Sie sieht der echten Wikipedia zum Verwechseln ähnlich. Aber wer an den richtigen Artikel gerät, könnte auch glauben, hier hätte sich ein bekanntes Satiremagazin einen schlechten Scherz erlaubt. Beides ist falsch – unter dem Deckmantel seriöser Informationsvermittlung verbreitet das Onlinenachschlagewerk „Metapedia“ ernsthaft rechte Ideologie. Eine Zeit lang wurde es kaum aktualisiert. Doch seit kurzem kommt wieder Bewegung in die Sache.
Metapedia existiert seit dem 15. Mai 2007. Am vergangenen Freitag wurde der 500. Artikel hochgeladen, heute sind es bereits über 600. Diese Artikel sehen harmlos aus, wie normale Seiten bei Wikipedia eben. Denn Metapedia hat das gleiche Layout, das gleiche Design, das gleiche Prinzip wie das große Original: Jeder kann mitmachen, alle sollen Beiträge schreiben. Dafür wird auch auf der Hauptseite auffällig geworben. Wer hier genau hinsieht, weiß schon, aus welcher Richtung der Wind weht. Denn: Keine E-Mail, sondern eine E-Post soll schreiben, wer Autor werden will. Eine E-Post also – um die Reinheit der deutschen Sprache zu bewahren, vermeidet die rechte Szene und vor allem ihr publizierender Teil tunlichst Anglizismen im deutschen Sprachgebrauch. Das gilt eben auch für die Nutzung des „Weltnetzes“.
Dass auf de.metapedia.org alles nach seriöser Internet-Enzyklopädie aussieht, ist beileibe kein Kunststück: MediaWiki, das Programm, mit dem das Original zusammengebaut wurde, steht zum kostenlosen Download im Internet. So entstanden viele kleine Wikis zu speziellen Themen – indiepedia.de etwa beschäftigt sich mit Independentmusik, wikitravel.org mit Reisen. Auch die Metapedia wurde mit MediaWiki programmiert und verkündet auf der Startseite, sie möchte „Themen ansprechen, welche im Heute absichtlich verklärt werden, um das Morgen zu beeinflussen“. Vor einigen Monaten konnte man dort noch lesen, Metapedia sei „dem pro-europäischen Kulturkampf gewidmet“ und richte sich an diejenigen, „die eben nicht für Multikulti und Globalisierung“ sind. Heute steht da, die Seite setze ihren „Schwerpunkt auf Themen, die normalerweise nicht in anderen Weltnetz-Enzyklopädien behandelt werden und versteht sich als Alternative“.
Es ist eine braune Alternative. Ein überwältigend großer Anteil der Beiträge behandelt das Dritte Reich und den Nationalsozialismus. Da wird ausführlich dargelegt, dass der Zweite Weltkrieg durch eine jüdische Kriegserklärung an Deutschland begonnen habe. Dass der „sogenannte deutsche „Angriff auf Polen“ 1939″ nur eine Maßnahme gewesen sei, um das „deutsche Volk“ vor den polnischen Provokationen zu schützen. Da werden ellenlange Passagen aus „Mein Kampf“ zitiert, um zu belegen, dass Hitler den Holocaust in Wirklichkeit ja nie geplant, und ergo auch gar nicht so richtig gewollt haben könne; ein völlig zusammenhanglos dargestelltes Zitat, ausgerechnet von Kurt Tucholsky, soll suggerieren, dass die Benutzung von Giftgas eigentlich auch eine jüdische Idee gewesen sei. Verschwiegen werden die Verbrechen der Nazi-Granden wie Hermann Göring, deren Artikelseiten lieber mit schmeichelhaften Fotos aufgehübscht werden. Und so geht das weiter: Der Reichstagsbrand von 1933 wird gänzlich unkommentiert als Brandstiftung des Niederländers Marius von der Lubbe dargestellt. Die alliierten Bombenangriffe gegen Ende des Zweiten Weltkriegs sind für Metapedia „angloamerikanische Terrorbomber“ und die Bundesrepublik Deutschland an sich sei ohnehin nichts weiter als ein Besatzungskonstrukt, ein Übergangszustand, nach dessen Auflösung das Deutsche Reich als „Viertes Reich“ wiederhergestellt werden solle. Metapedia schreckt nicht einmal davor zurück, etwas vom Lebensraum des „deutschen Volkes“ zwischen Maas, Memel, Etsch und Belt zu faseln.
