Fährt man von Passau in Richtung Süd-Westen, führt die Straße nach rund zwölf Kilometern durch die kleine Gemeinde Fürstenzell. Noch bevor man den Marktplatz erreicht, steht auf der rechten Straßenseite ein heruntergekommenes Gebäude: „Traudls Café“. Die Immobilie sei im Besitz eines NPD-Funktionärs, verlautbarte die Passauer NPD unlängst. Ob das stimmt, ist unklar. Der örtliche Kreisverband der neonazistischen Partei nutzt die kleine Gaststätte aber seit über zwei Jahren regelmäßig.
Ein paar hundert Meter weiter steht das Wohnhaus des Passauer Polizeichefs Alois Mannichl. Der 52-jährige ist für die „Überparteiliche Wählergemeinschaft“ in der Kommunalpolitik aktiv, sitzt im Gemeinderat von Fürstenzell und hat zusammen mit Bürgermeister Franz Lehner und anderen EinwohnerInnen zumindest zaghaft damit begonnen, gegen die ständige neonazistische Präsenz im Ort aktiv zu werden. Gegenüber „Traudls Café? haben die Protestler der 8000 Einwohner Gemeinde ein Schild aufgestellt: „Bürger gegen Extremismus“.
Am Samstag Abend, kurz vor 18 Uhr, klingelt es an der Haustür von Mannichls Privathaus. Als der Polizeidirektor öffnet, steht vor ihm ein ca. 1,90 m großer Mann. Kräftige Statur, kurze Haare oder Glatze, wird später als Personenbeschreibung im Fahndungsaufruf der Behörden stehen, mit einem Tattoo oder Leberfleck am Hals. Der Unbekannte droht im Dialekt der niederbayerischen Region oder des nahen Oberösterreichs: „Viele Grüße vom nationalen Widerstand, du linkes Bullenschwein“ und „Du trampelst nimmer mehr auf den Gräbern unser Kameraden herum!“ Dann sticht er mit einem Messer zu, zwei Zentimeter unterhalb des Rippenbogens. Zwölf Zentimeter lang ist die Klinge seines Messers, das Herz Mannichls liegt nur zwei Zentimeter vom Stichkanal entfernt. Mannichl sackt zusammen, seine Frau alarmiert den Rettungsdienst. Erst nach einer Notoperation im Klinikum Passau ist das Opfer außer Lebensgefahr.
Dass der Täter aus der Neonazis-Szene stammen könnte, ruft in den Medien und in der Politik Entsetzen hervor. Nur wenige Medien stellen den Zusammenhang her zu anderen brutalen Angriffen von Rechtsextremen. Viele sprechen dagegen von einer „neuen Dimension der Gewalt“. Über die Tatsache, dass Neonazis in diesem Jahr bereits drei Menschen ermordet haben, wird wenig berichtet. Das gilt auch für Berichte über die Zunahme rechtsextremer Straf- und Gewalttaten im Raum Passau. 83 Straftaten von rechts zählte die Polizei allein in diesem Jahr im Raum Passau. 2007 waren es nicht einmal halb so viele.
Nach dem Angriff auf den Polizeichef sind es AntifaschistInnen der „Antifa Passau“, die am Wochenende auf eine interessante Spur aufmerksam machen: Die Parole, die der Täter vor der Attacke rief, hatte vorher auch die örtliche NPD verwendet. Passauer NPD-Aktivisten waren im November bei den Gedenkveranstaltungen in Passau mit Polizeidirektor Mannichl aneinander geraten. In einer anschließend verschickten Pressemitteilung hatte die neonazistische NPD geschrieben: „Sichtlich verärgert, stellte sich nun Mannichl auf eine Grabplatte gefallener Soldaten und trampelte mit seinen Schuhen auf einem Gedenkgesteck herum.“ Mittlerweile hat die Passauer NPD diese Passage stillschweigend von der eigenen Homepage entfernt.
Alois Mannichl war lange Zeit nicht gerade dafür bekannt, ein besonders engagierter Kämpfer gegen die Straftaten der extremen Rechten zu sein. Für ihn stand der „Feind“ vielmehr links, Mannichl ließ seine Beamten regelmäßig gegen lokale AntifaschistInnen ermitteln. Das änderte sich Ende 2005. In einem Interview für die Fernsehsendung „Spiegel TV“ sollte der Poizeichef zu einem in der Nähe stattgefundenen Neonazikonzert Stellung nehmen. Beamte hatten damals das Konzert umstellt, waren aber nicht eingeschritten. Mannichls stütze die aussagen seiner Beamten, dort seien keinerlei strafbaren Inhalte gesungen worden. Aufnahmen mit versteckter Kamera widerlegten ihn. Von diesem Zeitpunkt an ging Mannichl spürbar konsequenter gegen die rechtsextreme Szene im Raum Passau vor ? und wurde damit schnell zur Zielscheibe nazistischer Aggression: Einen „Polizeiterror gegen patriotisch Denkende“ würde Mannichl in ganz Niederbayern ausüben, schrieb die NPD im Februar 2007 und im November stellten die Neonazis eine Strafanzeige gegen den Polizeichef, nachdem er einen auf dem Friedhof abgelegten NPD-Kranz entfernen ließ. Im März 2008 hätte Mannichl der NPD bei einer Kundgebung in Fürstenzell „das Leben schwer gemacht?, beklagt sich die niederbayerische NPD auf ihrer Homepage.
Am 25. Juli 2008 wurde der bekannte Neonaziaktivist Friedhelm Busse auf dem Friedhof von Patriching bei Passau beerdigt. Ein Teil der aus ganz Deutschland angereisten Neonaziaktivisten griff am Friedhofsausgang den „Netz gegen Nazis“-Korrespondenten an und verletzte ihn schwer. Die zahlreich anwesenden Bereitschaftspolizisten griffen nicht ein. Auch nicht, als die Neonazis später „spontan“ durch die Passauer Fußgängerzone marschierten und PassantInnen attackierten. Bei der Beerdigung hatte der mecklenburgische Neonaziaktivist Thomas Wulff in Anwesenheit der NPD-Bundesführung eine rote Reichskriegsflagge mit großem Hakenkreuz über den Sarg Friedhelm Busses ausgebreitet. Dies hatten Zivilbeamte und Journalisten gesehen, Einsatzleiter Alois Mannichl ließ seine Bematen jedoch zunächst nicht einschreiten.
Der Passauer Oberstaatsanwalt Walch ordnete zwei Tage nach der Beerdigung jedoch das Ausgraben der Fahne an und eröffnete ein Ermittlungsverfahren. Jetzt tobten Neonazis aus der ganzen Republik ? und der Hass richtete sich unter anderem auch wieder gegen den Passauer Polizeidirektor Mannichl. Im neonazistischen altermedia-Portal hieß es: „Typisch J…Brut. Das bekommen sie eines Tages wieder“ und „sammelt Namen und ladungsfähige Anschriften, kauft Kälberstricke“. Kurz nach dem Attentat zeigten sich die örtlichen Neonazis unbeeindruckt. Zur Weihnachtsfeier der NPD versammelten sie sich am Sonntag Nachmittag im Deggendorfer Gasthaus „Pumuckl“. Protestiert hat niemand. Die Polizei war nicht vor Ort.