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Neonazi-Gewalt „Er sagte, dass er schon immer mal einen Menschen umbringen wollte“

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Bild von Schüler*innen gezeichnet (Symbol); Foto: hk

Nun ist eventuell eine weitere Mordtat hinzuzuzählen. Im brandenburgischen Templin wurde ein Tischler auf „äußerst brutale, menschenverachtende“ Art umgebracht, meldet die Staatsanwaltschaft Neuruppin am 23.7.2008 mit. Unter dringendem Tatverdacht stehen zwei junge Leute aus der rechtsextremen Szene – die es laut Templins Bürgermeister im idyllischen Templin natürlich nicht gibt…

Nach dem brutalen Mord an einem 55-Jährigen obdachlosen Tischler in Templin hüllen sich die beiden tatverdächtigen Neonazis in Schweigen. Das Opfer starb offensichtlich aufgrund mehrerer Schädelbrüche,die ihm zugefügt wurden. Dem Tischler Bernd K. wurden massive Tritte gegen den Kopf versetzt. Nach der Tat versuchte einer der beiden Täter, den Mann anzuzünden. Vermutlich war der Mann zu diesem Zeitpunkt bereits tot.

Gegen den 18-jährigen Sven P. wurde am Freitag Haftbefehl wegen Mordes erlassen. Er trug laut Staatsanwaltschaft in der Tatnacht ein T-Shirt mit einem Bild des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß. Er habe sein Opfer vorher offenbar nicht gekannt. Bei dem 21 Jahre alten Christian W. habe auf der Oberbekleidung gestanden: „Frontkämpfer“. Er wurde wegen Totschlags in Untersuchungshaft genommen. Er habe bei der Vernehmung durch die Polizei zunächst ein Geständnis über seine Beteiligung an der Tat abgelegt, doch vor dem Haftrichter hätten beide Männer ausdauernd geschwiegen.

Unklares Motiv

Ihr Motiv sei noch immer unklar. Alkoholisiert seien zur Tatzeit alle Beteiligten gewesen. Es sei nicht auszuschließen, dass die rechtsextreme Gesinnung der Täter „die Tat beeinflusst hat“, verlautete aus der Staatsanwaltschaft, eindeutig klar sei dies aber noch nicht. Die BILD-Zeitung berichtete am Freitag über ein Interview mit der Freundin von Christian W.. Danach hätten die beiden Tatverdächtigen noch in der Tatnacht stolz von ihrem Mord berichtet. „Sven hat mit der Tat richtig geprahlt. Er sagte, dass er schon immer mal einen Menschen umbringen wollte“, wird die Freundin zitiert.

Das Opfer, Bernd K., habe Kontakt zu Obdachlosen gehabt, die gelegentlich in seiner ehemaligen Werkstatt übernachteten. Einem Bericht der „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ zufolge war der Tischler nach der Scheidung von seiner Frau offenbar aus der Bahn geraten. Er soll als selbstständiger Handwerker gescheitert und arbeitslos gemeldet gewesen sein, seine Tischlerei hatte er nach einem Bankrott aufgeben müssen, er selbst soll aber auch regelmäßig übernachtet haben. Wegen unbezahlter Rechnungen habe es in der Werkstatt weder Strom noch Wasser gegeben. Die ehemalige Böttcherei liegt an der der Hauptstraße der „Perle der Uckermark“, wie Templin in der Touristenwerbung heißt.

Szenebekannte Tatverdächtige

Der verhaftete 18-jährige Sven P. wurde laut Statsanwaltschaft zuletzt im vergangenen Monat wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer 6-monatigen Jugendstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Bereits zuvor war er im November letzten Jahres in Prenzlau in einem beschleunigten Verfahren wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu mehreren Wochen Jugendarrest verurteilt worden. Der 21-jährige ist bereits, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und schwerer Brandstiftung vorbelastet und hat in der Vergangenheit eine Jugendstrafe verbüßt. Derzeit steht er nach Reststrafenaussetzung – seit Juni des letzten Jahres – unter Bewährung.

