Es brennt, schon wieder. Am Samstagabend, den 21. Mai, kam es in der Hufeisensiedlung in Berlin-Neukölln erneut zu einem Brandanschlag. Ein geparktes Auto brannte vollständig aus und drei weitere Pkw wurden beschädigt. Glücklicherweise kamen keine Personen zu Schaden. Für die Bewohner:innen der Siedlung ist diese Nachricht leider nichts Neues, denn der Brandanschlag ist bereits der 13. seit Oktober 2021. Anschläge elf und zwölf ereigneten sich erst kürzlich, am Montag und Mittwoch in der Woche zuvor – die Abstände der Brandstiftung werden scheinbar immer kleiner. In den vergangenen sechs Monaten brannten nicht nur Autos, sondern auch Müll- und Altkleidercontainer, Sitzbänke einer Bushaltestelle und Anhänger-Planen.
Wie die Berliner Morgenpost berichtet, erkennt die Polizei bisher keine konkreten „Hinweise auf das Vorliegen einer Brandserie, begangen durch denselben Täter“. Begründet wird diese Beurteilung der Brandanschläge mit dem Hinweis auf die Angriffe „unterschiedliche Objekte zu unterschiedlichen Tatzeiten“. Wie die Polizei inzwischen mitteilte, ermittelt im jüngsten Fall nun der Staatsschutz, „da eine politische Tatmotivation derzeit nicht ausgeschlossen werden kann“. Denn das ausgebrannte Auto war vor einem Haus geparkt, in dem eine Familie lebt, die in der Vergangenheit bereits mehrfach von antisemitisch motivierten Taten betroffen war. Beispielsweise wurden Personen im Garten mit Pfefferspray angegriffen und die Fassade des Hauses am 9. November 2021 mit einem Hakenkreuz beschmiert.
Dass nun ein Auto in unmittelbarer Nähe zu diesem Haus Ziel von Brandstiftung wurde, deutet auf einen möglichen Zusammenhang und ein antisemitisches Tatmotiv hin. Die Berliner Journalistin Stephanie Kuhnen filmte den Brand und veröffentlichte das Video unter dem Hashtag #Rechtsterror auf Twitter. Zu sehen sind das lichterloh brennende Auto und meterhohe Flammen, die scheinbar auf einen Baum übergegangen sind.
Nicht die erste Anschlagsserie in Neukölln
Aus Sicht der Polizei sprechen bisher keine Hinweise für eine Verbindung zu der rechten Anschlagsserie, dem sogenannten Neukölln-Komplex bis 2020. Dennoch ist die Vermutung, dass es einen Zusammenhang zwischen den Taten geben könnte, nicht unbegründet. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass der Berliner Stadtteil von einer derartigen Anschlagsserie heimgesucht wird. Wie auch Belltower.News berichtete wurden zwischen den Jahren 2016 und 2020 mindestens 73 rechtsextrem motivierte Taten, darunter 23 Brandstiftungen in Neukölln gezählt gezählt.
Unter den Betroffenen der rechten Gewalt waren damals vor allem Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, wie Sozialarbeiterin Christiane Schott, Betreiber der Buchhandlung Leporello Heinz Ostermann und Lokalpolitiker der Linken und antifaschistischer Aktivist Ferat Kocak. Die mutmaßlichen Täter Tilo P. und Sebastian T. sind bekannte Nazis und wurden nach jeweils kurzer Untersuchungshaft im Dezember 2020 und Januar 2021 wieder entlassen. Beide sind gut vernetzt in der rechten Szene. Sebastian T. war bis Ende 2016 NPD-Kreisvorsitzender in Neukölln und Tilo P. zum Tatzeitpunkt Vorstandsmitglied der Neuköllner AfD (Weitere Details im Belltower.News Artikel zur Anschlagsserie bis 2020). Zu einem Gerichtsverfahren kam es bisher nicht, der Prozess soll jedoch demnächst beginnen.
In der Zwischenzeit setzten sich viele Betroffene für eine parlamentarische Aufklärung des sogenannten Neukölln-Komplexes ein. Hintergründe, wie die mögliche Rolle rechtsextremer Netzwerke, sollen genauer untersucht und mögliche Versäumnisse der ermittelnden Beamt:innen, wie das späte Erkennen des Seriencharakters, aufgearbeitet werden. Nach langer Uneinigkeit zwischen den Parteien wurde der Untersuchungsausschuss mit dem Titel „Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Untersuchung des Ermittlungsvorgehens im Zusammenhang mit der Aufklärung der im Zeitraum von 2009 bis 2021 erfolgten rechtsextremistischen Straftatenserie in Neukölln“ Anfang Mai diesen Jahres offiziell eingesetzt.
Im Gespräch mit der Tageszeitung nd erklärt Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR), sie „teile die Hoffnung derjenigen, die diesen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gefordert haben.” Dieser sei die „einzige Möglichkeit, hoffentlich Licht in das Dunkel zu bringen oder den Nebelkerzen, die seit vielen Jahren da gezündet wurden, zumindest ein Licht entgegenzusetzen.” Denn der Vertrauensverlust der Betroffenen Neuköllner:innen in die Strafverfolgungsbehörden wurde durch den Verlauf der Ermittlungen im Neukölln-Komplex durch Polizei-interne Skandale nur noch weiter erschüttert.
Zusammenhang bleibt vorerst unklar
Inwiefern der Neukölln-Komplex in der aktuellen Anschlagsserie eine Fortführung findet, bleibt zu ermitteln. Die Tatsache, dass entgegen der Anschläge bis 2020, keine gezielten Angriffe gegen politisch engagierte Bürger:innen festgestellt werden konnten, spricht gegen einen Zusammenhang der Taten. Dennoch könnten insbesondere Betroffene der rechten Angriffe durch die anhaltenden Vorfälle der Brandstiftung retraumatisiert werden, erklärt Matthias Müller, Mitarbeiter der MBR im Gespräch mit Belltower.News. Insgesamt nehme er eine „große Unsicherheit von vielen Menschen in Neukölln” wahr, denn die „Angriffe und die ausbleibenden Ermittlungserfolge lassen die Menschen dort nicht zur Ruhe kommen”.