Am späten Nachmittag ist es am Dresdener Hauptbahnhof noch verhältnismäßig ruhig. An der Südseite hat sich die Polizei versammelt und Barrikaden errichtet, davor ein paar Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten. Doch nur wenige Schritte in den Bahnhof und die ersten Nazis tauchen auf. In kleinen Grüppchen werden sie von den ankommenden Zügen ausgespuckt, mischen sich in die Reisenden und werden von der Polizei zu einem Sammelpunkt am Südausgang gebracht. Hier warten sie stoisch, die meisten mit mürrischem Blick, während jeder neue Zug einen weiteren Schub bringt.
Das Bild, das sie abgeben, zeigt deutlich, wie sehr sich die Nazi-Szene in den vergangenen Jahren verändert hat: Autonome Nationalisten tippen in ihre Handys, während sich Rentner in kleiner Runde miteinander unterhalten. Junge Frauen mit bunt gefärbten Haaren lehnen gelangweilt am Absperrgitter und beäugen ihre Mitwartenden mit schwarzen Windbreakern, selbst ein Mann mit Dreadlocks findet sich in der wachsenden Gruppe. Schließlich öffnen die Polizisten die Gitter und führen die Schar vor den Ausgang des Bahnhofs, wo weitere Gitter einen schmalen Sammelplatz einzäunen, der an der anderen von der Bahnhofsmauer begrenzt wird. Genau durch diese wartende Gruppe muss man, will man auf die andere Seite der Absperrung, hinter der Polizistinnen und Polizisten stehen. Der kurze Gang durch die Nazi-Menge ist unheimlich: Misstrauisch beäugen die Wartenden jeden, der sich hierher verirrt hat und offensichtlich nicht am „Trauermarsch“ teilnehmen will, schnell werden Handys gezückt, um die Passierenden zu fotografieren. Die eisige Stimmung, die einem hier entgegen schlägt, passt zum Wetter: Es ist dunkel und kalt, in Dresden liegt noch Schnee, der unter den Füßen frostige Matschhaufen bildet.
Kritische Routenführung
Mittlerweile ist die Gruppe der Rechtsextremen vor den Bahnhof beträchtlich gewachsen: Etwa 500 Menschen säumen das Gebäude bis zur Straße, wo sich jetzt auch mehr Gegendemonstrantinnen und –demonstranten eingefunden haben. Diese vertreiben die Kälte mit lauter Musik und Tanz, während sich die Nazis die Beine in den Bauch stehen. Mehr als eine Stunde harren sie nun hier schon aus, als es um kurz nach 18 Uhr heißt, dass es nun bald losgehen würde. Langsam setzt sich der düstere Zug in Bewegung – um nach kurzer Zeit wieder zu stoppen. Denn Nazigegnerinnen und –gegner haben die Straßenbahnen blockiert, die den Weg der Rechtsextremen kreuzen. Es dauert einige Weile, bis die Bahnen weiterfahren können. Doch der Zug nimmt nun doch eine andere Richtung: Hinter dem Bahnhofsgebäude wird links abgebogen, in eine enge Unterführung, durch die auch noch eine Straße und Tramschienen führen. Zwischen Rechtsextremen und GegendemonstrantInnen befinden sich so nur wenige Meter – und eine dünne Kette aus PolizeibeamtInnen. Warum die Polizei dieses Szenario gewählt hat, ist vollkommen unverständlich: Der enge Platz zwingt beide Seiten aufeinander zu, es stehen viel zu wenige Beamte dazwischen und der Verkehr läuft unter der Unterführung weiter. Ein Fehler oder eine Eskalation der Lage wäre bei dieser Konstellation fatal.
Tatsächlich baut sich bei den Nazis Frust über den Stillstand auf. Flaschen und Knallkörper fliegen in Richtung der Protestierenden, die ihrerseits mit Schneebällen und lauten Parolen antworten: „Haut ab! Haut ab!“, „Ihr könnt nach Hause fahren“ oder „Nazis sind böse, ab in die Fritteuse“ schallen durch den Tunnel. Die Nazis kontern mit „Frei, sozial und national!“, was mit einem Pfeifkonzert quittiert wird, die Stimmung wirkt auf der rechtsextremen Seite immer aggressiver.
