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„No Nut November“ Wie aus einem Witz ein rechtsextremer Trend geworden ist

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Wer am "No Nut November" scheitert, ändert sein Profilbild zum "Coomer".

Angefangen hat der Hype um den abstinenten November auf der Plattform Reddit in einem gleichnamigen Subreddit (Kanal). Dieser Subreddit wiederum entstand als Reaktion auf einen anderen Subreddit, „nofap“, wo sich hauptsächlich Männer gegenseitig anspornen, nicht zu onanieren. Die „NoFap“-Community glaubt daran, dass „semen retention“, also das Zurückhalten ihrer Samen, sie zu stärkeren, besseren, männlicheren Männern macht. Die Theorien der Selbstbefriedigungsgegner basieren auf entweder ausgedachten oder falsch verstandenen Fakten. Jede Ejakulation senke laut der Erzählung von „NoFap“ den Testosteronwert. Der Verzicht auf Onanie verbessere daher  Konzentration und Schlaf, und die gewonnenen Zeit, die nicht durch Selbstbefriedigung verschwendet werde, könne zur Selbstoptimierung verwendet werden. Denn der Muskelaufbau gehe dann leichter und die Beziehung zur Partnerin werde auch verbessert. Ein Thema, das allerdings nicht immer ganz klar wird. Denn einige Vertreter der Bewegung sprechen sich für komplette Abstinenz aus, also auch gegen Sex, andere wollen lediglich auf Selbstbefriedigung verzichten. Dazu wird „NoFap“ als Gegenmittel zur „Pornosucht“ propagiert, die sich in exzessiver Selbstbefriedigung äußere. So die Online-Aktivisten.

Der NNN wiederum war zuerst vor allem eine Persiflage auf Themenmonate und Internetchallenges, die mehr oder weniger erfolgreich auf Krankheiten oder Missstände aufmerksam machen wollen. Etwa die „Ice Bucket Challenge“, bei der es um ALS ging, Amyotrophe Lateralsklerose, eine seltene Krankheit. Teilnehmende überschütten sich mit Eimern voller eiskaltem Wasser, filmten sich dabei und stellten Video davon online. „Movember“ ist, wenn Männer sich einen Schnauzer wachsen lassen, um auf Hodenkrebs aufmerksam zu machen oder „Dryunary“ beziehungsweise „Sober October“, wenn im Januar oder Oktober kein Alkohol oder andere Drogen konsumiert werden sollen.

Dass es sich beim „No Nut November“ zunächst um einen Scherz handelte, zeigen mindestens auch der „Destroy Dick December“ (DDD), sowie der „Fibonacci February“ (FF) die ebenfalls im NNN-Subreddit vorgeschlagen wurden. Beim DDD sollen Teilnehmer an jedem Tag entsprechend des Datums onanieren. Am 1. Dezember einmal, am 2. zweimal und so weiter, bis sie am 31. Dezember schließlich 31 mal am Tag onanieren müssten. Nach einem Monat Pause wird der DDD allerdings vom FF in den Schatten gestellt. Ausgehend von der Fibonacci-Folge, bei der beginnend mit zweimal der eins, zwei aufeinanderfolgende Zahlen bis ins unendliche addiert werden (1,1,2,3,5,8,13,…), endet der „Fibonacci February“ damit, dass am 28. Februar 317.811 mal — am Tag — onaniert werden muss.

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Aber: Nicht alle haben den Witz verstanden. Der „No Nut November“ wurde zum niedrigschwelligen Einstieg in die „NoFap“-Welt. Besonders Männerrechtler und damit schnell auch rechtsalternative und extreme Influencer und ihr Gefolge nahmen den Witz sehr ernst. Wer es nicht schafft, ist ein „Coomer“ und wechselt sein Profilbild für den Rest des Monats zu einem bärtigen, grinsenden “Pornosüchtigen”. Ein Meme, das ebenfalls auf Reddit und 4chan geboren wurde.

Die Prämissen der Community klingen dabei zum Teil nachvollziehbar. Expert:innen bestreiten zwar, dass „Pornosucht“ überhaupt existiert, ernstzunehmende Studien, die sie belegen, gibt es nicht. Trotzdem existieren viele legitime Kritikpunkte an der Pornoindustrie. Etwa der Umgang vor allem mit Frauen in der Branche, die Normalisierung von unrealistischen Körperbildern und Sexpraktiken, Reproduktion von rassistischen Stereotypen und vieles mehr. All das ist allerdings kein Stein des Anstoßes für die Community. Dafür haben die Onanie-Gegner aber andere Feinde ausgemacht.

