. a. auch in dem zunehmend mächtiger werdenden Abwehr- und „Überwachungsorden“ SS) befehdeten einander, was in der Konkurrenz um die Gunst der obersten Entscheidungsinstanz die Radikalisierung von Maßnahmen häufig erst herbeiführte. Den Anspruch auf Überwindung des tradierten Wirtschafts- und Sozialsystems hat der Nationalsozialismus nie aufgegeben. In den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft zeichneten sich neue Wege des Aufstiegs und der Elitebildung weitgehend unabhängig von sozialer Herkunft und materieller Lage ab und ließen Deutschland trotz geistiger und politischer Unfreiheit für viele als eine sozial offenere Gesellschaft als zuvor erscheinen. Die relative Stabilität des Systems und die Gefolgschaft, die es bis weit in den Zweiten Weltkrieg, bis zur Niederlage bei Stalingrad 1942, hinein fand, beruhten darauf, dass es dem Nationalsozialismus trotz seiner aggressiven Politik und des repressiven Umgangs mit Gegnern sowie aus der „Volksgemeinschaft“ Ausgegrenzten, trotz seiner unmenschlichen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik gegenüber Juden, Zigeunern und anderen „Nicht-Ariern“ gelang, sich Zustimmung aus allen sozialen Schichten zu sichern („Führer-Mythos“, „Schicksalsglaube“). Darin bestand auch eine der Hauptschwierigkeiten, vor denen die Widerstandsbewegung gegen das Regime stand. Für den sozialen Wandel der deutschen Gesellschaft waren die mit der Aufrüstungspolitik eingeschlagenen Modernisierungstendenzen erheblich wirksamer als die in die vorindustrielle Welt zurückweisenden sozial- und agrarromantischen, großstadtfeindlichen Vorstellungen („Blut und Boden“), die in der Propaganda, in der Kulturpolitik und in der Tätigkeit verschiedener nationalsozialistischer Organisationen im „Dritten Reich“ überwogen.
Entnazifizierung:
Zum Nachkriegsprogramm der Mächte der Anti-Hitler-Koalition wie auch der deutschen Widerstandsbewegung gehörte die Forderung nach Beseitigung aller nationalsozialistischen Organisationen und des nationalsozialistischen Geistes als Voraussetzung für die Entstehung eines demokratischen Staatswesens in Deutschland (Entnazifizierung). Die Zerschlagung der Organisationen nahmen die Besatzungsmächte vor. Eine offene und vorurteilslose Auseinandersetzung mit Ursachen, Ergebnissen und Schuld des Nationalsozialismus stieß (und stößt zum Teil noch heute) bei Teilen der deutschen Bevölkerung auf vielfältige Widerstände.
Der Versuch, den Nationalsozialismus wieder zu beleben (Neofaschismus), gilt in Deutschland als verfassungsfeindlich (Artikel 18 Grundgesetz) und wird mit Verbot (Artikel 21 Grundgesetz) der Organisation geahndet, ebenso ist die Leugnung der NS-Verbrechen (Auschwitzlüge) strafbar.
Forschung:
Kaum eine Epoche der deutschen Geschichte ist so gründlich erforscht worden wie die NS-Zeit. Die NS-Forschung wird von zahlreichen wissenschaftlichen Instituten und Einzelforschern im In- und Ausland, in Deutschland v. a. vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ; Sitz: München), betrieben. Schwerpunkte der Forschungen waren zunächst die Weltanschauung und die Kriegspolitik des Nationalsozialismus, die Formen und Bedingungen der Entstehung und des Aufstiegs der NSDAP zur Macht sowie die Rolle Hitlers im Nationalsozialismus („Hitlerzentrik“ versus „Strukturgeschichte“, Phänomen der Polykratie), dazu Studien zum Verhältnis zu den alten Machteliten in Deutschland und zu Fragen der Kontinuität oder des Bruches des Nationalsozialismus mit den Traditionen deutscher Außen- und Gesellschaftspolitik, ferner Untersuchungen zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus sowie Arbeiten zu nationalsozialistischer Judenpolitik und Holocaust, speziell zur Genese der „Endlösung“, neuerdings zu den verschiedenen Tätergruppen. Auch der stufenweise Prozess der Verstrickung von Funktionseliten (Justiz, Medizin, Wehrmacht) in das sich radikalisierende Herrschafts- und Vernichtungssystem wurde verdeutlicht, das Bild der Vielfalt der nationalsozialistischen Herrschaftswirklichkeit vertieft (biografische Untersuchungen, Studien zur Alltags-, Kultur-, Sozial- und Wirtschafts- sowie Regionalgeschichte der NS-Zeit). Eine neuerliche Debatte um die Rolle des Nationalsozialismus im Prozess der Modernisierung machte das Neben- und Ineinander von modernisierenden sowie regressiven inhumanen Zielen und Methoden sichtbar. Im Sinne einer Historisierung wird auch die Frage nach sozialen, mentalen und personellen Kontinuitäten wie nach den Folgen der Kriegsverbrecherprozesse (Nürnberger Prozesse) und der Entnazifizierung für die gesellschaftliche und politische Entwicklung im Nachkriegsdeutschland untersucht (Vergangenheitsbewältigung; für die Forschung kaum ergiebig: der Historikerstreit). Zuletzt erlangte der Diktaturvergleich, im Rahmen des Totalitarismuskonzepts, neue Beachtung.
Quelle: Meyers Lexikon online