Einschüchterungsversuche, Nazi-Schmierereien und eingeworfene Scheiben: In Kahla etablieren sich seit Jahren Strukturen der extremen Rechten, die ein aggressives Klima schaffen. Ausgerechnet hier soll am 15. Juni der diesjährige „Thüringentag der nationalen Jugend“ stattfinden, eine Musik-Veranstaltung von NPD, Neonazi-Netzwerken und Sympathisanten. Das Nazi-Festival wird seit 2002 jährlich in einer anderen Stadt des Bundeslandes organisiert. Miterfinder des „Festivals“ ist Ralf Wohlleben, der wegen seiner mutmaßlichen Unterstützung des NSU ab Anfang Mai vor Gericht steht. 300 Neonazis werden am Platz „Auf dem Gries“, dem Veranstaltungsort, erwartet, 2012 waren es in Meiningen etwa 250 Neonazis gewesen, unter ihnen der NPD-Vorsitzende Holger Apfel. Im Jahr zuvor waren etwa 800 Neonazis nach Sondershausen gereist.
Die Auswirkungen des Nazi-Festivals waren in Kahla schon Monate vor dem Veranstaltungstag zu spüren: So warfen Unbekannte die Scheiben des gerade eröffneten Demokratieladens im Ort ein. Dazu erklärte Stefan Heerdegen von MOBIT fest: „Die Neonazi-Szene rund um das Freie Netz Kahla versucht, im Vorfeld des extrem rechten Großereignisses ‚Thüringentag der nationalen Jugend‘ Gegenaktivitäten zu stören und somit Engagierte einzuschüchtern.“ Man versuche, für die Bürgerinnen und Bürger in Kahla eine öffentlich wahrnehmbare Drohkulisse zu erzeugen, um die Beteiligung an den Protesten zu unterbinden. Das zeigte sich zuletzt Anfang dieser Woche, als Unbekannte Plakate gegen den Thüringentag im Stadtgebiet Kahlas weitgehend entwendeten. Nicht nur die Zivilgesellschaft sei aufgerufen, den demokratisch engagierten Aktiven in Kahla zur Seite zu stehen. Ebenso sei weitere öffentliche Unterstützung von Landespolitik und Polizei gegen die rechten Einschüchterungsversuche nötig.
„Aufbruchssignal für mehr Engagement“
Mehrere Bündnisse rufen nun dazu auf, sich den Nazis entgegenzustellen. Dazu interviewte no-nazi.net das Bürgerbündnis (BgRW) gegen Rechtsextremismus Weimar:
no-nazi.net: Am 15. Juni planen Neonazis in Kahla den sogenannten „Tag der nationalen Jugend“? Warum soll das Nazifest gerade in der Kleinstadt Kahla stattfinden?
BgRW: Kahla ist seit den 1990er Jahren ein Rückzugsort für viele Neonazis, u.a. hat hier jahrelang der Gründer der Wehrsportgruppe Hoffmann sein Zuhause gehabt. Besonders nach den erfolgreichen Blockaden gegen das sogenannte „Fest der Völker“ sind Neonazis in die umliegenden Regionen von Jena ausgewichen, da sie hier mit weniger Widerstand rechneten und diesen auch bis heute nicht so in der Konsequenz zu spüren bekommen. Dies ist erst einmal eine rein faktische Zustandsbeschreibung. Der soziale Zusammenhalt in dörflichen bzw. kleinststädtischen Gemeinschaften funktioniert teils anders. Hier haben es Bürgerinnen und Bürger oft schwerer, etwas gegen aufkommende Nazi-Aktivitäten zu unternehmen, da oft die Angst besteht, das Gemeinschaftsgefühl zu stören. Nur mühsam und unter einigem Widerstand finden sich seit einiger Zeit Bürgerinnen und Bürger in Kahla zusammen und finden den Mut, etwas zu tun. Dies bedarf auch einer Unterstützung von außen. Letztere darf aus unserer Sicht aber lediglich ein Unterstützen sein, und nicht ein autarkes „Eingreifen“ und Aufstülpen von außerhalb.
Es heißt, die Neonazis stammen aus dem Umfeld der NSU. Welche Verbindungen bestehen genau zwischen ihnen und dem rechtsterroristischen Netzwerk?
Die Anmelder des Nazifests stammen aus der Nähe von Saalfeld und sind maßgeblich an der Solidaritätskampagne für Ralf Wohlleben beteiligt. Der ehemalige Jenaer NPD-Chef ist mutmaßlicher Unterstützer des NSU-Netzwerkes und zählt zu den führenden Neonazis in Sachsen. Momentan muss er sich wegen Beihilfe zum Mord im Rahmen des NSU-Prozesses vor dem Landgericht München verantworten. Es wird vermutet, dass das Neonazi-Event am 15. Juni auch dafür genutzt wird, Spenden für ihren inhaftierten Kameraden „Wolle“, wie er auch in der Neonazi-Szene genannt wird, zu sammeln.
