Das biologische Totschlagargument lässt keine Einwände zu, aber gleichzeitig scheint auch einiges daran faul. Es wird immer dann verwendet, wenn Menschen ein Problem damit haben, dass andere Geschlecht und Sexualität auf vielfältige Weise leben oder sich dafür einsetzen, dass Geschlechter-Hierarchien aufgebrochen werden. Schnell sind Feminismus oder eine vermeintliche ‚Gender-Ideologie‘ als Feindbilder ausgemacht. Denn die brächten alles durcheinander. Also zumindest die vermeintlich“natürliche Geschlechterordnung“.
Biologie ist nicht das gleiche wie Biologismus
Von der Biologie als Wissenschaftsdisziplin wird das generell nicht unterstützt. Biolog:innen verstehen, dass biologische Forschung und gesellschaftliche Theorie nicht dasselbe sind. Es gibt viele Biolog:innen, die gendersensible Forschung betreiben und soziale und kulturelle Dimensionen von Geschlechtlichkeit anerkennen. Biologistische Argumentationen aber werfen Menschen wehrlos auf die ‚natürlich gegebenen‘ Umstände zurück. Sie werden im Kontext von Geschlecht, Sexualität und Familie genutzt, um normabweichende Lebensrealitäten als ‚unnatürlich‘ und pathologisch zu markieren.
Deshalb kommt hier ein kleiner Auszug aus der Trickkiste, an der sich biologistische Argumentationsweisen erkennen lassen.
Trick #1: Definitionen verschieben und Sozialität ausblenden
Ein Trick unter Biologist:innen ist es, Geschlecht abhängig zu machen, von der Fähigkeit Eizellen oder Spermien zu produzieren. So argumentiert auch Ulrich Kutschera, bis 2021 Professor für Pflanzenphysiologie und im Kuratorium der AfD-nahen Erasmus-Desiderius-Stiftung. Kutschera ist vehementer Gegner einer vorgeblichen ‚Gender-Ideologie‘ und greift im Kampf gegen diese zu diesem unter Biologist:innen beliebten Trick: Erst definiert er ‚Frau‘ als Eizellenproduzentin und ‚Mann‘ als Spermienproduzent. Ausgehend von diesen biologischen Kategorisierungen übt er dann seine ‚Gender-Kritik‘ in einem Radiointerview mit dem Journalisten Ingo Kahle, indem Kutschera ausführt: „»Man ignoriert [darin] die gesamte Biologie und prägt ein Dogma, das lautet: Wir kommen geschlechtsneutral auf die Welt und werden hinterher in Richtung Mann oder Frau gepolt, und wir können dann noch beliebig das Geschlecht wechseln.“
Doch wer wird hier angesprochen? Niemand hat je behauptet, dass eizellenproduzierende Menschen zu Spermienhersteller:innen werden könnten oder umgekehrt. Hier werden biologische Definitionen auf Diskurse angewendet, die sich selbst jedoch auf kulturelle Aspekte von Geschlecht beziehen. Es wird so getan, als ob das Verhalten von Menschen und ihre Beziehungen zueinander vollständig dadurch erklärbar seien, dass sie unterschiedliche Keimzellen produzieren. Ausgeblendet wird dabei der Einfluss gesellschaftlicher Verhältnisse. Denn diese geben Geschlechternormen vor, entlang oder entgegen derer sich geschlechtliche Selbstverhältnisse entwickeln.
In seinem Buch „Das Gender-Paradoxon“ führt Kutschera unterschiedliche Interessen und Berufsvorlieben auf die Geschlechtschromosomen von Menschen zurück. Die „unendlichen Konflikte“, die zwischen Mann und Frau bestehen würden, seien „zu 99 Prozent biologisch bedingt“, behauptet er etwa in einem Vortrag. Sein Unwille, menschliches Leben auch jenseits von genetischer und physiologischer Vorprägung zu denken, ist letztendlich eine antidemokratische Position. Denn mit Kampfbegriffen wie ‚Gender-Wahn‘ oder ‚-ideologie‘ wird unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit gegen emanzipatorische Entwicklungen und Errungenschaften gehetzt.
Trick #2: Geschichte ignorieren
Allerdings ist die soziale Dimension von Geschlecht noch lange nicht alles, was Biologist:innen ignorieren. Gerne wird eine reaktionäre Sicht auf Geschlechterverhältnisse in eine ominöse ‚Urzeit‘ projiziert: ‚Männer und Frauen sind gegensätzlich, das war schon in der Steinzeit so!‘ ist hier das Argument, um patriarchale Verhältnisse als natürlich darzustellen. Biologistische Argumentationen blenden damit einfach aus, dass sich die Gesellschaft im Laufe der Zeit verändert, also dass sie historisch gewachsen und nicht einfach immer schon vorhanden ist. Unsere heutige Vorstellung von Geschlecht kommt zum Beispiel erst mit der bürgerlichen Moderne auf, und ist wesentlich mit der kapitalistischen Produktionsweise verschränkt.
