Eigentlich sollte der Prozess bereits Ende Januar 2022 stattfinden, doch weil das Justizministerium keinen geeignet großen Verhandlungssaal fand, wurde der Prozessbeginn auf den 30. November 2022 verschoben. Am Mittwochmorgen sammeln sich die Angeklagten und ihre Unterstützer*innen vor dem Landgericht Erfurt, die Sicherheitsvorkehrungen wurden verschärft. Bis alle Angeklagten im Gerichtssaal versammelt sind und die Anklage verlesen wird, vergehen nochmal zwei Stunden, einer der mutmaßlichen Schläger hatte den Prozesstag offenbar verschlafen.
Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten zweimal gemeinschaftlich begangene schwere Körperverletzung vor und einmal den Versuch. Sie sollen die drei jungen Männer erst beleidigt und später attackiert haben. Ein Angeklagter behauptet, dass er zuvor von den Betroffenen angegriffen worden sei. Seine Erinnerungen bleiben jedoch im Prozess äußerst lückenhaft. Zudem sind zwei Angeklagte noch zusätzlich wegen Volksverhetzung in anderen Fällen angeklagt.
Konkret geht es vor Gericht um die Nacht vom 31. Juli auf den 1. August 2020, in der drei Männer aus Guinea im Erfurter Stadtteil Herrenberg brutal angegriffen und schwer verletzt wurden. Einer von ihnen schwebte kurzzeitig in Lebensgefahr. Die Nacht hinterlässt ihre Spuren. Vor allem bei den Betroffenen. Einer ist nach dem Angriff laut der Beratungsstelle ezra aus Thüringen weggezogen. Aber auch die Politik wird kurzzeitig aufgerüttelt: Die alltägliche Bedrohung durch Neonazis im Erfurter Herrenberg wird zum Thema.
Angriff macht rechtsextremen Hegemonie zum Thema
Die Tagesthemen begleiten Thüringens Innenminister Georg Maier und die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht kurz nach dem Angriff im August 2020 bei einem Besuch im örtlichen Stadtteilzentrum. Demonstrativ betonen die Politiker*innen hier ihre Bemühungen gegen Rechtsextreme vor Ort. In erster Linie geht es dabei um die Räumung einer ehemaligen Kaufhalle, die inmitten der Plattenbaulandschaft und in direkter Nähe einer Schule liegt. Es ist ein Szenetreff des lokalen Neonazi-Vereins „Neue Stärke Erfurt“.
Auch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Thüringen (mobit) kennt diese Strukturen gut und verortet einige der Tatverdächtigen eindeutig im Umfeld der Splittergruppe. „Von Akteur*innen aus solchen Strukturen geht ein generelles Bedrohungs- und Gewaltpotential aus“, so Romy Arnold von mobit. „Gewalt gegen Menschen, die einer Feindbildmarkierung unterliegen und nicht in das rechte Weltbild passen, ist immer ein Teil der Ideologie der extremen Rechten.“ Deshalb sei es auch nicht verwunderlich, dass in den ehemaligen Räumlichkeiten unter anderem Kampfsporttrainings angeboten wurden. Auch die Mitglieder des Vereins sind keine unbekannten. Manche haben bereits sämtliche Neonazi-Organisationen durchlaufen – von der NPD über „Die Rechte“ bis hin zu „Der III. Weg“.
Mit der Kündigung endeten für den rechtsextremen Verein 2020 jedoch nicht die Aktivitäten. Im Gegenteil: Sie versuchten nach und nach eine Parteistruktur aufzubauen, die zu einem Sammelbecken für Neonazis werden sollte. In der bundesdeutschen Szene stieß das auf wenig Resonanz, doch vereinzelte Neonazis sahen sich von der „Neuen Stärke Partei“ (NSP) angezogen und bildeten nach dem Vorbild von „Der III. Weg“ eigene Stützpunkte. Doch kaum zwei Jahre nach der Gründung trennte sich die Partei bereits wieder von zahlreichen Mitgliedern, der gesamte Vorstand wird ausgetauscht. Erst in der vergangenen Woche machte die Partei schon wieder Schlagzeilen, acht Objekte in Bayern und Baden-Württemberg, die mutmaßlichen Mitgliedern gehören, wurden wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat durchsucht.
Konflikte mit dem Gesetz sind aber auch den Angeklagten im Erfurter Gerichtssaal nicht fremd. Enrico Biczysko, früherer stellvertretender Vorsitzender der Partei, außerdem ehemaliger Neonazi-Hooligan und früherer Erfurter NPD-Stadtrat verbüßte bereits eine Freiheitsstrafe wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung. Ein anderer Angeklagter sitzt gerade eine mehrjährige Haftstrafe ab, unter anderem wegen Körperverletzung. Andere Angeklagte sind bisher noch nicht offiziell mit dem Gesetz in Konflikt gekommen.
Ein deutliches Zeichen an die Neonazi-Szene?
Der Prozess könnte ein deutliches Zeichen in die rechte Szene senden, sofern „ein rassistisches Tatmotiv und die Schwere der Tat anerkannt und bei der Strafzumessung entsprechend berücksichtigt wird“, so Arnold. Zu oft seien rechtsextreme Gewalttäter in Thüringen mit milden Strafen davongekommen.
Auch Mirjam Elomda von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD Thüringen) verfolgt den Prozess und fordert eine politische Einordnung der Gewalttaten. „Dass die Tat unabhängig davon stattgefunden hat und kein Zusammenhang mit der politischen Einstellung besteht, ist nicht glaubwürdig“, sagt Elomda. Zudem kritisiert sie die Umstände des Verfahrens. Wegen der Größe des jetzigen Verhandlungssaals, könne eine Beteiligung von Prozessbeobachter*innen nicht garantiert werden. „Es wäre wichtig, dass eine Erweiterung der Räumlichkeiten bedacht wird.”
Trotzdem haben es einige Prozessbeobachter*innen in den Zuschauer*innenbereich geschafft. Manche Unterstützer*innen der Angeklagten mussten deshalb draußen warten. Mit einem Urteil wird erst im nächsten Jahr gerechnet. Es sind bisher zehn Prozesstage angesetzt.