Das geltungssüchtige Bedürfnis von Prominenten, auch in anderen Bereichen als ihrer Zunft reüssieren zu wollen, geht leider nicht immer gut aus, vor allem, wenn es sich bei diesem Bereich um die Politik handelt (denken wir an Gustav Gründgens, Kanye West oder Donald Trump; Josephine Baker, Edith Piaf und Jane Fonda stellen hingegen lobenswerte Ausnahmen dar). Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie wünscht man sich noch mehr als sonst, dass Schlagerstars (Michael Wendler), Malle-Anheizer (Björn Banane), Kochbuchautoren (Attila Hildmann) oder Popsängerinnen (Nena) weiter mittelmäßige Alben oder Energy-Drinks auf den Markt bringen würden, anstatt neu geschaffene Telegram-Kanäle mit Desinformationen über Bill Gates’ Welteroberungspläne zu bespielen.
Der wohl größte Nachteil von Prominenten, die nicht bei ihrem Berufsgruppenäquivalent von Leisten bleiben wollen, ist, dass sie oft eine riesige Reichweite haben. Was, wenn sie diese nutzen, um verschwörungsideologische Narrative zu verbreiten? Sie können einerseits Fans auch von diesen Positionen überzeugen, andererseits geben sie alteingesessenen Verschwörungsdenker*innen das Gefühl, im Recht zu sein. Wenn eine gesellschaftlich relevant scheinende Persönlichkeit die gleichen Thesen vertritt wie man selbst – und seien sie noch so krude –, wirkt das, als färbe ein bisschen ihres Glanzes auf einen selbst ab. Es ist eine Bestätigung der Ideologie – und eine narzistische Erhöhung.
Und wenn es gleich 53 deutsche Schauspieler*innen sind, die sich in pseudowitzigen Kurzvideos über die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus echauffieren, dann fühlt sich der gemeine Querdenker so richtig bestätigt.
Pünktlich zur Diskussion um die sogenannte „Bundesnotbremse“ veröffentlichen am Abend des 22.04.2021 zahlreiche Dauergäste deutscher Film- und Serienproduktionen, unter ihnen Heike Makatsch, Meret Becker, Jan Josef Liefers, Ulrich Tukur und Wotan Wilke Möhring unter den Hashtags #allesdichtmachen, #lockdownfürimmer und #niewiederaufmachen die Clips auf YouTube, Instagram und einer eigens erstellten Seite allesdichtmachen.de.
Die Videos sind alle ähnlich gehalten: Von sanftem Pianogeklimper untermalt, blicken die einzelnen Sprecher*innen eindringlich in die Kamera und betonen die Notwendigkeit eines radikalen Lockdowns und eines strikten Befolgens der Corona-Regeln. Es ist müßig, jedes einzelne dieser Videos en détail auf die Blödsinnigkeit und Falschheit der historischen Relativierungen, der schlecht kaschierten Larmoyanz, des Opfergehabes und der Empathie- und Rücksichtslosigkeit abzuklopfen. Darin wiederholen sie sich. Sie überspitzen notwendige Forderungen wie die Aufforderung zum Tragen einer Maske oder das Schließen von Geschäften; so wird impliziert, dass emanzipatorische Kritik an einer Lockerung der Maßnahmen kaum etwas anderes sei als Panikmache und Hysterie.
Tatort-Kommissar Richy Müller atmet in zwei Tüten, um sich so vor Aerosolen zu schützen. Ulrich Tukur fordert auf, die Lebensmittelläden zu schließen. Nina Gummich wutbürgert, dass eine „eigene Meinung“ zu haben „gerade krass unsolidarisch“ sei. Und Felix Klare (wenn man sich Pedro Pascal auf Wish bestellt) scheut sogar nicht vor kruden historischen Vergleichen zurück: Er hätte neulich die „Tagebücher seines Urgroßvaters“ gefunden und würde sich nun beim Homeschooling seiner Kinder an den dort rezipierten Erziehungskonzepten bedienen, um sie zu in der Pandemie verantwortungsvoll handelnden Bürger*innen zu erziehen. Die Maßnahmen der NS-Pädagogin Johanna Haarer, die darauf abzielten, Kinder zu emotional verkümmerten Weltkriegs-Soldaten für Hitler zu erziehen, sind für ihn das Gleiche, wie heute Kindern zum Schutz von ihnen selbst und anderen eine Maske anzuziehen. Jan Josef Liefers kolportiert den Mythos gleichgeschalteter Medien, die lediglich als Sprachrohr der Regierung fungieren würde. Corona-skeptische Berichterstattung sei eine „überwunden geglaubte Vorstellung von kritischem Journalismus“, gegen den sich die Regierung und ihre Schlafschafe „zur Wehr setzen“ müssen. NS-Vergleiche, “Lügenpresse”, das Inszenieren als Rebell gegen die Corona-Diktatur – es ist kein Wunder, dass die Kampagne innerhalb der entsprechenden Kreise mit heller Begeisterung aufgenommen worden ist. Liefers’ Video etwa wurde umgehend auf YouTube-Kanälen wie dem von Querdenkerin Miriam Hope hochgeladen. Hope bezeichnete die Aktion als „gutes öffentliches Zeichen“.
