Angereist aus dem gesamten Bundesgebiet, inszenierten die Rechtsextrmen zum wiederholten Male einen geschichtsrevisionistischen ?Trauermarsch? anlässlich des 67. Jahrestages der Bombardierung Magdeburgs. Am 16. Januar 1945 flogen alliierte Bomberverbände im Rahmen der militärischen Niederschlagung Nazi-Deutschlands einen schweren Luftangriff gegen die Stadt Magdeburg. Große Teile der Innenstadt wurden zerstört, rund 2.500 Menschen kamen ums Leben.
Heute nutzen Neonazis dieses Datum um, fernab von historischen Zusammenhängen und geschichtlichen Fakten, einen ?alliierten Bombenterror? sowie eine übertriebene Opferzahl von 16.000 MagdeburgerInnen zu ?betrauern?.
Zivilgesellschaftlicher Protest wächst stetig
Nachdem der jährliche Neonazi-Aufmarsch in Magdeburg lange Zeit keine breite zivilgesellschaftliche Aufmerksamkeit erhielt, scheint sich nun langsam eine Veränderung einzustellen. Seit 2009 ?belegt? die vom ?Bündnis gegen Rechts Magdeburg? veranstaltete ?Meile der Demokratie?, jährlich zum Aufmarschtag der Neonazis, eine 2 km lange Strecke durch die Innenstadt. Als Zeichen für demokratische Vielfalt und Weltoffenheit präsentieren sich dort jedes Jahr gesellschaftliche und politische Akteure an Infoständen, Bühnen und interaktiven Stationen. 2012 zählten die Veranstaltenden bereits über 240 Stände auf der Meile, die Anzahl steigt jährlich.
Die ?Meile für Demokratie? allein kann zwar ein wichtiges Zeichen gegen Rechts setzten, sie kann den ?Trauermarsch? jedoch nicht verhindern. Vor diesem Hintergrund mobilisierten für den Januar verschiedene Akteure zu einem gewaltfreien, phantasievollen und entschlossenen Protest an und auf der Demo-Strecke der Neonazis. Obwohl dies für Städte wie Dresden oder Erfurt bereits selbstverständlich ist, stellen solche Bemühungen für Magdeburg eher ein Novum dar.
Neu war jedoch auch die Taktik der Polizei. Bereits am frühen Morgen des 14. Januar wurde die gesamte Demonstrationsroute des ?Trauermarsches? eingegittert. An jeder Seitenstraße und jeder Freifläche entlang der 2,5 km langen Route wurden Polizeigitter aufgestellt, um den Zutritt auf die angemeldete Route zu verhindern. Dies kann einerseits als Testlauf für den bevorstehenden Neonazi-Großaufmarsch in Dresden betrachtet werden, andererseits könnte es auch mit generell erhöhten Sicherheitsvorkehrungen der Polizei zu tun haben. Schließlich war die Neonazi-Demo die erste Großdemonstration nach bekanntwerden der NSU-Terrorserie.
Strikte Trennung von Neonazi-Route und GegendemonstrantInnen
Überhaupt setzte die Polizei, mit ihren 2.000 Einsatzkräften vor Ort, auf eine strickte Trennung von Neonazi-Route und den angemeldeten Versammlungsorten der GegendemonstrantInnen. Einzig die Kundgebung ?Jüdisches Leben in Magdeburg bewahren? am Bahnhof Magdeburg Neustadt lag im nördlichen Teil der Stadt, durch welchen der Großteil der ?Trauermarsch?-Route verlief. Dort am Bahnhof Neustadt empfingen etwa 400 DemonstrantInnen die per Zug eintreffenden Neonazis mit Transparenten und lautstarkem Protest. Gleichzeitig verhinderte die Kundgebung, dass sich die Neonazis, wie in den Jahren zuvor, auf dem Bahnhofsvorplatz, und damit in direkte Nähe zum dort gelegenen Gemeindezentrum der Synagogengemeinde Magdeburg, versammeln konnten.
