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„Neonazis zahlen die Hälfte. Die können noch was lernen!“

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Auf Deutschlands Comedy-Bühnen tut sich wieder etwas. Oliver Polak, 34, Sohn eines KZ-Überlebenden, ist mit seiner „Jud süß-sauer“-Show auf Tour und konfrontiert die Deutschen mit Judenwitzen. Der Schauspieler Serdar Somuncu, 42, las aus Hitlers „Mein Kampf“, seine Internet-Show „Hate Night“ ist gerade gesperrt. Beide wagen sich an Witze, die lange als verboten galten. Über Tabus, Bombendrohungen und die Trägheit der deutschen Fernseh-Comedy sprachen sie mit Thomas Lindemann und Claudia Schumacher.

Herr Polak, wenn Sie Dinge sagen wie „Liebe Lokführergesellschaft, hättet Ihr vor 70 Jahren gestreikt, hättet Ihr uns ’ne Menge Ärger ersparen können!“ lacht das Publikum, aber gequält. Darf man so etwas?

Oliver Polak: Ich bin Komiker und das Jüdischsein gehört zu meiner Identität. Wenn ich sage, ich komme aus Papenburg, lachen die Leute. Wenn ich sage, ich bin Jude, sind manche irritiert. Die fragen sich vielleicht: Hä? Dürfen die denn wieder auftreten? Ich übernehme nicht das Denken für mein Publikum. Bei mir gibt es keine Endlösung, äh, Auflösung bei den Witzen.

Sie, Herr Somuncu, waren unter anderem mit Hitlers „Mein Kampf“ auf Lesetour. Es gab einmal eine Bombendrohung gegen einen Auftritt. Haben Sie manchmal Angst?

Somuncu: Nein, ich lasse mir von niemandem das Theaterspielen verbieten. Aber es war zum Teil unerträglich. Es gab Veranstaltungen mit zahlreichen Bomben- und Morddrohungen, nicht nur in Ost- sondern auch in Westdeutschland. Drei Jahre war ich 24 Stunden mit Polizeischutz unterwegs.

Was machen Sie beide eigentlich? Manchmal hört man den seltsamen Begriff Ethno-Komik, wohl für Leute, die eine Immigranten-Perspektive benutzen.

Polak: Das ist alles Unsinn. Gerade erst kam eine Anfrage: Da hatte ein Veranstalter einen türkischen Komiker und einen schwarzen und ich sollte auch auftreten, weil ich angeblich so gut reinpassen würde. Natürlich gehe ich nicht hin. Wir wollen nicht ins Comedy-KZ. Ich mache Stand-Up-Comedy. Der Begriff wurde hier in den letzten Jahren leider total demontiert. Deutsche ziehen sich lieber eine Comedy-Uniform an, ein T-Shirt, auf dem noch die eigene Internetseite draufsteht. Man redet über das eigene Baby oder die Freundin und schreibt ein Buch darüber. Da muss niemand groß nachdenken. Eigentlich aber kommt Stand Up von Leuten wie Bill Murray, Steve Martin, Jim Carrey oder Eddie Murphy. Die gehen auf die Bühne und erzählen authentisch auch Unbequemes aus ihrem Leben.

Von Ihrem Kollegen Fatih Cevikkollu stammt der Spruch: „Die Türken sind die neuen Juden Deutschlands“. Wird der Ton der Comedy gerade schärfer?

Somuncu: Der klaut immer von uns. Das ist die zweite Garde. Wir machen die Witze, wir kriegen den Ärger dafür und andere bekommen die Preise. Wir beide arbeiten einfach an vorderster Front und kriegen oft einen auf die Fresse dafür, dass wir ein Risiko eingehen, um die Leute auch ein bisschen zu bewegen. Ich bin kein Conférencier, ich bin Künstler und habe eine Aussage. Und ich werde häufig für Sätze zensiert, die in Amerika eher Schenkelklopfen auslösen würden.