Brutalität wie 2002 in Potzlow

In Ermittlerkreisen, so meldet der Tagesspiegel, wurde der Fall bereits mit dem bestialischen Mord von Potzlow im Juli 2002 verglichen – „vom möglichen Motiv und auch von der Brutalität her“, wie es hieß. Damals war der 16-jährige Marinus Schöberl in einem alten Schweinestall im uckermärkischen Potzlow von zwei Brüdern gequält, getötet und anschließend in eine Jauchegrube geworfen worden. Wie in Potzlow sei offenbar auch in Templin gezielt nach einem vermeintlich schwachen, am Rande der Gesellschaft lebenden Opfer gesucht worden, hieß es weiter.

Mobiles Beratungsteam warnt vor dramatischem Werteverlust

Eine Grundlage solcher Gewalt sei ein „dramatischer Werteverlust in einigen Jugendszenen“ beklagte im RBB-Inforadio der Chef des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus in Brandenburg, Dirk wilking.

Vor dem Hintergrund des Mordes an einem 55-jährigen Mann in Templin, sagte Wilking: „Die Grenze zu töten ist in bestimmten Milieus offensichtlich gering.“ In Templin gebe es eine rechtsextreme Szene mit Kontakten nach Schwedt und Berlin. Verbindungen zur NPD seien aus seiner Sicht bislang nicht festgestellt worden.
Die rechtsextremen Szenen zielten auf eine „Entsolidarisierung der Gesellschaft, sie formulieren willkürlich Opfergruppen, bei denen angenommen wird, dass die Bevölkerung nicht solidarisch hinter ihnen steht.“ Die Gewalt richte sich gegen Obdachlose, Trinker, Punks, Homosexuelle und gegen Christen, erklärte Wilking. Diese Ausgrenzung habe ihren „Resonanzboden in der Erwachsenenwelt“. In den familiären und öffentlichen Diskursen werde kommuniziert, dass sich ein Gemeinwesen seine Mitglieder aussuchen könne.

Laut Recherchen des „Tagesspiegel“ besteht die rechte Szene in Templin aus kleineren Gruppen und Cliquen, die sich an wenigen Orten in der 17 000-Einwohner-Stadt treffen – am Busbahnhof, in den Parkanlagen am Templiner Stadtsee oder in der Umgebung des „Irish Pub“ mit seinen Supermarktparkplätzen, 300 Meter entfernt von dem Haus, in dem Bernd K. ermordet wurde. Im „Pub“ treffen sich allerdings auch die Punks und Alternativen aus der Umgebung. Entsprechend oft komme es dort zu Auseinandersetzungen.

Ahnungsloser Bürgermeister?

Erstaunliches meldet die „Märkische Allgemeine“ am 24.7. in einem Bericht über die Straftat:
„Templins Bürgermeister Ulrich Schoeneich (parteilos) zeigte sich gestern entsetzt über die Tat. Ähnliches habe er in seiner 18-jährigen Amtszeit noch nicht erlebt. Es sei der erste Mord in Templin. Ob es in dem Thermalsoleheilbad eine rechtsradikale Szene gibt, sei ihm nicht bekannt, sagte Schoeneich“.