Aufmarsch trotz positiver Entwicklungen nicht verhindert
Auch dieses Jahr konnte die Großdemonstration der Neonazis in Magdeburg nicht verhindert werden. Rund um den abgeschirmten Universitätsplatz wurde der ?Trauermarsch? durch die Aktion ?Nazis wegbassen!? sowie durch einigen hundert Protestierenden vor dem Campustower zwar lautstark gestört, aber zu keinem Zeitpunkt am Vorankommen gehindert. Aufgrund der eingegitterten Strecke schafften es nur einige kleine Gruppen sich auf der Demonstrationsroute zu postieren. Einzig eine dieser Blockaden führte effektiv zur Verzögerung des Neonazi-Aufmarsches. Etwa 30 DemonstrantInnen, verkleidet in Häftlingsuniformen die an KZ-InsassInnen erinnern sollten, gelang es mit ihrer Blockade den ?Trauermarsch? eine Zeit lang aufzuhalten. Die verstörenden Bilder von PolizistInnen, die, sich leblos stellende, DemonstrantInnen in KZ-Häftlingsuniformen wegtrugen, waren in fast allen Berichterstattungen zu finden. Die Szenerie erinnerte eher an eine kontroverse Kunst-Performance als an eine Sitzblockade. Einzige Botschaft der Gruppe war ein einzelnes Banner mit der Aufschrift: ?Für das Erinnern. Wir trauern um jeden Menschen, den wir an den Faschismus verlieren.? Ansonsten blieben die AktivistInnen stumm.
Die Bedeutung des bundesweiten Neonaziaufmarsches in Magdeburg lässt sich nicht nur Anhand der jährlich steigenden TeilnehmerInnenzahlen auf Seiten der Neonazis bemessen. Auch die zivilgesellschaftlichen Gegenaktivitäten werden Jahr für Jahr vielfältiger und mit größerer Aufmerksamkeit bedacht. Erstmalig waren dieses Jahr auch SpitzenpolitikerInnen von den Grünen, SPD und Linkspartei nach Magdeburg gekommen, um die Demonstrierenden sowie die BesucherInnen der Meile zu unterstützen. Mit bunten und phantasievollen Protestformen, wie einer deeskalierenden Clowns-Armee oder als Superhelden verkleideten Neonazi-GegnerInnen, konnten in Magdeburg dieses Jahr weitere Schritte in Richtung einer lebendigen und vielfältigen demokratischen Protestkultur getätigt werden.
Trotz positiver Entwicklungen in Bezug auf Anzahl und Aktionsformen der Neonazi-GegnerInnen, blieb der Aufmarsch vom 14. Januar für die Rechtsextremen jedoch ein Erfolg. Bis auf einige Zwischenfälle konnten sie ungestört ihre Route ablaufen und wurden dabei auf dem Rückweg zum Neustädter Bahnhof sogar kaum noch von Protestierenden begleitet. Auch wenn es wenig Sinn zu machen scheint einen ?abziehenden? Neonaziaufmarsch zu blockieren, so hätte ein ausdauernder Protest an allen (zugänglichen) Streckenabschnitten, inklusive dem Rückweg, ein deutlicheres Signal an die Neonazis senden können.
Magdeburg: Bisher „Aufwärmrunde“ für Dresden
Während der Magdeburger Neonazi-Aufmarsch anlässlich des 16. Januar bislang als Aufwärmrunde für den Dresdner Großaufmarsch im Februar gilt, könnte sich, mit zukünftig erfolgreichen Blockaden in Dresden, das Gewicht in den nächsten Jahren durchaus nach Magdeburg verschieben.
Umso wichtiger ist es 2013 bedeutend mehr Menschen zum Protest an und auf der gesamten Strecke zu motivieren. Um dies zu erreichen, bedarf es innerhalb der Magdeburger Zivilgesellschaft, aber vor allem Seitens der Lokalpolitik, einer aktiven Auseinandersetzung um demokratische Aktions- und Protestformen. Beansprucht wird mit den Protesten gegen Neonazis nicht ein bestimmtes Areal, wie die Magdeburger Innenstadt, sondern vielmehr die Idee von Menschenrechten und Demokratie. Und diese sollten, nicht zuletzt auch überall in Magdeburg, gegen Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus, und alle weiteren Ideologien der Ungleichwertigkeit, in Anschlag gebracht werden.
Mehr im Internet:
| „Wir waren wohl einfach zu wenige“ (mut-gegen-rechte-gewalt.de)
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