Doch verleihen Layout und Stil den Inhalten eine vermeintliche Seriosität. So taucht die rechte Ideologie oft erst auf den zweiten Blick auf. Das liegt daran, dass die Macher ganz gerne komplette Artikel aus Wikipedia übernehmen und nur bestimmte Stellen verändern, Fakten weglassen oder vermeintliche Wahrheiten hinzufügen. Beiträge über Politiker wie Helmut Schmidt oder Daniel Cohn-Bendit verstärken den Eindruck, man habe es hier mit einer normalen Online-Enzyklopädie zu tun. Unter den Zitaten zu der jeweiligen Persönlichkeit finden sich aber wieder nur Äußerungen zu Einwanderungsfragen, die, so aus dem Zusammenhang gerissen, wie sie hier präsentiert werden, auch ganz gut in eine rechte Argumentation passen würden.
Dass eine subtile Vermittlung von rechter Ideologie vor allem Jugendliche mit altersbedingten Orientierungslosigkeiten ansprechen kann, liegt auf der Hand. Das haben sich offenbar auch die Jungen Nationaldemokraten in Sachsen gedacht. In den letzten Wochen wurden verstärkt Artikel mit Inhalten hochgeladen, die direkt mit der sächsischen NPD-Jugendorganisation zu tun haben – die Begriffsdefinition von „Demokratie“ ist sogar eins zu eins von npd.net kopiert worden, inklusive Schreibfehler (der heißt Huizinga, liebe Nazis!). Das legt den Schluss nahe, dass die JN in der Autorenschaft an der Wiederbelebung von Metapedia beteiligt ist. Dass man bei der JN Sachsen landet, wenn man metapedia.de eingibt statt de.metapedia.org – auch.
Anzeige
Bisher ist niemand auf die Idee gekommen, Metapedia zu verklagen. Wahrscheinlich auch, weil die Seite im letzten Jahr lange brachlag und erst jetzt richtig aufgebaut wird. Bei Wikipedia kannte man den Fall zwar schon, wusste aber nicht, dass Texte von Wikipedia-Autoren kopiert und in einen braunen Kontext gestellt wurden, sagt Arne Klempert, der Geschäftsführer von Wikimedia Deutschland. Das habe zumindest urheberrechtliche Relevanz. Doch ist es schwierig, herauszufinden, wen man überhaupt belangen soll. Nach Recherchen des Neonazi-Spezialisten Mathias Brodkorb liegen alle Metapedia-Seiten auf einem Server in Schweden, der von der rechtsextremen NFSE media AB betrieben wird.
Ansonsten ist unklar, wer hinter der ganzen Sache steckt. Das Impressum ist leer. Metapedia selbst ist Teil eines Netzwerkes mit Ablegern in ganz Europa. Der Name „Metapedia“ ist eine Anspielung auf einen zentralen Begriff der Neuen Rechten: „Metapolitik“ ist die Theorie der Politik, die nicht von einem Staatswesen ausgeht, sondern als Denken, als Geist verstanden wird. Für die Szene der Neuen Rechten ist dieses Denken („Volk“ statt „Staat“) die Grundlage für die Idee vom proeuropäischen Kulturkampf. Die Stiftung „Kontinent Europa“ des schwedischen Neonazis Patrik Brinkmann hat einen hohen Stellenwert in der Szene. Auf ihrer Website ist Metapedia prominent verlinkt. Mehr weiß man nicht.
Was man weiß: Metapedia wächst und wächst. Wenn man Glück hat, stößt man in dem Wust aus subtiler Propaganda und dummdreisten Behauptungen auf Sachen, die so verquer sind, dass man sich schieflachen möchte. Die Schlussfolgerung Albert Speers, dass Hitler eigentlich gar kein richtiger Ditkator sein könne, weil er den ganzen Tag über lieber esse, Tee trinke und Monologe im Beisein seiner Minister halte, lange aufbliebe und bis zum Mittag schlafe, ist so ein Brüller. Dann geht man zur Kontrolle auf Wikipedia – und da steht das auch.
Merkwürdig.