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„Nicht nur ich habe Angst vor denen“

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Von der Autobahn 24 Hamburg-Berlin führt die Straße vorbei an alte
Baumalleen und frischen Feldern zu der Stadt mit etwa 4900 Einwohnern. Marode Plattenbauten oder eingefallene Werkshallen sind nicht zu sehen. Die „Griese Gegend“ in Westmecklenburg ist im Sommer ein grünes Kleinod. Rote Backsteinhäuser und Linden bestimmen das Stadtbild. Nur wenige Geschäfte stehen am Stadtkern leer. Hier wo eine niedrige Arbeitslosigkeit und florierende Wirtschaft besteht erreichte die NPD bei der Landtagswahl 2006 16 Prozent der Stimmen. Nicht ihr höchstes Wahlergebnis bei dem Einzug als Fraktion in den Landtag.

Bürgermeisterin Ute Lindenau (SPD) macht sich aber wenig vor: „Wäre die Wahlbeteiligung bei uns niedriger gewesen, sehe es anders aus“. Ins Bürgerhaus hat die Redaktion der Schulzeitung von der Regionalen Schule geladen. Sie haben die Broschüre „Wir sind Lübtheen“ erstellt. Mitte im Ort liegt „Dat olle Amtsgericht“ – einige Aktionen gegen Rechts fanden in den Räumen schon statt. Bundespräsident Horst Köhler sprach 2007 in dem Haus mit Anwohner wegen der NPD. Das damalige Treffen lies kurz vergessen, dass Lübtheen durch die NPD eine gespaltene Stadt geworden ist, sagt Lindenau, die auch die Bürgerinitiative „Wir für
Lübtheen“ mit trägt.

Gleich gegenüber, wenig Schritte über die Hauptstraße, hat die NPD ein Bürgerbüro eröffnet. „Wir kümmern uns“ steht auf einem professionellen Transparent im Schaufenster. „Die Bürozeiten von ihrem Bürgerbüro halten die penibel ein. Manche lassen sich da beraten“, berichtet Lindenau. Auch heute während der Präsentation ist die Tür offen. Eine Stelltafel auf dem Fußweg lädt zum Besuch ein. In den Räumen sitzen Männer, reden, tauschen sich aus. Ein jugendlicher Anwohner steigt vom Fahrrad, sagt kurz „Hallo“. Man grüßt zurück. Vor dem Einzug ins Schwerin Schloss mit über 7 Prozent der Stimmen war genau hier das Juweliergeschäft des heutigen NPD-Fraktionschef Udo Pastörs. Zusammen mit Köster eröffnete er das Bürgerbüro in seinen alten Geschäftsräumen. Keine „Ramsch“ lag im Schaufenster aber auch keine unerschwinglichen Uhren oder Ketten. Pastörs kannte seine Kundschaft. Sie kennt ihn, dank freundlichen und hilfsbereiten Auftretens.

Noch Heute, berichtet im Saal des Bürgerhaus Alexandra, erzählen
Anwohnern: „Im Laden hätte Herr Pastörs nie über Politik geredet, nett sei er“. Am Saaleingang der Hinweis: Nur mit Presseausweise dürfe man teilnehmen. Die Gemeinde ist durch die alltägliche Auseinandersetzung mit der NPD vorgewarnt. Die Strategie der Wortergreifung der Partei, Veranstaltungen aufzusuchen um die Diskussion zu bestimmen, ist leidlich bekannt. Vorsichtshalber bleiben auch die Nachnamen der jungen Frauen von dem Broschürenprojekt unerwähnt.

Für ihr Projekt hat das Redaktionsteam Mitschüler und Bürger gefragt: „Warum leben Sie in Lübtheen“ und nachgekarkt, was sie so von der NPD denken. „Wir wollten wissen, was sie an der Stadt mögen“, erklärt Alexandra. Und die 17-Jährige hebt hervor, „wir wollten auch erfahren, was sie zur NPD denken“. Als die Schüler ihre rechten Kameraden ansprachen, berichtet Jasmin, 15 Jahre, wollten die nicht reden: „Haut ab“ hieß es von denen selbstbewusst. Bei ihren Recherchen erfuhren sie aber, so Alexandra, „dass viele sich gegen die NPD äußerten“.