Polak: Das passiert mir auch oft. Dass die Veranstalter sehen, aha, Jude, Friedman-Gag, das ist zu heikel, das können wir hier noch nicht machen. Sie schieben die Verantwortung komplett ab, wollen Intendant sein, Gutmenschen und alles, aber was ist denn das Problem? Warum muss es 70 Jahre dauern, bis jemand wie ich auf der Bühne sagen darf, wer er ist und was er denkt? Dann schaltet sich aber ein nichtjüdischer Redakteur ein: „Das können wir so nicht senden, das verstehen die Zuschauer nicht.“ Das ist, als wenn man Mario Barth einlädt und hinterher die Männer- und Frauengags rausschneidet.

Apropos Zensur. Herr Somuncu, im Internet wurde gerade ihre Satireshow „Hate Night“ gestoppt. Aus rechtlichen Gründen, ließen Sie verkünden. Was ist los?

Somuncu: Die Inhalte waren aus Jugendschutzgründen so nicht sendbar, wir hatten auch pornographische Elemente drin. Aber alles was wir an Material verwendet haben, kam aus dem Internet. Den jeweiligen Quellen wurde nichts verboten, aber uns als Satiremagazin. Wir denken mittlerweile über eine eigene Produktionsfirma nach, um Hate Night ins Fernsehen zu bringen.

Was wird besser, wenn man sein eigener Comedy-Produzent ist?

Somuncu: Ich will die Leute nicht verstören, ich möchte einfach unabhängiger sein. Ich war einmal eingeladen bei Cindy aus Marzahn, die Sendung heißt „Die jungen Wilden“. Was stattfand waren eher „Die alten Domestizierten“. Ich spielte damals in Halle und sagte vor der Kamera: „Scheiß Ossis, kommen nach Deutschland und nehmen uns Türken die Arbeitsplätze weg!“ – das fanden die Redakteure gar nicht lustig. Am Ende haben sie meinen Auftritt ganz gestrichen. 25 Jahre RTL ist zuweilen härter als 12 Jahre Hitler.

Polak: Die üblichen deutschen Comedians denken gar nicht mehr über das nach, was sie erzählen: „Ich war gestern an der Wursttheke. Kennen se det?“ Da schalte ich ab. Ich möchte Informationen. Deshalb fand ich Rudi Carrell großartig. „Rudis Tageshow“ – das war klassischer Stand Up. Der hatte doch auch mal diesen Skandal, als er Khomeini mit Damenslips bewerfen ließ. Wenn man eine klare Haltung hat, dann besteht halt die Gefahr, missverstanden zu werden. Aber alles andere ist langweilig.

Wenn Mario Barth kommt, hören in Berlin Zehntausende zu. Irgendetwas muss also dran sein?

Somuncu: Naja, andere Clowns haben vor Mario Barth auch das Olympiastadion voll gemacht.

Polak: Aber 1933 war wenigstens der Eintritt umsonst.

Sie thematisieren sehr direkt das Verhältnis der Deutschen zu bestimmten Minderheiten. Das hat in der Komik praktisch keine Vorläufer. Vermutlich mögen Sie Leute wie Kaya Yanar nicht, die immer harmlos blieben?

Polak: Ich weiß, dass meine Mutter ihn gut findet. Das ist wahrscheinlich auch die Zielgruppe von Kaya Yanar. Meine jüdische 62-jährige Mutter.

Somuncu: Es ist einfach falsch, dass er für etwas gefeiert wird, dass er nicht ist. Er selbst sagt sogar, er ist kein Türke.

Polak: Mein Humor richtet sich in erster Linie gegen mich selbst, gegen meine Familie, gegen Deutsche, von mir aus gegen Juden und andere Minderheiten, etwa Ossis mit Job. Bei Kaya Yanar ist immer dieses „wir“ und „ihr“ und alles in Watte gepackt. Das ist so belanglos allgemein und langweilig.