Auch andere Coronakritiker*innen zeigen sich begeistert: die rechtsoffene Zeitung Tichys Einblick empfiehlt auf Twitter: „Unbedingt anschauen“. Das verschwörungsideologische Nachrichtenportal Bittel TV bezeichnet die Aktion auf Telegram als „Grossartige Aktion zu rechten Zeit“, AfD-Spitzenpolitikerin Alice Weidel nennt #allesdichtmachen eine „Großartige Aktion, die hoffentlich zum Nachdenken anregt“. Martin Sellner und Attila Hildmann teilen das Video auf ihren jeweiligen Telegram-Kanälen.
Andere Teile der deutschen Schauspielszene sehen die Sache jedoch skeptisch: Elyas M’Barek und Nora Tschirner bezeichneten die Kampagne als zynisch, Christian Ulmen thematisierte die ideologische Nähe zu Ken Jebsen. Der Satiriker Jan Böhmermann konterte mit dem Hashtag #nichtganzdicht und empfahl auf Twitter, die ARD-Dokumentation „Station 43 – Sterben“ zum Corona-Betrieb der Berliner Charité zu sehen. Zahlreiche Journalist*innen übten heftige Kritik an der Aktion. Die Autorin Marina Weisband enttarnt die metapolitische Ebene der Aktion, die – gängige Strategie rechtspopulistischer Diskurse – Kritik sofort als den Versuch, unbequeme Denker*innen zum Schweigen zu bringen, diffamieren würde. Der Übermedien-Autor Stefan Niggemeier bezeichnet das süffisante Bekenntnis der über 50 Prominenten gegen eine konsequente Pandemiebekämpfung gar als „Dammbruch“. Heike Makatsch und Meret Becker haben ihre Videos inzwischen zurückgezogen und sich einsichtig gezeigt, dass die Aktion weniger berechtigte Kritik an der Situation der Künste artikulierte, als sich gesellschaftlich verantwortungslos und menschlich rücksichtslos gegenüber Coronakranken, den Familien von Coronatoten und dem medizinischen Personal zu verhalten; natürlich nicht, ohne sich dafür von Querdenker*innen anhören zu müssen, vom Mainstream „zum Schweigen gebracht“ worden zu sein.
Auf die Kritik an der verantwortungslosen, spalterischen und lösungsfreien Kampagne, die quasi zu Durchseuchung auch auf Kosten von tausenden Toten aufruft, artikulierten Vertreter*innen des verschwörungsideologischen Spektrums Solidarität und Verständnis – nicht ohne die Chance zu nutzen, sich selbst in die Opferrolle zu setzen. „Kaum haben Dutzende Schauspieler mit der Satire #allesdichtmachen ein Tabu gebrochen und die Corona-Politik der Regierung scharf kritisiert, schlägt der polit-mediale Komplex mit voller Wucht zurück“, jammert Boris Reitschuster über die Gemeinheit, für falsche Aussagen Gegenwind erfahren zu müssen. AfD-Politiker Malte Kaufmann klagt: „Die #allesdichtmachen-Schauspieler erleben jetzt einmal ansatzweise, was auf die AfD-Politiker und deren Sympathisanten hereinprasselt – nur weil wir Regierungs- und Medienkritik üben!“ Man ist fast versucht, vor lauter Mitleid eine Schweigeminute für die armen Opfer der Kritik einzuhalten. Angesichts dieses Appells an die Notwendigkeit eines kritischen Meinungsaustauschs ist es übrigens ein wenig überraschend, dass die Initiative die Kommentarfunktion zu den YouTube-Videos deaktiviert hat.