Zuvor glaubte man, mit seiner Meinung alleine zu sein. „Man wusste nicht, was der andere denkt, und hielt sich zurück“, betont Nicole, 15 Jahre. Jasmin sagt ebenso: „Man war lieber still, man weiß ja doch nicht immer so hundertprozentig ob der nicht doch dazu gehört“. Sie sagt, was in der Broschüre nur zwischen den Zeilen anklingt: „Nö, viel mutiger ist man jetzt nicht.“ Sie weiß: „Nicht nur ich habe Angst vor denen“.

In der farbigen Broschüre schwärmen die Befragten aber nicht nur von „ihrer Lindenstadt“ – von der Idylle einer Kleinstadt, den Freizeitwert dank der Natur, den Einkaufsmöglichkeiten und dem Leben in den vielen kleinen Vereine. Beatrice und Jana heben hervor: „Im Laufe der Jahre wurden mehrere Aufenthaltsmöglichkeiten und öffentlichen Räume geschlossen“. Ein Jugendclub besteht, doch mehr Angebote wünschen sich auch andere Jugendliche. Katherina Alexi erzählt in der Broschüre von der Vertreibung des jüdischen Arztes Bernhardt Aronsohn während des Nationalsozialismus. Im Unterricht hat sie sich mit dem Leidensweg Arnsohns beschäftigt, der 1938 nach Hamburg geht und von dort am 11. Juli 1942 mit 298 anderen Juden „abwanderte“. „Es ist wie damals: Die Massen schweigt und sieht weg“, sagt sie und betont: „die guten Bürger setzen sich sogar mit den bieder Nazis an den Stammtisch“.

„Ins Gemeinde- und Vereinsleben haben sie sehr wohl Politik hineingetragen, aber nicht plump“, erzählt Lindenau und: „Wir haben das aber zu spät wahrgenommen“. Nicole ergänzt: „Als nette Leute treten die auf“. Bei einem Sommerfest das sich eigentlich gegen die NPD richtete, kamen sie prompt. Doch nicht um offen zu provozieren. Im Gegenteil: Die Kader besuchten das Fest mit ihren Frauen und all ihren Kinder. Kuchen boten sie am eigenen Stand an. Pastörs flanierte freundlich grüßend übers Gelände. Anderer „Politikprominenz“ war nicht vor Ort.

Vor über zehn Jahren siedelten vielen Kader in die Region an. „Keine
Antifa, keine Ausländern und günstige Immobilienpreise“, sagt damals der mecklenburg-vorpommerische Verfassungsschutz. Pastörs zog ins nahe Briest, Köster ins nicht unweite Paetow. In Amholz wohnen die NPD-Kader Thomas Wulff und Michael Grewe mit Familie. Der Ludwigsluster NPD-Kreisvorsitzende Andreas Theißen hat sich mit Frau und Kindern in Langenheide niedergelassen. „Lübtheener pflegten freundschaftliche Kontakte zu der nationalen Opposition“ meint Köster – „über die Kinder“.

Von „braunen Westimport“ mag im Bürgerhaus niemand sprechen. Diese Abwehrargumentation kennt Dieter Karczewski, Geschäftsführer des Sportvereins „Concordia“. Hier und da sei das auch noch mal zu hören, sagt er. Der Verein unterstützte das einjährige Schulprojekt. „Das Schweigen über ….“, erlebte er ebenso. Erst als die Unterwanderungsbemühungen der NPD im Verein mal offen ausgesprochen wurde, so Karczewski, konnte entgegenwirkt werden. „Mit ihren Kindern kamen sie, wollten im Training helfen“, erzählt er. Nun ist in der Satzung ein Passus gegen rechts. „Die Diskussion darum war aber das Wichtigste“, hebt Karczewski hervor.

Reden oder Schweigen? Lindenau betont selbst: „Aus Angst sagen viele Angestellte lieber nichts“. Kein Vorwurf, denn Lindenau, die wegen ihres Engagement mit dem Johannes-Stelling-Preis geehrt wurde, weiß, schnell stellt die NPD einen an den Pranger. Verstimmt eine solche Broschüre die NPD oder schmeichelt sie bloß der Stadt? Alexandra ist sich „ganz sicher“: „Jeder Widerspruch nervt die NPD“.

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