Somuncu: Es gibt mehr Türken als die mit Pumphose und Mütze, die „Ey Alder“ sagen. Wenn jetzt jeder jüdische Comedian anfangen würde, sich einen gelben Stern an die Brust zu heften und Jiddisch zu sprechen, dann würden die Leute das auch inflationär finden.

Herr Polak, sie kleben den gelben Stern an riesige Pappschäferhunde, die ihre Bühne säumen.

Polak: Ich habe von der deutschen Firma Ebay einen gelben Stern zum Anstecken zugeschickt bekommen. Da habe ich dann eben so meine Assoziationen. Und die muss ich irgendwie verarbeiten.

Kommen denn auch die falschen Leute zu Ihren Auftritten?
Somuncu: In Eberswalde habe ich vor 250 Rechtsradikalen gespielt.

Polak: Also bei mir im Programm ist es so, Neonazis zahlen die Hälfte. Die können noch was lernen!

Ein Kollege von ihnen, der Slam-Poet Grohacke, hat in seiner Show eine Nummer über den alten Satz „Mit Nazis darf man nicht reden“. Er fragt: Was soll man sonst mit denen machen? Erschießen?

Somuncu: Nein, reden. Bei einer Umfrage in Thüringen antworten 70 Prozent der Jugendlichen auf die Frage „Mögt ihr Juden?“ mit „Nein“. Und sie sagen die gleichen Sachen, die Leute vor 70 oder 80 Jahren gesagt haben. Als ich dann auf Tour gegangen bin mit „Mein Kampf“, wollte ich auch mit diesen Jugendlichen in Dialog treten. Dabei habe ich gemerkt, wie wichtig das Sprechen ist. Der Dialog, der dabei zu Stande kam, ist in den meisten Fällen effektiv gewesen. Der Nazi, der in meine Lesung kommt, ist ja schon auf halbem Wege, sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen.

Polak: Man macht halt das, was man macht auf der Bühne. Aber wenn es einen positiven Effekt hat, gut. Ich selbst habe auch schon Lesungen in Schulen gehabt. Mein Buch „Ich darf das, ich bin Jude“ wird sogar im Deutschunterricht durchgenommen. Aber wenn ich eine Lesung gebe und da sind zehn Nazis und die kriegen andere Impulse, gehen raus und fangen vielleicht an zu reflektieren, ist das zwar nicht meine Mission, aber eine gute Sache.

Mussten Sie schon einmal eine Bühne vorzeitig verlassen?

Polak: Einmal sprang jemand auf und schrie wie wild, dass ich den Antisemitismus fördern würde. Dieselbe Person wollte nachher backstage handgreiflich werden. Da standen Redakteure und Kollegen um mich herum und keiner hat was gemacht. Er schrie mich an, ob ich denken würde, dass ich als Jude in Deutschland etwas Besonderes sei. Ich frage mich, wer von uns den Antisemitismus fördert.

Sie sind die härtesten Comedians Deutschlands, nur es weiß noch keiner?

Somuncu: Ich weiß nicht, ob wir die krassesten Comedians sind. Ich finde Comedians teilweise krass, die unlustig sind. Ich finde es viel krasser, unlustig zu sein.

Polak: Wir schildern unseren Alltag und nehmen keine Rücksicht auf das, was überall unter den Teppich gekehrt wird. Dann kommen so Leute und sagen, das ist zu hart. Ich sage: „Naja klar, das ist mein Alltag. Was soll ich machen?“ Einmal rief diese Veranstalterin vom Berliner Admiralspalast an und sagte: „Hey Oli, wir machen hier Mauerfall-Revue am 9. November, 20 Jahre Mauerfall, musst du unbedingt vorbei kommen“ und ich sagte: „Nimm’s mir nicht übel, aber zur Reichspogromnacht betrete ich keine Bühne“ und dann sagt sie: „Macht doch nichts, bringst du deine Freunde mit und dann feiern wir alle zusammen.“ Da denkt man dann: Ähhh?