Frust auf der Nazi-Seite
Inzwischen steht den etwa 500 Nazis eine unüberschaubare Menge von GegendemonstrantInnen gegenüber. Trotz der Kälte herrscht auf dieser Seite gute Laune, Lautsprecheransagen geben durch, was einen Bahnhof weiter passiert. Denn in Strehlen haben sich weitere 200 Nazis versammelt, die versuchen, zum eigentlichen Sammelplatz für den Start ihres „Trauermarschs“, den Sachsenplatz, zu kommen. Auch sie werden gestoppt: An der Kreuzung Lennéplatz/Parkstraße versperrt ihnen eine Blockade von mehreren hunderten Menschen den Weg – via Twitter wird bekannt gegeben, welche Blockaden in der Stadt noch Unterstützung brauchen.
Entnervt geben die Rechtsextremen schließlich auf, und versuchen, ihre Kundgebung an Ort und Stelle zu veranstalten. Doch die Redebeiträge von Udo Pastörs, NPD-Fraktionsvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern, und dem Berliner NPD-Chef Sebastian Schmidtke gehen im lautstarken Protest der Blockierer vollkommen unter. Wie viel Frust die Ereignisse in Dresden bei der NPD ausgelöst haben müssen, zeigt schon ein Kommentar von Holger Apfel auf der Seite des Parteiorgans „Deutsche Stimme“: „In schamloser Weise hat gestern in Dresden wieder einmal eine politisch willfährige Polizeiführung mit dem kriminellen Bodensatz der Antifa paktiert, um das grundgesetzlich verankerte Recht volkstreuer Deutscher auf ein würdevolles Gedenken an die Opfer des anglo-amerikanischen Bombenterrors zu verhindern.“ Andere Stimmen fordern “ eine ehrliche und kritische Aufarbeitung“, auch auf Twitter wurden Diskussionen über „künftige Aktionsformen“ gefordert.
Rund 4.000 Menschen setzen ein deutliches Zeichen gegen Rechts
Tatsächlich kann der Naziaufmarsch 2013 in Dresden nur als Schlag ins Wasser für die rechtsextreme Szene gewertet werden: Die Teilnehmerzahl ist noch einmal gesunken, maximal 800 Nazis waren wohl angereist. Ihnen stellten sich etwa 4.000 Menschen entgegen, insgesamt 10.000 nahmen an der Menschenkette teil, mit der die Innenstadt symbolisch geschützt werden sollte.
Auch das Bündnis „Dresden Nazifrei“ zeigte sich in einer ersten Pressemitteilung zufrieden: Insgesamt sei eine massive Behinderung der Nazidemo ermöglicht worden. “ Wenn sich die Zahl von 600-800 Nazis bestätigt, haben wir einen weiteren Erfolg erzielen können. Denn somit wären nochmal deutlich weniger Nazis nach Dresden gekommen, als erwartet. Dem entgehen standen mehr als 3.000 Teilnehmer_innen beim Täterspurenmahngang und im weiteren Verlauf bis zu 4.000 Gegendemonstrant_innen an verschiedenen Blockadepunkten und im Nachgang der Menschenkette. Das ist deutlich mehr als wir im Vorfeld erwartet haben und zeigt, dass eine breite Masse der Bevölkerung genug von Nazidemos in der Stadt hat und über Symbolpolitik hinaus aktiv sein will.“
Sinnbild für das Scheitern
Zurück zum Hauptbahnhof: Das Bild, das die Nazis hier abgeben, steht fast schon sinnbildlich für ihren gescheiterten Trauermarsch. Stockend ziehen sie wieder zurück zum Südausgang, bleiben immer wieder stehen – als könnten sie kaum glauben, dass es das schon gewesen ist. Kein Marsch, keine Demo, stattdessen mehrere Stunden in einer zugigen Bahnhofsunterführung, begleitet von den lautstarken Protesten der GegendemonstrantInnen. Während einige ihren Frust ausdrücken, indem sie provozierend in Richtung der Protestler gestikulieren, schlurfen andere mit gesenkten Köpfen zurück. Umso passender erscheinen die Parolen, die ihnen bei ihrem Gang in den Bahnhof entgegen gesungen werden: „Ihr seht so traurig aus“ …
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