In der Erzählung der „NoFap“-Community ist die Pornoindustrie nämlich Teil der „jüdischen Weltverschwörung“. Juden und Jüdinnen kontrollierten demnach die großen Videoplattformen und die Studios und verdienten Geld damit, Männer durch ihre Produkte zu kontrollieren und zu manipulieren. Durch Pornosucht würden Männer verweichlicht und ihr Widerstand werde kleingehalten. Diese Erzählung ist nicht neu, sondern eine moderne Interpretation des „Juden als Zuhälters“, eine Geschichte, die bereits im 19. Jahrhundert Konjunktur hatte und von den Nationalsozialisten auf die Spitze getrieben wurde, die behaupteten, dass 90 Prozent aller Zuhälter jüdisch seien. David Duke, “Grand Wizzard” beim Ku Klux Klan, vertritt etwa diese These und bezeichnet Pornographie als „Waffe gegen Europäer“, die von Juden und Jüdinnen kontrolliert werde. Das Ziel sei dabei – wie so oft in rechtsextremen Erzählungen-, die Schwächung der „weißen Rasse“. Durch Pornographie und Selbstbefriedigung würden Männer nicht nur davon abgehalten, Kinder zu zeugen, sondern durch Porno-Genres, in denen etwa schwarze Männer mit weißen Frauen Sex hätten, würde „Rassenschande“ normalisiert. Eine Erzählung, die die Verschwörungsideologie vom „Großen Austausch“ oder der „Umvolkung“ anhand von Sexualität neu erzählt.

In den USA sind es vor allem die „Proud Boys“, die sich „NoFap“ auf die Fahne geschrieben haben. Mitglieder der rechtsextremen Bewegung dürfen höchstens einmal im Monat onanieren und dann im Idealfall auch nur in der Nähe einer Frau. Das soll dazu führen, dass mehr Kinder geboren werden, weil die „Boys“ so einen größeren Anreiz hätten, mit Frauen in Kontakt zu treten.

Besonders einflussreich in der Szene ist „Sol Brah“ ein Männerrechtsaktivist mit fast 100.000 Followern auf Twitter. „Semen retention“, also das Vermeiden von Ejakulation, gehört zu seiner merkwürdigen Philosophie. Es ist also „NoFap“ in ansprechenderer Ästhetik. Hier werden nicht nur Nahrungsergänzungsmittel verkauft, für deren Wirkung es keinerlei Beweise gibt, sondern auch Kalendersprüche gepostet, die seine Jünger etwa zum Sport animieren sollen, dazwischen immer wieder Fotos von oberkörperfreien, muskulösen jungen Männern. Selbstverständlich dienen diese Bilder höchstens zur Motivation und sind keineswegs homoerotisch zu deuten, denn Homofeindlichkeit ist Teil der Bewegung. Ein zentrales Argument lautet, dass männliche Selbstbefriedigung zu Pornographie homosexuell mache, denn immerhin schaut man einem anderen Mann beim Sex zu. Um „Sol Brah“ hat sich mittlerweile eine ganz eigene Szene von hauptsächlich männlichen Fans und Nachahmern gebildet, die ebenfalls Geld verdienen und Einfluss gewinnen wollen.

In Deutschland ist zum Beispiel die „Junge Alternative“ auf den „NoFap“-Zug aufgesprungen. So hatte etwa der Vorsitzende der AfD-Jugendorganisation in Bayern und Schwandorfer AfD-Stadtrat Thomas Richard Deutscher auf seiner Facebookseite vor den Gefahren der Selbstbefriedigung gewarnt. Selbstbefriedigung würde den Drang nach Pornografie steigern, den „Geist verderben“ und Männer zu „Konsumsklaven machen“. „Masturbation“, so Deutscher, „sollte daher generell eingestellt werden, da sie einen der schöpferischen Energie, vieler Nährstoffe und der männlichen Kraft beraubt.“ Begleitet wird der Artikel von einer Karikatur, die zwei Männer gegenüberstellt: den buckligen, krummen und degenerierten Onanisten neben dem aufrecht gehenden und vor Virilität strotzenden Enthaltsamen.

Auch für den  rechtsextreme Aktivisten Nikolai Nerling, der als „Volkslehrer“ bekannt wurde, ist Selbstbefriedigung immer wieder Thema. Vor seinem „Aufwachen“ hätte Pornokonsum zu seinem Alltag gehört, berichtet der Neonazi. Nerling hat seine eigene Internetchallenge erfunden, die „Volkskraftwochen“, und will seine Anhänger:innen zu einem bewussteren Lebensstil bringen und unter anderem zum Sport motivieren. Einmal im Jahr findet die Challenge für vier Wochen statt. Dazu gehört auch „Verzicht auf Pornographie und Selbstbefriedigung“.

Internetchallenges dienen dazu, Communitys zu schaffen und sie zu stärken. Das gleiche gilt für die unterschiedlichen Abstinenz-Herausforderungen. Im Fall von NNN, „NoFap“ oder auch Nerlings Idee steckt aber mehr dahinter. Denn auch Propaganda gehört wie selbstverständlich dazu. Zwischen Pseudowissenschaft und Plattitüden mischen sich Rassismus, Antisemitismus und rechtsextreme Ideologie.

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