Herr Somuncu, Angela Merkel hat gerade anlässlich ihrer Türkeireise gefordert, dass Türken hierzulande Deutsch lernen sollen. Regt Sie so etwas auf?

Somuncu: Eine Frechheit, dass Diskussionen Leuten überlassen werden, die sie im Affekt um Anerkennung führen. Erdogan ist genauso verlogen, wenn er nun Schulen in Deutschland fordert, in denen Türkisch gesprochen wird. Das hätte er seit 40 Jahren fordern sollen.

Sie treten nicht als der Türke auf, der Deutsche belehrt. Den Türken, die sich über nackte Brüste in der Zeitung beschweren, schreien Sie auf der Bühne zu: „Dann geh doch woanders hin.“

Somuncu: Wer hier an jeder Ecke eine Moschee bauen will, geht doch besser in die Gesellschaft, in der überall Moscheen existieren. Ich sage aber auch den Deutschen: Wenn ihr wirklich eine Moschee haben wollt, dann erklärt und begründet mir das und versucht nicht einfach eure Intoleranz zu kaschieren, indem ihr sie political correctness nennt, in Wirklichkeit aber gar keine Moschee haben wollt.

Herr Polak, Sie haben die US-Szene erwähnt, in der eine jüdische Tradition weiterlebt. Die USA haben Judd Apatows Filme, die Comedy von David Cross, die Serie von Sarah Silverman. Sind Sie neidisch?

Polak: Das nicht, aber wenn du in Amerika Stand Up machst, kannst du viel mehr voraussetzen. Wenn du hier eine Pointe machen willst und es geht um die jüdische Mutter oder um Beschneidung, musst du erst das Wissen, das vielleicht nicht vorhanden ist, vermitteln. In der Tradition sehe ich mich aber eher bei Mel Brooks, Roberto Benigni oder Charly Chaplin.

Somuncu: Ich bin kein Fan davon, nach Amerika zu schielen. Die Deutschen haben einen sehr schönen nachdenklichen Humor, den man bedienen kann. Mich stört, dass die Comedians hier diese Chance verpassen.

Sie treten als „Hassprediger“ auf, wogegen richtet sich ihr Hass?

Somuncu: Ich bin nicht zwangsläufig der Hassprediger, das Programm heißt nur so. Das ist ein ironischer Titel. In einer Zeit, in der vieles unheimlich grell und platt ist, ist es auch adäquat, sich auf die Bühne zu stellen und das zu reflektieren. Dabei kommt etwas sehr Drastisches raus. Das ist nicht das, was ich wirklich bin. Deutsche setzen sich viel zu wenig wirklich mit Türken auseinander, da helfe ich, und da hilft provokante Haltung.

Sie haben den Witzhorizont der deutschen Comedy stark erweitert. Brüskiert das zurzeit das Publikum vielleicht erst einmal eher?

Somuncu: Das stimmt nicht. Die Hütte ist ja voll bei uns.

Polak: Mit meiner neuen Show „Jud süß sauer“ gehe ich im Herbst auf Tournee in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Fernsehleute sagen, das ist zu hart – ohne die Show gesehen zu haben.

Somuncu: Das Gegenteil ist wahr: Die Leute lieben uns und können die Massenware nicht mehr ertragen. Oliver Pocher spielt in Köln in der Lanxess Arena, da passen 18 000 Leute rein, es kommen gerade mal 2000. Mike Krüger sagt reihenweise Auftritte ab, weil noch nicht mal 300 Leute kommen. Das Publikum straft das doch ab und sucht etwas Neues. Intellektuelle müssen dafür kämpfen, Ansprüche durchzusetzen. Dafür stehen wir beide, auch wenn es zwischen uns Unterschiede auf der Bühne gibt.

Polak: Wir teilen den Zynismus und die Schärfe. Aber bei mir gibt’s mehr Konfetti.

Termine: Somuncu.de und Oliverpolak.com

Dieser Text erschien am 14. April 2010 in der Tageszeitung „Die Welt„. Mit freundlicher Genehmigung der Autoren.

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