In vor-bürgerlichen Gesellschaften gilt die Frau nicht als Gegenteil, sondern als unzulänglichere Version des Mannes. Im Übergang von der feudalen Haushaltsökonomie zur kapitalistischen Produktionsarbeit brauchte es dann eine Rechtfertigung, um Frauen zu unbezahlter Arbeit im Haushalt zu verpflichten. Die Lösung: Im bürgerlichen Geschlechtermodell des 18. Jahrhunderts werden Männer und Frauen zu ausschließenden Gegensätzen: Der Mann ist für das Öffentliche, Aktive und Rationale zuständig; die Frau für das Private, Passive und Emotionale. Diese Zuordnung wird dann als natürliche Ordnung in die Körper der Menschen eingeschrieben, und Reproduktions- und Sorgearbeit so im ‚natürlichen Wesen der Frau‘ verankert.
Trick #3: Die eigene Kultur als allgemeine Natur verstehen
Gleichzeitig wird hier aber nicht nur der geschichtliche Hintergrund von Geschlecht ausgeblendet, sondern auch seine kulturelle Spezifik. Denn in vielen Gesellschaften, die durch den Kolonialismus fast vollständig verdrängt wurden, sind oft völlig andere Vorstellungen von Geschlecht zu finden.
Statt nur einer Zweigeschlechterordnung existieren weltweit auch noch verschiedene Mehrgeschlechterordnungen. Es gibt Geschlechtskategorien jenseits einer binären Einteilung in Mann und Frau, teilweise wird Geschlecht als fließend und veränderbar begriffen und es kann von körperlichen Merkmalen unabhängig funktionieren.
Es kann also keineswegs davon gesprochen werden, dass es eine Art biologischen Zwang gibt, der seit frühsten Urzeiten gleichmäßig in den Menschen wirkt. Hier handelt es sich um eine unplausible Gleichsetzung der ‚biologischen Wahrheit‘ mit der kulturellen europäischen Realität und ihrer weißen Vorherrschaft. In dieser Vorstellung, die der europäischen Kultur eine direktere Verbindung zur Natur unterstellt, steckt also auch ein kolonialer und rassistischer Gestus.
Verbreitung biologistischer Antifeminismen
Insgesamt zeugen alle diese ‚Tricks‘ von einer Missachtung kultureller Einflüsse auf das menschliche Leben und der völligen Ignoranz gelebter Realitäten. Was Menschen tun und denken, wird dem alleinigen Einfluss der Natur unterworfen und für rechte völkische Ideen instrumentalisiert. Ulrich Kutschera hat sich im letzten Jahr ein wenig zurückgezogen, doch die Reihe biologistisch argumentierender Antifeminist:innen reißt dadurch nicht ab.
So landete die Journalistin Brigit Kelle mehrere Bucherfolge mit Titeln wie „GenderGaga. Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will“. Auch sie positioniert sich gegen den ‚Gender-Irrsinn‘ und beruft sich stur auf ‚Mann gleich Spermienproduzent, Frau gleich Eizellenproduzentin‘. In ihrem Buch „Muttertier“ koppelt sie Weiblichkeit, Mutterschaft und Natur unabdingbar aneinander. Sie spricht von einem „biologischen Erbe“, „weiblicher Natur“ und behauptet, dass es „immer noch das gleiche Paarungsverhalten wie in der Steinzeit“ gäbe.
Biologismen finden sich nicht nur im Rechtspopulismus. Sie hallen auch in der völkisch-nationalistischen Idee eines ‚Volkskörpers‘ wider, der ‚rein‘ zu bleiben hat. Neben rassistischen und antisemitischen Fantasien wird hier eine biologistische Geschlechterordnung mobilisiert: Die Frau hat weiblich, devot und heimattreu zu sein, und ihre Aufgabe ist es, den ‚Fortbestand der Nation‘ zu sichern.
Alarmierend sind aber auch die evolutionspsychologischen Urzeit-Erzählungen in zahlreichen Sachbüchern: „Die Evolution des Begehrens. Geheimnisse der Partnerwahl“, „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ oder „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“. Der Kabarettist Dieter Nuhr wettert gegen den ‚Genderirrsinn‘, und stellt Geschlechterklischees dagegen, die er mit „da können Sie jeden Biologen fragen“ untermauert. Das Kabarett-Programm „Cave Man“ führt Ehekonflikte auf eine Beziehung zwischen den Geschlechtern zurück, die „es schon seit hunderttausend Jahren gibt“: Der Mann ist Jäger, die Frau sitzt in der Höhle und hütet die Kinder.
In ihrer ständigen Argumentation gegen die ‚böse Gender-Ideologie‘ entpuppen sich die biologistischen Mythen als antifeministische Hetze. (Queer-)feministische Kämpfe versuchen althergebrachte Formen von Weiblichkeit und Männlichkeit infrage zu stellen, weil sie in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen und weil sie extrem einengend für alle sind. Identitäten jenseits der Konzepte Mann/Frau werden öffentlich sichtbar, weil sie nun einmal existieren und ihnen eine gleichberechtigte Anerkennung zusteht. Die Vorherrschaft von heterosexuellen Lebensentwürfe wird problematisiert, weil Menschen auch andere Formen oder die Abwesenheit von Begehren kennen und leben.
Biologistische Argumentationen stehen diesen längst überfälligen Demokratisierungsprozessen feindselig gegenüber und diffamieren sie mit Kampfbegriffen wie ‚Genderwahn‘ als ‚ideologischen Unsinn‘. Die Vorstellung einer natürlichen Geschlechterordnung kann vor diesem Hintergrund als eine Diskursstrategie verstanden werden, die hervorragend zu reaktionären Zielen passt: Das Patriarchat liegt halt einfach in der Natur!