Rechtsextreme Umtriebe in Templin und Umgebung sind aber offenkundig. Nach Angaben der Beratungsstelle „Opferperspektive“ wurden in den vergangenen zwölf Monaten zehn rechte Gewalttaten in Templin registriert – so viele wie sonst nur in Potsdam und Cottbus. Und das schon seit Jahren. Beispiele: So meldete die Berliner Zeitung schon vor acht Jahren (am 11. August 2000): „Rechtsextremisten haben in der Nacht zum Donnerstag in Templin (Uckermark) rund 200 Aufkleber angebracht, die an den Heß-Todestag erinnern sollen. Die Polizei wertet es als Provokation, mit der Rechtsextreme die Legende pflegen, dass der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß, der sich im August 1987 im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis umgebracht hatte, ermordet worden sei. Die Aufkleber wurden auf Schaufenster, Verkehrsschilder und eine jüdische Ehrentafel geklebt. An einer Brücke über die A 11 wurden zwei Transparente ähnlichen Inhalts beseitigt.“

Eine Gewalttat wurde ein Jahr später gemeldet: Am 2. November wurde 2001 ein 34-jähriger Mann wird nachts mit einer Flasche niedergeschlagenen. Er konnte gerade noch verhindern, daß die vier Jugendlichen, von denen mindestens einer der „rechtsextremen Szene“ zuzurechnen ist, ihn mit der abgebrochenen Flasche niederstechen, wird jedoch am Boden liegend getreten. Angezeigt wurde im August 2001 auch ein 20jähriger, der aus einer fünfköpfigen Gruppe heraus öffentlich den Hitlergruß zeigte.

Solche Gewalt-Meldungen rissen nie ab

2007 kommen in den Gewaltchronologien der Brandenburger Opferperspektive und von inforiot zahlreiche Einträge aus Templin hinzu, die aber oft nur nüchern in wenigen Zeilen vom Landeskriminalamt gemeldet worden sind. So heißt es am 2.11.2007 schlicht: „Templin. Ein deutscher Staatsbürger wurde Opfer einer gefährlichen Körperverletzung, die sich ‚gegen links‘ richtete. Es wurden fünf Tatverdächtige ermittelt. Nähere Angaben liegen nicht vor“. In Lokalzeitungen wurde immerhin etwas ausführlicher am 2.10. ein versuchter Übergriff gemeldet: „Templin. Am Abend sammelten sich etwa 30 bis 40 Mitglieder der rechten Szene auf einem Parkplatz gegenüber der Gaststätte Irish Pub mit der erklärten Absicht, einen schwarzen Deutschen anzugreifen, der sich in der Kneipe aufhielt. Dieser konnte mit Hilfe von Gästen in einem Auto fliehen.“

Der jüngste Eintrag stammt vom 22. April 2008: „In der Nacht wurde ein Punker von zwei offensichtlich rechtsorientierten jungen Männern auf der Straße geschlagen. Zufällig anwesende Polizisten in Zivil griffen ein und nahmen die Angreifer fest.“ Dieses Glück hatte Bernd K. nicht. Und offensichtlich erfährt er auch nur wenig Mitgefühl.

Zwei Tage nach der Tat lagen vor dem Tatort nur zwei mickrige Blumensträuße, berichtete eine Besucherin des Tatorts am Freitag der MUT-Redaktion. Erst am Abend wurden es etwas mehr. Etwa 50 Menschen besuchten eine ökumenischen Andacht in Templin, wo Geistliche an das Opfer erinnerten und forderten mehr Aufmerksamkeit für „Menschen am Rand“

Kritik zeigt (etwas) Wirkung

Am Sonntag beknirschte sich dann der Bürgermeister Templins und räumte in einem dpa-Gespräch „Probleme der Stadt mit einigen Jugendlichen“ ein.  Er wisse nicht, ob die beiden vorbestraften und auf Bewährung freien mutmaßlichen Täter Rechtsextremisten seien, es gebe aber Probleme mit Jugendlichen, die für sich keine Perspektive sähen.

Der Bürgermeister räumte ein, dass möglicherweise andere Strategien der Jugendarbeit notwendig seien. Er sprach sich für Nachmittagsangebote an Schulen aus, die für Lehrer und Schüler verpflichtend sein müssten. Zudem dürften von Jugendlichen begangene Bagatelldelikte nicht ohne Sanktionen bleiben. „Wenn die Polizei wegguckt, sinkt die Hemmschwelle.“

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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