Das „Aktionsnetzwerk“ hat an dem Tag Menschenblockaden angekündigt, die das Nazifest verhindern sollen. Wie sieht momentan die Stimmung in der Stadt aus. Gibt es viele Menschen, die sich an den Protesten beteiligen wollen?
Nicht nur das Aktionsnetzwerk Jena, sondern ein breites Bündnis, zu dem ersteres gehört, ruft zur Blockade des sogenannten „Thüringentages der nationalen Jugend“ auf. Es ist aber richtig, dass es gerade die Jenaer betrifft, die sich hier maßgeblich auch verantwortlich fühlen, weil Kahla ein Rückzugsgebiet auch für ehemalige Jenaer Nazis ist und man deswegen Kahla nicht ignorieren kann, wenn es um Engagement gegen Rechts geht. Das Blockadebündnis besteht aus dem Aktionsnetzwerk Jena, dem Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus Weimar, dem Aktionsbündnis Gera gegen Rechts sowie dem Aktionsbündnis Courage aus Pößneck. Weiterhin erhalten wir Unterstützung von Parteien und Verbänden sowie vielen Einzelunterstützerinnen und -unterstützern.
Die Stimmung in Kahla vor Ort ist eher zwiegespalten bzw. auch sehr zurückhaltend. Wir spüren eine gewisse Skepsis gegenüber unserem Blockadekonzept. Aus diesem Grund gab und gibt es aber Gespräche zwischen Interessierten und Initiativen vor Ort in Kahla und Vertreterinnen und Vertretern unseres Bündnisses. Dies ist wichtig, um von unserer Seite zu verdeutlichen, dass es keine „schwarzen Horden“ sind, die in Kahla für einen Tag einfallen, sondern, dass es eine gemeinsame Anstrengung aller Demokratinnen und Demokraten sein muss, den Nazi-Spuk in Kahla zu verhindern bzw. mindestens zu behindern. Aus Kahla selbst heraus rechnen wir nicht mit einer Masse an Menschen, die sich unserem Konzept anschließen. Wir rechnen aber momentan mit einer guten Mobilisierung aus Jena, Weimar, Gera, Pößneck und anderen Landesteilen Thüringens.
Was sind die Hoffnungen für den 15. Juni? Wie soll der Tag verlaufen?
Für den 15. Juni erhoffen wir uns eine erfolgreiche Umsetzung unseres Blockadekonzeptes – in solidarischer Verbundenheit mit anderen Gruppen, die sich an diesem Tag den Nazis in vielfältiger Weise entgegenstellen. Für uns gilt an diesem Tag der seit vielen ähnlichen Protesten erfolgreich erprobte Aktionskonsens, dass von unseren Protesten keine Eskalation ausgehen wird und dass wir solidarisch mit anderen sind, die das Ziel an diesem Tag mit uns teilen. Wie der Tag im Einzelnen verlaufen wird, können wir momentan noch nicht genau sagen. Um aber einen Erfolg anzustreben, werden wir voraussichtlich am frühen Vormittag u.a. mit Bussen in Kahla anreisen. Unser Ziel ist es, an diesem Tag die Nazi-Veranstaltung zu verhindern, aber gleichzeitig auch für über den Tag hinaus den Kahlaer Bürgerinnen und Bürgern das Signal auszusenden, dass sie im Engagement gegen Nazis in uns zu jeder Zeit einen Partner haben, dass wir sie nicht allein lassen. Uns ist durchaus bewusst, dass mit einer Blockade an einem Tag das Problem des Rechtsradikalismus nicht abgeschafft wird. Solche Aktions- und Protestformen können immer nur an diesem einen betreffenden Tag ein Ergebnis zeigen. Dies ist nicht kleinzureden, es ist wichtig. Aber es muss und soll ermutigen zu einem weiterführenden Engagement. Im besten Fall kann es ein Aufbruchssignal sein für ein verstetigtes Engagement. Dafür wären wir gern Partner und bieten unsere Solidarität.
Das Interview führte Olga Wendtke
Mehr Informationen im Internet
Mobilisierungsseite für den 15. Juni in Kahla (Nazifeste verhindern)Für eine humane Gesellschaft kämpfen – gegen Nazis handeln! (MOBIT)Thüringenweites Bündnis gegen NazifesteVerbindungen der Neonaziszene in Kahla und Saalfeld (haskala.de)Gerade eröffnet, schon attackiert: Angriff auf Demokratieladen in Kahla (netz-gegen-nazis.de)