Dass 53 unterschiedliche Schauspieler*innen zu einem ähnlichen Zeitpunkt auf die Idee kommen, sowohl ästhetisch als auch inhaltlich sehr ähnliche Videos zu machen, lässt auf eine Kampagne schließen. Die Initiative könnte ein Konzept des Münchner Fernsehproduzenten Bernd K. Wunder sein, zumindest ist er im Impressum der inzwischen nicht mehr aufrufbaren Seite allesdichtmachen.de angegeben. Auf seinem Vimeo-Profil finden sich Videos mit Harald Schmidt, Philipp Lahm und Tim Bendzko. Er ist Gründer des Blockchain-basierten Streamingdienstes Cine.Box; die Firma übertrug im Januar 2021 das Filmfestival Max-Ophüls-Preis und wurde dafür vom saarländischen Wirtschaftsministerium mit 56.000 Euro bezuschusst. Dabei behauptete Wunder bereits 2020 auf seinem Instagram-Profil, dass das Corona-Virus nicht schlimmer sei als eine Grippe, und verlangte von dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, er solle „einfach mal die Klappe halten“. Ein Video von hinter Plastikschirmen spielenden Kindern in einem thailändischen Kindergarten kommentierte er NS-relativierend mit „Der Ausdruck Coronazi ist somit absolut gerechtfertigt“. Inzwischen hat Wunder in einem Interview mit dem „Fokus“ jedoch Sorge darüber geäußert, aufgrund des Videos mit „rechten Verschwörungstheoretikern, Reichsbürgern und Corona- und Pandemieleugnern“ in eine Ecke gestellt zu werden; nichts läge ihm nämlich ferner. Auch mit der AfD hätte man nichts zu tun. Man wolle lediglich „die Diskussion öffnen“, so Wunder. Und weiter: „Hierbei behaupten wir nicht, es besser zu wissen und auch nicht, dass alle Maßnahmen falsch sind. Doch die Ereignisse der letzten Monate muss uns doch allen Hinweis sein, dass vieles eben nicht gut gelaufen ist.“
Nun hat Wunder durchaus nicht Unrecht damit, dass der Kulturbereich seit Beginn der Pandemie von massiven Einschränkungen betroffen war und so einiges nicht gut gelaufen ist. Die Theater, Museen, Kinos, Balletthäuser und Opernhäuser sind geschlossen, Clubs und Konzerthallen ebenfalls. Hilfen gibt es zu wenig und sie kommen zu spät, und generell wird seitens der Ministerien und Parlamente so getan, als sei der Besuch einer Kunstgalerie oder eines Konzerts für die psychische Gesundheit des Menschen irrelevant. Der Wind schien aus der Richtung zu wehen: „Hätten diese Musiker*innen und Schauspieler*innen mal was Systemrelevantes gelernt anstatt so einen schöngeistigen Blödsinn, hätten sie jetzt auch keine Probleme!“. Lieber wurden Großunternehmen wie der Lufthansa Milliardenpakete zugesichert. Allerdings gehören Wunder und viele der 53 an der Kampagne #allesdichtmachen beteiligten Personen nicht zu den von dem kulturpolitischen Versagen der Regierung betroffenen kleinere Künstler*innen oder Betreiber*innen von jenen Lokalitäten, die gerade um ihr Fortbestehen bangen müssen. Sie sind vielmehr fest in der deutschen Kulturlandschaft etabliert, drehen etwa – zumindest teilweise – auch in der Pandemie, etwa für öffentlich-rechtliche Medien. Sie sitzen auf ihren Designermöbeln und ziehen Maßnahmen in den Dreck, deren Ziel es sein sollte, Menschenleben zu schützen.
Angesichts von fast 80.000 an der Pandemie Verstorbenen und angesichts eines zunehmend ausgebrannten Krankenhauspersonal, das versucht, so viele Menschen wie möglich zu retten, wirken die Videos kalt, weltfremd und zynisch. Ein Jan Josef Liefers wird nur wenig Ahnung davon haben, wie das momentane Leben einer Supermarktkassiererin ist, die acht Stunden täglich an ihrem Arbeitsplatz sitzen muss und trotz ihrer Systemrelevanz am Existenzminimum krebst. Eine Kritik an der Tatsache, dass Angestellte in einem norddeutschen Amazon-Werk keine FFP2-Masken tragen dürfen, da sie sonst häufiger Pausen einlegen müssten, sucht man in den Videos vergebens. Stattdessen verbreiten Bernd Wunder und die an seiner Aktion beteiligten Schauspieler*innen populistische und egoistische Thesen, wie sie sonst AfD und Querdenker*innen verbreiten. Deshalb erhalten sie auch nur von dort Applaus.
Kampagnen wie #ZeroCovid werben seit Monaten für einen solidarischen Lockdown im Stil von Neuseeland, um ein menschenwürdiges Leben – auch mit Kultur – wieder möglich zu machen. #ZeroCovid kritisiert, indem überlegte Alternativen zu der momentanen halbgaren Pandemiestrategie angeboten werden. Kritisiert wird, wie sämtliche Verantwortung gegen die Ansteckung auf das Privatleben abgewälzt wird, während die Wirtschaft unangetastet bleibt. Auch die wirklich unzureichende Unterstützung von Kunst- und Kulturschaffenden wird benannt. Eine Solidarisierung mit dieser Branche funktioniert nämlich auch, ohne ins Sprachrohr der Querdenker-Bewegung zu blasen. Aber Übersimplifizierung, Opfergestus und Zynismus sind nun einmal einfacher, als Alternativen zum Status Quo aufzuzeigen.
Querdenkerin Aya Velazquez äußert auf Twitter übrigens die Befürchtung: „Wer diese 53 Schauspieler canceln möchte, müsste den deutschen Film als solchen canceln.“ Wenn man sich die deutschen Produktionen der letzten Jahrzehnte anschaut – um viele wäre es künstlerisch nicht allzu schade. Aber solange es deutsche Schauspieler*innen davon abhält, sich derart politisch zu äußern, hat selbst der letzte Sat 1-Filmfilm noch etwas Gutes.